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01. Juni 2008

Ein bisschen Wandel

Seinen Anspruch als Demokratieförderer wird Amerika nicht aufgeben

Iran, Irak, NATO: Außenpolitik ist zu einem wichtigen Thema im amerikanischen Wahlkampf geworden. Die Demokraten grenzen sich von George W. Bushs Politik ab und wollen einen baldigen Rückzug aus dem Irak. Doch sollte sich Europa keine Illusionen machen: Es wird mehr Kontinuität geben, als die Wahlslogans vom Wechsel versprechen.

Zwei Drittel der Amerikaner lehnen den Irak-Krieg inzwischen ab. Neben der schleppenden Entwicklung der Wirtschaft und der Reform des Gesundheitssystems ist er eines der wichtigsten Themen im US-Vorwahlkampf. In der bisher längsten und aufregendsten Vorwahlphase der US-Geschichte haben außenpolitische Themen die demokratischen Kandidaten Barack Obama und Hillary Clinton besonders deutlich von dem republikanischen Anwärter John McCain abgegrenzt – außer dem Krieg im Irak vor allem der wachsende Einfluss des Iran sowie seine nuklearen Ambitionen.

McCain versichert verbissen, dass er siegen wird. Er verspricht ein Ende der amerikanischen Verluste im Irak und hält eine stabile, funktionierende Regierung in dem gebeutelten Land für möglich. Obama, der von Anfang an gegen den Krieg war, und Clinton, die 2002 dafür gestimmt hatte, aber sich nun dagegen ausspricht, wollen einen baldigen Rückzug der amerikanischen Truppen.

Der 71-jährige Vietnam-Veteran McCain kritisiert den 25 Jahre jüngeren Obama als naiv, zu unerfahren für einen Oberbefehlshaber der Streitkräfte, und sogar, wie McCains Berater andeuten, unpatriotisch. Obama zeichnet im Gegenzug den Republikaner als Erben der hilflosen Irak-Politik George W. Bushs und verweist darauf, dass er im Umgang mit Ländern wie China, Russland und dem Iran noch polemischer ist als der derzeitige Amtsinhaber. Während McCain seine Kampagne überwiegend auf Fragen der nationalen Sicherheit stützt – sein Hauptthema während seiner 20-jährigen Amtsszeit als Senator – stellt Obama vor allem seine Bereitschaft in den Mittelpunkt, sowohl mit Staaten zu verhandeln, denen die USA wohlgesonnen sind, als auch mit solchen, die sie ablehnen – etwa mit Kuba, Venezuela oder dem Iran. Was Letzteren betrifft, scheint Clinton McCain näher zu stehen in ihrem Willen, Teheran zu konfrontieren.

Die Tatsache, dass Wahlen stattfinden, während das Land an zwei Schauplätzen, im Irak und in Afghanistan, in bewaffnete Konflikte verwickelt ist, erzeugt eine kriegerische Atmosphäre, dessen Ausmaß die Europäer nicht ganz verstehen.

Neue Prioritäten

Wer auch immer im nächsten Januar ins Oval Office einzieht, es wird eine klare Abkehr von Bushs Politik geben, vor allem zum unilateralen, dominanten Vorgehen seiner ersten Amtszeit 2000 bis 2004. Der neue Präsident wird sich große Mühe geben, das Prestige und damit auch den Einfluss Amerikas im Ausland wiederherzustellen und das Vertrauen, das Bush verspielt hat, zurückzuerlangen. Er wird sicherlich die zentrale Rolle der NATO betonen, das Militärgefängnis in Guantánamo schließen, keine festgenommenen Terrorverdächtige mehr für Verhöre in Staaten wie Ägypten oder Syrien verschiffen und auch die Folterungen bei Vernehmungen einstellen – ein Thema, das McCain sehr am Herzen liegt, da er in nordvietnamesischer Kriegsgefangenschaft selbst gefoltert wurde.

Der neue Präsident wird sich ernsthaft mit dem Klimawandel befassen. Amerika hat in den letzten Jahren an Umweltbewusstsein gewonnen und eine solide Mehrheit in der Bevölkerung ist inzwischen von der menschlichen Beteiligung an der globalen Klimaerwärmung überzeugt. Alle drei Kandidaten bevorzugen ein Cap-and-trade-System um die Treibhausgasemissionen zu senken. Sie scheinen bereit, multilateral auf einen Nachfolger des Kyoto-Protokolls hinzuarbeiten, was Bush ablehnte.

Im Wahlkampf versuchen die Demokraten einen möglichen Präsidenten McCain lediglich als Bush-Kopie darzustellen. Deshalb wird er versuchen, sich durch seine Außenpolitik vom jetzigen Amtsinhaber abzugrenzen – jedoch nicht immer so, wie es die Europäer gerne hätten.

