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01. Nov. 2007

Auswärts einig

Warum sich die US-Außenpolitik nach Bush nicht grundsätzlich ändern wird

Die gute Nachricht: Der kommende US-Präsident wird nicht George W. Bush heißen. Die weniger gute Nachricht: Grundlegend ändern wird sich die Außenpolitik unter Bushs Nachfolger(in) nicht. Immerhin stehen nun die Chancen für gedeihliche transatlantische Beziehungen besser als zuvor. Europa muss diese Möglichkeiten nutzen.

Noch ein volles Jahr bis zu den US-Präsidentschaftswahlen, und doch scheinen wir uns seit Monaten mitten im Wahlkampf zu befinden. Ein gutes Dutzend TV-Debatten liegt bereits hinter uns, und noch einmal so viele sind bis zu den Vorwahlen im kommenden Januar und Februar geplant.

In Europa wird man einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausstoßen, wenn George W. Bush das Weiße Haus verlässt. Laut einer Umfrage des German Marshall Fund sind die Zustimmungsraten zu Bushs Politik europaweit auf klägliche 17 Prozent gesunken. Sein unilateralistischer, militaristischer und selbstherrlicher Politikstil hat auf viele befremdlich gewirkt, sein Einmarsch in den Irak geradezu bedrohlich. Ein neuer Präsident, egal ob Republikaner oder Demokrat, ist eine notwendige und nützliche (aber nicht unbedingt ausreichende) Bedingung dafür, die europäisch-amerikanischen Differenzen zu Themen wie Irak-Krieg, Iran, Klimawandel oder Handel zu überwinden.

Paradies für Politikjunkies

In mancherlei Hinsicht ist die kommende Wahl etwas Besonderes. Der Wahlkampf hat so früh begonnen wie nie zuvor, und zum ersten Mal seit 1952 ist kein amtierender Präsident oder Vizepräsident im Rennen. Eine reizvolle Konstellation, zumindest für Journalisten, Internetblogger und Politikjunkies. Denn so haben wir gleich mehrere Kandidaten in beiden politischen Lagern, die zu einem ungewöhnlich frühen Zeitpunkt gezwungen sind, ihre Ansichten über eine Vielzahl von Themen zu entwickeln, zu äußern und zu diskutieren.

Eine dritte Besonderheit stellt die Tatsache dar, dass das zentrale Thema dieses Mal außenpolitischer Natur ist. Es handelt sich – natürlich – um den Irak-Krieg, den die Republikaner mit dem anderen „äußeren“ Problem verbinden, das die Amerikaner beunruhigt, der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus. Die Innenpolitik, traditionell das Hauptthema der amerikanischen Wahlen, steht dadurch etwas im Schatten. Hier ist, zumindest aus Sicht der Demokraten, die Gesundheitsreform das entscheidende Thema.

Die Umfragen in diesem Herbst zeigen klar, dass die Demokraten das Weiße Haus und beide Kongresshäuser erobern könnten, möglicherweise sogar mit großem Vorsprung. Die Enthusiasten unter den demokratischen Vordenkern prophezeien bereits eine historische Wende. Die Wahlen werden, so ihre Hoffnung, die konservative Vorherrschaft in der US-Politik beenden, die seit 28 Jahren währt und nur einmal, in Bill Clintons erster Amtszeit, kurzzeitig unterbrochen wurde.

Nichtsdestotrotz könnte natürlich bis zum November kommenden Jahres noch etwas passieren, das die Chancen der Demokraten torpediert. Bei einem terroristischen Angriff auf amerikanischem Boden etwa oder einem Staatsstreich in Pakistan oder Saudi-Arabien, der muslimische Extremisten an die Macht brächte, würden die Wähler sich wohl wieder den Republikanern zuwenden, in die sie ein größeres Vertrauen bei Fragen nationaler Sicherheit setzen. Käme es andererseits zu einer dramatischen Zunahme der Aufstände im Irak, also zu Angriffen ähnlich der Tet-Offensive in Vietnam vor 40 Jahren, würden davon die Demokraten profitieren. Auch eine wirtschaftliche Rezession, auf die derzeit manches hindeutet, würde den Demokraten helfen. Die Demokraten neigen noch etwas stärker als die Republikaner dazu, ihre außenpolitischen Positionen danach auszurichten, inwieweit sie damit innenpolitisch punkten können. Das mag Europäer mit einem Herz für die Staatsräson irritieren, liegt aber in der – populistischen – Natur der amerikanischen Demokratie. Aus all diesen Gründen muss eine Analyse ein volles Jahr vor den Wahlen eine hochgradig spekulative Angelegenheit bleiben.

