Die zweite Spaltung der Welt
Die Holocaust-Leugnung des iranischen Präsidenten hat Methode
Dass der iranische Präsident Machmud Achmadinedschad den Holocaust für eine Erfindung hält, ist mehr als der Ausrutscher eines verbohrten Ideologen. Schon nach dem Zweiten Weltkrieg tat sich eine Kluft auf: zwischen dem Westen, der sich mit Auschwitz auseinandersetzt und weiten Teilen des iranischen Regimes und der arabischen Welt. Dort sind nationalsozialistisches und antisemitisches Gedankengut fest verwurzelt.
7. März 2006, Themenabend „Iran“ bei ARTE. Der Journalist Ulrich Tilgner führt uns in die Redaktionsräume der iranischen Zeitung Hamschahri. Ein Tabubruch machte sie berühmt. Im Februar 2006 schrieb Hamschahri einen Karikaturenwettbewerb zur Judenvernichtung aus. Eine erste Zeichnung wanderte bereits durchs Internet: Anne Frank mit Adolf Hitler im Ehebett. Hitler nach dem Geschlechtsakt: „Schreib’ das in dein Tagebuch.“
Wie sehen Redakteure aus, die so etwas veranstalten? Da ist zunächst Achmed Kasemi, der genauso gut als Broker an der Frankfurter Börse durchgehen könnte. Er erläutert die Regeln: „Ob es den Holocaust gegeben hat oder nicht, werden die Karikaturisten selbst bestimmen.“ Tilgners nächster Gesprächspartner ist der Grafiker der Zeitung, Farid Mortazawi: leise Stimme, entspanntes Auftreten, der Nimbus eines Intellektuellen. Mortazawi über die Zielsetzung des Wettbewerbs: „Der Westen behauptet, er setze der Meinungsfreiheit keine Grenzen. Damit werden die dänischen Karikaturen gerechtfertigt. Wir dagegen behaupten, dass auch der Westen Grenzen setzt. Wenn Sie meinen, dass das falsch ist: Bitte schön! Drucken Sie diese Karikaturen hier!“ Nicht wenige Verteidiger der Karikaturen-Freiheit fühlen sich in eine Falle gedrängt. Muss die Meinungsfreiheit nicht auch Karikaturen über die Schoah zulassen?
Das Sendungsbewusstsein der Teheraner Redakteure ist symptomatisch für den neuen Stil, in dem die islamistische Diktatur die Welt ausgerechnet auf dem Gebiet der Meinungsfreiheit und beim Thema Holocaust herausfordert. Die Offensive des neuen iranischen Präsidenten Machmud Achmadinedschad begann im Oktober 2005 mit der Androhung eines Angriffskriegs: „Das Regime, das Jerusalem besetzt hält, muss aus den Geschichtsbüchern eliminiert werden“, forderte er. „Wenn wir die gegenwärtige Phase erfolgreich hinter uns gebracht haben, wird die Eliminierung des zionistischen Regimes einfach sein.“1 Im Dezember verschärfte Achmadinedschad den Ton. Jetzt machte er den Holocaust zum Gegenstand seines Hohns: Falls Europa weiterhin auf der Behauptung bestehe, dass es den Holocaust gegeben habe, solle es als Konsequenz Israel nach Bayern verpflanzen. Der Iran jedenfalls erkenne „diese Behauptung nicht an.“2
Zwei Monate später rückte der iranische Präsident die Holocaust-Leugnung ins Zentrum seiner Agitation. „Es gilt [in Europa] als ein Verbrechen, den Mythos des Holocaust in Frage zu stellen“, rief er am 11. Februar 2006 den Teilnehmern einer Massenkundgebung zu. „Ihr dürft alles mögliche erforschen, mit Ausnahme des Holocaust-Mythos. Sind dies keine mittelalterlichen Methoden? (...) Die Technologie hat sich verändert, doch die Kultur und die Denkweise ist mittelalterlich geblieben.“3
