Drei Prinzipen für drei Problemstaaten
Welche Politik verfolgt der Westen gegenüber Syrien, dem Sudan und dem Iran?
Will der Westen künftig eine erfolgreichere Politik gegenüber problematischen Staaten betreiben, sollte er sich an drei Prinzipien orientieren: an der Unterscheidung zwischen legitimen und illegitimen Interessen dieser Länder, an der Klarstellung der eigenen Prioritäten sowie an dem Engagement dieser Staaten, um sie zu Verhaltensänderungen zu bewegen.
Teheran, Khartum, Damaskus: Der Zufall des Reise- und Konferenzkalenders brachte mich in kürzester Zeit in den Iran, Sudan und nach Syrien, drei Problemstaaten westlicher Politik. Es hängt ein wenig vom Fokus, von der Justierung des eigenen Blickes ab, ob man in erster Linie Ähnlichkeiten oder Unterschiede zwischen den drei Ländern wahrnimmt. Vor Ort, beim Umgang mit Intellektuellen und Politikern, Geschäftsleuten oder zivilgesellschaftlichen Aktivisten, fällt beides auf. Da ist das geschäftige, hektische Teheran, dessen urbane Kultur und Zivilität eher europäische als orientalische Vergleiche sucht, das behäbige Damaskus, das sowohl seine Schönheit und Freundlichkeit gegenüber dem Fremden als auch die politische Kultur der siebziger Jahre pflegt, das anarchische Khartum, das im Ganzen wie ein zu groß gewordener Vorort einer heruntergekommenen kolonialen Residenzstadt mit Einsprengseln neuen Ölreichtums wirkt.
Der Iran mit seinem auch innenpolitisch umstrittenen halbautoritären Regime ist ein gefestigter Staat mit mehr als zweieinhalbtausendjähriger Tradition, der dank der durch die amerikanische Irak-Invasion herbeigeführten geopolitischen Verschiebungen im Nahen und Mittleren Osten zur dominanten Regionalmacht am Persischen Golf geworden ist. Syrien dagegen hat in den letzten Jahren viel von dem regionalen Einfluss verloren, den es unter der 30-jährigen Herrschaft Hafez al-Assads, des Vaters des heutigen Präsidenten, gewonnen hatte. Der Sudan ist in mancher Hinsicht ein unvollständiger, in jedem Fall ein nicht konsolidierter Staat, der zwar den langjährigen Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd beigelegt hat, dessen Regime aber selbst in Teilen des Nordens, vor allem in Darfur, mit unzureichenden und deshalb unangemessenen Mitteln versucht, staatliche Autorität durchzusetzen.
Nicht nur der Entwicklungsstand und die regionale Position dieser Länder unterscheiden sich, auch die Probleme, die sie sich selbst, ihren Bürgern, ihrer regionalen Umwelt oder der internationalen Gemeinschaft bereiten, sind unterschiedlicher Art. Der Iran hat sich mit seinem Atomprogramm in einen Konflikt mit der internationalen Staatengemeinschaft manövriert; Syrien ist Partei und unverzichtbarer Teilnehmer einer Lösung im Nahost-Konflikt und unterminiert gleichzeitig die Stabilität seines Nachbarn Libanon; in Darfur befinden sich die sudanesische Regierung und diverse Milizen und Rebellengruppen, die zum Teil aus den Nachbarländern unterstützt werden, in einem Krieg, bei dem mehr als 200 000 Menschen ums Leben gekommen und mehr als zwei Millionen vertrieben worden sind. In keinem der drei Staaten herrschen demokratische Verhältnisse, und doch sind die Unterschiede beachtlich: Syrien ist ein autoritäres System, das keinerlei Opposition zulässt. Das iranische System hat einen autoritär-theokratischen Charakter, erlaubt aber auf dem Boden der islamisch-republikanischen Verfassung sehr viel mehr an politischer Pluralität und echten politischen Auseinandersetzungen als die meisten arabischen Staaten. Der Sudan befindet sich seit Abschluss des Nord-Süd-Friedensabkommens 2005 in einem auch politischen Transformationsprozess, dessen Ausgang offen ist.
