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01. Okt. 2003

Der Widerspenstigen Zähmung

Wie die Palästinenser befriedet werden sollen

Die „Roadmap“ zur Beendigung des israelischen-palästinensischen Konflikts ist kein Friedensplan, sondern ein Instrument zur „Befriedung“ der rebellischen Palästinenser – als ob das zentrale Problem des Konflikts nicht die Besatzung, sondern „die Wildheit des palästinensischen Widerstandes sei“, urteilte Edward Said. Zwar spart auch er nicht mit Kritik an der palästinensischen Führung – aber ganz pessimistisch sieht er die Zukunft seines Volkes dennoch nicht.

Als der amerikanische Außenminister, Colin Powell, Anfang Mai 2003 auf dem Weg nach Israel und in die besetzten Gebiete war, traf er sich mit Mahmud Abbas, dem damaligen palästinensischen Ministerpräsidenten und separat mit einer kleinen Gruppe zivilgesellschaftlicher Vertreter, unter anderem Hanan Ashrawi und Mustafa Barghuti. Wie Barghuti berichtete, zeigte sich Powell überrascht und leicht konsterniert beim Anblick der digitalisierten Landkarten der israelischen Siedlungen, des acht Meter hohen Zaunes und der Dutzende von Kontrollpunkten der israelischen Armee, die das Leben der Palästinenser so schwer und ihre Zukunft so düster gemacht haben.

Zwar ist Powells Sicht der palästinensischen Wirklichkeit trotz seiner hervorgehobenen Stellung – vorsichtig formuliert – lückenhaft, aber er hatte nach Material gefragt, das er mitnehmen könne, und – weit wichtiger – er versicherte den Palästinensern, dass die Umsetzung des Friedenslans (der Roadmap) mit dem gleichen Einsatz, mit dem Präsident George W. Bush Irak angegangen hätte, vorangetrieben werden würde. Denselben Standpunkt vertrat Bush Ende Mai in einer Reihe von Interviews, die er arabischen Medien gab, auch wenn er, wie üblich, Allgemeines betonte und nicht irgendetwas Spezifisches. Er traf sich mit palästinensischen und israelischen Führungspolitikern in Jordanien und zuvor mit wichtigen arabischen Führungspolitikern – außer natürlich mit Syriens Präsidenten Baschar al-Assad. All dies sieht heute wie ein größerer amerikanischer Vorstoß aus. Dass der israelische Ministerpräsident, Ariel Sharon, den Friedensplan akzeptiert hat (mit ausreichend Vorbehalten, die seine Zustimmung einschränken), scheint einen lebensfähigen palästinensischen Staat wahrscheinlich zu machen.

Bushs Vision (dieses Wort hat einen träumerischen Unterton, steht aber nur für einen nüchternen, entschlossenen Drei-Phasen-Friedensplan) soll durch eine umstrukturierte Autonomiebehörde, die Beendigung aller Gewalt und Hetze gegen Israelis, die Einsetzung einer Regierung, die die Auflagen Israels und des so genannten Quartetts (USA, UN, EU und Russland) erfüllt, das diesen Plan entworfen hat, erreicht werden. Israel seinerseits soll die humanitäre Situation verbessern, die Beschränkungen und Ausgangssperren aufheben. Wo und wann dies geschehen soll, wurde jedoch nicht festgelegt. Im Juni 2003 sollten bereits als Teil der ersten Phase des Friedensplans die letzten 60 Hügelsiedlungen geräumt worden sein (die so genannten „illegalen“, im März 2001 angelegten Vorpostensiedlungen), doch wurde nichts über die Beseitigung der anderen Siedlungen gesagt, in denen im Westjordanland und im Gaza-Streifen 200 000 Siedler leben, ganz zu schweigen von den weiteren 200 000 im annektierten Ost-Jerusalem. Die zweite Phase, beschrieben als ein Übergang, der von Juni bis Dezember 2003 laufen soll, soll, was ein wenig merkwürdig anmutet, auf die „Option der Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staates mit provisorischen Grenzen und Merkmalen von Souveränität“ ausgerichtet sein – keine davon spezifiziert – und schließlich in einer internationalen Konferenz enden, die einen palästinensischen Staat erst gutheißt und dann „schafft“, immer noch mit „provisorischen Grenzen“.