Die Holocaust-Leugung als Attribut der Fortschrittlichkeit? Niemals zuvor hat die Führung eines großen und wichtigen Landes die Leugnung der Schoah zur Regierungspolitik und das jüdische Leid im Zweiten Weltkrieg zu einem Hirngespinst erklärt. Niemals zuvor wurde das Selbstverständnis der Vereinten Nationen mit Blick auf Auschwitz provokanter konterkariert. Dennoch hat bis heute kein iranischer Politiker oder Geistlicher widersprochen. Zwar gibt es vereinzelte Stimmen wie die des früheren Präsidenten Mohammed Khatami, die sich darauf beschränken, einen „Missbrauch“ des Holocaust durch Israel zu kritisieren. Weit mächtiger jedoch ist der Chor, der Europa eine Lektion in Sachen Aufklärung erteilt. Zum Beispiel Hossein Schariatmadari, Herausgeber der Tageszeitung Kayhan, dem Sprachrohr von Revolutionsführer Khamenei. Schariatmadari sieht Europa vom finsteren Geist der Inquisition beherrscht und entdeckt sogar Parallelen mit dem Schicksal Galileis. Zwar würden sich die Europäer von den „Schwarzen Jahren des Mittelalters“ distanzieren und davon, dass sie „Galileo zwangen, seine Stellungnahme zurückzunehmen“. Heute aber würde Europa „hinsichtlich des Holocaust nach den gleichen beschämenden Gesetzen verfahren. (…) Dies ist nur ein Beispiel für das Konzept der Gedankenfreiheit im Westen.“4 Hier wird die Entdeckung, dass die Erde rund ist, mit der „Entdeckung“, dass der Holocaust eine Erfindung sei, auf eine Stufe gestellt. Schariatmadari ist kein Einzelfall. Das Regime scheut keine Mühe, die Verspottung und „Entlarvung“ des „Holocaust-Mythos“ als ein neues historiographisches Paradigma zu verankern.
Zentrum der Holocaust-Leugner
So ist seit Dezember 2005 in den vom Fernsehen übertragenen Freitagspredigten die „Lüge vom Judenmord“ zu einem prominenten Topos avanciert.5 In Talkshows belachen „Historiker“ das „Märchen von den Gaskammern“. Die staatliche iranische Presseagentur hat sich als Plattform für Holocaust-Leugner aus aller Welt etabliert. Das religiöse Zentrum von Ghom annonciert neue Forschungsarbeiten unter Überschriften wie „Untersuchung der Begründungen und Rechtfertigungen der Holocaust-Anhänger“ oder „Zusammenfassung englischer und arabischer Werke, die den Holocaust in Zweifel ziehen“.6
Prominente Anhänger Achmadinedschads insistieren auf die Einrichtung einer Wahrheitsfindungskommission, da die „westlichen Regierungen keine Informationen zulassen, durch die wir erfahren könnten, was wirklich während des Zweiten Weltkriegs geschehen ist“.7 Das Außenministerium kündigte an, noch 2006 eine internationale Holocaust-Konferenz durchzuführen, zu der man die internationale Crème der Holocaust-Leugner einzuladen gedenkt. Wie schon beim Karikaturenwettbewerb wird auch diese Konferenz mit der Parole der „Gedankenfreiheit“ beworben. „Es wäre gut, wenn Mr. Blair an der Holocaust-Konferenz in Teheran teilnehmen würde“, erklärte der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Hamid Reza Asefi. Hier dürfe Blair auch „diejenigen Dinge sagen, die er in London nicht sagen kann“.8
Wer aber hat der Meinungsfreiheit den Garaus gemacht? „Die westlichen Regierungen lügen, wenn sie behaupten, sie seien frei“, verkündete Achmadinedschad am 11. Februar 2006 der Welt. „Seit 60 Jahren hat es das zionistische Regime geschafft, alle westlichen Regierungen mit dem Mythos vom Holocaust zu erpressen. Sie sind Geiseln in den Händen der Zionisten.“9
Mit diesem Kunstgriff hat Achmadinedschad den Diskursrahmen der Negationisten gesprengt. Bis 2006 brachte man die Leugnung des Holocaust mit der Schrulligkeit einzelner „Experten“ in diesem oder jenen Land in Verbindung oder ordnete sie den versprengten Häuflein der neuen Nazis zu. Holocaust-Leugner mussten als von der Gesellschaft zu Recht geächtete Obskuranten um jeden Millimeter Respektabilität kämpfen.