In Berlin, Brüssel oder Washington fällt es uns gleichwohl leicht, die drei Staaten in einem Atemzug, vielleicht noch unter Hinzufügung von Nordkorea oder Weißrussland, als Problemstaaten zu benennen. Tatsächlich gibt es Parallelen. So sind alle drei Staaten von Sanktionen, multilateralen des UN-Sicherheitsrats oder bilateralen der USA oder Europas, betroffen. Wir erleben ähnliche Reaktionen und Verhaltensmuster in den Führungsetagen der drei Staaten. Und in allen drei Fällen ist europäische und amerikanische Politik nicht sonderlich erfolgreich.
Alle drei Staaten fühlen sich – das lässt sich mit ein wenig zulässiger Verallgemeinerung sagen – vom Westen in die Ecke gedrängt. Zwar gibt es im Iran, in Syrien und im Sudan bei Teilen der politischen und intellektuellen Elite durchaus Verständnis für westliche Sorgen über die Politik ihres jeweiligen Staates. Gleichzeitig wird aber kritisiert, dass westliche Beobachter und westliche Politik wenig Verständnis für die berechtigten Interessen dieser Staaten haben, sieht man in Teheran, Damaskus und Khartum wenig oder zu wenig Bereitschaft westlicher Politik, ihrem jeweiligen Land echte Hilfe anzubieten, und fragt gelegentlich angesichts widersprüchlicher Signale nach der Strategie und den Zielen westlicher Politik: Gehe es Europa und den USA um bestimmte regionalpolitische Ziele – also etwa den Frieden im Nahen Osten oder regionale Stabilität –, um jeweils eigene wirtschaftliche, energie- oder geopolitische Interessen, um politische Veränderungen in den einzelnen Staaten oder um die Bestrafung, vielleicht auch den Sturz des Regimes in Khartum, Damaskus oder Teheran? Und welches dieser Ziele habe dabei, bitteschön, Priorität?
In den politischen Führungsetagen der drei Hauptstädte ist man weitgehend überzeugt, in jedem Fall aber besorgt, dass man selbst das Ziel sei: dass es Washington und letztlich auch den Europäern um einen Regimewechsel geht, nicht nur um politische Verhaltensänderungen. Das Gefühl der Bedrohung fördert nicht gerade die Bereitschaft, die eigene Politik kritisch zu überprüfen. Zur Spannbreite der Reaktionen gehört, dass identifizierbare Teile der jeweiligen Elite – Hardliner und Reformer etwa – für unterschiedliche Politikoptionen eintreten, die obersten Entscheidungsträger aber versuchen, verschiedene, partiell auch widersprüchliche Optionen gleichzeitig zu wählen. Dies schließt eine meist selektive Kooperation mit internationalen Organisationen ein, wo es den Bereich der eigenen Souveränität tangiert. Das zeigt sich beispielsweise beim Umgang des Iran mit den Inspekteuren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) genauso wie bei der Zusammenarbeit des Sudan mit UNAMID, der „hybriden“ Friedenstruppe der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen für Darfur. Man akzeptiert internationale Bemühungen um Frieden und Stabilität, fordert sie gelegentlich sogar ein, ohne selbst aber unbedingt eine proaktive Haltung einzunehmen. Syrien schickte einen Vertreter zur Nahost-Konferenz in Annapolis; die sudanesische Regierung beteiligt sich im Gegensatz zu einigen der Rebellenorganisationen an international vermittelten Friedensgesprächen für Darfur; der Iran führt auf Botschafterebene bilaterale Gespräche mit den USA über die Lage im Irak. Aber es gibt gleichzeitig auch die Tendenz, sich einzuigeln, sich in der Isolierung einzurichten. Der Iran, so ein Gesprächspartner in Teheran, lebe seit mehr als zwei Jahrzehnten mit allen möglichen Sanktionen, vor allem der USA. Man werde deshalb auch lernen, mit den Sicherheitsratssanktionen umzugehen. Und manchmal wird Widerstand auch offen demonstriert: „Ihr habt doch gedacht“, erklärt mir ein hoher syrischer Funktionär, den ich auf die Politik seines Landes im Libanon anspreche, „unser Regime sei politisch tot. Also zeigen wir euch, dass wir lebendig sind.“