In acht Jahren um die Welt

Kandidaten für die amerikanische Präsidentschaft müssen nicht notwendigerweise über außenpolitische Erfahrung verfügen. Sowohl Jimmy Carter (1976) als auch Ronald Reagan (1980), Bill Clinton (1992) und George W. Bush (2000) gewannen die Wahlen, ohne große außenpolitische Kompetenz aufzuweisen. Dieses Mal betonen die Kandidaten ausdrücklich ihre internationale Erfahrung. Nach diesem Kriterium sind die Topkandidaten bei den Demokraten Bill Richardson, Joseph Biden und Hillary Clinton.

Richardson, Gouverneur von New Mexiko, war Botschafter bei den Vereinten Nationen und hat mit Nord-korea, dem Irak, Kuba und dem Sudan verhandelt; Biden ist seit über 30 Jahren Mitglied des außenpolitischen Senatsausschusses und heute dessen Vorsitzender; und Hillary Clinton wirbt damit, dass sie als First Lady in den neunziger Jahren über 80 Länder besucht hat und viele der Regierenden getroffen hat. Bei den Republikanern wäre John McCain zu nennen, der sich im mächtigen Streitkräfteausschuss des Senats 20 Jahre lang mit militärischen Angelegenheiten beschäftigt hat. Doch Richardson und Biden, die profiliertesten außenpolitischen Experten, hinken in den Umfragen weit hinterher, und auch mit McCains Chancen steht es nicht gerade zum besten.

Hillary Clintons Kampagne ist zum einen solide finanziert, zum anderen wird sie diszipliniert und mit kompetenter Beratung durchgeführt. Zu ihren Beratern zählt ihr Ehemann Bill, mit dem Europa stets gut zurechtgekommen ist. Obgleich an der kurzen Leine gehalten, wenn Hillary auf Wahlkampftour ist, ist der dynamische und global vernetzte Bill ein wichtiger Aktivposten, um demokratische Wähler zu gewinnen – zumal die meisten ihren früheren Präsidenten noch immer überaus schätzen. In den Umfragen führt Hillary mit 46 Prozent deutlich vor ihren Rivalen, Barack Obama (25 Prozent) und John Edwards (14 Prozent), der sich vor vier Jahren um die Vizepräsidentschaft beworben hatte. Bei den Republikanern liegen die Spitzenkandidaten den Umfragen zufolge enger beieinander. Rudy Giuliani, Bürgermeister von New York zu Zeiten des 11. September, hat einen leichten Vorsprung vor Fred Thompson, Ex-Senator und TV-Schauspieler, dem erwähnten McCain und Mitt Romney, vormals Gouverneur von Massachusetts und höchst erfolgreicher Bankier. Auch wenn sie die Nähe zu Bush inzwischen allesamt meiden, folgen sie doch mehr oder minder seinem Kurs im Irak und seinem „Krieg gegen den Terrorismus“ sogar fast ohne Abstriche. Insbesondere Giuliani präsentiert sich als Hardliner in Sachen Terrorbekämpfung, als jemand, der Atomwaffen nicht nur gegen Terroristen, sondern auch gegen den Iran einsetzen würde.

Wahlkampfschlager und Ladenhüter

Europa spielt keine Rolle im Wahlkampf, ja es wird kaum einmal erwähnt. In den frühen, wilden Jahren der Bush-Regierung gefielen sich neokonservative Ideologen darin, ihre Verachtung für den europäischen Wohlfahrtsstaat und für die EU zum Ausdruck zu bringen. Die Demokraten, die traditionell stärkere Sympathien für sozialstaatliche Modelle und multinationale Zusammenschlüsse hegen, sind weniger kritisch, allerdings auch kaum stärker an Europa interessiert. Wichtiger sind die Ansichten der Kandidaten zu anderen außenpolitischen Themen. Die Europäer können daraus Schlüsse ziehen, wie die transatlantischen Beziehungen sich unter einer neuen demokratischen oder republikanischen Regierung entwickeln werden.

Der Irak dürfte in der Tat das Topthema des Wahlkampfs sein. Nun gibt es allerdings zwischen den Parteien und sogar zwischen den Kandidaten und der Bush-Regierung geringere Meinungsunterschiede über den Kurs als die Rhetorik zwischen den führenden Kandidaten suggeriert. Wahlkampfbedingte Polemik einmal beiseite genommen, differieren die Positionen zwischen Republikanern und Demokraten wohl über Geschwindigkeit und Umfang des Abzugs, nicht aber über den Abzug selbst.