Nun tauscht Achmadinedschad die rhetorischen Standorte aus: Nicht der Holocaust-Leugner hat sich zu rechtfertigen, sondern der Nichtleugner. Nicht die Negationisten haben um ihre Freiheit zu kämpfen, sondern unfrei sind die anderen, etwa Tony Blair. Achmadinedschad ist der erste, der das moralische und intellektuelle Verbrechen der Holocaust-Leugung in der Pose eines Menschenrechtlers und Freiheitshelden zelebriert. Was bis dahin eine randständige Ergänzung des antisemitischen Arsenals war, um vermeintlich jüdische Einflüsse zu reduzieren, hat er auf den Gegensatz von Freiheit versus Versklavung zugespitzt mit dem Ziel, die Unterdrücker der Wahrheit zu eliminieren.
Hat sich der iranische Präsident damit in der arabischen Welt isoliert? Im Gegenteil. Besonders laut applaudierten die Hisbollah, die ägyptischen Muslimbrüder und die Hamas. Warum findet die Holocaust-Leugnung in diesem Teil der Welt einen so fruchtbaren Boden? Gängig ist die Vorstellung, Israel sei daran schuld und es gäbe „zwischen dem Leiden der Palästinenser und der (…) sozusagen reflexartigen Verneinung des Holocaust“ einen Zusammenhang“.10 Dies greift jedoch zu kurz. Wenn die Hamas in ihrer Charta die Juden zu Drahtziehern des Zweiten Weltkriegs erklärt, bei welchem „sie immense Vorteile aus dem Handel mit Kriegsmaterial (ge)zogen hätten“, hat das mit dem Nahost-Konflikt nichts zu tun. Wenn Deutsche in Beirut, Damaskus oder Amman mit Komplimenten für Hitler konfrontiert werden, so liegt das schwerlich an Israel.
Die zweite Teilung der Welt
Während nach dem 8. Mai 1945 fast überall in der Welt ein Bannfluch über den Nationalsozialismus verhängt wurde, hallte die Nazi-Ideologie in der arabischen Welt weiter nach. In ihrem Bericht über den 1961 geführten Prozess gegen Adolf Eichmann geht Hannah Arendt darauf ein: „Die Zeitungen in Damaskus und Beirut, in Kairo und Jordanien verhehlten weder ihre Sympathie für Eichmann noch ihr Bedauern, dass er ,sein Geschäft nicht zu Ende geführt‘ habe; eine Rundfunksendung aus Kairo am Tag des Prozessbeginns enthielt sogar einen kleinen Seitenhieb auf die Deutschen, denen jetzt noch vorgeworfen wurde, dass ,im letzten Krieg nicht ein deutsches Flugzeug je eine jüdische Siedlung überflogen und bombardiert‘ hätte.“11
Den Herzenswunsch, alle Juden vernichtet zu sehen, formulierte noch im April 2001 der Kolumnist Achmad Ragab in der zweitgrößten, staatlich kontrollierten ägyptischen Tageszeitung Al-Akhbar: „Lasst uns bei Hitler bedanken. Er hatte sich an den Israelis im Voraus gerächt. Wir machen ihm nur den einen Vorwurf, dass seine Rache nicht vollständig genug gewesen ist.“12
Offenkundig folgte dem 8. Mai 1945 eine zweifache Teilung der Welt: Die Spaltung in die politökonomischen Systeme ist als der Kalte Krieg bekannt. Die zweite Kluft, die der Kalte Krieg überdeckte, hat mit der Akzeptanz und mit dem Fortleben nationalsozialistischen Gedankenguts zu tun. Die Bruchstelle wurde bereits 1946 markiert und hat viel mit dem damals bekanntesten Politiker der arabischen Welt, dem ehemaligen Mufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, und noch mehr mit dem Opportunismus des Westens zu tun.