Die dritte Phase soll den Konflikt endgültig beilegen, wiederum auf dem Wege einer Konferenz, deren Aufgabe es sein wird, die schwierigsten Probleme zu lösen: Flüchtlinge, Siedlungen, Jerusalem und die Grenzen. Israels Rolle dabei soll in Kooperation bestehen. Die wahre Last liegt auf den Schultern der Palästinenser, die mit Ergebnissen in schneller Folge aufwarten müssen, während die militärische Besetzung mehr oder weniger bestehen bleibt, wenn auch erleichtert in den Hauptgebieten, die im Frühjahr 2002 besetzt worden sind.

Es ist kein Element der Überwachung vorgesehen, und die irreleitende Symmetrie der Struktur des Planes überlässt es zum großen Teil Israel, was – wenn überhaupt – als nächstes passiert. Was die Menschenrechte der Palästinenser angeht – zurzeit eher unterdrückt als ignoriert –, so ist keine spezifische Verbesserung im Plan vorgesehen; offensichtlich ist es Israel überlassen, ob es weitermacht wie bisher oder nicht.

Eine realistische Lösung?

Zum ersten Mal habe Präsident Bush – so die einschlägigen Kommentatoren – eine realistische Hoffnung auf eine Lösung des Nahost-Konflikts in Aussicht gestellt. Kalkuliert undichte Stellen aus dem Weißen Haus haben durchsickern lassen, dass es eine Liste möglicher Sanktionen gegen Israel gebe, falls Sharon zu unnachgiebig werde. Aber diese Information wurde rasch dementiert und verschwand daraufhin. In den Medien entstand die einhellige Meinung, dass die Inhalte des Planes – vieles davon stammte aus früheren Plänen – eine Folge von Bushs neuem Selbstvertrauen nach seinem Triumph in Irak seien. Wie bei den meisten Diskussionen über den palästinensisch-israelischen Konflikt bestimmen eher manipulierte Klischees und weit hergeholte Annahmen den Gang der Diskussion als die Realitäten der Macht und der gelebten Geschichte. Skeptiker und Kritiker werden mit dem Argument, sie seien antiamerikanisch, beiseite geschoben, und ein beträchtlicher Teil der organisierten jüdischen Elite hat dem Friedensplan angekreidet, er verlange von Israel zu weit reichende Konzessionen. Aber die Presse des Establishments erinnert uns immer wieder daran, dass Sharon von einer „Besatzung“ gesprochen hat, was er bis dahin nicht eingestanden hatte, und dass er seine Absicht angekündigt hat, die Herrschaft Israels über 3,5 Millionen Palästinenser zu beenden. Doch ist er sich eigentlich dessen bewusst, was er beenden will?

Gideon Levy, Kommentator der israelischen Tageszeitung Ha’aretz, hat am 1. Juni 2003 geschrieben, dass Sharon (wie die meisten Israelis) nichts weiß über „das Leben unter einer Ausgangssperre in Gemeinden, die seit Jahren besetzt sind. Was weiß er über die Demütigungen an den israelischen Kontrollpunkten oder über das Reisen auf Sandwegen und Schotterstraßen, um unter Lebensgefahr eine Frau in Wehen in ein Labor oder in ein Krankenhaus zu bringen? Über das Leben am Rande des Verhungerns? Über zerstörte Häuser? Über Kinder, die sehen, wie ihre Eltern mitten in der Nacht geschlagen und gedemütigt werden?“

Eine weitere entmutigende Auslassung im Friedensplan ist die gigantische „Trennmauer“, die zurzeit von Israel im Westjordanland gebaut wird: 347 Kilometer Beton von Nord nach Süd, von denen bereits 120 Kilometer gebaut worden sind. Sie ist knapp acht Meter hoch und 3,5 Meter breit und soll 1,6 Millionen Dollar pro Kilometer kosten. Die Mauer trennt nicht einfach Israel von einem potenziellen palästinensischen Staat auf der Grundlage der Grenzen von 1967: sie nimmt in Wahrheit neue Streifen vom palästinensischen Land, manchmal um fünf oder sechs Kilometer an einem Stück. Sie ist umgeben von Gräben, zum Teil mit Wasser gefüllt, und von Elektrozäunen; in regelmäßigen Abständen sind Wachtürme aufgestellt.

