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01. Febr. 2008

Bhutto ist tot – es lebe die Demokratie!

Der Westen muss die pakistanische Mittelschicht unterstützen

Die Medien haben viel Aufhebens darum gemacht, dass Benazir Bhuttos Tod das Ende von Demokratie und Hoffnung in Pakistan ankündigt. Natürlich ist der Tod einer populären Politikerin und Mutter dreier Kinder kein Grund zum Feiern. Und der harte Verdacht, dass die Regierung die Umstände ihres Todes verheimlicht hat, zeigt, dass etwas faul ist im Staate Pakistan. Aber es gibt wenig Anlass für die Vermutung, dass die Demokratiebewegung durch Bhuttos Tod geschwächt wurde.

Wer denkt, mit der Wahl Bhuttos hätten die Vertuschungsaktionen und die politischen Morde aufgehört, vergisst die Tatsache, dass während ihrer Regierungszeit Ähnliches passierte. Amnesty International kritisierte Bhuttos Regierung wegen zahlreicher Menschenrechtsverletzungen. Ihr Bruder Murtaza Bhutto starb durch Schüsse aus einem Hinterhalt der Polizei, angeblich, nachdem er Bhuttos Mann Asif Zardari beleidigt hatte. Bis heute wurde niemand wegen dieses Mordes verurteilt, und Augenzeugen kamen unter verdächtigen Umständen ums Leben.

Benazir Bhutto erweckte vor zwei Jahrzehnten zum ersten Mal falsche Hoffnungen in Pakistan. Sie gewann 1988 mit einer populistischen Kampagne, bei der sie der Bevölkerung „Brot, Kleidung und Häuser“ versprach. Feministinnen hofften, dass sie von General Zia ul Haq eingeführte frauenfeindliche Gesetze zu Vergewaltigungen aufheben und eine Quote für Frauen in der Regierung einführen würde. Bhutto enttäuschte jedoch alle Hoffnungen: In den 20 Monaten ihrer ersten Amtszeit konnte sie keine Gesetzesänderung durchbringen. Ihre zweite Amtszeit ab 1993 bezeichnete Transparency International als eine der korruptesten weltweit. Bhuttos Mann erhielt für sein erfolgreiches Plündern der Staatskassen den Spitznamen „Mr. Zehn Prozent“. Bhutto hatte auch wenig Skrupel, politische Versammlungen der Oppositionsparteien zu verbieten.

Die gebrochenen Versprechungen und Bhuttos gutes Verhältnis zu den USA haben auch dazu beigetragen, dass die Bevölkerung in der von Stammesstrukturen geprägten Nordwestprovinz von der Demokratie enttäuscht ist. Anti-demokratische islamistische Bewegungen breiten sich schnell in der Region aus, und sie entwickelt sich zu einer Festung für die Taliban. Die verurteilen die pakistanische Elite als dekadent und korrupt – zu Recht.

Bhutto war also weder Demokratin, noch eine Freundin der Bevölkerung und auch keine Verteidigerin des Rechtsstaats – was wollten die USA dann von dieser Frau? Sie war eine moderate Muslimin guter Herkunft, mit westlichem Universitätsabschluss und verlockenden Versprechen. Niemand außer ihr garantierte den USA Zugang zu den pakistanischen Stammesgebieten – ein völlig unrealistisches Vorhaben. Aber für eine Regierung, die beständig an außenpolitischer Kurzsichtigkeit leidet, schien Bhutto eine beeindruckende Antwort auf Pakistans Mullah-Terroristen und seinen sich immer diktatorischer gebärdenden Präsidenten.

Musharrafs Popularität begann zu sinken, als er im Frühjahr 2007 den Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs Iftikhar Muhammed Chaudry wegen angeblichen Amtsmissbrauchs entließ. Der Präsident hatte erwartet, dass Chaudry als Vorsitzender des Obersten Gerichtshofs ebenso folgsam sein würde wie in seinen Ämtern zuvor. Als Richter hatte er den Militärputsch des Generals anerkannt, ihm geholfen, seine Herrschaft auf eine legale Basis zu stellen und eine Verfassungsergänzung für rechtsgültig erklärt, die Musharraf mehr Macht, unter anderem über die Armee, gab.

Doch als Vorsitzender des Obersten Gerichtshofs fühlte sich Chaudry den Menschenrechten und der Verfassung mehr verpflichtet als dem Staatsoberhaupt. Er forderte von der Regierung Informationen über verschwundene Personen und erklärte die Privatisierung von Stahlwerken für verfassungswidrig.

Chaudrys Entlassung ließ eine neue Bewegung entstehen: Die Mittelschicht erhob sich für die Unabhängigkeit der Justiz und den Rechtsstaat. Tausende Rechtsanwälte und Richter gingen wochenlang auf die Straße. Dass pakistanische Anwälte sich für den Rechtsstaat einsetzen, ist schon etwas Besonderes. Gewerkschaften, politische Parteien, Studenten und Journalisten schlossen sich ihnen an.

