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01. Jan. 2017

Falsch, einseitig und einschüchternd

Social Bots sind einflussreiche digitale Stimmungsmacher in Wahlkämpfen

Normalerweise kreisen im Bundestagswahljahr die Debatten um Kanzlerkandidaten, Programme und Wahlplakate. Aber deutsche Spitzenpolitiker warnen davor, dass 2017 die vielleicht größte Herausforderung die digitale Manipulation des Wahlkampfs sein könnte. Das haben gerade der Wahlkampf in den USA und russische Interventionen gezeigt.

Die Suche nach Wahrheit fängt in einer Demokratie beim fairen Umgang mit dem politischen Gegner an: Die französische Zeitung Le Monde hat kürzlich nachgewiesen, dass ein im Internet kursierendes angebliches Zitat von Marine Le Pen, Chefin des rechtsradikalen Front National, gefälscht ist. Ein so genannter „décodeur“, ein hauptamtlicher Fehlersucher, entlarvte, dass Le Pen den französischen Staatspräsidenten François Hollande nicht mit Hitler verglichen hatte, wie dies auf einer Internetseite behauptet und dann verbreitet wurde.1

Dies ist ein kleines, wenn auch drastisches Beispiel dafür, wie nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in Europa seit einiger Zeit im Internet politische Stimmung gemacht wird – sehr stark von den extremen Flügeln des politischen Spek­trums, aber eben nicht nur.

Lange Zeit haben sowohl Politiker als auch klassische Medien diesen Bereich von Falschnachrichten oder auch Verschwörungstheorien vernachlässigt, die vor allem seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 in den Nischen der Gesellschaft gediehen.

Aber die für viele überraschende Brexit-Entscheidung im Juni 2016 und dann die Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten im November haben das Thema ins Zentrum der politischen und medialen Debatten geschoben. Denn mit Schrecken stellen politische Parteien auch in Deutschland fest, wie einfluss­reich die Stimmungsmache mit modernen digitalen Mitteln mittlerweile ist – dass sie sogar die Machtfrage in Demokratien stellen. Nach der US-Präsidentschaftswahl war es Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich, die den Einsatz von „Social Bots“, also von Computern erzeugte künstliche Identitäten zur Meinungsbeeinflussung in sozialen Netzwerken, zum Thema machte und eine Art Verhaltenskodex der deutschen Parteien im Wahlkampf 2017 anregte.2 Denn die im Bundestag vertretenen Parteien mussten erkennen, dass im amerikanischen Wahlkampf keineswegs nur das Trump-Lager diese Bots einsetzte, um die Zahl der „likes“ für die eigenen Positionen künstlich in die Höhe zu treiben und massenhafte Zustimmung zu suggerieren oder moderate Politiker durch eine Flut von Hassbeiträgen einzuschüchtern oder mundtot zu machen. „Bots tragen zu einem radikalisierten Ton in Diskussionen bei, weil sich gemäßigte Stimmen zurückziehen“, warnt CDU-Generalsekretär Peter Tauber.

Das Internet ist doch „Neuland“

Seither vergeht keine Woche, in der es nicht neue Enthüllungen darüber gibt, wie sehr die digitalen Möglichkeiten auch das politische System beeinflussen können. Gab es früher nur Berichte über so genannte „Trolle“, also Personen, die im Auftrag anderer und für Geld oder aus Überzeugung soziale Netzwerke mit Hasskommentaren überschwemmen, so entdeckt die deutsche Öffentlichkeit nun, wie vielfältig Meinung erzeugt werden kann. Dazu gehören das gezielte Streuen von Falschnachrichten in bestimmten sozialen Netzwerken und die Debatte über „Echoräume“, in denen Nutzer nur noch mit übereinstimmenden Meinungen konfrontiert werden.

„Dies ist eine Herausforderung für das gesamte politische System“, betont Simon Hegelich, Professor für Political Data Science an der TU München. Und wegen der schnellen Entwicklung fällt es selbst Experten schwer, die eingesetzten Instrumente und ihre Wirkung sofort zu erkennen. „Es besteht die Gefahr, dass Social Bots Trends und Debatten manipulieren“, erklärt Justizminister Heiko Maas.3 Über Merkels Bemerkung, dass das Internet „Neuland“ sei, weil noch niemand absehen könne, was sich alles verändern werde, lächelt heute niemand mehr.

