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01. Sep 2009

Atommacht oder Volksherrschaft

Wohin steuert der Iran?

Das Bild des Autors mit den zwei Zügen beschreibt die gegenwärtige Lage im Iran ganz richtig: Ein Zug trägt die Botschaft vom soziopolitischen Wandel; der andere bewegt sich schnell auf das Ziel einer nuklear bewaffneten Regionalmacht zu. Die Weltgemeinschaft muss jetzt verhindern, dass der „atomare Zug“ zuerst sein Ziel erreicht.

Fasziniert verfolgte die Weltöffentlichkeit die Ereignisse nach den iranischen Präsidentschaftswahlen am 12. Juni 2009. Doch was als Freudenfest der Demokratie begann, verwandelte sich abrupt in Szenen brutaler Unterdrückung. 30 Jahre nach der islamischen Revolution offenbarten sich die zwei widersprüchlichen Gesichter des Iran: Auf der einen Seite reformwillige junge Frauen und Männer, die für Freiheit und Menschenrechte kämpfen. Ihnen gegen-über steht das radikale Lager, welches das staatliche Gewaltmonopol innehat und sämtliche Schlüsselinstitutionen kontrolliert. Bisher waren die Hardliner mächtig genug, um die Massenproteste zu unterdrücken. Sie sind aber nicht in der Lage, den weit verbreiteten Ruf nach Wandel und Reformen dauerhaft zu ersticken. Der Machtkampf um die Gestaltung des zukünftigen Iran ist noch lange nicht entschieden.

Die dramatischen Entwicklungen der vergangenen Wochen und Monate lenkten zeitweise vom iranischen Atomprogramm ab. Doch die nukleare Uhr tickt unaufhörlich weiter. Für die internationale Gemeinschaft stellt sich nun eine diffizile Aufgabe. Sie muss das Wesen der innenpolitischen Ereignisse richtig verstehen, bewerten und demokratischen Reformkräften Unterstützung versichern. Gleichzeitig muss sie nach Lösungsversuchen für das iranische Atomprogramm suchen, das vor allem von den Hardlinern betrieben wird.

Barack bedeutet auf Persisch „Segen“

Es besteht ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen einigen amerikanischen Regierungen und dem Streben der Iraner nach Freiheit. Besonders die Präsidenten der Demokratischen Partei, die Menschenrechte und politische Freiheit traditionell groß auf ihre Fahnen schreiben, inspirierten demokratische Bewegungen im Iran – natürlich in der Hoffnung, dass diese sich entsprechend erkenntlich zeigen würden. Beispiele dafür sind die Nationale Bewegung unter Führung von Premierminister Mohammed Mossadegh während der Truman-Regierung, Ayatollah Khomeinis Aufstieg zum politischen Anführer von nationalem Rang während John F. Kennedys Amtszeit in den frühen sechziger Jahren und die islamische Revolution, die sich 1979 während der Amtszeit Jimmy Carters ereignete. Und heute? Nur wenige Monate nach Obamas Amtsantritt brachen im Iran die heftigsten Demonstrationen und Unruhen seit 1979 aus – und der Sturm hat sich noch nicht wieder gelegt.

Barack Obamas Aufstieg aus bescheidenen Verhältnissen zum amerikanischen Präsidenten beflügelt weltweit die Fantasie der Menschen, einschließlich der muslimischen Welt und besonders der iranischen Bevölkerung. Obamas Wahlslogan „Yes, we can!“ schien das Lebensgefühl auch vieler Iraner anzusprechen und nicht wenige wollten gar im reformorientierten Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mussawi eine Art „iranischen Obama“ sehen. Ihre Faszination für den US-Präsidenten beginnt schon mit der besonderen Bedeutung seines Namens. „Barack“ kommt von „Baraka“, was auf Persisch „Segen“ bedeutet. „Hussein“ ist der Name eines zutiefst verehrten schiitischen Imams, der als Symbol für Freiheit und äußerste Aufopferung gilt. Schließlich schreibt sich „Obama“ auf Farsi „U-ba-ma“, was sich mit „er mit uns“ übersetzen lässt. Prompt titelten einige iranische Zeitungen während Obamas Wahlkampf „U-ba-ma ast“ – „er ist mit uns“.

