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01. Aug. 2005

Erst kommt das Fressen und dann die Moral

Auch der neue Präsident des Irans muss alte Probleme lösen

Anstatt sich in intellektuellen Plänkeleien zu verlieren, so der Geistige Führer Ali Khamenei an die Adresse der Reformer, sollten sie sich lieber der Wirtschaft widmen. Denn ohne Auskommen gäbe es keine Religion, Moral oder Hoffnung. Nach den Wahlen üben die Konservativen alle Macht aus. Nun sind sie auch allein dafür verantwortlich, die großen Versprechen einzulösen und für soziale Gerechtigkeit zu sorgen.

Fast drei Jahrzehnte nach der Islamischen Revolution verblüffen und faszinieren die andauernden Schwankungen der iranischen Politik sowohl die Iraner selbst als auch ausländische Beobachter. Noch immer ist die Revolution nicht abgeschlossen und suchen die Iraner nach geeigneten Wegen, deren ursprüngliche Ziele zu verwirklichen. Bei der Präsidentschaftswahl vom 24. Juni bevorzugte das Volk mit Machmud Achmadinedschad einen relativ Unbekannten. Deutlicher als jeder andere Kandidat stand er für das Festhalten an den ursprünglichen Zielen der Revolution, versprach einen von den ärmeren Schichten geforderten Wandel, und bekräftigte die Verheißung der Revolution, alle gesellschaftlichen Missstände zu beseitigen – ganz nach einem ihrer Hauptslogans: „Der Islam ist die Lösung.“

Hier sollen die Wahlen in einem breiteren Kontext diskutiert werden, wobei man bis zur Amtseinführung des auf internationaler Bühne unbekannten Präsidenten und seiner Regierung nur generelle Einschätzungen treffen kann. Der Einfluss regionaler politischer Verhältnisse auf die Wahlen sowie deren Auswirkungen auf Irans Rolle im Mittleren Osten werden hier deshalb nicht aufgegriffen.

Der Ausgang der Wahlen verlieh dem Islamischen Regierungssystem des „welayat-e faqih“, der Herrschaft der Rechtsgelehrten, einmal mehr Gültigkeit. Nach wenigen Jahren wachsenden Reformeifers haben die Konservativen wieder über ihre Kritiker gesiegt. Jetzt sollen sie erneut beweisen, dass deren Dogma das beste Heilmittel gegen das soziale Elend sei. Kontinuität und Stabilität, seit den frühen achtziger Jahren Erkennungsmerkmale iranischer Politik, sind wiederum bewahrt worden – wie schon nach dem Tod Ayatollah Khomeinis 1989 und nach den Wahlen Mohammed Chatamis 1997, den man kaum zu den Favoriten der konservativen Elite zählen konnte. Nun überraschten die Iraner ein weiteres Mal mit ihrer Wahlaussage und einer enorm hohen Beteiligung. Das Regierungssystem und die in ihm enthaltenen konservativen Elemente erhielten ein neues Mandat vom Volk.

Dabei sollten wir auch festhalten, dass die Iraner häufiger als jede andere Nation wählen, nämlich durchschnittlich einmal im Jahr. Seit 1979 fielen neun Präsidentschaftswahlen an, sieben Parlamentswahlen, drei Referenden, zwei Kommunalwahlen sowie Wahlen des Expertenrats, wobei Stichwahlen hier nicht enthalten sind. Die relativ hohe Wahlbeteiligung wurde vom Regime gleichermaßen als Beweis demokratischer Staatspraxis und als Zeichen der Legitimation und öffentlichen Unterstützung ihrer Herrschaft interpretiert. Im Rahmen  der strengen Auflagen des Regimes wiesen diese Wahlen durchaus Ähnlichkeiten mit denen offener Gesellschaftssysteme auf. Auch wenn sich alle Kandidaten der grundsätzlichen revolutionären Lehre verschrieben hatten, vertraten sie doch soweit unterschiedliche Plattformen, dass Alternativen geboten und ein lebendiger Wahlkampf garantiert war. Nicht minder signifikant ist der Umstand, dass der Gewinner, trotz der Macht der Konservativen, nicht vorhergesagt werden konnte, was bei Wahlen im Nahen Osten eher die Ausnahme darstellt.