Auffallend ist, dass sich rechtspopulistische Parteien wie die AfD ihre Gegenöffentlichkeit mit eigenen Bloggern und nun auch einem eigenen Fernsehkanal schaffen wollen – ein Instrument, das sich die AfD angesichts der grenzübergreifenden Zusammenarbeit nationalistischer Gruppierungen von der österreichischen FPÖ abgeschaut hat. Als offizielle Begründung wird die angebliche Steuerung der klassischen Medien durch die bisher dominierenden politischen Parteien angegeben. „Meinungsverstärker“ nennt Merkel dieses Phänomen der entstehenden Meinungsblasen, die auch Anhängern kleiner politischer Gruppierungen das Gefühl geben, sie seien sehr viele und womöglich in der Mehrheit – was sich schon an dem Pegida-Spruch „Wir sind das Volk“ zeigt.

Hegelich und andere weisen noch auf weitere, wichtiger werdende Instrumente hin – etwa die gezielte Einflussnahme auf immer kleiner zugeschnittene Wählergruppen. In den USA, wo Parteien sehr viel größere digitale Datenmengen über einzelne Wähler und deren Einstellungen erhalten können als in Deutschland, habe das Trump-Lager beispielsweise Wählern in Pennsylvania und Florida völlig unterschiedliche – und einander auch widersprechende – politische Botschaften geschickt. Dass gezielt Emotionen und Wünsche einzelner Adressaten angesprochen werden, erkannte man erst später.

Hinter diesem Ansatz steckt vor allem die Firma Cambridge Analytica, die nicht nur für die Brexit-Befürworter, sondern auch für das Trump-­Lager alle verfügbaren Daten der Wähler zusammengeführt, analysiert und dann Psychogramme erstellt hat.4 Die Grundlage bilden zusammengekaufte Daten über das Verhalten und die Klicks in sozialen Netzwerken wie Facebook, Einkaufsgewohnheiten, medizinische Daten, die Smartphone-Nutzung oder Informationen über den Wohnort. Dies soll die sehr individuelle digitale Ansprache selbst einzelner Wähler ermöglicht haben –weshalb sich die Frage stellt, ob solche Psychogramme von einzelnen Parteien auch über kontinentaleuropäische und deutsche Wähler „bestellt“ und eingesetzt werden können. Der Front National soll bereits Kontakte mit Cambridge Analytica haben, die ihren Kunden auf ihrer Webseite verspricht, durch ein digitales „Micro­targeting“ Vorhersagen zu Konsumenten- und Wählerentscheidungen treffen zu können.5

Die Firma hatte zudem nach eigenen Angaben die Datenanalyse für den Republikaner Ted Cruz geliefert, der im Kandidatenrennen der Republikaner Zweiter hinter Trump ­wurde. ­Investor Robert Mercer, der zunächst Cruz unterstützte, soll danach über seine Tochter enge Beziehungen zum Trump-Lager gesucht und diesen unterstützt haben. Enge Beziehungen gibt es auch über Stephen Bannon, den Chef der umstrittenen Nachrichtenplattform Breitbart und Berater von Donald Trump.6

Zugleich führt die Kombination von Globalisierung und Digitalisierung dazu, dass ganz neue Akteure an einem eigentlich national geführten Wahlkampf teilnehmen und diese neuen digitalen Meinungsmacherinstrumente möglicherweise auch finanzieren können. In den Vereinigten Staaten und in Frankreich werfen die Geheimdienste Russland ganz offiziell vor, sich mit Hackerangriffen und Stimmungsmanipulationen in den Wahlkampf in offenen Demokratien einzumischen – meist auf Seiten nationalistischer, fremdenfeindlicher Gruppen oder wie in EU-Staaten auch antieuropäischer Parteien. Die russische Regierung bestreitet dies. Aber auch in Deutschland warnen mittlerweile die Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendiensts vor einer russischen Intervention in den Bundestagswahlkampf.7

Gegenwehr: mehr Aufklärung!

Gerade wegen dieser Warnungen wappnen sich die Sicherheitsbehörden in Deutschland gegen Hackerangriffe. Die Bundesregierung will zudem gesetzlich gegen Hassmails vorgehen und macht Druck auf Facebook, endlich selbst, wie klassische Medien auch, die Verantwortung für das Löschen rechtswidriger Meinungsäußerungen zu übernehmen. Der SPD-Netzpolitiker Lars Klingbeil fordert einen formellen digitalen „Nichtangriffspakt“ für den Wahlkampf, sein CDU-Kollege Thomas Jarzombek plädiert für eine Art Presserecht für die sozialen Medien, die immer stärker auch als Nachrichtenverbreiter agieren.

