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01. Okt. 2004

Die CIA und ihre Partner im Ausland

Austausch von Geheimdiensterkenntnissen, Terrorismus und der Irak-Krieg

Der Bericht der Sonderkommission zum 11. September und der Bericht des Senats-Geheimdienstausschusses
über die Entwicklungen bis zum Irak-Krieg stellten in diesem Sommer die US-Nachrichtendienste
in all ihren Schwächen bloß. Die meisten „Fakten“ zur Rechtfertigung des Irak-Kriegs waren bestenfalls schlampig recherchiert, schlimmstenfalls gefälscht. Auch mit der weltweit besten Ausstattung ihrer Dienste
können die USA die Abhängigkeit von ausländischen Quellen nicht kompensieren.

Seit mehr als drei Jahren, vor allem seit dem 11. September 2001, stehen die amerikanischen Nachrichtendienste unter scharfer Beobachtung. Nie zuvor ist so viel öffentlich bekannt geworden über diese geheimen Dienste und ihre Art zu arbeiten. Ursache für diese Publizität war ihr katastrophales Versagen, das schlimmste in der ganzen amerikanischen Geschichte.

Die Dienste erkannten keinerle Warnzeichen für die Terrorattacken, oder zumindest stellten sie bei denen, die sie mitbekamen, keinen Zusammenhang her. 2002 und 2003 sahen sie Anzeichen dafür, dass Saddam Husseins Irak chemische und biologische Waffen anhäufte und dabei war, nukleare zu bauen – Anzeichen, die sich als falsch entpuppten, sobald das Land besetzt war und amerikanische Inspektoren eine einjährige Suche durchgeführt hatten.

Diese Fehlschläge wurden in diesem Sommer in zwei vernichtenden öffentlichen Dokumenten beschrieben: dem Bericht der Sonderkommission zum 11. September und dem Bericht über die Entwicklungen bis zum Irak-Krieg vom Geheimdienstausschuss des amerikanischen Senats.1 Die Anhörungen, die diesen Berichten vorausgingen, stellten die Schwächen der Nachrichtendienste (von denen es insgesamt zwölf gibt, die CIA ist nur der bekannteste) in all ihren massiven und beschämenden Details bloß. CIA-Direktor George Tenet trat im Juli 2004 zurück. Sein Dienst und die anderen, eingeschlossen die Inlandskriminalpolizei und der Inlandsnachrichtendienst (zusammengeschlossen im FBI), stehen vor gewaltigen Umstrukturierungen.

An der Spitze des Katalogs von CIA-Schwächen, auf die der Senatsausschuss hinwies, findet sich die ausufernde, langjährige Abhängigkeit des Dienstes von Informationen der Nachrichtendienste anderer Länder, sowohl was islamistische Terroristen als auch was Saddams Irak angeht. Die CIA, so stellte sich heraus, hatte vor den Angriffen auf Irak und Afghanistan keinen einzigen eigenen Agenten in diesen Ländern. Fast alle geheimen Berichte, die Präsident George W. Bush in seiner Rede zur Lage der Nation im Januar 2003 oder Außenminister Colin Powell in seiner Rede vor den Vereinten Nationen Anfang Februar 2003 zur Rechtfertigung der Irak-Invasion benutzten, kamen von irakischen Exilpolitikern wie Ahmed Chalabi und seinen Anhängern oder von den ausländischen Partnern der CIA, im CIA-Jargon „Verbindungsdienste“ genannt.

„Das sind keine Annahmen“, teilte Powell den UN mit, als er seine Indizien für die Bedrohung durch Irak vorstellte. „Was wir Ihnen geben, sind Fakten und Schlussfolgerungen, die auf solider Geheimdienstarbeit beruhen.“ Doch das meiste davon war bestenfalls schlampig, schlimmstenfalls schlicht gefälscht.

Was waren die alarmierendsten Details, die Bush und Powell anführten, um die unmittelbare Gefährdung durch Irak zu illustrieren?

