Eigenverantwortung statt Zentralismus
Dem Euro hilft weder eine Transferunion noch eine gemeinsame Finanzpolitik
Eine Lösung der Euro-Krise zieht sich hin, auch weil sich die zuletzt häufig ins Feld geführte Transferunion oder die Errichtung einer gemeinsamen EU-Finanzpolitik bei näherer Betrachtung als untauglich erweisen. Dabei ist im Vertrag von Maastricht eine funktionstüchtige Währungsunion angelegt – es fehlt nur ein Austiegsmechanismus.
Im Mittelpunkt einer künftigen Finanzordnung der Euro-Zone muss ein System stehen, das nachhaltiges Wirtschaften belohnt und Fehlentwicklungen bestraft. Diese einfach klingende, tatsächlich aber komplexe, strukturelle Frage ist der Grund, warum seit 2010 so leidenschaftlich um eine Lösung der Euro-Krise gerungen wird. Mögliche Krisenländer, einschließlich Italien, sehen sich von aggressiven Finanzmärkten bedrängt und suchen Hilfe bei anderen Staaten, allen voran von Deutschland. Die möglichen Geberländer hingegen sorgen sich nicht nur um den eigenen Staatshaushalt, sondern fragen, ob in Europa ein System geschaffen werden soll, das dauerhafte Transfers von einigen Mitgliedsländern in andere vorsieht.
Das Scheitern von Transfers
Die Forderung nach der Etablierung solch eines europäischen Finanzausgleichs wirft die Frage auf, welche funktionierenden Vorbilder angeführt werden könnten. Innerhalb Deutschlands steht der so genannte Länderfinanzausgleich – erfolgreiche Länder wie Bayern unterstützen ärmere Länder wie Bremen – seit langem auf dem Prüfstand. Kritiker bemängeln die Misserfolge und verweisen darauf, dass der Großteil der von den „reichen“ Bundesländern zusätzlich erwirtschafteten Steuereinnahmen in den Finanzausgleich fließt. Die Anreize für erfolgreiches Wirtschaften werden damit deutlich reduziert.
Auch die Transfers in die fünf ostdeutschen Länder können kaum als Erfolgsmodell gelten. Obwohl seit zwei Jahrzehnten jedes Jahr etwa vier Prozent der westdeutschen Wirtschaftsleistung nach Ostdeutschland transferiert werden, ist ein sich selbst tragender Aufholprozess nicht zu beobachten. Zwar haben die Transfers zu einer „beispiellosen Wohlstandsexplosion“ (ifo Institut) geführt, aber wirtschaftliche Dynamik entfachten die Transfers nicht im erhofften Umfang. In Italien versucht die Politik schon sehr lange, den Süden des Landes durch Transferzahlungen zu entwickeln, und eine realistische Analyse kann nur das Scheitern dieses Ansatzes konstatieren. Der Süden Italiens ist weit davon entfernt, zu den wirtschaftlich erfolgreicheren Gebieten im Norden des Landes aufzuschließen. Belgien, das einen institutionalisierten Transfer zwischen Flandern und Wallonien kennt, droht an der Frage der Transferzahlungen sogar zu zerbrechen. Zur Weiterentwicklung des europäischen Integrationsprozesses wäre eine Transferunion deshalb denkbar ungeeignet.
Selbstredend kennt die Europäische Union heute schon Hilfen für weniger entwickelte Regionen im Rahmen der Struktur- und Kohäsionsfonds. Dabei geht es um Maßnahmen zur Verbesserung etwa der Infrastruktur. Im Kontext der Schuldenkrise wäre ein wichtiges Kriterium zum Erhalt von Transfers allerdings nicht geringer Entwicklungsstand, sondern hohe, nicht mehr bedienbare Verschuldung. Aber in der Diskussion um Transferzahlungen geht es auch weniger um die Überwindung von unterschiedlichen Entwicklungsniveaus, sondern die Befürworter argumentieren interessen- und nutzengeleitet. Deutschland habe großes Interesse an einem stabilen Euro, was zweifellos stimmt. Vor allem aber sei es der Hauptnutznießer des Euro. Stimmt dies auch?
Wer profitierte vom Euro?