Ungeachtet dieser Anzeichen von Offenheit waren diese Wahlen dennoch weit davon entfernt, wirklich frei zu sein. Über tausend Kandidaten wurden durch den Wächterrat von der Wahl ausgeschlossen – darunter alle 90 weiblichen Kandidaten; am Ende wurden nur acht zugelassen (von denen schließlich nur sieben antraten), die als hinreichend loyal gegenüber der revolutionären Lehre und herrschenden konservativen Elite galten. Viele andere reichten ihre Kandidatur nicht einmal ein, da sie ohnehin disqualifiziert worden wären. So bestimmte der Wächterrat das Ergebnis der Wahlen mit voraus – von Berichten über Unregelmäßigkeiten und deutliche Einmischungen der so genannten Basidschi und der revolutionären Wächterkorps ganz abgesehen. Trotz der Unregelmäßigkeiten ist aber festzustellen: Die Mehrheit hat sich vom Reformlager zu den Konservativen verlagert.

Seit Mitte der neunziger Jahre hatten die Reformer bei Wahlen im Iran die Oberhand. Sie gewannen 1997 die Präsidentschaft, die Kommunalwahlen von 1999, die Parlamentswahlen des Jahres 2000 und die zweiten Präsidentschaftswahlen von 2001. Seitdem haben sie jedoch gegenüber den Konservativen – die zu diesem Zeitpunkt alle nicht wählbaren Ämter besetzten – an Boden verloren. Letztere konsolidierten ihre Macht in den Kommunalwahlen von 2003 und bei den Parlamentswahlen des darauffolgenden Jahres. Danach richtete sich deren Ehrgeiz auf das Amt des Präsidenten. In diesem Sinne ist der Wahlausgang nicht überraschend. Dennoch war nicht klar, dass der Konserva--tiv-ste unter den Konservativen den Sieg davontragen würde. Achmadine-dschad hat die letzte Bastion für die Konservativen gestürmt. Jetzt üben sie die volle Kontrolle über alle bedeutenden Machtzentren aus.

Robin Hood in Teheran

Achmadinedschad und sein Gegner Ali Akbar Hashemi Rafsandschani verkörpern zwei unterschiedliche Pole im relativ engen Spektrum iranischer Politik. Rafsandschani (70), Kleriker und politischer Veteran aus wohlhabender Familie, war eine der Hauptstützen der Revolution. In acht Jahren als Sprecher des Parlaments und zwei Amtszeiten als Präsident erwarb er ungeheuren politischen Einfluss. Zwar betrieb er in seiner Amtszeit als Präsident (1989–1997) eine pragmatische Politik und ebnete dem Reformlager Mitte der neunziger Jahre den Weg. Doch distanzierte er sich von Chatami und der Reformbewegung und näherte sich den Konservativen an. Seine vernichtende Niederlage bei den Parlamentswahlen im Jahr 2000 (und die harsche Kampagne der Reformer gegen ihn) entfremdete ihn diesem Lager umso mehr. Allerdings genoss er auch in konservativen Kreisen keinen nennenswerten Rückhalt mehr.

Achmadinedschad (49) ist Sohn eines Stahlarbeiters und verfügt anders als dessen drei Vorgänger nicht über eine formal-religiöse Ausbildung. Er stellte seine einfache Herkunft, den spartanischen Lebensstil, standhaften Puritanismus und den Kampf gegen die Korruption in den Vordergrund und brachte starke, antiwestliche Tendenzen zum Ausdruck. Er gehört zur zweiten Generation der Revolutionäre. Seine Weltsicht ist daher weniger von der Anti-Schah-Bewegung geprägt, als vom Krieg mit dem Irak. Unter dessen Eindruck wuchsen seine Bemühungen um nationale Sicherheit, seine Sorge um das Wohl der weniger privilegierten Schichten und sein Misstrauen gegenüber ausländischen Mächten. Anders als andere führende Revolutionäre motivierte ihn der Krieg erst zum Beharren auf dem ursprünglichen Dogma.