McCains Weltanschauung – er wird im nächsten November 72 Jahre alt – ist durch den Kalten Krieg geprägt. Als Sohn und Enkel von US-Navy-Admiralen und jahrzehntelanger Pilot der Marine ist er ein Kriegsheld mit trotzigen Zügen, einer moralistischen Haltung und einem leicht reizbaren Temperament. Er hat weite Reisen unternommen und kennt die Welt, nicht nur Europa, sondern auch Asien und den Nahen Osten. Für Fragen der nationalen Sicherheit ist er der Kandidat par excellence.

In vielerlei Hinsicht ist er ideologischer als der oberflächliche Bush und möglicherweise eher dazu bereit, militärische Stärke einzusetzen und auch die NATO-Alliierten mit Nachdruck dazu zu drängen. Bushs Hoffnung auf eine strategische Partnerschaft mit Russland teilt McCain nicht. Er neigt eher dazu, sich gegen Russland zu stellen und möchte es von der G-8 ausschließen.

Auf jeden Fall würde er die NATO gerne um Russlands Nachbarn, die Ukraine und Georgien, erweitern. Hinsichtlich des für die Wähler wichtigsten außenpolitischen Themas, des unpopulären Irak-Kriegs, gilt McCain als ausgesprochener Falke. Neben seinen Ansichten zum Iran unterscheidet ihn diese Haltung am stärksten von Obama und Clinton und entspricht Bushs Kurs. McCain unterstützte den Irak-Krieg von Anfang an, befürwortete die diesjährige „Aufstockung“ der US-Truppen in Bagdad und hat bei seinen vielen Reisen in die irakische Hauptstadt regelmäßig von „Fortschritt“ berichtet. In einer unvorbereiteten Stellungnahme, (die ihm von den demokratischen Kandidaten immer wieder zum Vorwurf gemacht wird) sagte er, er könnte sich eine langfristige Truppenpräsenz im Irak von über 100 Jahren vorstellen – vorausgesetzt, erklärte er später, die Präsenz ähnele dem auf lange Sicht eingerichteten US-Stützpunkt in Korea. Er scheint sogar stärker als Bush darauf erpicht zu sein, Maßnahmen zu ergreifen, um den Iran an der Entwicklung nuklearer Waffensysteme zu hindern und seinen Einfluss zu mindern. Spontan stimmte er in aller Öffentlichkeit ein Liedchen zur US-Bombardierung des Landes an.

Die beiden Demokraten hingegen fordern einen raschen Rückzug der amerikanischen Streitkräfte aus dem Irak. Clinton wollte damit 60 Tage nach ihrem Amtsantritt beginnen; Obama möchte den größten Teil innerhalb von 16 Monaten aus dem Land haben. Allerdings würden beide eine erhebliche Anzahl von Streitkräften entweder im Irak oder in der näheren Umgebung stationiert lassen, um gegen Terroristen und die Al-Qaida vorzugehen.

Obwohl sie in den meisten Fragen eng beieinander stehen, haben sich im Laufe des Wahlkampfs einige außenpolitische Unterschiede zwischen Clinton und Obama herauskristallisiert. Besonders Hillary Clinton fühlte sich lange Zeit unter Druck gesetzt, zu beweisen, dass eine Frau genauso hart sein kann wie jeder Mann. Kürzlich erklärte sie, die Vereinigten Staaten könnten den Iran „auslöschen“, falls der Israel mit Atomwaffen angreift. Gegenüber Verhandlungen mit Teheran zeigt sie sich skeptisch. Sie hat nicht nur Israel, sondern auch den arabischen Golf-Staaten eine Ausweitung der amerikanischen Schutzmaßnahmen gegen den Iran angeboten.

Obama ist ohne Vorbedingungen dazu bereit, mit dem Mullah-Regime zu sprechen. Er würde versuchen, den Iran, Syrien und die anderen Nachbarn des Irak zu stärkerem Engagement zu bewegen, um das Land zu stabilisieren. Es ist gut möglich, dass er Teherans „großzügiges Angebot“ von vor einigen Jahren überprüfen will, das die Bush-Regierung ignoriert hatte.

Beide, sowohl Clinton als auch Obama, würden zu einer multilateralen, kooperativen Vorgehensweise zurückkehren, indem sie versuchen, (natürlich) im Rahmen der NATO, der UN und ihrer nuklearen Überwachungsorganisation, der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA), zu agieren. Von beiden wird erwartet, dass sie der Rüstungskontrolle größeres Interesse entgegenbringen als es die Bush-Regierung getan hat oder es McCain in Erwägung zieht. Dieser Multilateralismus und die Verhandlungsbereitschaft den Feinden gegenüber, werden den Europäern gefallen, ihr wirtschaftlicher Populismus jedoch nicht.

