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01. Sep 2007

Der weise Riese

Buchkritik

Wirtschaftlich ist China ein Riese. In der zweiten Jahreshälfte 2006 hat das Land mehr Waren ausgeführt als die USA. Nächstes Jahr wird man voraussichtlich Deutschland als Exportweltmeister ablösen. Doch ist China auch politisch und militärisch schon in der Lage, die Rolle einer verantwortungsvollen Groß- oder gar Weltmacht zu übernehmen?

Auch wenn große Teile Chinas und seiner Bevölkerung weiterhin auf einem wirtschaftlich niedrigen Niveau verharren, so sind die Potenziale und die Leistungskraft der chinesischen Volkswirtschaft so reichlich, dass dem Reich der Mitte ein dauerhafter Platz unter den wichtigsten Wirtschaftsmächten der Welt sicher ist. Zu diesem Urteil gelangen derzeit nicht nur Wirtschaftsexperten rund um den Globus, sondern auch Urs Schoettli. Doch der Asien-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung langweilt seinen Leser nicht mit Einschätzungen, die bereits seit Jahren die Leitartikel der westlichen Zeitungen dominieren. Er wendet sich einer Frage zu, die aus heutiger Perspektive ungleich schwerer zu beantworten ist: Wird China zu einer politischen und militärischen Großmacht, gar Weltmacht aufsteigen?

Von amerikanischer Seite ist in den vergangenen Jahren wiederholt kritisch auf die massive Steigerung der chinesischen Verteidigungsausgaben hingewiesen worden. Dabei wird vermutet, dass die im Staatshaushalt ausgewiesenen Beträge nicht vollständig seien, sondern in den Rüstungsetat noch erheblich mehr Mittel flössen. Und in der Tat: Blickt man auf die vergangenen 15 Jahre zurück, so fällt auf, dass jedes Jahr ein zweistelliger Zuwachs zu verzeichnen war. Folgt man diesen Zahlen, so mag auf den ersten Blick die chinesische Versicherung allein friedlicher Absichten nicht überzeugen.

Hier ist es Schoettlis großes Verdienst, auch einen zweiten Blick aus der chinesischen Perspektive zu wagen. Denn Chinas Verteidigungsausgaben sind im internationalen Vergleich und insbesondere im Verhältnis zu seiner Größe und zu seinen sicherheitspolitischen Aufgaben und Herausforderungen zu sehen. Denn auch wenn Pekings wirkliche Aufwendungen für militärische Aufgaben mit Sicherheit höher zu stehen kommen als in den offiziellen Zahlen ausgewiesen, so gilt: China liegt weit hinter den USA zurück. Und auch Japan wendet mehr Geld für seine Selbstverteidigungsstreitkräfte auf. Bei den chinesischen Angaben ist ferner zu berücksichtigen, dass die Effizienz des Mitteleinsatzes angesichts der hohen Personalbestände stark zu wünschen übrig lassen muss.

Die Ausrüstung der chinesischen Streitkräfte hat sich zwar mit dem technologischen Fortschritt des Landes verbessert, aber Peking ist bei vielen Waffensystemen noch immer auf russische Modelle angewiesen, die mit westlichen Produkten nicht Schritt halten können. Daher drängt die Volksrepublik auf eine Aufhebung des europäischen Waffenembargos, was die EU weiterhin verweigert. Das Festhalten an bisherigen Positionen gegenüber dem Reich der Mitte hält Schoettli für „sehr problematisch“ – offenbar, ohne dabei zu bedenken, dass Großbritanniens schwere Verluste im Falkland-Krieg vor 20 Jahren auf zuvor erfolgte Waffenlieferungen Frankreichs und der USA an Argentinien zurückzuführen waren. Ein sicherheitspolitischer Gau des Westens, dessen Wiederholung die Amerikaner im Fall Taiwans zu verhindern suchen.

Schoettli indes gibt Entwarnung vor derlei Sorgen: Für internationale Abenteuer oder gar für Kriegführung fern der eigenen Grenzen reichten die Kapazitäten, über die China verfüge und auch auf lange Sicht verfügen werde, nicht aus. Peking wird sich in Schoettlis Augen damit abfinden müssen, dass die USA einen globalen Sonderstatus einnehmen, der für China unerreichbar bleiben wird. Eine weise Führung werde an diesem Sachverhalt nichts zu ändern versuchen.

Doch wie viel der sprichwörtlich chinesischen Weisheit steckt in der Führung der Volksrepublik? Nicht nur Pekings aggressive Taiwan-Politik, auch das derzeitige Auftreten in Afrika und in Südamerika lassen bezweifeln, dass China heute bereit ist, die Rolle einer verantwortungsvollen Groß- oder gar Weltmacht zu übernehmen.

Urs Schoettli: China. Die neue Weltmacht. Paderborn:Ferdinand Schöningh Verlag 2007, 239 Seiten, 22,00 €.

Dr. Thomas Speckmann, geb. 1974, Historiker und Politikwissenschaftler, ist Referent in der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen und Lehrbeauftragter am Seminar für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2007, S. 135 - 136.

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