Falscher Freund
Neu-Delhi darf sich in der Klimapolitik nicht durch Peking vereinnahmen lassen
Während des Kopenhagener Klimagipfels bewahrte Indien sein Nachbarland China vor der Isolation. Dabei unterscheiden sich die Interessen beider Länder in der Klimapolitik fundamental. In einer neuen Verhandlungsrunde sollte Indien darauf bestehen, die Lasten gerechter zu verteilen. Und in der Wahl seiner Partner wesentlich flexibler werden.
Indien mag eine Großmacht in Wartestellung sein, aber es liegt in der vermutlich gefährlichsten Region der Welt, deren Probleme ganz gewiss nicht geringer werden. Zur Tyrannei der Geografie, die enorme Anforderungen an Indiens Sicherheitspolitik stellt, kommen nun auch noch die Gefahren des Klimawandels – die, so hat man ganz zu Recht erkannt, bestehende Sicherheitsprobleme noch verschärfen. Allein aus diesen Faktoren erklärt sich, warum Indien eine wesentlich innovativere und dynamischere Politik im Bereich der Diplomatie und der Verteidigung und wesentlich größere politische Spielräume für sich entwickeln muss, wenn es sich für alle Eventualitäten rüsten will.
Dass das Thema Klimawandel so große Gräben aufwarf, bevor die internationale Staatengemeinschaft einen tragbaren Plan für die Reduktion von Treibhausgasemissionen entwickeln konnte, ist äußerst unglücklich. Und wie unterschiedlich die Auffassungen sind, wurde während des Klimagipfels in Kopenhagen im Dezember letzten Jahres deutlich. Da die Staatengemeinschaft schon in anderen drängenden Fragen keinen Konsens zu finden vermag, kann sie sich Ranküne in der Klimapolitik erst recht nicht leisten. Was Indien betrifft, so wären drei wesentliche strategische Auswirkungen eines ungehinderten Klimawandels vorstellbar: ein Wettlauf um Ressourcen, enorme Migrationsströme und hohe Kosten im Bereich der „Human Security“.
Der Klimawandel erhöht die Gefahr innerstaatlicher und zwischenstaatlicher Verteilungskämpfe um natürliche Ressourcen. Ohne Frage wäre ein neues „Great Power Game“ um Wasser möglich, das sich vor allem in Asien abspielen könnte – immerhin kontrolliert China mit dem Plateau von Tibet auch die Quellen der größten Wasserläufe in der Region. Käme es zu einem schnelleren Abschmelzen der Gletscher und des „ewigen Eises“ in den asiatischen Gebirgsregionen, würde das die Wassermengen dieser Flüsse verändern, wobei ein Ansteigen der Temperaturen auch die Niederschlagsmengen in den tropischen Gebieten erhöhen würde. Wasserkonflikte innerhalb asiatischer Staaten sind – Indien ist dafür das beste Beispiel – wirklich keine Seltenheit. Die Möglichkeit zwischenstaatlicher Konflikte in dieser Region sollte uns aber wegen ihrer strategischen Auswirkungen größere Sorgen bereiten.
Die höhere Wahrscheinlichkeit extremer Wettererscheinungen wie Orkane, Überflutungen oder Dürren und ein Ansteigen der Ozeane werden eine größere innerstaatliche als auch zwischenstaatliche Migration vom Delta der Küstenregionen in das Landesinnere nach sich ziehen – vor allem aus ärmeren Ländern, denen keine Möglichkeiten der Anpassung zur Verfügung stehen. Ströme von Klimaflüchtlingen wären eine ungeheure Belastung für die Regionen im Landesinneren, sie könnten eine in den meisten betroffenen Ländern ohnehin fragile soziale, ethnische und religiöse Balance aus dem Gleichgewicht bringen und zu Gegenreaktionen führen, welche die nationale und regionale Sicherheit gefährden würden.
Nach Indien könnte sich eine riesige Flüchtlingswelle aus Bangladesch, dem Land mit der siebtgrößten Bevölkerung der Welt, ergießen. Das 1971 in einem blutigen Konflikt mit Pakistan gegründete Bangladesch verliert schon jetzt Landmassen durch das Einsickern von Salzwasser. Einem Bericht des International Panel on Climate Change (IPCC) zufolge wird es bis 2050 ganze 17 Prozent Land und 30 Prozent der Lebensmittelproduktion eingebüßt haben. Bereits heute hat Bangladesch unter einer wachsenden Anzahl von Naturkatastrophen zu leiden. Zusätzlich zu den Millionen Bangladeschis, die schon jetzt als illegale Zuwanderer in Indien leben, müsste Neu-Delhi mit weiteren zehn Millionen oder sogar mehr Flüchtlingen rechnen.