Dass Obama dem Iran die „Hand reichte“ und Gespräche anbot, bedeutete eine eindeutige Abkehr von der Politik seines Vorgängers George W. Bush, der den Iran als Teil der „Achse des Bösen“ sah. Unter den reformorientierten Iranern wuchs die Hoffnung, dass spannungsfreie Beziehungen mit den USA möglich seien. Besonders Obamas Rede in Kairo zeigte eine erfrischend neue Haltung eines amerikanischen Präsidenten gegenüber der muslimischen Welt. Natürlich verstanden die Hardliner im Iran genau, wie bedrohlich eine Politik des Entgegenkommens der USA für sie selbst ist. In den USA mochte man -Obamas Politik als typische Strategie von „Zuckerbrot und Peitsche“ betrachten, die iranischen Hardliner hingegen stellten schnell fest, dass „das Zuckerbrot vergiftet ist“. Den Slogan der Obama-Anhänger verkehrten sie mit einem Wortspiel ins Gegenteil: „U-ba-ma nist“ – „Er ist nicht mit uns.“ Die Hardliner irren sich ganz und gar nicht mit ihrer Einschätzung, dass Obamas neue Politik der Freundlichkeit fatale Auswirkungen auf die jüngere Generation haben könnte, die sie doch als „echte Kinder der Revolution“ betrachteten. Sie fällt auf fruchtbaren Boden in einem Land, in dem immer mehr Iraner mir großen wirtschaftlichen Nöten zu kämpfen haben.

Eingreifen oder abwarten – das ist hier die Frage

Tatsächlich übt die „Obamamanie“ eine ungeheure Anziehungskraft auf die lebendige Zivilgesellschaft im Iran aus. Die Massendemonstrationen im Juni 2009 waren inspiriert von westlichen demokratischen und liberalen Idealen: In ihrer Hoffnung auf Unterstützung wandten sich die Demonstranten an den Westen und insbesondere an Washington. Eingreifen oder abwarten – das war hier die Frage. Beide Optionen hatten sich in der amerikanisch-iranischen Geschichte schon einmal als falsch erwiesen. Als der iranische Premier Mohammed Mossadegh 1953 mit Hilfe der CIA gestürzt wurde, um die Macht von Schah Reza Pahlevi zu sichern, beschworen die USA eine antiamerikanische Feindseligkeit herauf, die bis heute spürbar ist. Der damalige US-Präsident Jimmy Carter hingegen setzte auf Zurückhaltung, aber seine Untätigkeit ermöglichte den Sturz des Schahs und den Sieg der islamischen Revolution.

Obamas Strategie beruht auf den Prinzipien des Dialogs und der Nichteinmischung. Unnötiges Eingreifen in die Belange der iranischen Opposition birgt die Gefahr, die Gesprächsbasis mit der iranischen Regierung zu zerstören, ohne dass die Demonstranten davon einen Nutzen hätten. Obama entschied sich daher erst nach einigen Tagen des Schweigens, das grundsätzliche Recht auf politische Partizipation und die universelle Gültigkeit der Menschenrechte anzumahnen. Auch wenn das vielleicht nicht wenig ist, kam seine Geste sicherlich zu spät, um die hohen Erwartungen der Reformer zu erfüllen. Auf den ersten Blick scheint es, als sei es den Hardlinern der iranischen Republik gelungen, die Situation zu entschärfen. Doch unter der Oberfläche brodelt es weiter. Der Iran im Sommer 2009 ist nicht mehr der gleiche Iran wie vor den Wahlen. In den Sprechchören „Tod dem Diktator“, mit denen die Demonstranten gegen Machmud Achmadinedschad protestieren, offenbart sich die tiefe Enttäuschung, die sich gegen die gesamte Führungsschicht der Republik richtet.