Al-Husseini wurde 1945 u.a. von Großbritannien und den USA als Kriegsverbrecher gesucht. Er hatte zwischen 1941 und 1945 von Berlin aus die muslimischen SS-Divisionen betreut und persönlich dafür gesorgt, dass Tausende jüdische Kinder, die andernfalls hätten gerettet werden können, vergast wurden. Dies war 1946 bekannt. Doch um es sich nicht mit der arabischen Welt zu verderben, verzichteten Großbritannien und die USA auf die Strafverfolgung, während Frankreich, in dessen Gewahrsam sich al-Husseini 1946 befand, ihn laufen ließ. Diese faktische Amnestie signalisierte der arabischen Welt „eine Absolution für geschehene und kommende Ereignisse“, schrieb Simon Wiesenthal im Dezember 1946. Diese Absolution forderte insbesondere die damals in Ägypten wichtigste politische Kraft, die Muslimbruderschaft. Sie wurde während der dreißiger Jahre mit Nazigeldern subventioniert und deckt das Wirken des Muftis bis heute bedingungslos.
Die beiden entgegengesetzten Sichtweisen auf den Holocaust prallten im November 1947 in der Vollversammlung der Vereinten Nationen erstmals aufeinander. Auf der einen Seite diejenigen, die die Schoah als Katastrophe betrachteten und die sich deshalb für die Teilung Palästinas und die Gründung Israels einsetzten. Auf der anderen Seite die prinzipiellen Gegner der Zweistaaten-Lösung, deren einflussreichster Vertreter der erneut zum palästinensischen Wortführer avancierte Amin al-Husseini war. Die Araber, so sein Vorschlag, „sollten gemeinsam über die Juden herfallen und sie vernichten, sobald sich die britischen Streitkräfte [aus dem Mandatsgebiet Palästina] zurückgezogen hätten“.13 Doch auch die Muslimbrüder reihten den UN-Beschluss in ihr antisemitisches Weltbild ein und attackierten den Teilungsbeschluss als ein „internationales Komplott, ausgeführt von den Amerikanern, den Russen und den Briten unter dem Einfluss des Zionismus“.14 So wurde nach den Jubelfeiern über die Rückkehr des Mufti von 1946 die Realität des Holocaust 1947 ein zweites Mal ignoriert. Arabische Führer, die mit dem Teilungsplan privat sympathisierten, wagten nicht, dem Mufti und den Muslimbrüdern zu widersprechen. Der Zynismus des Westens, der den Mufti 1946 unbehelligt laufen ließ, und der Opportunismus der Araber bereiteten einer der fatalsten Entscheidungen des 20. Jahrhunderts den Weg: dem Überfall arabischer Armeen auf das von den Vereinten Nationen sanktionierte Israel.
Die Niederlage dieser Armeen spülte 1952 einen weiteren früheren Parteigänger der Nazis, Gamal Abdel Nasser, an die Macht. Nasser ließ die „Protokolle der Weisen von Zion“ verbreiten und versicherte noch 1964 der Deutschen Nationalzeitung: „Die Lüge von den sechs Millionen ermordeten Juden wird von niemandem ernst genommen.“ Jetzt war es die Sowjetunion, die keine Schwierigkeiten hatte, sich mit dem Antisemitismus und der Holocaust-Leugung ihres Verbündeten zu arrangieren.