In allen drei Staaten versucht man im Übrigen, die schlechten Beziehungen mit Europa oder Amerika und die zunehmende Zurückhaltung westlicher Firmen durch eine „Look-East“-Politik zu kompensieren. China vor allem, aber auch Indien oder Malaysia sind gerne bereit, den Platz einzunehmen, den westliche Firmen und westliche Politik nicht mehr ausfüllen. Die Eliten aller drei Staaten fühlen sich Europa letztlich näher als China, werden aber nicht darauf verzichten, Pipelines oder Raffinerien zu bauen und ihre Öl- oder Gasvorräte erschließen zu lassen, nur weil westliche Firmen dafür nicht bereitstehen. Und da die europäischen Staaten ihren Konzernen Zurückhaltung auferlegen, die chinesische Regierung die ihren unterstützt, ist es kein Wunder, dass Chinas Marktanteil in diesen Staaten wächst, während der europäische abnimmt. Dies ist nicht unbedingt eine temporäre Entwicklung. Zum einen werden, wenn eines Tage die großen Streitpunkte zwischen diesen Staaten und der internationalen Gemeinschaft beigelegt sind oder eine US-Regierung entscheidet, plötzlich doch auf Engagement statt auf Isolation zu setzen, auch amerikanische Firmen mit Macht auf diese Märkte drängen. Halliburton pflegt schon heute seine Kontakte im Iran. Zum anderen sind die Investitionen Chinas und anderer asiatischer Staaten durchaus auf Dauerhaftigkeit angelegt. Das gilt nicht zuletzt für den wirtschaftlich schwächsten dieser drei Staaten, Sudan. Ohne die Beiträge Chinas, Indiens und Malaysias wäre der Sudan heute kein Ölexporteur. Westliche Kommentatoren kritisieren gerne, dass China dem Sudan eine weitgehend unkonditionierte Entwicklungshilfe zukommen lässt. Aus sudanesischer Sicht sieht man in erster Linie die infrastrukturellen Ergebnisse dieser Entwicklungszusammenarbeit: Straßenbauprojekte etwa, Brücken oder Schulen, die unabhängig vom Charakter des Regimes für die Menschen von Nutzen sind. Auch ein nach dem für 2011 vorgesehenen Referendum eventuell unabhängiger Südsudan wird auf die Expertise und das Kapital der Chinesen nicht verzichten wollen.
Die von den großen westlichen Staaten bestimmte internationale Politik gegenüber dem Iran, Syrien und dem Sudan hat bislang die gewünschten Erfolge nicht gebracht. So hat der UN-Sicherheitsrat mittlerweile vier Resolutionen zum iranischen Atomprogramm verabschiedet, der Iran installiert derweil aber zusätzliche Zentrifugen. Syrien steht zwar unter internationalem und selbst unter arabischem Druck, kann politische Entwicklungen im Libanon aber weiterhin blockieren, wenn dies opportun erscheint. In Darfur wird eine internationale, im benachbarten Tschad eine EU-Friedenstruppe stationiert, aber bislang gibt es keinen Frieden zu wahren. Hier ist nicht der Ort, um die einzelnen Konfliktkonstellationen zu analysieren und detaillierte Politikempfehlungen zu entwickeln. Es könnte aber für eine solche Politikformulierung hilfreich sein, sich an drei durchaus allgemeinen Prinzipien zu orientieren. Kurz gefasst sind dies die Unterscheidung legitimer und illegitimer Interessen auch bei problematischen Akteuren, Klarheit über die eigenen Prioritäten in Bezug auf die betreffenden Staaten und Regionen sowie ein lösungsorientiertes Engagement dieser Staaten.