Als geistlicher Führer des Iran besaß Ayatollah Ali Khamenei nie die religiöse Integrität, das politische Ansehen und das persönliche Charisma seines Vorgängers Ayatollah Ruhollah Khomeini. Wohl ist es ihm gelungen, Machmud Achmadinedschad im Präsidentenamt zu halten. Doch im Gegensatz zu Revolutionsführer Khomeini, der sich von jeglichen Parteiquerelen distanzierte und es verstand, in Krisenzeiten Gräben zu überwinden und als allmächtiger Vermittler aufzutreten, ergreift Khamenei Partei und mischt sich direkt und persönlich ins politische Tagesgeschäft ein. Während des Wahlkampfs sah es noch so aus, als fände der Wettbewerb innerhalb einer politischen „Familie“ statt und als seien alle Kandidaten auf ihre Weise dem Regime treu. Inzwischen jedoch scheint der Riss zwischen den Anhängern Khameneis tiefer als jemals zuvor. Hinzu kommt, dass die Legitimationsgrundlage des Regimes, das sich traditionell auf die rigorose Anwendung der Doktrin und der religiösen Prinzipien der islamischen Revolution beruft, an Glaubwürdigkeit verloren hat. Jetzt scheint es sich nur noch auf die Anwendung unterdrückerischer Gewalt durch die Revolutionären Garden und Basidsch-Milizen – einer paramilitärischen, aus Freiwilligen rekrutierten Unterabteilung der Iranischen Revolutionsgarde – verlassen zu wollen. Die Institution des Velayat-e-Faquih, die Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten und wichtigste Errungenschaft der islamischen Revolution, ist schwer beschädigt.

30 Jahre nach der islamischen Revolution ist die iranische Bevölkerung zutiefst enttäuscht und frustriert. Seit über einem Jahrhundert kämpfen die Iraner im Wesentlichen für zwei Ziele: Freiheit und Wohlstand, politische und soziale Gerechtigkeit. Auch die islamische Revolution von 1979 hatte sich diesen beiden Zielen verschrieben – und nicht unbedingt der Rückkehr zur Religion. Dass die islamischen Revolutionäre ihre Versprechungen nicht erfüllen konnten, führte zu einer Unzufriedenheit, die allenthalben spürbar ist. Denn trotz des iranischen Ölreichtums haben sich die wirtschaftliche Not und soziale Ungleichheit nicht verringert. Im Wahlkampf von 2005 hatte Achmadinedschad noch Stimmen mit seinen Beteuerungen gewinnen können, endlich auch die sozial schwächeren Schichten von den Öleinnahmen des Landes profitieren zu lassen. Die Einlösung seines Versprechens jedoch blieb er trotz rasant gestiegener Ölpreise schuldig. Und mag das Regime auch immer wieder eine wahre „islamische Demokratie“ zugesichert haben, so blieb die Hoffung auf mehr Freiheit bis heute unerfüllt. Im Gegenteil. Galt Kritik am Regime unter der Herrschaft des Schah „nur“ als Verbrechen, so betrachtet sie das heutige Regime als Sünde. Davon zeugen die überfüllten Gefängnisse.

Es fehlt: ein schlüssiger Slogan

Für den Augenblick ist es den Hardlinern gelungen, die aufbegehrende Bevölkerung zu unterdrücken. Sie berufen sich dabei auf ihre religiöse Legitimität, die sie befuge, die Demonstrationen im Namen Gottes zu beenden. Sie kontrollieren die wichtigsten staatlichen Institutionen und verfügen damit natürlich über die notwendigen militärischen Mittel, die Unruhen zu bekämpfen. Ganz gewiss werden sie sich ihre Macht so leicht nicht aus den Händen reißen lassen, sondern mit allen Mitteln für das Überleben des Regimes kämpfen. Das Schicksal des Islam, das Regime und die regierende Elite gehören für die iranischen Hardliner untrennbar zusammen. Sie haben die Lehren aus ihrer eigenen Revolution gezogen und sie werden um jeden Preis verhindern, dass ihre Gegner mit ihnen verfahren, wie sie damals mit dem Schah-Regime verfuhren.