– Mobile Biowaffen-Laboratorien: Sie waren zentraler Bestandteil von Powells Argumentation. Der entscheidende Bericht kam vom Bundesnachrichtendienst, der anfangs seiner Quelle, einem irakischen Überläufer, sehr stark vertraute. Diese Quelle, der man den traurig passenden Tarnnamen „Curve ball“ gegeben hatte, wurde später total diskreditiert.

 –Irakische Urankäufe in Niger: Bush betonte dies besonders. Der Originalbericht kam von den britischen und italienischen Diensten. Die amerikanischen Dienste hatten große Zweifel, versäumten es aber, diese auch dem Präsidenten mitzuteilen.

– Verbindungen zwischen Irak und Al-Khaïda: Der Beweis, dass Irak mit der Terrororganisation Al Khaïda kooperiert hatte, die für den 11. September verantwortlich war, war ausschlaggebend für die Anstrengungen der Bush-Regierung, die Amerikaner davon zu überzeugen, dass ihr Krieg gegen Irak und der „Krieg“ gegen Terrorismus ein und dasselbe seien. Am meisten hat sich Vizepräsident Dick Cheney darum bemüht. Ein Bericht, der für solche Annahmen wichtig war, die Cheney immer wieder öffentlich wiederholte, kam vom tschechischen Geheimdienst. Tschechische Videokameras hatten angeblich im April 2001 einen der Entführer des 11. September gefilmt, als er sich mit einem irakischen Nachrichtenoffizier in Prag traf. Nach sorgfältiger Untersuchung kam die 9/11-Kommission zu dem Schluss, dass die Indizien den Bericht nicht rechtfertigten. Außerdem fand sie heraus, dass es überhaupt keine „operative Kooperation“ zwischen Irak und Al Khaïda gegeben habe. CIA-Analysten hatten vor dem Senatsausschuss ausgesagt, dass ihre gesamten Informationen über die Verbindung Irak–Al-Khaïda von verbündeten Diensten gekommen seien.

–  Chemiewaffen, verbotene Raketen: Woher diese Informationen kamen, ist weniger klar. Mehrere amerikanische Spionagespezialisten haben einiges davon dem israelischen Mossad und dem jordanischen Nachrichtendienst zugeschrieben.

Das Interesse an den CIA-Berichten, auf denen die Entscheidung der Bush-Regierung zum Irak-Krieg basierte, hat auch ein Schlaglicht auf einen nebulösen Bereich der internationalen Politik geworfen, der lange vernachlässigt worden ist: die Zusammenarbeit der nationalen Geheimdienste. Im Kampf gegen den islamistischen Terror spielt diese Dimension eine entscheidende Rolle, und sie ist mindestens genauso wichtig wie die traditionellen militärischen, diplomatischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aspekte internationaler Beziehungen. Denn obwohl Spionage seit je her ein wesentliches Werkzeug in Krieg und Diplomatie gewesen ist, gibt es im Bereich der Nachrichtensammlung keine Gesetze und Vorschriften; es gibt dort keinerlei internationale Statuten, keine Wiener oder Genfer Konvention.

Selbst die oberflächlichste Betrachtung des Geheimdienstgeschäfts zeigt, wie albern Präsident Bushs Forderung an andere Länder war, „entweder mit uns oder gegen uns“ zu sein. Länder, die gegen Amerikas Irak-Krieg waren, können trotzdem mit uns zusammenarbeiten, indem sie nachrichtendienstliche Erkenntnisse weitergeben. Gegenseitiges Misstrauen herrscht sogar zwischen den Diensten von Ländern, die sich politisch auf die Unterstützung des Irak-Kriegs festgelegt hatten. In diesem Bereich der internationalen Politik ist Doppelbödigkeit gang und gäbe.