Diese zweite Teilung der Welt hat bis heute verhindert, dass das deutsche Verbrechen an den Juden Eingang in das Bewusstsein arabischer Gesellschaften fand. Stattdessen dominiert die Idee, dass der Holocaust ein Vorwand zur Rechtfertigung Israels sei und jede ernsthafte Befassung damit ein Verrat an der palästinensischen Sache. Während im Westen seit Beginn der achtziger Jahre die Aufklärung über den Holocaust intensiviert wurde, zog es zeitgleich immer mehr Holocaust-Leugner in die arabische Region, wo ihre Schriften Rekord-auflagen erreichten. Mit jeder Generation vertiefte sich das geschichtspolitische Schisma zwischen der westlichen und der arabischen Welt. Die Mitverantwortung des Westens für diese Entwicklung ist evident: Man legte gegenüber den Nazi-Ideologien im arabischen Gewand eine Unbekümmertheit an den Tag, die im eigenen Machtbereich undenkbar war. Während sich Europa und die USA jahrzehntelang mit diesem historiographischen Status quo zufrieden gaben, hat Achmadinedschad jetzt den faulen Frieden lautstark und zu seinen Bedingungen gesprengt. Er hat den Kampf zur Durchsetzung seiner negationistischen Wahrheit auf die Tagesordnung gesetzt – und dies nicht nur in der arabisch-islamischen Welt.
Zionisten als Urgrund alles Bösen
Achmadinedschad agiert als Weltpopulist, als ein Arafat im Mao-Look. Seine Reden sind an alle Unterdrückten adressiert: „Vorbei ist die Zeit des Herumkommandierens“, verspricht er ihnen, „und begonnen hat die Gewalt des Volkes.“15 Er kümmert sich um gute Beziehungen zu Fidel Castro sowie zu Venezuelas Staatspräsident Hugo Chávez und kündigt seine Teilnahme am Gipfel der Blockfreien Staaten im September 2006 in Havanna an. Er beteuert, dass das Leben jeder ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe respektiert werden müsse und erklärt, dass es den etwa 25 000 im Iran lebenden Juden gut gehe und diese mit einem Quotensitz im iranischen Parlament vertreten sind. Auch in Zukunft, so der Präsident, müsse zwischen Zionismus und Judaismus unterschieden werden.16 Ist er also gar kein Antisemit? Mitnichten.
Achmadinedschad verwendet den Begriff „Zionist“ so, wie Hitler das Wort „Jude“ benutzte: als Urgrund alles Bösen auf dieser Welt. „Die Zionisten“ hätten in den letzten 60 Jahren „alle westlichen Regierungen“ erpresst. „Die Zionisten“ hätten die dänischen Karikaturen fabriziert und die schiitische Kuppelmoschee im Irak zerstört.17
Wer Juden für alles Böse der Welt verantwortlich macht, ist vom Antisemitismus beherrscht. Er muss Israel als die „Keimzelle des Bösen“ auslöschen wollen, um die Welt zu retten. Er muss den Holocaust leugnen, um seiner Wahrheit den Weg zu bahnen. Dämonisierung der Juden, Leugnung des Holocaust und der Wille, Israel zu liquidieren – dies sind die Seiten eines ideologischen Dreiecks, das sich nicht halten könnte, wenn auch nur ein Element fehlt. Achmadinedschad sucht diesen Antisemitismus hinter seinen Angriffen auf den „Zionismus“ zu verstecken. Er möchte trotz seiner Holocaust-Leugnung als Sprecher der „unterdrückten Völker“ anerkannt werden.