Fast ein Jahrzehnt nach der Beendigung der Apartheid in Südafrika wird diese schreckliche Rassistenmauer errichtet – ohne ein Wort von der Mehrheit der Israelis oder von ihren amerikanischen Verbündeten, die, ob sie wollen oder nicht, den Großteil dieser Kosten werden übernehmen müssen. Die 40 000 palästinensischen Einwohner der Stadt Kalkilya haben ihre Häuser auf der einen Seite der Mauer und das Land, das sie bewirtschaften und von dem sie leben, liegt auf der anderen Seite. Es wird geschätzt, dass, wenn die Mauer fertig ist – wahrscheinlich während die Vereinigten Staaten, Israel und die Palästinenser monatelang über Verfahrensfragen debattieren – annähernd 300 000 Palästinenser von ihrem Land getrennt sein werden. Der Friedensplan sagt zu all dem nichts, wie er auch zu Sharons kürzlicher Genehmigung einer Mauer an der östlichen Seite des Westjordanlands nichts gesagt hat, die – falls sie gebaut wird – den Teil des palästinensischen Territoriums, der für Bushs „Traumstaat“ vorhanden ist, auf ungefähr 40 Prozent des Gebiets reduziert. Das ist es, was Sharon schon die ganze Zeit vorschwebte.

Der stark modifizierten Anerkennung des Planes durch Israel und der offenkundigen Unterstützung der USA liegt eine unausgesprochene Voraussetzung zugrunde: der relative Erfolg des palästinensischen Widerstands. Dies trifft zu, ob man nun einige seiner Methoden, seine exorbitanten Kosten oder die hohe Todesrate, die er in einer weiteren Generation von Palästinensern gefordert hat, die angesichts der überragenden Überlegenheit der israelisch-amerikanischen Macht noch nicht gänzlich aufgegeben hat, beklagenswert finden mag oder nicht. Alle möglichen Gründe für das Entstehen des Friedensplans sind ins Feld geführt worden: dass 56 Prozent der Israelis ihn befürworten, dass Sharon sich endlich den internationalen Gegebenheiten gebeugt hat, dass Bush eine arabisch-israelische Deckung gebraucht hat für seine militärischen Abenteuer anderswo, dass die Palästinenser endlich zur Vernunft gekommen seien und Abu Mazen (so Mahmud Abbas weit geläufigere, angenommene Name) ins Spiel gebracht hätten und so weiter.

Widerstand der Palästinenser

Einige dieser Gründe sind richtig, aber ich behaupte immer noch, dass es keinen Friedensplan gegeben hätte, wenn es nicht auf Seiten der Palästinenser die starrköpfige Weigerung geben würde, hinzunehmen, dass sie ein „besiegtes Volk“ seien, wie der israelische Generalstabschef es unlängst behauptet hat. Jeder, der meint, dass der Friedensplan tatsächlich so etwas ähnliches wie eine Lösung anbieten oder die grundlegenden Fragen angehen würde, der irrt. Wie so vieles im derzeitigen Friedensdiskurs legt der Friedensplan die Forderung nach Zurückhaltung, Verzicht und Opfer schlicht den Palästinensern auf und leugnet somit die Schwärze und schiere Schwere der palästinensischen Geschichte. Den Friedensplan zu lesen, ist wie mit einem Dokument außerhalb von Zeit und Raum konfrontiert zu werden.

Mit anderen Worten: der Friedensplan ist nicht wirklich ein Plan für den Frieden, sondern vielmehr ein Plan zur Befriedung. Es ist ein Plan, um das Problem Palästina zu lösen. Daher auch die ständige Wiederholung des Begriffs „Performance“ – also Leistung, Benehmen – in der hölzernen Prosa des Dokuments. Mit anderen Worten: wie sich die Palästinenser benehmen sollen, fast sogar im sozialen Sinne des Wortes – keine Gewalt, mehr Demokratie, bessere Politiker und Institutionen. All dies beruht auf der Vorstellung, dass das dem Ganzen zugrunde liegende Problem die Wildheit des palästinensischen Widerstands sei und nicht die Besatzung, die ihn hervorgerufen hat.

Nichts Vergleichbares wird von Israel erwartet, außer dass die kleinen Siedlungen, von denen ich bereits gesprochen habe, als illegale Vorposten bezeichnet (eine gänzlich neue Klassifizierung, die nahe legt, dass einige israelische „Einpflanzungen“ auf palästinensischem Boden legal seien) aufgegeben und, ja tatsächlich, die größeren Siedlungen „eingefroren“ werden müssen, gewiss aber nicht entfernt oder abgebaut. Nicht ein Wort wurde darüber verloren, was Palästinenser seit 1948 und nochmals seit 1967 durch Israel und die Vereinigten Staaten erleiden mussten; nichts darüber, wie sich die palästinensische Wirtschaft entwickelt hat, wie es die amerikanische Wissenschaftlerin Sara Roy in ihrem bald erscheinenden Buch1 beschreibt. Ebenso nichts über die Zerstörung von Häusern, das Herausreißen von Bäumen, die 5000 oder mehr Gefangenen, die Politik der gezielten Ermordung, die Absperrungen seit 1993, die vollständige Zerstörung der Infrastruktur, die unermessliche Zahl an Toten und Verstümmelten – all das und weiteres mehr geht durch, ohne dass ein Wort darüber verloren wird.