Der Bush-Regierung schwebt eine längerfristige, aber stark reduzierte US-Militärpräsenz im Irak vor. Ziel ist es, die irakische Armee und Polizei auszubilden, die Landesgrenzen zu sichern, Terroristen zu bekämpfen und den Iran abzuschrecken, ein Programm, das von den Demokraten bislang nicht ernsthaft in Frage gestellt wird. Es sieht so aus, als ob sowohl die Regierung als auch die Mehrheit der Kandidaten dazu tendieren, eine Teilung des Irak in praktisch voneinander unabhängige kurdische, sunnitische und schiitische Einheiten zu akzeptieren. Diese Position vertritt etwa Joseph Biden seit Jahren. McCain und Giuliani sind diejenigen, die am vehementesten für eine Fortführung der starken amerikanischen Militärpräsenz im Irak -eintreten, doch vermutlich werden letztlich auch sie einem Konsens zustimmen, der langfristig einen Abzug vorsieht.

In Sachen Iran gehen die Ansichten allerdings auseinander. Die Bush-Regierung ist fixiert auf den Iran. Sie ist entschlossen, die angeblichen Waffenlieferungen an Aufständische im Irak und in Afghanistan zu stoppen und zu verhindern, dass das Land in den Besitz von Nuklearwaffen gelangt. Daneben möchte man dem Regime der Mullahs ein Ende setzen. Sowohl in Bezug auf den Iran als auch auf Syrien zögern die Republikaner, in Verhandlungen einzutreten, weil sie fürchten, dass sie die Regime dadurch legitimieren oder den Eindruck erwecken könnten, die USA träten als Bittsteller auf. Demokraten sind dagegen weitaus eher gewillt, den Iran und Syrien in die Pflicht zu nehmen. Sie halten es wie Obama mit John F. Kennedy: „Lasst uns nie aus Angst verhandeln, aber lasst uns auch nie Angst haben zu verhandeln.“ Wie man mit China verhandelt, ist ein Thema, das hinter den Kulissen eine Rolle spielt. Das Pentagon ist besorgt über Chinas Aufstieg als Militärmacht, und es hat Pläne für mögliche Nuklearschläge gegen das Land in der Schublade. Und doch ist der extensive Handel mit China ähnlich wie im Falle Europas ein wichtiger Entscheidungsfaktor für die Republikaner, die traditionell der Wirtschaft näher stehen als die Demokraten.

Weltweiter Handel und das Outsourcen von amerikanischen Jobs sind für die Demokraten wichtige Wahlkampfthemen. In der Phase bis zu den Vorwahlen werfen sie mit populistischen Floskeln um sich, da sie ihre Parteibasis und die Gewerkschaften bedienen müssen. Während die Republikaner Freihandelsabkommen zu schätzen wissen, haben die Demokraten ihre Abneigung gegen solche Übereinkünfte im vergangenen Jahr bei einer Reihe von Abstimmungen im Senat demonstriert. Selbst Hillary Clinton hat sich vom Freihandelsansatz distanziert, den ihr Mann als Präsident verfolgt hatte. Sie besteht auf der Notwendigkeit sozialer und umwelttechnischer Standards im Rahmen derartiger Vereinbarungen. Die Demokraten sind immer dafür, Handelssanktionen auszuweiten, nicht nur, um eine Nuklearmacht Iran zu verhindern, sondern auch, um China unter Druck zu setzen, damit es seine billige Währung aufwertet.

Condoleezza Rice hat gerade den allerletzten Versuch der Bush-Regierung gestartet, Frieden zwischen Israelis und Palästinensern zu stiften. Ihr Vorschlag schließt die Schaffung eines palästinensischen Staates ein. Die Demokraten sind generell in geringerem Ausmaß bereit, Druck auf Israel auszuüben, weil sie stärker von jüdischen Stimmen abhängig sind. Und doch könnte man von einem Demokraten im Weißen Haus erwarten, dass er mit Nachdruck an die seinerzeitigen Bemühungen von Präsident Bill Clinton anknüpft, Israelis und Palästinenser für eine Zwei-Staaten-Lösung an einen Tisch zu bringen.