Richtig ist, dass die deutsche Wirtschaft von der Schaffung eines größeren Binnenmarkts profitiert hat. Diese Vergrößerung fand schrittweise statt – beginnend mit der Vollendung der Zollunion im Jahr 1968 über die verschiedenen Erweiterungsrunden hin zur heutigen 27er-Gruppe. Aber dieser Nutzen aus dem Binnenmarkt unterscheidet sich von den Vorteilen aus der Schaffung der Euro-Zone. Hier haben andere Staaten sehr viel mehr profitiert als Deutschland.
Die Einführung einer gemeinsamen Währung hatte zwei Effekte, die deutlich voneinander zu trennen sind. Erstens wurden die Wechselkurse dauerhaft fixiert, und zweitens sank das Zinsniveau auf das schon vor der Währungsunion in Deutschland und einigen anderen Staaten zu beobachtende Ausmaß. Die gemeinsame Währung reduziert Transaktionskosten, und dies nutzt vor allem denjenigen Unternehmen, die sehr viel exportieren. Die deutsche Wirtschaft zieht aus dieser Verbesserung der Rahmenbedingungen deshalb einen überproportionalen Nutzen, weil hiesige Unternehmen aktiv und erfolgreich sind. Firmen in anderen Ländern haben im Prinzip aber die gleichen Vorteile aus der gemeinsamen Währung.
Niedrigere Zinsen waren in Deutschland nahezu gar nicht, in anderen Ländern aber sehr wohl zu beobachten. Ökonomien wie Italien, Griechenland oder Spanien mussten Mitte der neunziger Jahre – also vor dem Beginn des Konvergenzprozesses – sowohl für staatliche als auch für private Kreditaufnahmen sehr hohe Zinssätze zahlen. Bis in die späten neunziger Jahre war das niedrige Zinsniveau in Deutschland immer wieder als unangemessener Wettbewerbsvorteil der deutschen Wirtschaft kritisiert worden, gerade von italienischen Beobachtern. Dies änderte sich mit der Währungsunion. Mit der Schaffung der Euro-Zone sind die Sätze auf in diesen Ländern zuvor völlig unbekannte niedrige Niveaus gefallen. Sowohl staatliche als auch private Schuldner vor allem im Süden Europas haben von diesen gesunkenen Zinsen enorm profitiert.
Deutlich wird diese Entwicklung, wenn man die auf die Staatsverschuldung anfallenden Zinskosten im Jahr 1994 und im Jahr 2007 miteinander vergleicht. Für Deutschland ist nur eine geringfügige Senkung der Zinskosten für die Staatsverschuldung zu beobachten. Diese sanken von 2,6 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 1994 auf 2,4 Prozent im Jahr 2007. Ganz anders die Zahlen für Griechenland, das 1994 noch volle 11,9 Prozent der Wirtschaftsleistung für Zinsen auf die Staatsverschuldung aufwenden musste. 2007 waren die Zinszahlungen auf nur noch 4,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückgegangen. Die Ersparnis für den griechischen Staat gegenüber 1994 machte beachtliche 7,7 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Dies entsprach 2007 etwa 17,5 Milliarden Euro. Vergleichbar war der Rückgang in Italien. Rom musste im Jahr 2007 für den Zinsdienst nicht mehr 10,6 Prozent des BIP, sondern nur noch 4,7 Prozent aufwenden. Bei einer Wirtschaftsleistung von 1485 Milliarden Euro hatte der italienische Staat im Jahr 2007 rein rechnerisch knapp 88 Milliarden Euro geringere Zinskosten – ein gewaltiger Effekt. Auch Belgien, Irland, Portugal und Spanien haben von den durch die Währungsunion gesunkenen Zinsen deutlich profitiert.
Die früheren Hochzinsländer haben also enorm von der Einführung des Euro profitiert, und sie haben diese goldene Gelegenheit weder zum Abbau der Staatsschulden noch zu Investitionen der privaten Wirtschaft genutzt. Italiens Wirtschaft etwa verliert seit Jahren an internationaler Konkurrenzfähigkeit, unter anderem wegen zu geringer Investitionen der privaten Wirtschaft. Weder dem italienischen noch dem griechischen Staat ist es gelungen, eine effiziente Steuerverwaltung aufzubauen und die Schattenwirtschaft erfolgreich zu bekämpfen. Dies sind Versäumnisse, die allein von den heutigen Krisenländern, nicht jedoch von Deutschland und anderen Ländern der Euro-Zone zu verantworten sind.