Der Bereich „Human Security“ wäre wohl am intensivsten vom Klimawandel betroffen, da er sich unmittelbar auf sensible Wirtschaftssektoren auswirken würde. Die ökonomische und soziale Kluft, die in der indischen Gesellschaft ohnehin schon besteht, dürfte sich dadurch noch vergrößern und Spannungen verschärfen. Die maoistischen Aufständischen, die Zulauf in den ärmsten Regionen Indiens erhalten, sind jetzt schon Vorboten solcher Entwicklungen. Dass ein Wettlauf um Ressourcen möglich wäre und enorme Migrationsströme von Klimaflüchtlingen sowie die Folgen extremer Wetterbedingungen zu tragen sind, unterstreicht noch einmal die Kosten im Bereich der „Human Security“. Klimaveränderungen werden die sozioökonomischen Fundamente erodieren, auf denen die Sicherheit des Einzelnen und der Gesellschaft ruht. Und sie werden Regierungen wie Gesellschaften dazu zwingen, ihre institutionellen und organisatorischen Kapazitäten unter erschwerten Bedingungen auszubauen und Maßnahmen wie die Errichtung von Frühwarnsystemen, die Entwicklung effizienterer Bewässerungssysteme oder den Anbau neuer Nutzpflanzen zu ergreifen.
Indien gehört zu den vom Klimawandel am stärksten betroffenen Ländern. Wenn es die damit verbundenen Risiken für die nationale Sicherheit bewältigen will, dann muss es in erster Linie auch sein Sicherheitskonzept wesentlich erweitern, seine Sicherheitsdoktrin anpassen und neue Verteidigungsmechanismen entwickeln. Außergewöhnliche Herausforderungen wie transnationaler Terrorismus oder enorme Flüchtlingsbewegungen sind bereits signifikanter Bestandteil des indischen Sicherheitskonzepts. Es muss aber auch seine Verwaltungs- und Regierungskapazitäten auf der Bundesebene, in den Bundesstaaten und Kommunen erhöhen, um die vom Klimawandel verursachten Probleme bewältigen zu können. Am stärksten ist dabei der Landwirtschaftssektor betroffen, in dem die meisten Arbeitskräfte beschäftigt sind und der 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Nahrungssicherheit und soziale Stabilität zu gewährleisten ist eine Aufgabe, die einen größeren nationalen Kraftakt beim Aufbau der ländlichen Infrastruktur erfordert. Gleichzeitig muss Indien den Quantensprung zur Entwicklung grüner Technologie bewältigen.
Eine Frage der Geopolitik
Selbstverständlich kann Indien auch im Alleingang vieles gegen einen drohenden Klimawandel unternehmen. Ein 22 Milliarden Dollar schweres Solarenergie-Programm, ein 2,5 Milliarden Dollar großer Fonds für Aufforstung und ein neues nationales Energieeffizienz-Programm sind Schritte in die richtige Richtung. Auf globaler Ebene jedoch muss Indien die Lektionen vom Kopenhagener Klimagipfel lernen. Zunächst einmal muss es begreifen, dass Klimawandel nicht nur eine Frage der Wissenschaft ist, sondern eine Frage der Geopolitik. Ohne ein besseres Verständnis für die geopolitischen Implikationen kann auch der Kampf gegen den Klimawandel nicht gelingen. In Kopenhagen hingegen war man der fälschlichen Ansicht, dass die Wissenschaft – die Erkenntnis, dass ein vom Menschen verursachter Klimawandel ohne Zweifel stattfindet – geopolitische Interessen nachrangig machen würde. Das stellte sich als falsch heraus. Die zweite Lektion ist: Um ein verbindliches internationales Abkommen zu erreichen, muss zuerst eine Einigung zwischen den USA und China ausgehandelt werden. Diese beiden Länder sind zwar extrem unterschiedlich, aber ihre CO2-Emissionen sind gleich hoch. Die USA und China zeichnen für 47 Prozent aller Emissionen von Treibhausgasen verantwortlich – gäbe es ein Abkommen zwischen den größten Verschmutzern, wäre auch ein globales Abkommen leichter zu erzielen.
In Kopenhagen sollte es hauptsächlich um China gehen, dessen Emissionsrate am rasantesten steigt. Aber Peking wusste den Druck geschickt von sich abzulenken und bemühte sich redlich, den Abschluss eines verbindlichen Abkommens zu verhindern. Es schmiedete im BASIC-Block eine Allianz mit Indien und zwei weiteren, sich entwickelnden Wirtschaften, nämlich Brasilien und Südafrika. Es versteckte sich hinter einer ganzen Reihe armer Länder und versuchte mit deren Hilfe und andauerndem verfahrenstechnischen Geplänkel, die Verhandlungen zu verzögern. Zum Treffen der wichtigsten Staaten schließlich, bei dem verbindliche Ziele hätten festgelegt werden sollen, entsandte es nur den Vizeaußenminister, der keine Entscheidungsbefugnis besaß.