Der Klimawandel schließlich ist ein Thema, bei dem republikanische und demokratische Ansätze am auffälligsten voneinander abweichen, wo aber andererseits ein Fortschritt am wahrscheinlichsten ist, da die Öffentlichkeit und sogar die Wirtschaft mittlerweile die Gefahren der globalen Erwärmung erkannt haben. Die demokratischen Kandidaten reden viel über das Thema, nicht zuletzt, weil die neue Umweltikone, Friedens-nobelpreisträger Al Gore, aus ihren Reihen stammt. Ein demokratischer Präsident könnte entweder eine Kohlendioxid-Steuer oder ein Begrenzungs-und-Handelssystem einführen, wie es die Europäer favorisieren. Die Republikaner, die der Ölindustrie für gewöhnlich nahe stehen, werden eher Bushs Bemühungen um Lösungen mit Nukleartechnologie oder „sauberer Kohle“ fortführen.

Manche mögen’s lau

Die Europäer sollten nicht erwarten, dass sich die Grundlagen der amerikanischen Außenpolitik – oder ihre praktische Umsetzung – stark ändern werden, wenn Bush abtritt. Selbst das Eingeständnis einer Niederlage im Irak wird das nicht schaffen, wie auch die Niederlage in Vietnam eine Generation zuvor es nicht geschafft hat. Meinungsunterschiede zwischen den Parteien zu inneren Problemen wie Gesundheit, Steuern oder Einwanderungspolitik empfinden die amerikanischen Wähler als anregend, in der Außenpolitik aber bevorzugen sie Konsens und Kontinuität.

Die große Sorge der Demokraten im Hinblick auf die Wahlen ist es, als schwachbrüstig in Sicherheitsfragen zu gelten. Alle ihre Kandidaten treten für eine amerikanische Vorrangstellung in der Welt ein. Alle wünschen ein starkes Militär und viele ein Anwachsen des amerikanischen Verteidigungsetats (Hillary Clinton möchte 80 000 Soldaten mehr). Keiner würde die Bereitschaft der Bush-Regierung, gegen Terroristen militärisch präventiv vorzugehen, ernsthaft in Frage stellen (Obama würde das notfalls sogar tun, ohne zuvor Pakistans Erlaubnis einzuholen). Keiner ist für einen Abzug aus Afghanistan. Keiner würde einen Iran mit Atomwaffen so einfach tolerieren.

Egal aber, ob ein Republikaner oder ein Demokrat 2008 gewinnt, die Chancen für gute Beziehungen zu Europa stehen besser als noch ein Jahr oder zwei zuvor. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy haben größere Anstrengungen für eine Verständigung mit Washington unternommen als ihre Vorgänger. Frankreich scheint seine Politik gegenüber dem Iran mit Amerika abzustimmen. Die Zugehörigkeit zur NATO ist im gesamten amerikanischen politischen Spektrum unumstritten, Giuliani möchte sogar Israel als Mitglied einschließen. Überlegungen, die EU als „Gegengewicht“ zu den Vereinigten Staaten aufzubauen, sind vom Tisch. Stärker als zuvor teilen Deutsche, Briten und sogar Skandinavier die amerikanischen Ängste vor Terrorismus. Russlands aggressives Gebaren fördert, wie schon zu Zeiten des Kalten Krieges, gemeinsame europäisch-amerikanische Reaktionen.

Ein demokratischer Präsident würde bald größere Unterstützung von den Europäern und den Vereinten Nationen für Amerikas Bemühungen einfordern, sich aus dem Morast des Irak zu befreien. Er wäre aber auch eher bereit als ein Republikaner, ihnen bei der Stabilisierung des Landes eine gleichberechtigte Partnerschaft einzuräumen. Vermutlich würde es dann auch leichter, Syrien und den Iran einzuspannen und zu einer Übereinkunft mit Teheran zu gelangen. Ein Republikaner würde die Ausweitung des Antiterrorkampfs und damit der NATO-Mandate in Afghanistan und anderswo fordern. Sowohl ein Republikaner als auch ein Demokrat würde Wert auf die Etablierung eines Post-Kyoto-Umweltregimes legen, letzterer mit Sicherheit. Europa hat ein großes Interesse daran, die Spannungen im Nahen und Mittleren Osten zu entschärfen. Es sollte alle Gelegenheiten ergreifen, um dort seine Verantwortung aktiver wahrzunehmen – Gelegenheiten, die sich bieten werden, wenn ein neuer Präsident im Weißen Haus sitzt.

Dr. ROBERT GERALD LIVINGSTON, geb. 1927, ist Senior Visiting Fellow am Deutschen Historischen Institut in Washington.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11, November 2007, S.90 - 95.

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