Sein außergewöhnliches Sendungsbewusstsein, das seinem Konfronta-tionskurs die Stoßkraft verleiht, verdankt Achmadinedschad dem Mythos vom Zwölften Imam, jenes islamischen Messias, der als letzter unmittelbarer Nachkomme Mohammeds im Jahre 874 spurlos verschwand. Die Schia stützt sich auf den Glauben, dass dieser Imam irgendwann aus seiner Verborgenheit hervortreten und die Welt von allen Übeln befreien wird. Für Achmadinedschad aber ist die Vorbereitung auf die Wiederkehr des Messias „die wichtigste Mission unserer Revolution“.18 Er wähnt sich als der unmittelbare Wegbereiter des Zwöften Imam, getragen von einer Vorsehung und betraut mit einer Mission. Und er glaubt, was er sagt: Seine erste Rede vor den Vereinten Nationen beendete Achmadinedschad im September 2005 nicht nur mit der flehentlichen Bitte an Gott, die Wiederkehr des Zwölften Imam zu veranlassen. Nach eigenem Bekunden sah er sich während seiner Rede von einer mystischen Lichtsäule umgeben, die seine Zuhörer geradezu habe erstarren lassen. Achmadinedschad führt seinen antiwestlichen und antijüdischen Kampf in der sicheren Überzeugung, von göttlicher Rückendeckung geleitet zu sein. Es ist dieses Sendungsbewusstsein, dass die iranische Führung dazu treibt, ihre Agenda so riskant und lustvoll provokant voranzutreiben. Offensive pur: Da wird der Westen zum bösen Anderen gestempelt und mit Drohungen gegen Israels Existenz die Option eines neuen epochalen Verbrechens an Juden zur Regierungspolitik erklärt. Da wird der Zwölfte Imam zu einer Realität, der Holocaust hingegen zum Mythos erklärt. Spätestens an dieser Stelle wird die Lage für Deutschland und seine politische Kultur ziemlich ungemütlich.
Aus der Geschichte gelernt?
Achmadinedschads Offensive bringt die deutsche Iran-Politik in eine prekäre Situation. Seit Hans-Dietrich Genscher 1984 dem Mullah-Regime als erster westlicher Außenminister die Aufwartung machte, ist Deutschland der engste Verbündete Irans in der westlichen Welt. Der manifeste Antisemitismus und Anti-Israelismus des Regimes stellten hierfür ebenso wenig ein Hindernis dar wie die Tatsache, dass sich der Iran seit vielen Jahren als das Zentrum aller Holocaust-Leugner in Empfehlung bringt. Schon der frühere Präsident Ali Akbar Rafsandschani hatte erklärt, dass „Hitler nur 20 000 Juden getötet hatte, nicht sechs Millionen.“19 Nicht zufällig zog es die meisten Holocaust-Leugner aus dem Westen, die sich ihrer Bestrafung durch Flucht entziehen wollten, nach Teheran.
Daran störte sich Deutschland nicht; das ökonomische Interesse ging vor. Immer wieder genehmigten Bundesregierungen unterschiedlicher politischer Couleur die Wiederauflage und Erhöhung so genannter Hermes-Bürgschaften, um die unternehmerischen Risiken deutscher Iran-Geschäfte staatlich abzufedern. Zusätzlich unterzeichneten beide Länder 2002 ein Investitionsschutzabkommen, das den Iran für weitere deutsche Unternehmen schmackhaft machen sollte. Dank dieser politischen Flankierung erlebten deutsche Ausfuhren in den Iran Wachstumssprünge von 33 Prozent im Jahr 2004 und 47 Prozent im Jahr 2005.20
Jahrzehntelang blieben die bilateralen Beziehungen diskret. Während Deutschland nach außen hin keinen Zweifel ließ, die richtigen Lehren aus der Vergangenheit gezogen zu haben, wurden Holocaust-Leugner vom Schlag eines Rafsandschani hofiert und die Kampfaufrufe gegen Israels Existenz beflissen ignoriert. Das Schlagwort vom „Kritischen Dialog“ verdeckte diesen Widerspruch und erfüllte so eine Placebo-Funktion.