Sollte Deutschland Italien retten?
Viel zu wenig Beachtung wird in der Diskussion der Frage gewidmet, wer denn eigentlich „gerettet“ wird. Zumeist heißt es, dass es um die Rettung von Staaten geht. Dies ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Genauso wichtig ist, dass es um die Rettung der Gläubiger geht. Deshalb können die bisherigen Maßnahmen in der Euro-Zone auch als Gläubigerschutzprogramm bezeichnet werden. In einer kapitalistischen Wirtschaft ist dies ein zu begründender Ausnahmefall und kann nicht die Regel sein. Wer Risiken eingeht, profitiert von Gewinnen, muss aber auch die Verluste tragen. Die Aushebelung dieses kapitalistischen Grundprinzips schwächt die Marktwirtschaft strukturell und macht sie anfällig für immer neue Forderungen nach Hilfspaketen – ein gegenwärtig auch überall zu beobachtendes Phänomen.
Wenn heute Transferzahlungen zur Überwindung der Schuldenkrise in Griechenland und anderen Ländern in die Diskussion gebracht werden, dann ist zu fragen, ob diese Mechanismen auch für Italien Anwendung finden sollten. Der Fall Italien – Ende 2010 betrug die Verschuldung 1844 Milliarden Euro – würde die Geberländer politisch wie ökonomisch überfordern. Vor allem die politische Dimension ist problematisch. Die „Schuldenbremse“, das im deutschen Grundgesetz verankerte Verbot, in großem Umfang neue Schulden zu machen, bliebe von eventuellen innereuropäischen Transferzahlungen natürlich unberührt. Sollte die Bundesregierung die Kosten der Entschuldung Griechenlands, Portugals und Italiens dem Steuerzahler aufbürden, wären diese Mittel auf Kosten anderer Etatposten im Bundeshaushalt einzusparen. Es bedarf nur wenig Phantasie, sich die innenpolitische Diskussion vorzustellen. Die Kürzung von Renten oder die Streichung anderer Sozialleistungen könnten nötig werden, um Transferzahlungen zu ermöglichen. Dies hätte in Deutschland kaum abschätzbare politische Konsequenzen.
Wer ist reich und wer ist arm?
Gerne unterstellen Beobachter, Deutschlands Bürgerinnen und Bürger seien reich, zumindest reicher als die Nachbarn. Dies war einmal so, aber heute sind Deutsche nur noch durchschnittlich wohlhabend. Dies zeigt der Vergleich mit Italien. Schon bei der Betrachtung des Bruttovermögens – berücksichtigt werden Bankguthaben, Wertpapiere und Versicherungen – liegt Italien im Jahr 2010 mit 60 818 Euro vor Deutschland mit 60 123 Euro.[1] Noch schlechter stehen Deutsche bei Betrachtung aller Vermögenswerte – einschließlich von Immobilien – da. Die Nettovermögensposition italienischer Haushalte – unter Berücksichtigung aller Vermögenswerte – betrug nach Zahlen der OECD Ende 2008 rund 820 Prozent des nominalen Jahreseinkommens. Das Vermögen eines Haushalts in Italien betrug also mehr als das Achtfache eines Jahreseinkommens. Die Vergleichszahl für Deutschland lautet lediglich 610 Prozent. Italienische Privathaushalte sind also – unter Ausblendung der etwas, aber nicht dramatisch divergierenden Haushaltseinkommen – reicher als diejenigen in Deutschland. In absoluten Zahlen heißt dies, dass der durchschnittliche Bürger in Italien Ende 2008 über ein Vermögen, einschließlich eigener Immobilien, von 160 000 Euro verfügte, in Deutschland hingegen nur über 130 000 Euro.