Falscher Partner
Vor kurzem brüstete sich der indische Umweltminister mit der Schützenhilfe, die Indien dem großen Nachbarstaat geleistet habe. „Die Chinesen wissen im tiefsten Inneren ihres Herzens, dass wir sie beim Treffen in Kopenhagen vor der Isolation bewahrt haben“, sagte Minister Jairam Ramesh in einer Rede vor dem Foreign Correspondents’ Club in Peking im Mai dieses Jahres. Dabei sollte Indien noch eine weitere Lektion aus den Verhandlungen in Kopenhagen lernen: nämlich, sich nicht mit der falschen Macht gemein zu machen. Mit seiner CO2-intensiven, auf Exportindustrie basierenden Wirtschaft sind Chinas Pro-Kopf-Emissionen viermal höher als die Indiens. China ist mit 19,8 Prozent der Weltbevölkerung verantwortlich für 24 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes. Indiens jetzige Emissionen sind nicht einmal halb so hoch wie sein Anteil an der Weltbevölkerung. Aber China lehnt Indiens Vorschlag ab, die Emissionen von Treibhausgasen pro Kopf und die historische Verantwortung des jeweiligen Landes zum Kriterium von CO2-Reduktionen zu machen. Als Werkbank der Welt möchte China eine Reduktionsformel, die an der Exportkapazität festgemacht wird.
Dass China es äußerst komfortabel findet, in der Frage der Reduktionen in der gleichen Klasse wie Indien zu spielen – und nicht in der Klasse der USA, in die es gehörte – zeigte ein schon sehr bald nach dem Kopenhagener Gipfel geführtes Telefonat zwischen dem chinesischen Außenminister und dessen indischen Amtskollegen. Darin betonte der chinesische Außenminister noch einmal, wie sehr ihm an einer sinoindischen Partnerschaft liege. In Fragen asiatischer Geopolitik hingegen findet Peking plötzlich, dass Indien eher zusammen mit Japan in der Jugendliga zu spielen habe. Der BASIC-Block ist eine aus politischem Opportunismus entstandene Partnerschaft, die nicht allzu lange halten dürfte. Wenn es demnächst um die Kriterien für eine Verringerung von Treibhausgasen geht, dann kann Neu-Delhi sicher sein, dass China Indien eine übermäßig große Last aufbürden und darauf bestehen wird, die Reduktionen nicht am Pro-Kopf-Ausstoß oder am Verursacherprinzip festzumachen, sondern an für China vorteilhafteren Bedingungen. Nach der „Beihilfe aus Ignoranz“, die Neu-Delhi China während des Klimagipfels geleistet hat, sollte es nun endlich den richtigen Kurs einschlagen.
Es ist ja nicht ohne Bedeutung, dass das Schlussdokument der Kopenhagener Verhandlungen schon recht bald nach dem Ende des Gipfels in die Kritik geriet und dass man sich alles andere als einig war, wie man es nun bewerten solle. Das hat den Minimalkonsens, der erreicht wurde, zusätzlich beschädigt. Spannungen gab es auch zwischen den Angehörigen des BASIC-Blocks und kleineren Ländern der G-77, der Gruppe der Entwicklungsländer. Diese beschuldigten die BASIC-Staaten, dass sie eigenmächtig und wenig transparent agiert hätten, als sie in großer Eile ein Abkommen mit den USA aushandelten. Der so genannte „Copenhagen Accord“, der in der letzten Minute zusammengezimmert wurde, um ein gänzliches Scheitern des Gipfels zu verhindern, verpflichtet große Entwicklungsländer, „Maßnahmen zur Reduzierung“ zu ergreifen, die in „internationalen Konsultationen und Analysen abgesprochen“ werden. Ob dieser Vertrag eine Zukunft hat, ist alles andere als sicher.
Die Konsequenzen für Indien sollten klar sein: Es muss innovative Wege der Zusammenarbeit suchen. In einer neuen Runde von Klimaverhandlungen sollte Indien nachdrücklich darauf bestehen, die Lasten gerechter zu verteilen. Natürlich geht es darum, Wege zu finden, wie man einen wirtschaftlichen Aufschwung mitsamt seiner materiellen und sozialen Vorzüge mit effizienten Emissionsstandards in Einklang bringt. Wenn wir ein wirklich tragfähiges Abkommen zur Bekämpfung des Klimawandels erreichen wollen, muss es auf klar differenzierten Verantwortlichkeiten beruhen: einer gerechten Verteilung von Verantwortung, wie sie der Climate Change Framework Convention und dem Kyoto-Protokoll zugrundeliegen, die aber auch eingebettet ist in verschiedene andere Abkommen – vom Montreal-Protokoll bis zum Maastricht-Vertrag.
Prof. Dr. BRAHMA CHELLANEY lehrt Strategische Studien am Centre for Policy Research in Neu-Delhi.
Internationale Politik 4, Juli/August 2010, S. 37 - 41