Aussichten auf Frieden

Die barbarische Aggression und der halsstarrige Unilateralismus der amerikanischen und israelischen Führungsmannschaft sind bestens bekannt. Die palästinensische Führungsriege ist alles andere als vertrauenerweckend, besteht sie doch derzeit aus wiederverwerteten und alt gewordenen Getreuen Yasser Arafats. In der Tat scheint der Friedensplan dessen Leben verlängert zu haben, trotz der bemühten Versuche Colin Powells und seiner Mitarbeiter, einen Besuch bei ihm zu vermeiden. Trotz der dummen Politik Israels, Arafat zu demütigen, indem man ihn in einem furchtbar zerbombten Gebäude einsperrt oder droht, ihn auszuweisen, hat er immer noch die Fäden in der Hand. Er bleibt Palästinas gewählter Präsident, er hat die Kontrolle über die Finanzen (auch wenn die Kasse alles andere als voll ist), und was sein Ansehen angeht, kann keiner aus der derzeitigen „Reformmannschaft“ (die – abgesehen von zwei oder drei bedeutsamen Neuzugängen – aus den Mitgliedern des alten Teams besteht, lediglich neu gemischt) es in punkto Charisma und Macht mit dem alten Mann aufnehmen.

Es scheint auf jeden Fall klar zu sein, dass, wie gewissenhaft und flexibel der Nachfolger von Mahmud Abbas, Ahmed Kurei, sein Amt auch ausüben mag, er durch drei Faktoren in seiner Machtausübung eingeschränkt sein wird.

Der erste Faktor ist natürlich Arafat selbst, der, wie der Rücktritt von Abbas gezeigt hat, immer noch die Fatah kontrolliert, die natürlich auch, zumindest in der Theorie, die Machtbasis von Abbas und Kurei ist. Der zweite Faktor ist Ariel Sharon (der vermutlich während des gesamten Friedensprozesses die USA hinter sich haben wird). In einer Liste von 14 „Bemerkungen“ über den Friedensplan, veröffentlicht am 27. Mai 2003 in Ha’aretz, machte Sharon die sehr engen Grenzen deutlich, die als Flexibilität auf Seiten Israels ausgelegt werden könnten. Der dritte Faktor besteht aus George W. Bush und seiner Entourage. Nach dem zu urteilen, wie sie mit Nachkriegs-Afghanistan und Nachkriegs-Irak umgegangen sind, haben sie weder die Nerven noch die Befähigung zum Aufbau von Staaten, die mit Sicherheit von Nöten sein werden. Bushs rechte christliche Basis im amerikanischen Süden hat schon lautstark dagegen protestiert, dass auf Israel Druck ausgeübt wird, und die einflussreiche amerikanische Pro-Israel-Lobby mit ihrem sanftmütigen Anhängsel, dem von Israel besetzten amerikanischen Kongress, haben sich in Bewegung gesetzt, um jedem Anschein von Zwang gegen Israel entgegenzuwirken, auch wenn er nun entscheidend wird, nachdem jetzt die Schlussphase begonnen hat.

Es mag vielleicht paradox klingen, aber auch wenn die unmittelbaren Aussichten aus palästinensischer Sicht trostlos sind, so sind sie doch nicht gänzlich düster. Ich komme noch einmal auf die Halsstarrigkeit zurück, die ich am Anfang erwähnte, und die Tatsache, dass die palästinensische Gesellschaft – zerstört, fast ruiniert, hoffnungslos in so vielerlei Hinsicht – „eine Drossel“ ist, „gerade noch fähig, ihre Seele über die wachsende Dunkelheit zu erheben“, wie es in einem Gedicht von Thomas Hardy heißt. Keine andere arabische Gesellschaft ist so eigensinnig und auf gesunde Weise widerspenstig, und keine hat mehr zivile und soziale Initiativen und funktionierende Institutionen (einschließlich eines lebendigen Musikkonservatoriums) wie die palästinensische. Auch wenn sie meistens unorganisiert sind und in einigen Fällen ein tristes Leben im Exil oder als Staatenlose führen, engagieren sich die Palästinenser in der Diaspora mit viel Energie für die Probleme ihres gemeinsamen Schicksals, und jeder, den ich kenne, versucht immer wieder, die Sache voranzubringen.