Wie schon Chatami brachte auch Achmadinedschad neue Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Doch während Chatami gegenüber dem Ausland Reformen, Freiheit und Offenheit propagierte, legt Ahmadineschad acht Jahre später Wert auf wirtschaftliche Entwicklung, soziale Gerechtigkeit und das Bekenntnis zu den moralischen Werten der Revolution. Sein Hass auf die Vereinigten Staaten und den Westen, der an die frühen Tage der Revolution erinnert, steht im Widerspruch zu den Überzeugungen Chatamis. Beide Politiker bieten unterschiedliche Lösungen für dieselben sozialen Missstände. Achmadinedschad, auf den die Öffentlichkeit erst durch seine Wahl zum Teheraner Bürgermeister im April 2003 aufmerksam wurde, trat als Anwalt der Unterdrückten auf und versprach als moderner Robin Hood, den Reichen zu nehmen und den Armen zu geben. In der Stichwahl wurde er vom konservativen und religiösen Establishment und den Sicherheitsorganen unterstützt. Indes war es die Betonung islamischer Gerechtigkeit, Sittlichkeit, Fairness und Bescheidenheit ebenso wie die Hoffnung auf verbesserte Sozialleistungen – und die Unbeliebtheit Rafsandschanis bei Reformern und Konservativen gleichermaßen – die ihm weit reichende Unterstützung einbrachten. Wenig überraschend trägt seine Website den Namen „Mardom-yar“ (Freund des Volkes) und war sein Wahlslogan einfach und gefällig: „mischawad wa mitawanim“ (es ist möglich und wir können es schaffen). Der Mann, der aus dem Nirgendwo kam, um die Präsidentschaft zu erringen, erwies sich als der Richtige zur richtigen Zeit.

Mit Achmadinedschad sind sowohl das revolutionäre System als auch der  von Ayatollah Ali Khamenei personifizierte Konservatismus Sieger dieser Wahl. Neben den nicht wählbaren Positionen wie der des Obersten Religionsführers und Ämtern in Judikative, Wächterrat, Expertenrat, dem religiösen und militärischen Establishment, Organisationen wie den revolutionären Garden und Wohlfahrts-organisationen, die die Konservativen schon vorher kontrollierten, befinden sich jetzt auch wieder die wählbaren Institutionen wie Parlament, Präsidentschaft und kommunale Verwaltungen in ihrer Hand. Nach acht Jahren einer re-formorientierten Präsidentschaft, in denen der oberste Religionsführer Khamenei sich obendrein mit dem Einfluss seines Kollegen und Rivalen Rafsandschani abfinden musste, genießt Khamenei nun beispiellose Autorität, die ihn, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, zum wahren Gewinner werden lässt.

Rafsandschani und das Reformlager erlebten hingegen eine empfindliche Niederlage. In einem typischen Anflug von Naivität riefen einige Intellektuelle zu einem Wahlboykott in der ersten Runde auf, was ihr Lager nur noch weiter schwächte. Diejenigen, die teilnahmen, konnten sich nicht auf einen Kandidaten einigen. Wäre es ihnen gelungen, hätten sie Achmadinedschad durchaus aus der Stichwahl verdrängen können. Dass Khamenei die Disqualifikation des Reformers Moin durch den Wächterrat rückgängig machte, erwies sich als geschickter Schachzug. Dadurch sicherte er Achmadinedschad den für die Stichwahl nötigen vorderen Platz und letztlich die Präsidentschaft.

Der Wettstreit zwischen Reformern und Konservativen zeigt deutlich, dass beide Parteien – es existieren selbstverständlich noch weitere Gruppen und eine Vielzahl von Elementen in jeder von ihnen – Gerechtigkeit als eine der Hauptziele der Revolution hervorheben. Doch gab es auch hier seit den frühen Tagen der Revolution eine prinzipielle Kluft in den Reihen der Revolutionäre. Ayatollah Komeini ging es vor allem um die sozialen Aspekte von „Gerechtigkeit“. Ayatollah Kazem Schariatmadari, ein führender Geistlicher, vertrat eine gegensätzliche Auffassung. Er verlieh der politischen Gerechtigkeit und damit der Freiheit den Vorrang. Der gleiche Zwiespalt tauchte in der Kontroverse zwischen Chatami und Khamenei wieder auf. Chatami schrieb sich die politische Entwicklung auf die Fahnen. Khamenei unterstrich die Bedeutung sozioökonomischer Reformen.

Die Reformer betonten die Wichtigkeit der politischen Entwicklung („towse’eh siyasi“). Die Konservativen stellten die  wirtschaftlicher Entwicklung („towse’eh eqtesadi“) in den Vordergrund. Sie konzentrierten sich, entweder aus aufrichtiger Überzeugung oder als Kampfmittel gegen die Regierung Chatamis, wiederholt auf das Scheitern von Chatamis Wirtschaftspolitik. Bereits 1999 ermahnte Khamenei die Abgeordneten des iranischen Parlaments, auf belanglose intellektuelle Plänkeleien zu verzichten und sich dafür mit größerer Hingabe der Lösung der komplexen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu widmen. Er zeichnete ein zutiefst düsteres Bild des iranischen Alltagslebens und forderte die Regierung auf, vor allem für die Sicherung des Lebensunterhalts der Iraner zu sorgen. Denn sonst gäbe es keine Religion, keine Moral und keine Hoffnung.