Legitime und illegitime Interessen
So geht es zunächst um den differenzierten Blick. Jeder Staat hat legitime Interessen. Differenzieren heißt, auch in Bezug auf Staaten, deren Politik problematisch ist, legitime von illegitimen Interessen zu unterscheiden. So hat der Iran es mit seiner Politik nicht geschafft, das Misstrauen der internationalen Gemeinschaft zu reduzieren; das Gegenteil ist eher der Fall. Dies sollte uns nicht übersehen lassen, dass viele Iraner, auch Mitglieder der politisch relevanten Elite, genauso besorgt über die konfrontative Haltung des iranischen Präsidenten und genauso empört über dessen unerträgliche Bemerkungen zu Israel und zum Holocaust sind wie europäische Beobachter. Sie wollen deshalb aber nicht, dass das gesamte Land in Haftung genommen wird, und neigen dazu, die Reihen zu schließen, wenn sie das Gefühl haben, dass die berechtigten eigenen Interessen des Iran international keine Würdigung erfahren. Das bezieht sich auf wirtschaftlichen und technischen Fortschritt – viele Iranerinnen und Iraner sind überzeugt, dass der Westen ihnen Fortschrittstechnologien vorenthalten will; es bezieht sich aber auch auf Sicherheit. Die iranische Führungsschicht kann nicht daran vorbeisehen, dass sie gewissermaßen von amerikanischen Truppen und Verbündeten der USA umzingelt ist und muss es für besonders beunruhigend halten, wenn ihr Land in der Rhetorik Washingtons nicht nur auf der „Achse des Bösen“ eingeordnet wird, sondern nach der untergegangenen Sowjetunion und dem besiegten Regime von Saddam Hussein zum gegenwärtigen Hauptfeind erklärt wird.
In Syrien hat das Regime von Bashar al-Assad offensichtlich den Verlust des Libanon, aus dem es vor drei Jahren seine Truppen zurückziehen musste, noch nicht verwunden; die Regimespitze fühlt sich zudem durch das internationale Tribunal, das zur Aufarbeitung des Mordes am ehemaligen libanesischen Premierminister Hariri eingerichtet wurde, existenziell bedroht. Gleichzeitig hat Syrien ein legitimes Interesse, die seit 1967 von Israel besetzten Golan-Höhen im Rahmen eines Friedensabkommens zurückzugewinnen. Und in Damaskus gibt es die durchaus berechtigte Sorge, mit diesem eigenen Anliegen außen vor zu bleiben, wenn es der internationalen Gemeinschaft gelingen könnte, ein israelisch-palästinensisches Friedensabkommen zustande zu bringen, bevor das Golan-Thema zumindest wieder ernsthaft verhandelt wird: Wer in Europa oder den USA würde tatsächlich noch Energie auf die Golan-Frage verwenden, wenn man das israelisch-palästinensische Problem vom Tisch hätte?