Eine der Ursachen für diesen privaten Wohlstand bei gleichzeitiger öffentlicher Armut ist, dass sich die italienische Gesellschaft und die anderer Problemschuldner, vor allem Griechenland, entschlossen haben, niedrigere Steuern zu erheben als dies für eine nachhaltige Fiskalpolitik notwendig gewesen wäre. Auch deshalb können Transferzahlungen zur Entschuldung überschuldeter Länder als politisch nicht legitimiert betrachtet werden. Sie würden eine Fiskalpolitik belohnen, die die eigenen Bürger schonte und diesen den Aufbau beachtlicher privater Vermögenspositionen erlaubte. Die seriös und nachhaltig wirtschaftenden Geberländer würden hingegen unangemessen belastet. Über kurz oder lang würden diese schwach legitimierten Transfers in den Geberländern die Frage nach den Kosten und dem Nutzen des Integrationsprozesses aufwerfen. Ein europäischer Finanzausgleich wäre also nicht nur ökonomisch schädlich, sondern würde auch das Projekt der europäischen Integration gefährden.
Wider einen EU-Zentralismus
Dennoch wird die Forderung nach einer einheitlichen Finanzpolitik in Europa erhoben. Gern wird dabei auf die Vereinigten Staaten von Amerika verwiesen. Diese seien das Vorbild, und Europa müsse dem amerikanischen Beispiel folgen. Aber muss es das wirklich?
Europa und die USA haben sich in völlig unterschiedlichen historischen Kontexten entwickelt. Die weißen Siedler haben das alte System – die indianische Kultur – vollständig verdrängt. Die sich vereinigenden Staaten haben sich Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine neue wirtschaftliche und finanzpolitische Struktur gegeben und mussten dabei auf unterschiedliche historische Traditionen keine Rücksicht nehmen. Europa hingegen besteht aus einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Staaten und Regionen, die nur unter großen Verlusten in eine gemeinsame Ordnung zu pressen wären. Diese Unterschiedlichkeit war in der Vergangenheit eine Stärke Europas. Darauf sollte nicht ohne Not verzichtet werden.
Dazu kommt, dass gemeinsame, zentralisierte Finanzpolitik auch heißt, dass die Steuerverwaltung einheitlichen Richtlinien folgt. Die Steuererhebung muss zwischen Thessaloniki und Hamburg, zwischen Porto und Den Haag einheitlich sein. Ein gewaltiger Krafttakt, der vielleicht in zwei, drei Generationen bewältigt werden könnte, der aber nicht per Beschluss der Staats- und Regierungschefs verordnet werden kann. Wir wissen aus der Geschichte, dass Mentalitäten sich nur sehr langsam oder gar nicht ändern. Die Annales-Schule um Fernand Braudel hat dieses Phänomen der „longue durée“ schon vor langer Zeit analysiert. Mentalitäten und Einschätzungen – etwa die Haltung dem Staat und seiner Finanzverwaltung gegenüber – unterscheiden sich in den einzelnen Ländern. Deshalb wird ein zentralistischer Ansatz Europa und seinen Menschen nicht gerecht. Der Vertrag von Maastricht, der heute oft als unzureichend kritisiert wird, enthält eine noch immer überzeugende und für den europäischen Kontext maßgeschneiderte Form der Währungsunion – mit stabilen Wechselkursen und einer deutlichen Angleichung der Zinssätze. Zugleich bleibt die Souveränität der Mitgliedstaaten in der Finanzpolitik weitgehend erhalten. Die Kehrseite dieser Medaille ist, dass Mitgliedsländer der Euro-Zone scheitern können und möglicherweise den Bankrott erklären müssen. Autonomie kann es nicht ohne Risiken geben: Der Preis der Freiheit ist die Möglichkeit des Scheiterns.
Dieses akzeptierte Prinzip soll nun aufgegeben werden zugunsten einer zentralisierten Finanzpolitik. Brüssel, nicht mehr Ljubljana oder Madrid, hätte in der Fiskalpolitik das letzte Wort. Die Mitgliedsländer der Euro-Zone würden entmündigt zugunsten einer zentralen Behörde, die fiskalpolitische Entscheidungen absegnen müsste. Während bislang Märkte für eine gewisse Disziplinierung der Fiskalpolitik sorgten, würden diese Aufgabe künftig Brüsseler Kommissare übernehmen. 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion würde Westeuropa auf die Vorzüge einer zentralisierten Planung setzen. Die Europäische Kommission würde die Funktion übernehmen, die in der UdSSR die zentrale Planungsbehörde Gosplan inne hatte. Ein übertriebener Vergleich? Wie in der Sowjetunion würden die dezentralen Institutionen geschwächt, die demokratisch nur schwach legitimierte Zentrale gestärkt und wirtschaftliche Erfolge nicht belohnt, sondern bestraft. Erfolgreiche Akteure, ob Staaten oder Unternehmen, müssten schwächere alimentieren.