In der Tat haben sich die grundlegenden Wirtschaftsprobleme nicht vermindert, noch nicht einmal nach dem jüngsten Anstieg des Ölpreises. Offensichtlich wird ökonomisch wenig, und schon gar nicht langfristig geplant. Eher ist die Regierung damit beschäftigt, aktuell auftauchende Probleme zu lösen. Solange aber die Gräben zwischen Arm und Reich nicht überbrückt werden, wächst auch die Entfremdung weiter. Das war eines der Hauptthemen in Achmadinedschads Wahlkampf – und wird seine größte Herausforderung als Präsident sein.

Konservative Geisterfahrer

Der Machtkampf zwischen Reformern und Konservativen ist beileibe nicht entschieden. Ohne Zweifel genießen die Konservativen unverhältnismäßig mehr Macht in den herrschenden Institutionen als in der Gesellschaft. Auch verfügen sie über wertvolle Vorteile: Sie sprechen im Namen des Islams und haben daher viel Einfluss unter den Gläubigen. Sie genießen den Gehorsam verschiedener Sicherheitskräfte und revolutionärer Vollzugsbehörden. Zudem scheinen sie nicht gewillt, freiwillig Machtbefugnisse aufzugeben. Nicht zuletzt steht ihnen eine phantasielose, zersplitterte und führungslose Opposition ohne echte alternative Ideologie gegenüber. Aktuelle Entwicklungen in der Region und im Land selbst stärken die Konservativen zusätzlich. Die Schwierigkeiten der USA im Irak und die Tatsache, dass dort keine Massenvernichtungswaffen gefunden wurden, reduzierten den Druck auf Teheran und konnten den Machthabern mehr Platz zum Atmen verschaffen. Die steigenden Ölpreise machen es den Konservativen, die ja seit langem wirtschaftliche Entwicklung propagieren, einfacher, ihre Politik zu rechtfertigen und fortzuführen.

Sieht man jedoch davon ab, dass es den Reformern nicht gelang, die Politik wirklich zu bestimmen, so erzielten sie in den zurückliegenden Jahren bedeutende Leistungen, die in Zukunft wichtig werden könnten. Die Bewegung hat bereits den Charakter der politischen Partizipation und die politische Landschaft nachhaltig verändert. Symbole, die bislang als heilig angesehen wurden, haben ihren Nimbus verloren; fundamentale Tabus wurden gebrochen. Heute debattieren Iraner offen die für ihr Land grundlegendsten Fragen. Darüber hinaus weist der iranische Reformismus Merkmale einer Graswurzelbewegung auf. Chatami war eher das Produkt der Reformbewegung als ihr Anführer und die Bewegung offensichtlich stärker als der Mann an ihrer Spitze. Da die Jugend den Reformkurs in großem Ausmaß unterstützt, verläuft auch der demographische Trend zugunsten dieser politischen Bewegung. So mächtig die Konservativen auch erscheinen mögen, sie bewegen sich auf einer Einbahnstraße „gegen die Fahrtrichtung“.

Die Bürde der Macht

Ironischerweise könnte sich die Kontrolle der Konservativen über die meisten Hebel der Macht wegen des wachsenden Erfolgsdrucks im Iran selbst und andauernder Spannungen auf globaler Ebene auch als großes Hindernis erweisen. Ohne Frage zeigt die Wahl Achmadinedschads die Schwäche der Reformbewegung. Doch die Unterstützung für ihn offenbart gleichzeitig eine gewisse Enttäuschung mit dem Fortgang der Revolution und eine Desillusionierung mit der Herrschaft der Mullahs. Die nach dem Tod Khomeinis veränderten politischen Realitäten zu kritisieren ist noch lange kein Kompliment für die Revolution oder den Geistlichen Führer. Mit der Wahl Achmadinedschads brachten sich die Konservativen jedenfalls selbst unter den Zwang, Erfolge aufweisen zu müssen. Betrachtet man die wichtigen Errrungenschaften Chatamis in dessen achtjähriger Amtszeit, so wird nicht deutlich, warum die Konservativen mit solcher Entschlossenheit einen Mann aus dem eigenen Lager in dieses Amt hieven wollten. Ein liberaler, freundlicher Präsident hätte ihren Zielen im In- und Ausland wesentlich besser dienen können. Indem die Konservativen einen relativ unbekannten Kandidaten wählten, riskierten sie obendrein, dass unschöne Details aus dessen politischer Biographie bekannt würden.