Wie die Anhörungen in diesem Jahr enthüllten, sind die meisten amerikanischen Geheimdienstagenten im Ausland – von der CIA, der Defense Intelligence Agency (DIA) des Verteidigungsministeriums bis zum FBI und anderen – an die jeweiligen Botschaften der USA angeschlossen, wo sie als Diplomaten oder Militärattachés unter schwachem Alibi operieren. Sie haben zwei Aufgaben: Spione anzuwerben und die Verbindungen mit den lokalen Diensten zu pflegen, um Geheimdiensterkenntnisse auszutauschen. Sie arbeiten mit ihren Pendants, im Falle Deutschlands die CIA mit dem BND und der FBI mit dem Verfassungsschutz, zusammen. Generell rekrutieren Geheimdienstagenten, die zu einer Botschaft gehören, keine Spione, die gegen das Gastland arbeiten, wenn es ein Alliierter ist; allerdings wird diese Regel auch oft durchbrochen. In jüngster Zeit haben etwa amerikanische Agenten schon deutsche und französische Offizielle angesprochen.

Informationsaustausch

Der Austausch von Geheimdienstinformationen ist ein strenges Quid-pro-quo-Tauschgeschäft. Es findet selten innerhalb von Allianzen statt; meistens wird es bilateral abgewickelt, zwischen zwei nationalen Regierungen. In diesen bilateralen Tauschgeschäften hatten die USA einen enormen Vorteil im Vergleich zu ihren Partnern, weil sie seit den fünfziger Jahren enorme Summen in die technische Seite des Nachrichtensammelns investiert hatten, also in Ausrüstung für das Abhören von Tele- fon-, Radio- und anderen elektronischen Sendungen und in eine Flotte von Satelliten für die Fotografie aus großen Höhen und aus dem All – auf diesen Gebieten konnte den USA niemand das Wasser reichen. Ausländische Partner sind generell besser in der Nachrichtensammlung durch Menschen, also echten Spionen, eine Kategorie, die „humint“ (human intelligence) genannt wird.

Das geschätzte Jahresbudget aller amerikanischen Dienste liegt bei 40 Milliarden Dollar jährlich, obwohl es nach dem 11. September riesige Steigerungen gegeben hat. Diese Gesamtsumme ist wahrscheinlich höher als die Etats der Geheimdienste aller anderen Länder zusammen. Der CIA-Anteil daran dürfte bei fünf bis sechs Milliarden Dollar liegen. Dieser Reichtum gibt den amerikanischen Diensten einen zweiten großen Vorteil bei Verhandlungen mit fremden Diensten in die Hand: einige nahöstliche Dienste werden von ihnen verschwenderisch mit Ausrüstung und Geldmitteln ausgestattet.

Ein alter CIA-Scherz besagt, dass es so etwas wie einen „befreundeten Nachrichtendienst“ nicht gibt. Dennoch hat die CIA engere und weniger enge Partner. An der Spitze steht eine Art „Gold Card Club“, der bis in Zeiten des Zweiten Weltkriegs zurückreicht: die Briten, Kanadier, Australier und Neuseeländer. Fast so befreundet – vielleicht sogar noch enger befreundet – ist der Mossad. In den Anfängen des Kalten Krieges stand die CIA Pate für Spionageabteilungen in Südkorea, Taiwan und der Bundesrepublik, und sie kooperiert immer noch gut mit ihnen.

Gegenüber dem BND besteht jedoch noch aus den Tagen des Kalten Krieges ein gewisses Misstrauen, weil er damals mehrfach von ostdeutschen Agenten infiltriert worden war. Der Fokus der amerikanischen Außenpolitik weg von Europa hin zum Nahen Osten und Südasien hat den Nachrichtenaustausch mit alten Partnern wie Marokko, Jordanien, Ägypten, Saudi-Arabien, Malaysia, Indonesien und Pakistan wiederbelebt; die Antiterrorkampagne hat zudem neue Arbeitsbeziehungen zu Ländern aktiviert, mit denen die USA politische Differenzen gehabt haben, wie mit Jemen, Sudan und Algerien. Die CIA unter Tenet hat sehr geschickt Verbindungen zu nahöstlichen Ländern gepflegt, über einen speziellen Gesandten für den Israel-Palästina-Konflikt auch mit den palästinensischen Sicherheitsdiensten. Trotz der Einwände des Pentagons hat Tenet sogar versucht, Syrien in die Austauschpartnerschaft einzubinden; er hat mehrere Reisen nach Damaskus unternommen.