Damit ist es seit Achmadinedschad vorbei. Seine lautstarken Angriffe auf Israel und die Opfer der Schoah erzwingen eine Entscheidung: Entweder zeigt Deutschland in Anbetracht seiner Geschichte gerade in diesem Punkt nicht „die geringste Toleranz“, wie Bundeskanzlerin Merkel im Februar 2006 nahelegte. Oder die Holocaust-Leugnung wird als Marginalie ignoriert, die das Geschäft nicht stören darf. Für die letztgenannte Orientierung steht der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes. Er schlug vier Wochen nach Beginn der den Holocaust leugnenden Tiraden nicht den Abbruch, sondern die Ausweitung der bilateralen Beziehungen vor. Europa „kann und sollte Iran weit reichende Formen der Zusammenarbeit in Aussicht stellen“ und das Land „als das akzeptier(en), was es (…) sein will: eine ernst zu nehmende regionale Mittelmacht mit dem Potenzial, zum wichtigsten Partner Europas zu werden.“21 Achmadinedschads Holocaust-Leugung erwähnt er en passant, als handele es sich um eine Meinung. Dass ein Präsident, der den Juden ihre Geschichte, ihr Leiden, ja geradezu ihre Existenz abspricht, zu allem imstande sein dürfte, scheint er nicht zu sehen. Der Vorschlag, jetzt „vor allem“ dem Iran eine „strategische Partnerschaft“ anzubieten, ist abgründig. Es ist nicht gerade beruhigend, dass dem Leiter des wichtigsten deutschen Think-Tanks der moralische Kompass ausgerechnet dann zu versagen scheint, wenn dieser für die Orientierung wichtiger ist denn je.
In Deutschland werden die beunruhigendsten Aspekte der gegenwärtigen iranischen Politik kaum wahrgenommen. So können die gegenwärtigen Machthaber in Teheran ohne erkennbare Reaktion des Bundespresseamts über die Bundeskanzlerin behaupten: „In ihrer kindlichen Vorstellung sieht Frau Merkel sich selbst als Hitler (...) Natürlich kann man von Personen mit zionistischer Vergangenheit nichts anderes erwarten.“22 Die folgende, unverforene Behauptung der regierungseigenen Zeitung Jomhouri Islami, war deutschen Presseagenturen nicht einmal eine Meldung wert: danach habe der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl während einer Gala-Dinner iranischen Unternehmern gegenüber erklärt: „Was Achmadinedschad über den Holocaust sagte, wollten wir schon seit Jahren aussprechen. Wir hatten jedoch nicht den Mut dazu.“23
Während Machmud Achmadinedschad längst von einem Krieg spricht und die Europäer als kläffende Hunde verlacht, die nach dem ersten Tritt das Weite suchen, scheint man in Deutschland das Wort „Feind“ aus dem moralischen und politischen Wortschatz gestrichen zu haben: Ein Feind ist lediglich ein Freund, mit dem man noch nicht lange genug verhandelt hat. Noch im Februar 2006 äußerte Rupert Polenz, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, die Hoffnung, dass Deutschland „wegen der traditionell langen und guten Beziehungen zu Teheran auch bei einer Situation noch Gehör finde(t), wo man ansonsten relativ taub geworden ist“. Diese Erwartung wurde offenkundig enttäuscht. Warum ruft Polenz dann aber einen Monat später die USA zu „direkten Verhandlungen“ mit Teheran sowie zur Berücksichtigung der „legitimen Sicherheitsinteressen“ Irans auf? Dass der iranische Präsident die Sicherheitsinteressen seines Landes bedroht sehen könnte, unterstellen ihm nur diejenigen, die sich weigern, seine Kriegserklärung ernst zu nehmen: „Wir stehen inmitten eines historischen Krieges, der seit Hunderten von Jahren andauert“, erklärte Achmadinedschad im Oktober 2005. „Wir müssen uns die Niedrigkeit unseres Feindes bewusst machen, damit sich unser heiliger Hass wie eine Welle immer weiter ausbreitet.“
„Wir haben aus unserer Geschichte gelernt“, hat die Bundeskanzlerin auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2006 erklärt. Tatsächlich? Hatte man nicht auch 1933 gehofft, dass ein derart verrückter Führer binnen kürzester Frist wieder von der Bühne abtritt? Hatte man sich nicht damals schon geweigert, das, was in den Ohren vernünftiger Menschen einfach nur verrückt klingt, ernst zu nehmen? Hatte man nicht selbst 1937 noch gehofft, das bedrohliche Deutsche Reich durch Entgegenkommen zu beschwichtigen und zu zähmen? Nur eine verschwindende Minderheit wusste damals, was Stefan Zweig kurz vor seinem Selbstmord notierte, nämlich „dass das Ungeheuerlichste als selbstverständlich zu erwarten war“.