Eine grundlegende Schwäche der Reformbewegung kommt der iranischen Regierung zugute: Den „Kindern der Revolution“ scheint es an einer schlüssigen alternativen Ideologie zu fehlen. Sie verfügen weder über eine klare Organisationsstruktur, noch über charismatische und entschlossene Anführer. Es war einfacher für Khomeini, das alte System ganz zu stürzen als für Mussawi, der „nur“ versucht, das bestehende System von innen zu reformieren. 1979 zündeten Parolen wie „Der Schah muss weg“ und „Der Islam ist die Lösung“. 2009 fehlen derlei eingängige Slogans noch.

Allerdings besitzen die Iraner eine eindrucksvolle Tradition des öffentlichen politischen Engagements. Mehr als jede andere Nation im Nahen und Mittleren Osten hat die iranische Bevölkerung ihr Schicksal entschlossen in die eigenen Hände genommen. Gerade den Schiiten ist der Kampf um legitime Herrschaft und gegen unrechtmäßige Thronfolge nicht fremd: Es ist gewissermaßen die Raison d’être der Schia und ihrer ideologischen Doktrin. Der schiitische Iran ist in der Region der einzige Staat, der eine Verfassungsrevolution (1906) und eine islamische Revolution (1979) erlebte. Zwei Revolutionen in einem Jahrhundert, das ist eine Bilanz, der sich nur wenige Nationen auf der Welt rühmen können. Ob und wann es im heutigen Iran zu einer massiven Revolutionsbewegung kommen wird, hängt nicht vom Grad des religiösen Dogmatismus der Regierung ab. Sondern hauptsächlich davon, mit welchen Maßnahmen das Regime auf die Erwartungen des iranischen Volkes reagiert und ob es die ursprünglichen Versprechen der islamischen Revolution auf einen gerechter verteilten Wohlstand und politische Freiheiten einlösen kann – und will.

Militärschlag „made in Israel“

Bei allem Enthusiasmus über die innenpolitischen Entwicklungen war und bleibt das Hauptanliegen der internationalen Gemeinschaft das iranische Atomprogramm. Es gibt keinen Zweifel – das iranische Regime verfolgt seine nuklearen Ambitionen ungehindert weiter.

Nicht wenige hoffen, dass Israel sich dieser diffizilen Angelegenheit annehmen und eine nukleare Bewaffnung des Iran verhindern könnte. In diesem Sinn erklärte erst vor kurzem US-Vizepräsident Joe Biden, dass Israel als souveräner Staat das Recht habe, seine Interessen nach eigenem Ermessen zu verteidigen. Es kommt natürlich nicht von ungefähr, dass sich in der Nuklearfrage alle Augen auf Israel richten: Israelische Politiker sprechen viel zu häufig über Präventivschläge gegen den Iran, um eine, in ihren Worten, „existenzielle Gefahr für den jüdischen Staat“ zu beseitigen. Dass Israel 1981 bereits Nuklearanlagen im Irak und vermutlich auch in Syrien (2007) zerstört hat, dass Kampfpiloten der israelischen Luftwaffe Langstreckenflüge und Luftbetankung trainieren und israelische Kriegsschiffe vor aller Augen im Suez-Kanal kreuzen, ließe darauf schließen, der jüdische Staat besäße die Kapazitäten und die Entschlossenheit, militärische Maßnahmen gegen den Iran zu ergreifen.

