Einsame Spitze
Wenn die Zeiten hart sind und die Stimmung mau, besinnt man sich in Großbritannien gern auf seine Kernkompetenzen: Rock’n’Roll und Galgenhumor. Wie jener Demonstrant, der seinen Unmut über den Brexit in die Worte fasste: „Es ist so wie damals, als Geri Halliwell ihre Fähigkeiten als Solokünstlerin überschätzte und die Spice Girls verließ.“
Klingt gut. Aber stimmt es? Ein Blick auf die Fakten. Nach ihrem Austritt bei den Spice Girls im Jahre 1998 verkaufte Halliwell, Kampfname: „Ginger Spice“, rund zehn Millionen Singles und fünf Millionen Alben; vier ihrer Songs erreichten die Spitze der britischen Charts.
Noch erfolgreicher war ihre Kollegin Mel C alias „Sporty Spice“ mit 20 Millionen verkauften Tonträgern. Und auch wenn Victoria Beckhams musikalische Solokarriere nie so recht in Fahrt kam: Als Model, Designerin und Stilikone hat „Posh Spice“ ihr Vermögen aus Girlgroup-Zeiten inzwischen locker vervielfacht.
Hat der Demonstrant also unrecht – lohnt sich der Austritt? Erweitern wir unsere empirische Basis und ziehen das männliche Pendant der Spice Girls hinzu, die Boygroup Take That. 1990 gegründet, mussten Gary Barlow und Co. 1995 den Ausstieg ihres charismatischsten Bandmitglieds verkraften. Sein Name: Robbie Williams. Schon mal gehört? Eben.
„Aber die Beatles!“, wirft da ein alter Zausel ein; er hat die Trennung der Fab Four nie ganz verwunden und kann mit Casting-Bands nicht viel anfangen. Nun, zugegeben: Ein zweites „Sergeant Pepper’s“ wollte den Herren Lennon/McCartney nach ihrem Split im Jahre 1970 nicht mehr gelingen. Doch für das eine oder andere „Imagine“ hat es noch gereicht – ohne dass man die sauer verdienten Tantiemen mit dem ungeliebten Ex-Partner teilen musste.
Phil Collins ohne Genesis, Sting ohne The Police, George Michael ohne Wham!: Betrachtet man die Sache ganz objektiv, so hat es sich für den Star der Band noch immer ausgezahlt, eine Solokarriere zu wagen.
Aber, und diese Frage muss unter Freunden erlaubt sein: Waren die Briten denn jemals der Star der EU? Waren sie nicht doch eher so etwas wie der nervige kleine Bruder des Bassisten? Der Typ, den man nur mitspielen lässt, weil er diesen schicken Marshall-Verstärker hat? Ich frag’ für eine ehemalige Weltmacht.
Dr. Joachim Staron ist Leadgitarrist und Redakteur der IP.
Internationale Politik 1, Januar/Februar 2019, S. 144