Das Ungeheuerlichste aber trägt ein immer neues Gesicht. Heute kommt es in Gestalt sympathischer Typen vom Schlage eines Ahmed Kasemi und eines Farid Mortazawi daher, die aus dem Holocaust eine Karikatur machen wollen. Der polnische Außenminister Stefan Meller hat das Notwendige dazu gesagt: Es sei „jenseits jeglicher vorstellbaren Norm, das Thema zu hinterfragen, zu diskutieren oder zu verhandeln“.24 Ein Land aber, das den Wahnsinn – jenseits jeglicher vorstellbarer Norm – als Regierungspolitik praktiziert, hat sich aus der Gemeinschaft, die man die „Vereinten Nationen“ nennt, herauskatapultiert. Es ist umso bemerkenswerter, dass Deutschland auch weiterhin ganz normale Beziehungen zu Achmadinedschads Iran unterhält.
Dr. MATTHIAS KÜNTZEL, geb. 1955, ist Politikwissenschaftler und seit 2004 Associate Researcher am Vidal Sassoon International Centre for the Study of Antisemitism (SICSA) an der Hebrew University von Jerusalem. 2002 erschien sein Buch „Djihad und Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg“.
- 1MEMRI, Special Dispatch, 2.11.2005.
- 2MEMRI Special Report, 5.1.2006.
- 3MEMRI, Dispatch Series, Nr. 1091.
- 4Rede vom 13.12.2005, zitiert in MEMRI Special Report 39, 5.1.2006.
- 5Siehe Anm. 4.
- 6Neue Zürcher Zeitung, 16.1.2006.
- 7Spiegel-Online Interview, 17.2.2006.
- 8Deutsche Welle, 18.1.2006.
- 9Siehe Anm. 3.
- 10So Fakhri Saleh, Mitarbeiter von Al-Hayat, in der Neuen Zürcher Zeitung vom 19.1.2006.
- 11Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem, München 1986, S. 81.
- 12Ragab in der Ausgabe vom 20.4.2001. Er wiederholte diesen Standpunkt in Al-Akhbar am 25.4.2001 und am 27.5.2001. Vgl. Anti-Defamation League: Holocaust Denial in the Middle East: The Latest Anti-Israel Propaganda Theme, New York, 2001, S. 2 (www.adl.org).
- 13Nicolas Bethell: Das Palästina-Dreieck. Juden und Araber im Kampf um das britische Mandat 1935–1948, Frankfurt/Main, 1979, S. 381.
- 14Matthias Küntzel: Von Zeesen bis Beirut. Nationalsozialismus und Antisemitismus in der arabischen Welt, in: Doron Rabinovici, Ulrich Speck und Nathan Sznaider (Hrsg.): Neuer Anti-semitismus?, Frankfurt a.M. 2004, S. 287.
- 15Zit. nach Rainer Hermann: Iran droht dem Westen mit „Schaden und Schmerzen“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.3.2006.
- 16MEMRI, Special Report, 5.1.2006, S.17, Fußnote 16.
- 17Fußnote 16. 17 WorldNetDaily, 11.2.2006.
- 18Paul Huges: Iran president paves the way for arabs’ imam return, Reuters, 17.11.2005.
- 19Anti-Defamation League (Anm. 12), S. 8, sowie Iran: Holocaust ist Übertreibung, Tageszeitung (taz), 26.4.2001.
- 20Wahied Wahdat-Hagh: Europäische Diplomatie in der Sackgasse, Internationale Politik, März 2006, S. 69.
- 21Volker Perthes: Die iranische Herausforderung, Handelsblatt, 10.1.2006.
- 22MEMRI – Special Dispatch, 15.2.2005.
- 23Zit. nach www.iranfocus.com/modules/news/article.php?storyid=6085.
- 24Spiegel-Online, 17.2.2006.
Internationale Politik 4, April 2006, S. 75 - 83