Am schwersten fällt angesichts der humanitären Katastrophe in Darfur vielleicht der differenzierte Blick auf den Sudan. Hier sind enorme Bürgerkriegsverbrechen begangen worden. Wer dies allerdings einen Genozid nennt, benutzt einen falschen Begriff, der zwar moralische Empörung zu mobilisieren hilft, aber die Realität nicht erfasst und sich deshalb auch nicht eignet, Lösungen zu finden: Bei einem Genozid kann man kaum auf Vermittlung setzen oder eine Kompromisslösung suchen, bei Aufständen und Bürgerkriegen schon. Tatsächlich haben wir es in Darfur mit einem Aufstand zu tun, bei dem es ursprünglich um eine gerechtere Verteilung von materiellen Ressourcen, namentlich Wasser, Acker- und Weidefläche, und von politischer Mitsprache, von Wohlstand und Macht in einem Umfeld ging, in dem Konflikte zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen durch soziale und ökologische Veränderungen verschärft worden sind. Beobachter sprechen von einem ersten Ökokrieg in der insgesamt durch zunehmende Verwüstung bedrohten Sahel-Zone. Und wir haben es mit einer Regierung zu tun, die sich bedroht fühlte, zur Aufstandsbekämpfung auf eben diese Konflikte setzte und irregulären tribalen Milizen freie Hand gegen ihre lokalen Gegner gab. Mittlerweile sind Aufstand und Bürgerkrieg mit regionalen Konflikten und mit machtpolitischen Auseinandersetzungen in Khartum verbunden; die Milizen sind der Kontrolle des Regimes entglitten; vielfach zersplitterte Rebellenorganisationen, Stammesmilizen und Regierungstruppen führen Krieg gegeneinander und gegen die Zivilbevölkerung; einzelne Rebellenorganisationen werden von Nachbarländern ausgerüstet oder dort selbst aktiv: So haben Kämpfer des Justice and Equality Movement, der derzeit wohl stärksten Rebellenorganisation, die zumindest einen Teil ihrer Waffen aus Libyen erhält, jüngst nicht nur einen bewaffneten Angriff auf die sudanesische Hauptstadt durchgeführt, sondern auch den tschadischen Diktator Déby im Kampf um dessen Hauptstadt N’Djamena unterstützt.
Gleichzeitig befindet sich der Sudan in der Implementierungsphase eines Friedensabkommens zwischen dem Norden und Süden des Landes. Bei allem, was das Regime in Khartum falsch gemacht hat und weiter falsch macht, hat es hier doch immerhin einen Krieg beendet, den es von seinen Vorgängern geerbt und selbst dann über eineinhalb Jahrzehnte weiterbetrieben hatte – einen Krieg, dessen Ursachen, wie der südsudanesische Politiker Peter Adwok Nyaba sagt, darin lagen, dass alle sudanesischen Regierungen seit der Staatsgründung sich geweigert hatten, die multiethnische und multilinguistische Natur des Sudan zu akzeptieren. Das 2005 verabschiedete Nord-Süd-Friedensabkommen hat hier eine konzeptionelle Wende herbeigebracht. Es stellt den Versuch dar, das legitime Interesse am Zusammenhalt des Landes durch Regelungen über eine Teilung von Macht und Ressourcen zu wahren. Seine Umsetzung wird, wenn sie erfolgreich verläuft, auch wesentliche politische Veränderungen in Khartum mit sich bringen. Immerhin sind für das kommende Jahr allgemeine Wahlen vorgesehen, und selbst führende Regimevertreter gehen davon aus, dass ihre Partei dabei keine absolute Mehrheit erringen wird: Sudan werde wohl zukünftig nur noch von Koalitionen regiert werden können. Das Bewusstsein, dass Machtteilung notwendig ist, um das Land zusammenzuhalten, mag noch nicht überall verankert sein; es ist aber eine Voraussetzung, um den Frieden zwischen Nord- und Südsudan zu erhalten und eine Friedenslösung für Darfur auf den Weg zu bringen.