Dabei wird in der gegenwärtigen Situation viel zu häufig vergessen, dass Europa im 21. Jahrhundert einem neuen, starken Wettbewerb mit aufsteigenden Mächten ausgesetzt ist. Wenn die Bürgerinnen und Bürger Europas in der wirtschaftlichen Konkurrenz nicht deutlich ins Hintertreffen geraten wollen, muss die Wirtschaftspolitik darauf achten, keine falschen, in die Irre führenden Anreize zu schaffen. Eine Belohnung für fiskalpolitisch unsolides Wirtschaften gehört dazu. Selbst verursachte Probleme müssen auf der Ebene gelöst werden, auf der sie entstanden sind, und nicht in Brüssel.
Dabei ist zu großer Pessimismus bei der Bewertung der Lage in Europa nicht angebracht. Schon heute ist zu beobachten, dass eine Reihe von Ländern enorme Anstrengungen unternimmt, ihre Fiskalpolitik künftig solider zu gestalten. Natürlich sind Fehlentwicklungen, die über Jahre entstanden sind, nicht über Nacht zu beseitigen. Aber innerhalb der nächsten fünf Jahre kann sich die Euro-Zone zu einer Gemeinschaft nachhaltig wirtschaftender Staaten weiterentwickeln. Nicht alle Länder, die heute Mitglied der Euro-Zone sind, werden die Kraft und den Willen haben, diesen Weg zu beschreiten.
Insbesondere Griechenland hat heute die Wahl zwischen einem schmerzhaften Reformprozess, der gewiss acht bis zehn Jahre benötigen wird und in dessen Verlauf zahlreiche Privilegien aufgegeben werden müssen, und dem Ausstieg aus der Euro-Zone. Gesellschaften müssen abwägen, ob die Kosten des Verbleibs in der Euro-Zone größer sind als die Kosten des Austritts. Zu letzteren gehören – neben den unmittelbaren Kosten der Wiedereinführung einer nationalen Währung – zum einen vermutlich deutlich höhere künftige Zinslasten, zum anderen wahrscheinlich deutlich schwankende Wechselkurse. Auch diese Frage kann nicht zentral entschieden werden, sondern nur in den jeweiligen Gesellschaften. Heute vermitteln die Kommission in Brüssel und die EZB in Frankfurt die Überzeugung, dass es eine Art Zwangsmitgliedschaft in der Euro-Zone gibt. Man kann eintreten, aber niemand kann den Club wieder verlassen. Oder, wie es die „Eagles“ in „Hotel California“ besangen: „You can check out any time you like, but you can never leave.“ Dies ist der eigentliche Geburtsfehler des Vertrags von Maastricht. Europa braucht verantwortungsbewusst handelnde Staaten, aber auch die Möglichkeit, alternative wirtschafts- und währungspolitische Pfade einzuschlagen, wenn einzelne Gesellschaften die Anpassungslasten nicht mehr tragen können oder wollen.
Churchill bemerkte einmal, dass die Vereinigten Staaten von Amerika stets die richtige politische Entscheidung treffen würden, nachdem sämtliche falschen ausprobiert worden seien. Dies gilt heute offenbar auch für Europa. In der heutigen Krise bleibt die Hoffnung, dass die Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Politik in Europa erkennen, wie wichtig verantwortliches Handeln für unsere gemeinsame Zukunft ist. Die Rettung von unsolide wirtschaftenden Staaten und deren Gläubigern kann nicht zur Norm im Europa des 21. Jahrhunderts werden. Wer Entscheidungen trifft, muss selbst die Verantwortung für die Konsequenzen tragen. Die Durchsetzung dieses alten Prinzips würde Europa mittel- und langfristig stärken, die Missachtung hingegen dem europäischen Integrationsprozess kaum reparablen Schaden zufügen.
[1] Daten aus dem „Allianz Global Wealth Report 2010“.
PD Dr. HERIBERT DIETER ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Globale Fragen der Stiftung Wissenschaft und Politik
Internationale Politik 6, November/Dezember 2011, S. 116-122