Im Juli 2007 setzte der Oberste Gerichtshof Chaudry wieder ein und hob alle Anklagepunkte gegen ihn auf. Die Richter erklärten seine Entlassung für illegal. Es war das erste Mal, dass der Oberste Gerichtshof sich gegen einen Militärherrscher stellte. Zunächst akzeptierte Musharraf sein Vorgehen.

Aber noch war die Geschichte nicht zu Ende. Am 3. November 2007 erklärte Musharraf den Ausnahmezustand. Er hatte Angst, dass der Oberste Gerichtshof seine Wahl kippen und sein euphemistisch als „Aussöhnungdekret“ betiteltes Gesetz, das Parlamentariern Immunität zusichert, für illegal erklären würde. Er brachte die Medien zum Schweigen und enthob Chaudry und andere ihm nicht gewogene Richter ihrer Ämter.

Inmitten dieses Debakels suchte der um Legitimation ringende Musharraf die Zusammenarbeit mit Benazir Bhutto, die damals sowohl Unterstützung vom Westen genoss als auch in Pakistan beliebt war. Bhutto hatte Musharraf stets kritisiert und auch seinen Umgang mit der Justiz angeprangert. Aber nachdem Musharraf im Oktober 2007 das Aussöhnungdekret ohne störende Judikative verabschiedet hatte, wechselte sie auf seine Seite. Schließlich konnte er durch das Dekret die gegen sie anhängigen Korruptionsverfahren aufheben.

Das ließ sie ihre Meinung prompt ändern. Sie sagte nun, die von Musharraf geschassten Juristen seien sowieso nicht unabhängig gewesen. Es heißt sogar, Bhutto habe ihrer rechten Hand, dem Anwalt Aitzaz Ahsan, der zugleich einer der wichtigsten Berater Chaudrys gewesen war, ein Ultimatum gesetzt: „Entweder ich und die PPP oder Chaudry!“ Der Cambridge-Absolvent und Menschenrechtsverteidiger Ahsan steht zurzeit unter Hausarrest und hat sein Vorhaben, die Wahl anzufechten, zurückgezogen. Benazir Bhutto hätte also die Bewegung, mit deren Hilfe sie zurückkehren konnte, verraten. Sie hätte die Bewegung geschwächt, die eine der wichtigsten Voraussetzungen erfolgreicher Staaten verteidigt: den Rechtsstaat. Washingtons unvernünftige Entscheidung, Bhutto zu unterstützen, ist Resultat eines falschen Demokratieverständnisses. Wahlen garantieren oder sichern keine Demokratie, schon gar nicht, wenn sie manipuliert sind. Mit den Wahlen will die pakistanische Regierung nicht dem Willen des Volkes dienen, sondern diskreditierte autoritäre Strukturen ausbauen.

Die Oppositionsparteien boykottieren die Wahl und weisen entrüstet darauf hin, dass die Mitglieder der Wahlkommission und die Übergangsregierung alles andere als unparteiisch sind und dass der staatliche Verwaltungsapparat missbraucht wird, um Kampagnen für von vornherein feststehende Kandidaten zu fahren. Kolumnisten argwöhnen, der Geheimdienst ISI wolle garantieren, dass „die Wahlen zufriedenstellend manipuliert werden“.

Musharrafs Angriffe auf die wichtigsten Institutionen des Landes – die Medien und die Justiz – müssen wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken. Ohne sie wird es in dem Land nie freie und faire Wahlen geben.

Die westlichen Regierungen sollten keine feudalen oder militärischen Einzelpersonen unterstützen, nicht gefälschte Wahlen forcieren und nicht auf unhaltbare kurzfristige Lösungen für Pakistans Terrorismusproblem drängen. Terrorismus wird an Glaubwürdigkeit verlieren, sobald es Gesetze gibt, vor denen alle gleich sind. Faire und freie Wahlen sind nur möglich mit einer lebendigen, unabhängigen Presse, die jede Überschreitung der Gesetze kommentiert, und einer unabhängigen Justiz, die Kriminelle verurteilt.

Die westlichen Regierungen sollten daher den Kampf der Mittelschicht unterstützen und der pakistanischen Regierung androhen, die Entwicklungshilfe einzustellen, solange nicht die Justiz und die Pressegesetze wieder auf den Stand vor dem 3. November 2007 gebracht werden. Außerdem sollte sie eine internationale Untersuchung des Mordes an Benazir Bhutto fordern.

IMADUDDIN AHMED, geb. 1983, war Redakteur der pakistanischen Wochenzeitschrift Friday Times. Zurzeit arbeitet er als freier Journalist und studiert Jura in London. In diesem Beitrag gibt er seine persönliche Meinung wieder.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2008, S. 111 - 113

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