Doch beim Nachrichtenaustausch könnte die CIA ihre Vorteile gegenüber den Partnern bald verlieren. Denn Amerikas technologischer Vorsprung vermindert sich und der Wert von „humint“ steigt, wenn es darum geht, islamistische Terroristen aufzuspüren, die sich in Berghöhlen oder den Slums nahöstlicher, asiatischer und afrikanischer Städte verbergen.

Kolonialgeschichte, geographischer Standort oder verwandte ethnische Gruppen im Ausland schaffen „Nischen“ der Stärke in Gegenden, wo die Vereinigten Staaten nicht mithalten können: Großbritannien im Persischen Golf oder in Hongkong, Frankreich in West- und Nordafrika, Italien in Teilen von Ost- und Nordafrika und Spanien in Marokko. Deutschland brüstet sich mit Verbindungen in Iran und Afghanistan, die Türkei verfügt über exzellente Quellen bei der turkmenischen Minderheit in Irak, österreichische Dienste kennen den Balkan sehr gut.

Die nachrichtendienstliche Kooperation scheint auf zwei Feldern für die USA am besten zu funktionieren: Im Kampf gegen den Terrorismus und gegen die Proliferation von Massenvernichtungswaffen. Seit dem 11. September haben sich die internationalen Anstrengungen zur Terrorismusbekämpfung deutlich verstärkt. Trotz der Opposition von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Staatspräsident Jacques Chirac gegen den Irak-Krieg haben deren Geheimdienstprofis weiter sehr effektiv mit den Amerikanern gearbeitet, um Informationen über gefährliche Islamisten zu identifizieren und weiterzuleiten.

Diese Aktivitäten gegen den Terrorismus haben auch die amerikanische Zusammenarbeit mit den Inlandsgeheimdiensten anderer Länder intensiviert, die in vielen Ländern – zum Beispiel in Frankreich – besser zu funktionieren scheinen als die Außenspionagedienste; zudem verfügen Dienste vor allem im Nahen Osten über polizeiliche Befugnisse, die ihre Datensammelkapazitäten verstärken. Da Terroristen qua definitionem eine Bedrohung von Sicherheit und Ordnung darstellen, sehen nationale Regierungsvertreter, die für diese Ordnung zuständig sind, gute Gründe um zu kooperieren.

Auch die relativ wenigen Nuklearstaaten und Länder wie Deutschland, die selbst keine Atombewaffnung anstreben, haben Anlass sich zu verbünden, um Länder wie Iran und Nordkorea am Erwerb von Atomwaffen zu hindern. Selbst die unilateralsten Spitzenleute in Washington, etwa Staatssekretär John Bolton aus dem Außenministerium, haben sich daher eingesetzt für multilaterale Geheimdienstzusammenarbeit gegen den Handel mit Massenvernichtungswaffen. Britische Nachrichtendienste spielten eine entscheidende Rolle bei der Aufdeckung des geheimen Nuklearwaffennetzwerks, das der pakistanische Wissenschaftler Abdul Qadeer Khan betrieb.

Der Nachrichtenaustausch funktioniert weniger gut, wenn es darum geht, Informationen zwischen der CIA und ihren Partnern über die militärischen, politischen und wirtschaftlichen Absichten und Fähigkeiten von Drittländern auszutauschen. Solche Informationen könnten zu leicht verzerrt sein durch die eigene politische Motivation des Partners. Manches deutet zum Beispiel darauf hin, dass die politische Führung Israels, das Irak lange als Risiko für die eigene Sicherheit betrachtete, ans Pentagon und an das Weiße Haus besonders alarmierende Berichte über irakische A-, B- und C-Waffen weitergeleitet hat.