Waren schon die Beweggründe Rafsandschanis für eine erneute Kandidatur nicht klar, so lässt sich noch trefflicher darüber rätseln, welche Rolle er wohl in Zukunft spielen wird. Ganz offensichtlich ist der Konkurrenzkampf noch nicht zu Ende, denn die nächsten Wahlen – zum Expertenrat (2006), die Kommunalwahlen (2007) und Parlamentswahlen (2008) – stehen bevor. Auch ist die Kluft zwischen verschiedenen politischen Gruppierungen und Denkschulen größer geworden und der Abstand zwischen der jungen Bevölkerung und den alten Herrschaftseliten wächst ebenfalls weiter. Die Wahlen verschärften diese Dichotomien innerhalb der iranischen Gesellschaft noch. Auch brach die Spannung zwischen Rafsandschani und Khamenei  offener aus und wurde der Konkurrenzkampf bitterer geführt als je zuvor. Angesichts der schwierigen Lage im Irak und der diffizilen Verhandlungen um das iranische Nuklearprogramm könnte ein konservativer Präsident zu Rissen innerhalb Europas und einer harscheren US-Politik führen. Die Konservativen im Iran gewannen die Wahlen – aber die Positionen der Neokonservativen in Washington scheinen nach dem Sieg Achmadinedschads an Aktualität zu gewinnen.

26 Jahre nach der islamischen Revolution ringt auch das neue Regime um eine angemessene Politik, die den Herausforderungen innenpolitischer Unruhen, schwerwiegender sozialer und wirtschaftlicher Probleme, einem andauernden Machtkampf und dem tief greifenden regionalen Wandel gerecht wird. Die Stabilität des Regimes scheint weniger von einer Rückkehr zum Islam abzuhängen als von der Fähigkeit der Regierung, die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Erwartungen zu erfüllen, die sie überhaupt an die Macht gebracht haben. Das war die wesentliche Herausforderung der Revolution und genau in diesem Bereich blieben die meisten Forderungen noch unerfüllt und die Meinungen in der iranischen Öffentlichkeit geteilt. Dementsprechend sind die iranische Innen- wie Außenpolitik wechselhaft, divergierend und oft widersprüchlich.

All diese Faktoren lassen das Bild iranischer Politik derzeit noch verschwimmen – es wird sich erst etwas aufklären, wenn Achmadinedschad sein Amt angetreten, sein Kabinett ernannt und seine politischen Richtlinien vorgestellt haben wird. Sein Wahlkampf und seine Politik als Bürgermeister von Teheran charakterisieren ihn eindeutig als Extremisten. Politische Bewegungen und deren Führer aber weichen sehr oft von ihrer Linie ab, sobald sie die Rolle der Opposition mit jener der Führung vertauschen. Auch der Iran ist keine Ausnahme – es wird unweigerlich zu Abweichungen zwischen Achmadinedschads Aussagen als Kandidat und dessen Politik als Präsident kommen. Unklar ist allerdings, wie schnell diese Abweichungen stattfinden, welche Richtung sie einschlagen und welchen Preis sie fordern werden.

Der neue Präsident hat deshalb zwei wesentliche Herausforderungen zu bestehen: Erstens muss er die Öffentlichkeit hinter seine Regierung scharen und deshalb Repräsentanten verschiedener Strömungen in der Gesellschaft einbeziehen. Dass er kurz nach dem Wahlsieg erklärte, er wolle einen „modernen, fortgeschrittenen und islamischen Iran“, mag als erster Schritt in die richtige Richtung gelten. Zweitens muss er die Wahlversprechen auch einlösen, die er vor allem den schwächeren Teilen der Gesellschaft gab. Der Anstieg des Ölpreises mag dabei helfen, wird aber allein nicht ausreichen. Klar ist nur, dass die iranische Politik die Welt weiterhin faszinieren und ganz und gar nicht ohne große innenpolitische – und globale – Auswirkungen bleiben wird.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 8, August 2005, S. 84 - 89

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