Um zu zeigen, dass grundsätzlich keine Option ausgeschlossen wird, mag es ja ganz nützlich sein, immer wieder offen von einem Militärschlag zu sprechen. Solche Drohungen verschaffen dem Problem eines nuklear bewaffneten Iran außerdem größere internationale Aufmerksamkeit. Je greifbarer und glaubwürdiger solche Drohungen sind, stellte kürzlich der Chef des Israelischen Nationalen Sicherheitsrats, Uzi Arad, fest, desto unwahrscheinlicher sei es, dass sie wahr gemacht würden – ganz im Sinne des römischen Diktums „si vis pacem, para bellum“ („wenn du Frieden willst, so rüste zum Krieg“). Aber der Grad der Glaubwürdigkeit hängt nicht davon ab, ob man seine Drohungen öffentlich ausspricht. Die irakischen Anlagen wurden jedenfalls ohne Warnung per Luftangriff zerstört. Zur Bombardierung einer Reaktoranlage in Syrien hat sich Israel weder vorher noch nach der Zerstörung der Anlage öffentlich geäußert.

Wichtiger noch ist: Das iranische Atomprogramm ist kein rein israelisches Problem, das deshalb auch allein von Israel gelöst werden muss. Es ist auch für die umliegenden arabischen Staaten, die USA und die Staaten Europas eine Bedrohung. Warum also sollte die Lösung des Konflikts „made in Israel“ sein? Israels ehemaliger Stabsschef Dan Halutz jedenfalls zeigte sich wesentlich zurückhaltender als israelische Politiker. Er bezeichnete das iranische Programm als Problem, das „die ganze Welt betrifft“. Auch seien die operativen Schwierigkeiten einer Militäraktion, die Tatsache, dass es keinerlei Erfolgsgarantie gibt, und auch die möglichen Konsequenzen sehr genau abzuwägen. Doch selbst wenn man auf die Möglichkeit einer Militäraktion nicht verzichten wollte – wenngleich dies keine rein israelische Angelegenheit wäre – müssen erst sämtliche nichtmilitärischen Optionen ausgeschöpft werden, um das iranische Atomprogramm zu stoppen und das Regime zum Einlenken zu bewegen.

Den Pragmatismus des Regimes nutzen

Der Iran ist empfindlich für Druck von außen. Seit den frühen Revolutions-tagen ist er zahlreiche ideologische Kompromisse eingegangen. Immer wiederhaben iranische Regierungen einen pragmatischen und rationalen Ansatz gezeigt. Mit politischer Macht geht Verantwortung einher, auch der Iran sah sich gezwungen, sein Dogma den harschen Realitäten anzupassen. In den meisten Fällen, in denen das revolutionäre Dogma mit den staatlichen Interessen kollidierte – auch wenn sich aus Sicht der revolutionären Ideologen die Interessen des Regimes, des Staats und des Islam decken – gewann doch das Staatsinteresse die Oberhand.

Die Feindschaft gegenüber den Vereinigten Staaten gehört zum bis heute unveränderten Fundament der revolutionären islamischen Ideologie. Doch wenn sich der Iran bedroht fühlte, war er immer wieder bereit, mit dem „großen Satan“ zu verhandeln. So geschah es 1985 im Falle des Waffenhandels mit den USA während des Irak-Kriegs (Iran-Contra-Affaire) und auch 2003, als amerikanische Truppen nach Bagdad vorrückten. Doch sobald die USA Schwäche erkennen ließen, wurde Teheran, getragen vom Gefühl der eigenen Stärke, plötzlich wieder ideologisch standhaft. Nur wenn beide Seiten mit einer gleich schwachen Ausgangsposition in die Verhandlungen einträten, hätten die Gespräche Aussicht auf einen Durchbruch.