Politische Faktoren

Fast alle Informationen sind politisiert. Nachrichtensammlung und -austausch werden sogar stärker durch rein politische Faktoren beeinflusst als die anderen Instrumente der Außenpolitik eines Landes, weil es keine interessierte Inlandsklientel gibt, die der Regierung auf die Finger sieht, so wie es etwa Wirtschaftsunternehmen bei den ökonomischen Beziehungen tun und Universitäten beim kulturellen und Bildungsaustausch. Auf nachrichtendienstlichem Gebiet entscheidet die Regierung allein und im Geheimen über ihre Prioritäten und Abläufe. Die Ausrichtung von geheimdienstlicher Tätigkeit – welche Länder verdienen Beachtung und daher mehr Nachrichtenquellen? – ist eine rein politische Entscheidung, und die Prioritäten der Partner stimmen gewöhnlich nicht mit denen der CIA überein. Selbst Großbritannien konzentrierte sich erst auf Irak, als die USA nach dem 11. September ihr Interesse signalisiert hatten.

Operative Probleme

Operative Probleme erschweren den Nachrichtenaustausch. Das erste und allerwichtigste Gebot jeder Spionageorganisation lautet: „Schütze deine Quellen“, und das gilt auch für den Austausch mit fremden Diensten. 20 Prozent des Senatsreports wurden daher geschwärzt, bevor er veröffentlicht wurde, hauptsächlich weil diese Stellen Hinweise auf sie enthielten.

In der Vergangenheit haben amerikanische Dienste ihre Quellen sogar vor dem Präsidenten selbst geheim gehalten. Jeder Dienst hat instinktiv das Gefühl, die Erkenntnisse, die er gesammelt hat, „gehörten“ ihm; er teilt sie nur zögerlich mit anderen Organisationen, ob im In- oder Ausland. Wenn die CIA einen Bericht eines Nachrichtendienstes aus dem Ausland erhält, muss sie sich auf die Einschätzung des fremden Dienstes, was die Zuverlässigkeit der Quelle angeht, verlassen; fast nie gibt es die Möglichkeit zu erfahren, wer die Quelle ist, und sie zu befragen. Das war der Fall mit dem berüchtigten „Curve Ball“: Nachdem ein amerikanischer Agent mit ihm gesprochen hatte, untersagte der BND den weiteren Zugang, und die CIA musste sich mit schriftlichen Fragen an ihre deutschen Kollegen zufrieden geben.

Geheimdienstmaterial wird selten „roh“ weitergegeben, sondern in Form von bearbeiteten Zusammenfassungen. Der Austausch solcher redigierten Berichte von geheimgehaltenen, nur vage identifizierten Quellen kann den berüchtigten „Echo-Effekt“ erzeugen: Dabei können mehrere Berichte von verschiedenen ausländischen Diensten bei der CIA den Eindruck erwecken, dass sie übereinstimmende Informationen von mehreren Quellen erhält, obwohl die Information in Wahrheit von einer einzigen Quelle stammt. Das passierte wahrscheinlich mit der Nachricht von den mobilen irakischen Biowaffenlabors.

Ein anderes Problem stammt daher, dass die Vereinigten Staaten bisher sehr geizig mit der Weitergabe von Wissen waren, das ihre eigenen Satelliten und massiven elektronischen Abhöranlagen liefern. Das meiste davon haben sie zwar sicher an „Gold-Card-Club“-Mitglieder wie Großbritannien weitergereicht, und für operative Zwecke geben sie durchaus auch Informationen auf Ad-hoc-Basis weiter. In den achtziger Jahren zum Beispiel erhielt Saddam Husseins Irak amerikanische Satellitenfotos von iranischen Truppenbewegungen; heute bekommt Pakistan Fotos von den Stammesgebieten an der afghanischen Grenze, die die pakistanische Armee zu kontrollieren versucht. In anderen Fällen haben die USA eher dazu geneigt, ihr Material für sich zu behalten, wobei sie lange über ein Monopol verfügten. Dieses Monopol hat sich im vergangenen Jahrzehnt jedoch abgeschwächt, da kommerzielle Firmen inzwischen Satellitenfotos zum Kauf anbieten.

Die gravierenden Geheimdienstfehler vom 11. September haben nun ganz deutlich gemacht, dass Amerika bessere Geheimdienste braucht. „Elegante Erkenntnisse“, so Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, seien für den Erfolg der Bush-Doktrin des Präemptivkriegs absolut notwendig. Denn um eine solche Doktrin zu rechtfertigen und umzusetzen, müssen die Vereinigten Staaten vorher sehr viel mehr über eine potenzielle Gefahr von außen wissen als sie im Fall Irak tatsächlich wussten oder über die zwei Mitglieder der „Achse des Bösen“, Nordkorea und Iran, scheinbar wissen.