Eigene Prioritäten klarstellen
Es geht aber nicht nur darum, die berechtigten oder unberechtigten Interessen anderer Akteure zu unterscheiden, sondern auch um die Klarstellung eigener Prioritäten und Interessen. Ziele zu beschreiben ist für die Politik relativ leicht; Prioritäten abzuwägen dagegen erfordert genauere Kenntnis und manchmal mehr politischen Mut, ist aber notwendig, um die eigenen Interessen zu wahren. Man kann sich natürlich in allen drei Staaten, in Syrien, im Sudan oder im Iran, andere Regime wünschen. Es ist aber nicht unsere Aufgabe, politische Machtfragen in diesen Ländern zu regeln. Mit Blick auf den Iran und dessen Konflikt mit der internationalen Gemeinschaft ist es vielmehr notwenig, sehr deutlich zu kommunizieren, dass es hier um Proliferation, nicht um die Natur des Regimes in Teheran geht. Prioritäres europäisches Ziel mit Blick auf den Atomstreit ist die Verhinderung einer weiteren Verbreitung von Massenvernichtungswaffen; mit Blick auf die Region geht es Europa in erster Linie um Stabilität und um das Zusammenleben aller Staaten und Völker in Frieden und Sicherheit. Der Iran spielt dabei eine besondere Rolle. Kein anderer Staat im Mittleren Osten verfügt über eine vergleichbare Kombination natürlicher, geopolitischer, humaner und zivilisatorischer Ressourcen. Kein anderer Staat in der Region wird sich, wenn die politischen Probleme einmal gelöst sein sollten, in ähnlicher Weise als Partner Europas eignen.
Das Interesse an Frieden im Nahen Osten wird noch stärker zu Buche schlagen, wenn es um europäische Politik gegenüber Syrien geht: Ein stabiler Friede zwischen Israel und seinen Nachbarn entspricht unserem Interesse, dem unserer Freunde in der Region und natürlich auch unseren Werten. Eine friedliche Regionalordnung wiederum setzt voraus, dass die Grundinteressen aller im Kern beteiligten regionalen Parteien gewahrt werden. Dazu gehört die Sicherheit Israels, die Staatlichkeit Palästinas, die Souveränität des Libanon und auch die territoriale Integrität Syriens. Im Sudan schließlich geht es darum, den Friedensprozess zwischen Nord und Süd abzusichern, die humanitäre Krise in Darfur zu bewältigen und auch dort einen Friedensprozess, der den Namen verdient, auf den Weg zu bringen. Es ist klar, dass das nicht gegen die Regierung in Khartum geht. Klar ist auch, dass ein Staatszerfall weitere katastrophale Entwicklungen im Sudan und in seiner regionalen Umgebung auslösen würde. Europa hat deshalb durchaus ein Interesse an einer Wiederherstellung legitimer staatlicher Autorität in Darfur, die menschliche Sicherheit und Entwicklung erlaubt. Das UNAMID-Mandat setzt deshalb ausdrücklich auf die Zusammenarbeit mit der sudanesischen Regierung.
Die Staaten engagieren
Schließlich geht es darum, die Staaten zu engagieren, um sie, wo ihre Politik problematisch ist oder bleibt, zu Verhaltensänderungen zu bewegen. Was Syrien betrifft, wird es notwendig sein, mittels der Türkei, des so genannten Nahost-Quartetts oder in einem anderen internationalen Format für eine Wiederaufnahme des israelisch-syrischen Friedensprozesses zu sorgen und Syrien die Aussicht zu geben, im Zuge eines regionalen Ausgleichs auch sein eigenes besetztes Territorium zurückzugewinnen. Nur dies wird realistischerweise dazu führen, dass Damaskus die israelisch-palästinensischen Ausgleichsbemühungen unterstützt anstatt sie durch die Unterstützung von Hamas zu unterminieren. Gleichzeitig wird man, wenn man auf deren Kooperationsbereitschaft setzt, für die Regimeelite einen Ausweg aus der Bedrohung durch das Hariri-Tribunal finden müssen. Hier gibt es internationale Präzedenzen: Auch Libyens Staatschef Khaddafi wurde wegen des Lockerbie-Anschlags nicht angeklagt; das nach Den Haag verlegte schottische Gericht begnügte sich mit der Auslieferung zweier mittlerer Geheimdienstoffiziere, obwohl niemand glaubte, dass diese ohne das grüne Licht der Regimespitze hätten agieren können. Solche Lösungen mögen unappetitlich sein, entsprechen aber realpolitischer Verantwortung – vor allem, wenn sie dazu beitragen, die betreffenden Staaten auf einen konstruktiveren Kurs zu bringen.