Obwohl es im Iran einen breiten Konsens hinsichtlich des Atomprogramms gibt, verfolgt die iranische Führung ein noch wichtigeres Ziel: das Überleben des Regimes. Dafür wäre sie bereit, selbst mit den USA ein Abkommen zu schließen. Eine Strategie, die Gesprächsangebote und internationalen Druck unter Führung der Amerikaner kombiniert, könnte also durchaus Erfolg haben – vorausgesetzt, sie verfügt über einen klaren Zeitplan, wird mit Nachdruck und Umsicht umgesetzt und von einem breiten internationalen Konsens getragen. Präsident Obama hat noch während Achmadinedschads erster Amtszeit seine Gesprächsbereitschaft betont. Im Prinzip gibt es auch jetzt keinen Grund, dieses Angebot zurückzuziehen. Allerdings ist das Ansehen Achmadinedschads und Khameneis ernsthaft beschädigt worden. Erst wenn sich der politische Sturm im Iran gelegt hat, ist es möglich, einen Dialog mit der iranischen Führung zu beginnen.

Welche Rolle sollte Europa in diesem Prozess einnehmen? Es könnte vor allem moralischen Druck ausüben, indem es den Iran auf die Einhaltung der Menschenrechte und ein Zugeständnis politischer Freiheiten drängt. Auf diesem Gebiet gibt es einen Präzedenzfall, der sich als äußerst wirksam erwiesen hat. Im Frühjahr 1997 bezeichnete ein deutsches Gericht die „iranische politische Führung als verantwortlich“ für den Mord an kurdischen Oppositionellen im Berliner Restaurant Mykonos. Dass alle EU-Staaten ihre Botschafter daraufhin aus Teheran abzogen, setzte die Regierung in Teheran unter enormen Druck. Das Mykonos-Urteil fiel in eine Phase des größeren Pragmatismus und nur einen Monat nach der Abberufung der Botschafter wurde überraschend der Reformer Mohammed Khatami zum Präsidenten gewählt. Erst vor kurzem wieder forderte auch die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi die EU auf, stärkeren Druck auf den Iran auszuüben, ihre Botschafter abzuziehen und die EU-Länder nur durch einen Geschäftsträger repräsentieren zu lassen. Ebadi weiß genau, wie empfindlich die Regierung ihres Landes auf einen solchen Schritt reagieren würde. Um aber ihre jeweiligen nationalen Interessen zu schützen, haben die EU-Länder bislang Abstand von einem solch ebenso gravierenden wie vermutlich wirksamen Schritt genommen.

Dem Westen stehen verschiedene diplomatische und wirtschaftspolitische Druckmittel zur Verfügung, um Einfluss auf den Iran zu nehmen. Doch als die USA 2007 ein Embargo über iranische Banken verfügten und diese Sanktion spürbar zu greifen begann, erschien justament der National Intelligence Report in Washington, der erklärte, dass der Iran sein Atomprogramm angeblich bereits 2003 aufgegeben habe. Der Druck auf Teheran ließ sofort nach.

Gespräche über Vorgespräche

Es gibt keine Garantie, dass das amerikanische Angebot für einen Dialog auch von Erfolg gekrönt wird. Doch ohne ein solches ernst gemeintes Gesprächsangebot wird es für die USA schwer, härtere Maßnahmen zu ergreifen und zu begründen. Natürlich verleihen Gespräche mit dem Iran dem Regime besonders nach den umstrittenen Wahlergebnissen eine gewisse Legitimität. Auch könnte ein Dialog den Machterhalt der iranischen Hardliner sichern, ohne sie zu wirklichen Zugeständnissen an den Westen zu bewegen. Umgekehrt aber zwingt ein Dialog die iranische Führung auch dazu, den „großen Satan“ USA als Gesprächspartner zu akzeptieren.