Beide Kandidaten zogen in industriell geprägten Staaten wie Pennsylvania und Ohio gegen die Freihandelsabkommen, die sie als Jobkiller bezeichneten, zu Felde. Bei dieser Gelegenheit versprach Clinton sogar, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen zu überdenken.

In ihrem letzten Jahr hat die Bush-Regierung verzweifelte Bemühungen unternommen, einen israelisch-palästinensischen Frieden herbeizuführen, der auf einer Zwei-Staaten-Lösung basiert. Jeder mögliche Nachfolger wird weitere Anstrengungen in diese Richtung unternehmen – Obama vielleicht etwas intensiver als Clinton oder McCain. Der Nachfolger kommt umhin, uneingeschränkte Unterstützung für Israel zu geloben. Dies gilt vor allem für die beiden Demokraten. Während alle drei einen palästinensischen Staat unterstützen, könnte sich nur Obama dazu geneigt zeigen, die Hamas in das Abkommen mit einzubeziehen.

Alte Anliegen

Trotz aller versprochenen Kursänderungen wird die amerikanische Außenpolitik von großer Kontinuität gekennzeichnet sein. Damit das Land nicht im blutigen Chaos versinkt, kann kein sofortiger Rückzug aus dem Irak durchgeführt werden. Der Iran wird Verhandlungen über Atomwaffen und der Stabilisierung des Irak nicht sofort zustimmen. Amerikas Entschlossenheit, Atomwaffen von den Händen der Iraner und der Terroristen fernzuhalten, wird nicht nachlassen. Die Europäer sollten keine übertriebene Hoffnung auf einen grundlegenden Wechsel hegen, auch nicht bei einem Präsidenten Obama, dem „schwarzen Jack Kennedy“, von dem sie so fasziniert sind.

ie Militärausgaben sind unter Bush um 62 Prozent gestiegen, und sie werden weiter steigen. Obama und Clinton würden die Streitkräfte um 90 000 bis 100 000 aufstocken. Alle werden den Kampf gegen den Terrorismus fortsetzen. Aufgrund ihrer Einschätzung, dass der Irak-Krieg ein Fehler war, da er die Aufmerksamkeit von Afghanistan und Pakistan abgelenkt hat, wo sie die wahre terroristische Bedrohung verorten, würden Clinton und Obama sicherlich die militärischen Aufwendungen am Hindukusch erhöhen. Als Obama herausgefordert wurde, seinen außenpolitischen Mut zu beweisen, versprach er, die Terroristen in unüberwachten Stammesgebieten in Pakistan anzugreifen, sogar ohne die Zustimmung der Regierung in Islamabad. Wie es bereits Bush getan hat, werden beide die NATO-Alliierten auch weiterhin dazu auffordern, militärisch und ökonomisch mehr in Afghanistan zu leisten und die NATO in ein Expeditionskorps umzuwandeln, das in der Lage ist, schnell außerhalb von Europa zum Einsatz zu kommen. Die unipolare Welt, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vorherrschte, mag Vergangenheit sein, aber Amerikas missionarisches Anliegen der Demokratieförderung und sein Vertrauen in seine globale Führungsposition sind es nicht.

Abschließend: Ganz gleich wie der neue Präsident heißen wird, eine Kontinuität wird die Europäer ermutigen: Die transatlantische Partnerschaft und die NATO werden weiterhin zum Kern von Washingtons Außenpolitik gehören. Wie sollen die Europäer den neuen amerikanischen Präsidenten willkommen heißen? Nicht, indem sie untätig auf eine Demonstration seiner Führung warten. Der ehemalige deutsche Botschafter Wolfgang Ischinger, der jetzt der Münchner Sicherheitskonferenz vorsteht, empfiehlt den Europäern, Washington gleich nach den Wahlen im November eine umfassende Agenda zu präsentieren, auf Basis derer sie handlungsbereit sind.

Einen neuen Präsidenten zu schnell unter Druck zu setzen würde der europäischen Sache allerdings nicht weiterhelfen. Er muss sich mit einer Menge chaotischer Probleme auseinandersetzen, die Bush ihm hinterlassen hat und von denen die dringendsten innenpolitischer Natur sind. Es wäre besser, ein oder zwei Themen auszuwählen – etwa das stärkere Engagement in Afghanistan oder härtere Sanktionen gegen den Iran – und dafür einen Konsens in Brüssel zu erreichen, um Washington kurz nach der Amtseinführung im Januar offiziell europäische Unterstützung anbieten zu können. Wer auch immer dann im Weißen Haus sitzen wird, dies würde die Kooperation, die seit mehr als einem halben Jahrhundert fester Bestandteil der Beziehung zwischen Washington und Europa ist, am besten verstärken.

Prof. Dr. ROBERT G. LIVINGSTON, geb. 1927, ist Senior Visiting Fellow am Deutschen Historischen Institut in Washington.