Nur ein Bruchteil dieser Energie hat bisher den Weg in die Palästinensische Autonomiebehörde gefunden, die mit Ausnahme der extrem ambivalenten Person Arafat auf befremdliche Weise für das gemeinsame Schicksal marginal geblieben ist. Laut jüngsten Umfragen haben Fatah und Hamas zusammen eine Unterstützung von ungefähr 45 Prozent der palästinensischen Wähler, die restlichen 55 Prozent orientieren sich in eine andere Richtung, die der hoffnungsvoller erscheinenden politischen Formationen.

Die Nationale Politische Initiative

Eine dieser Formationen scheint mir insofern besonders bedeutsam (und ich habe mich ihr angeschlossen), als sie heute die einzige genuin bürgernahe Formation zu sein scheint, die sowohl den religiösen Parteien mit ihrer sektiererischen Politik fern bleibt als auch dem traditionellen Nationalismus der alten (weniger der jungen) Fatah-Aktivisten Arafats. Sie nennt sich Nationale Politische Initiative (NPI), und ihre wichtigste Person ist Mustafa Barghuti, ein in Moskau ausgebildeter Arzt, dessen wichtigste Arbeit die des Direktors des beeindruckenden „Village Medical Relief Committee“ war, das mehr als 100 000 auf dem Land lebende Palästinenser medizinisch versorgt hat.

Barghuti, ehemals ein strammer Kommunist, ist ein stiller Organisator und eine Führungspersönlichkeit, die die Hunderte von physischen Barrieren, die die Bewegungs- und Reisefreiheit der Palästinenser einschränken, überwunden hat, um fast jedes unabhängige Individuum oder jede Organisation von Bedeutung hinter ein politisches Programm zu versammeln, das sowohl soziale Reformen verspricht als auch die Befreiung quer zu den doktrinären Scheidelinien.

Erfreulicherweise völlig frei von konventioneller Rhetorik hat Barghuti mit Israelis, Europäern, Amerikanern, Afrikanern, Asiaten und Arabern gearbeitet, um eine beneidenswert gut funktionierende Solidaritätsbewegung aufzubauen, die den Pluralismus und die Koexistenz praktiziert, die sie predigt. Die NPI legt angesichts der richtungslosen Militarisierung der Intifada nicht die Hände in den Schoß. Sie bietet Schulungsprogramme für Arbeitslose und soziale Dienste für die Mittellosen an als Antwort auf die derzeitigen Umstände und auf den Druck Israels. Vor allem aber versucht die NPI, die auf dem Weg ist, eine anerkannte politische Partei zu werden, die palästinensische Gesellschaft in der Heimat und im Exil für freie Wahlen zu gewinnen, authentische Wahlen, die den Willen der Palästinenser und nicht die Interessen Israels oder Amerikas widerspiegeln. Dieser Sinn für Authentizität hat dem Weg, der für Mahmud Abbas vorgesehen war, gefehlt.

Die Vision ist nicht ein künstlich geschaffener provisorischer Staat auf 40 Prozent des Territoriums, die Flüchtlingsfrage außen vor gelassen und Jerusalem unter israelischer Flagge, sondern die Vision ist ein souveränes Gebiet, von militärischer Besatzung befreit durch Massenaktionen, die Araber und Israelis einbeziehen, wo immer das möglich ist. Weil die NPI eine authentische palästinensische Bewegung ist, gehören Reformen und Demokratie zur tagtäglich geübten Praxis. Viele Hunderte der angesehensten Aktivisten und unabhängigen Köpfe Palästinas sind bereits Mitglieder geworden. Es wurden bereits Organisationstreffen abgehalten, und weitere sind in Palästina und im Ausland geplant, trotz der unvorstellbaren Schwierigkeiten, die von Israel auferlegten Beschränkungen der Bewegungsfreiheit zu umgehen. Es hat etwas Tröstliches zu wissen, dass es, während die offiziellen Beratungen und Diskussionen laufen, eine Menge informeller, nicht bereits vereinnahmter Alternativen gibt, deren Kern die Nationale Politische Initiative und eine wachsende internationale Solidaritätskampagne sind.

Anmerkung

1  Vgl. Sara Roy, Scholarship and Politics: Selected Works of Sara Roy on the Palestinian-Israeli Experience 1985–2003 (erscheint demnächst).