Wir sollten dabei nicht vergessen: Der Iran verfügt über ein ausgeprägtes Talent für Verhandlungen und wird erst einmal Monate mit nutzlosem Taktieren verschwenden, lange Gespräche mit einem kurzen „Ja, aber …“ beenden und alle Beteiligten damit auf den Ausgangspunkt zurückbringen. Übliches diplomatisches Procedere wäre zunächst, Gespräche darüber zu führen, wo genau, auf welcher Ebene und worüber man denn Gespräche führen will. Bisher haben der Iran und Amerika diese Details noch nicht abschließend geklärt. Vor den iranischen Wahlen schienen sie sich in einer „Vor-Vorverhandlungsphase“ zu befinden. Seither gibt es nur Rückschritte zu verzeichnen. Dabei sind die USA auf den Dialog angewiesen, um dem iranischen Volk, der amerikanischen Bevölkerung und ihren Verbündeten zu signalisieren, dass keine Option vernachlässigt wurde, um mit der iranischen Führung mit aufrichtig guten Absichten zu sprechen.

Auch die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens können einiges zur Schlichtung des Atomstreits beitragen. Derzeit stehen Israel und die moderaten arabischen Staaten vor einer gemeinsamen Herausforderung: Ansatzpunkt zur Eindämmung des iranischen Einflusses in der Region wäre eine arabisch-israelische Initiative. Denn wenn Verhandlungen mit Hilfe der moderaten arabischen Regierungen gelängen, wäre das eine angemessene Antwort auf die Radikalisierung in der Region, die durch den Iran und radikal-islamische Bewegungen vorangetrieben wird. Fortschritte bei der Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts oder beim Konflikt mit Syrien sind derzeit gewiss nicht einfach. Und doch haben sie das Potenzial, den Iran entscheidend zu schwächen, ganz zu schweigen natürlich von den offensichtlichen Vorteilen, die eine Lösung beider Konflikte für die direkt beteiligten Parteien brächte. Um dieses Ziel zu erreichen, könnte beispielsweise Saudi-Arabien diplomatische Beziehungen mit Israel aufnehmen. Mit einer diplomatischen Anerkennung des jüdischen Staates würde Saudi-Arabien den Iran jedenfalls mehr schwächen als mit einer Überflugerlaubnis für israelische Kampfjets.

Wie wird es weitergehen im Iran? Eine Wende der Innen- und Atompolitik ist nur langfristig denkbar. Das derzeitige Regierungssystem könnte einlenken und eine moderatere Politik verfolgen oder eine interne Veränderung könnte zu einer Revision der iranischen Politik, einschließlich der iranischen Atompolitik, führen. Doch natürlich ist auch eine weitere Radikalisierung nach den Präsidentschaftswahlen denkbar. Die iranische Öffentlichkeit hat in den vergangenen 120 Jahren ein beeindruckendes Maß an politischem Engagement gezeigt und damit mehr als jede andere muslimische Nation in der Region tiefgreifende Veränderungen herbeigeführt. Das Land erlebte mit der Verfassungsrevolution von 1906 und die islamische Revolution 1979 zwei Revolutionen während des 20. Jahrhunderts – und kann überdies auf eine starke, von Mohammed Mossadegh angeführte Volksbewegung zurückblicken. Seit der islamischen Revolution haben die iranische Jugend, die Frauen, die Presse, die Filmindustrie und die enorme Popularität und Nutzung des Internets durch eine lebendige Bloggergemeinde alle ausländischen Beobachter überrascht.

Doch können die innenpolitischen Veränderungen im Iran mit dem iranischen Atomprogramm Schritt halten? Wir wissen nur eines: Zwei Züge haben jetzt den iranischen Hauptbahnhof verlassen. Einer trägt die Botschaft vom soziopolitischen Wandel. Der andere bewegt sich schnell auf das Ziel einer nuklear bewaffneten iranischen Regionalmacht zu. Die internationale Gemeinschaft muss vor allem verhindern, dass der „atomare Zug“ zuerst sein Ziel erreicht.

Prof. DAVID MENASHRI ist Direktor des Center for Iranian Studies und Profes- sor für Moderne Iran-Studien an der Tel Aviv University.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9/10, September/Oktober 2009, S. 10 - 18.

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