Im Sudan ist die internationale Gemeinschaft bereits durch zwei große Friedensmissionen stark engagiert. Die Darfur-Mission UNAMID aber wird, selbst wenn sie die Ausstattung und die Unterstützung erhält, die sie braucht, Frieden nur wahren können, wenn die lokalen Parteien zum Frieden bereit sind. Ernsthafte internationale Mediationsbemühungen, bei denen es zunächst darum gehen müsste, im Gespräch mit allen Gemeinschaften und mit lokalen zivilgesellschaftlichen Akteuren herauszufinden, wie Lösungen aussehen könnten, die die Konfliktursachen angehen, bleiben gefordert. Die Vermittler der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union haben das bislang nicht geleistet. Es wird auch notwendig sein, einen substanziellen Bruchteil dessen, was wir heute für Friedenstruppen ausgeben, für Entwicklung bereitzustellen. Wer etwa will, dass die aus ihren Dörfern vertriebenen Fur (das namensgebende Volk in Darfur) zurückkehren, wird auch überlegen müssen, ob den nomadisierenden arabischen Stämmen durch Brunnenbau und andere Infrastrukturinvestitionen eine Lebensgrundlage angeboten werden kann. Neben dem anhaltenden Druck auf die Regierung wird die internationale Gemeinschaft aber auch jenen Rebellenorganisationen, die Friedensverhandlungen bislang boykottiert haben, deutlich machen müssen, dass es an der Zeit ist, die Waffen niederzulegen und sich auf Verhandlungen einzulassen. Alle Gruppen in Darfur sollten dazu gedrängt werden, sich an den für 2009 vorgesehenen Wahlen zu beteiligen und über diese Wahlen eine, wie der sudanesische Oppositionspolitiker und ehemalige Premierminister Sadeq al-Mahdi sagt, sanfte Landung für den gesamten Sudan zu ermöglichen.
Im Atomstreit mit dem Iran setzt Europa seit langem auf eine verhandelte Lösung und auf robuste Diplomatie, die Sanktionen nicht ausschließt. In seinen Gesprächen mit dem Iran vertritt der europäische Außenbeauftragte Javier Solana mittlerweile nicht nur die Europäer, sondern auch die USA sowie Russland und China. Letztlich bleibt, was ein europäischer Vermittler anbieten kann, aber begrenzt. Wenn, wie für den wissenschaftlichen Beobachter eindeutig ist, das iranische Atomprogramm auch für die sicherheitspolitischen Überlegungen des Regimes eine Rolle spielt, wird der Atomstreit sich, nicht anders als im nordkoreanischen Fall, nur auf dem Wege hochrangiger und direkter Verhandlungen zwischen dem Iran und den USA lösen lassen, dem einzigen Staat, von dem der Iran sich heute bedroht fühlt. Europa wird gleichwohl engagiert bleiben müssen.
Letztlich geht es dabei darum, Gesprächsfäden auf allen Ebenen zu knüpfen und aufrechtzuerhalten – zur iranischen Zivilgesellschaft genauso wie zu den obersten Entscheidungsträgern. Nicht zuletzt Deutschland hat in der Vergangenheit verschiedentlich als Kommunikationsbrücke zwischen Israel und dem Iran gedient, weil es in Teheran und in Jerusalem Vertrauen genoss. Das ist keine schlechte Aufgabe für einen Staat, der sich der Sicherheit Israels und dem Prinzip der friedlichen Konfliktlösung verpflichtet fühlt.
Prof. Dr. VOLKER PERTHES, geb. 1958, ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. 2006 veröffentlichte er „Orientalische Promenaden“; im Herbst 2008 wird sein Buch „Iran – eine politische Herausforderung“ erscheinen.
Internationale Politik 7-8, Juli/August 2008, S. 130 - 137