Auf Nachfragen verschiedener Medien legten sich alle im Bundestag vertretenen Parteien sowie die FDP zumindest darauf fest, im Wahlkampf 2017 keine ­Social Bots einzusetzen; dies bestätigte für ihre Partei auch das AfD-Bundesvorstandsmitglied Alice Weidel am 23. Oktober und widerlegte damit anderslautende Berichte.

Nur ist das Problem mit solchen Selbstverpflichtungen bei einem der Instrumente noch nicht gelöst. „Was passiert, wenn beispielsweise Dritte für Politiker ohne deren Wissen Social Bots bestellen, um sie zu diskreditieren?“, fragt Simon Hegelich von der TU München. Er warnt allerdings auch vor Panikmache: Denn Wahlen würden in Wahrheit nicht durch soziale Medien entschieden; diese verstärkten nur einen bereits vorhandenen Trend. „Eine nichtpolarisierte Gesellschaft lässt sich also auch durch soziale Medien nicht auseinanderdividieren“, meint er – und sieht darin den entscheidenden Unterschied zu den USA und Großbritannien, wo es zudem einen sehr viel laxeren Umgang mit Persönlichkeitsdaten gibt. Nur sei Deutschland, so heißt es warnend auch in der Bundesregierung, eben auf Partner angewiesen, mit denen man eine gemeinsame europäische Politik betreiben kann.

Neben der technischen Hochrüstung setzen deutsche Experten, Geheimdienstler und Politiker deshalb vor allem auf Aufklärung als wirksamste Waffe gegen alle Formen der Beeinflussung – und das möglichst früh. Der Kampf gegen die befürchtete Manipulation ist längst Chefsache geworden. Auch Kinder müssten verstehen lernen, dass ihnen Facebook und Google eben keine objektive Darstellung der Wirklichkeit bieten, sondern die Algorithmen ihnen jeweils eine individuelle Welt nach ihren Vorlieben anbieten, mahnt sogar Bundeskanzlerin Merkel an.8

Als bestes Mittel gegen Verschwörung und Falschmeldungen werden Transparenz angesehen – und eine sorgfältige journalistische Arbeit wie beim Beispiel von Le Monde. „Das beste Mittel ist, darüber zu reden“, sagt auch Verfassungsschutzpräsident Maaßen im Reuters-Interview. „Wenn die Menschen merken, dass die Informationen, die sie erhalten, keine wahrhaftigen Informationen sind, sondern dass das Propaganda und Desinformation sind, dann verliert das Gift der Lüge letztendlich auch die Wirkung.“9

Darin ist er sich übrigens mit der norwegischen Ministerpräsidentin Erna Solberg einig, die ebenfalls Öffentlichkeit als bestes Mittel gegen digitale Manipulationen sieht. „In Norwegen wäre es diskreditierend, wenn man einen russischen Link teilen würde. Ich glaube deshalb nicht, dass man damit so viel erreichen würde in Norwegen“, sagte sie auf die Frage, ob sie eine russische Einflussnahme in ihrem Land fürchte.10

Dr. Andreas Rinke ist politischer Chef­korrespondent der Nachrichtenagentur Reuters in Berlin.

  • 1Interview mit dem Le Monde-Mitarbeiter Adrien Sénécat, Deutschlandfunk, 30.11.2016.
  • 2Rede von Bundeskanzlerin Merkel auf dem Deutschlandtag der Jungen Union, 15.10.2016.
  • 3Justizminister Maas im Interview mit dem RedaktionsNetzwerkDeutschland, 26.10.2016.
  • 4Joshua Green und Sasha Issenberg: Trump’s Data Team saw a different America – and they were right, Bloomberg, 10.11.2016.
  • 5Mikael Grogerus und Hannes Grassegger: Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt, Das Magazin, 3.12.2016.
  • 6Kenneth P. Vogel, Ben Schreckinger, Alex Isenstadt und Darren Samuelsohn: Trump team builds „psychological profile“ of Clinton for debate, Politico, 23.9.2016.
  • 7Siehe zum Beispiel das Interview mit Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Reuters, 15.11.2016.
  • 8Rede von Bundeskanzlerin Merkel auf dem Landesparteitag der CDU-Niedersachsen, ­Hameln, 26.11.2016.
  • 9Verfassungsschutzpräsident Maaßen im Reuters-Interview, a.a.O. (Anm. 5).
  • 10Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg am 8.11.2016 in Berlin.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2017, S. 57-61

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