Der entscheidende Faktor beim Umbau der amerikanischen Geheimdienstkapazitäten ist die massive Erhöhung der Zahl von Agenten im Ausland. Präsident Bush hat eine solche Erhöhung verlangt; sein demokratischer Gegenkandidat John Kerry will ihre Zahl verdoppeln. Aber George Tenet, sein Nachfolger John McLaughlin und die meisten amerikanischen Geheimdienstspezialisten schätzen, dass der Wiederaufbau der „Humint“-Fähigkeiten der Behörde mindestens fünf bis zehn Jahre dauern wird, wenn nicht eine ganze Generation. In der Zwischenzeit wird die Abhängigkeit der CIA von ausländischen Diensten eher noch zunehmen.

Mehr Effektivität

Wie also kann der Nachrichtenaustausch effektiver gemacht werden? Eine Erklärung für das Geheimdienstversagen in Irak war nach dem Senatsbericht das Fehlen von konkurrierenden Perspektiven, mithilfe derer man die CIA-Einschätzungen hätte einordnen können. Fremde Dienste mit ihren unterschiedlichen Ausgangspunkten, Erfahrungen und Quellen können etwas darstellen, was Tenets Nachfolger „einen nichtsatanischen Advocatus Diaboli“ nennt. Die Beurteilung fremder Dienste von Situationen an Orten wie Irak, Afghanistan, Iran, Nordkorea oder Kosovo können mit den CIA-Einschätzungen in multilateralen Organisationen wie der NATO oder sogar den UN verglichen werden.

Aber es wäre zuviel erwartet, dass die Dienste die Quellen enthüllen, auf denen ihre Einschätzungen beruhen; die Staatschefs unterschiedlicher Länder, denen die Chefs der Geheimdienste unterstellt sind, haben selbstverständlich unterschiedliche Positionen zu vielen Fragen der internationalen Politik. Deswegen ist es kaum der Mühe wert, in solchen Fragen gemeinsame nachrichtendienstliche Einschätzungen anzustreben. Das war noch möglich während des Kalten Krieges, als die Unterschiede zwischen den Regierungschefs in der Beurteilung der sowjetischen Bedrohung kaum differierten, aber etwa in Sachen Iran wäre das heute wesentlich schwieriger. Immerhin sollte zumindest der Vergleich der Einschätzungen die amerikanischen Dienste dazu veranlassen, Quellen, Annahmen und Schlussfolgerungen genauer zu überprüfen.

Die USA müssen auch selbst mehr hergeben – nämlich ihre über Satelliten und elektronisch gewonnenen Erkenntnisse –, um mehr zu bekommen, sprich die von Spionen beschafften Erkenntnisse, die kleinere Partner in ihren „Nischen“ auf Grund ihrer historischen, geographischen und anderen Vorteile beisteuern können. Die Vereinigten Staaten sollten „Gold-Card“-Mitgliedschaften nicht nur den angelsächsischen Verbündeten aus dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch allen EU-Mitgliedern und langjährigen Verbündeten wie Japan und Südafrika anbieten.

Die doppelten Geheimdienstkatastrophen von 2001 und 2003 könnten sich als heilsamer Schock entpuppen, wenn sie den effektiveren Nachrichtenaustausch der USA befördern, zumindest was den islamischen Terrorismus betrifft – und zwar den Austausch mit den NATO-Verbündeten, mit situativen Verbündeten wie Israel, Ägypten, Jemen, Pakistan und Jordanien, gelegentlichen wie Sudan, Algerien und den Palästinensern, und eines Tages vielleicht sogar mit Syrien und Iran.

Anmerkung

1 Beide Berichte sind in Auszügen in der Dokumentation dieses Heftes enthalten, zu finden unter <www.internationalepolitik.de&gt;.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 10, Oktober 2004, S. 75-82

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