Brief aus...

30. Juni 2025

Banges Warten auf den Tag X

In Taiwan wächst die Angst vor einem chinesischen Einmarsch – und Donald Trump tut alles, um sie zu schüren. 

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Bild: Zeichnung von Taipeh
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Ist das schon die Invasion? Die Scheiben des Hotel-Schwimmbads scheinen fast zu bersten, als ohne jede Vorwarnung zwei Kampfflugzeuge sehr dicht über den Dächern von Taiwans Hauptstadt Taipeh vorbeidonnern. Der Gast aus Deutschland, der im Becken eben noch ruhig seine Bahnen zog, erschrickt bis ins Mark. 

Ein ähnliches Manöver wiederholt sich wenige Tage später über Taiwans alter Hauptstadt Tainan im Süden des Landes. Auch dort rasen zwei Düsenmaschinen mit ungeheurem Lärm mitten am Tag unvermittelt über das Zentrum der Stadt, heute eine Millionenmetropole, hinweg. 

Doch die Aufregung legt sich jedes Mal schnell, wenn der Gast die Reaktion der Einheimischen bemerkt. Der Bademeister im Hotel in Taipeh schaut nicht mal von seinem Smartphone auf. Und in Tainan verstummen zwar kurz die Gespräche der Garküchen-Betreiber, aber kein Passant auf der Straße lässt sich von dem Spektakel stören.
 

Pekings Provokationen

Vieles spricht dafür, dass die Luftwaffen-Übungen den meisten Taiwanern das Gefühl vermitteln, das Militär rüste sich für den Tag, den die Insel fürchten muss. Schließlich üben Kampfflugzeuge auch mehrfach täglich über der Urlaubsregion am Nationalpark Kenting, an der Südspitze der Insel. 

Kein anderes politisches Thema beschäftigt die rund 24 Millionen Einwohner des Landes mehr als die Frage, wann Chinas Präsident Xi Jinping den Angriffsbefehl gibt. Denn die kommunistische Führung in Peking bezeichnet Taiwan, das etwa so groß ist wie Baden-Württemberg, bekanntlich als „abtrünnige Provinz“, die mit dem Festland vereinigt werden muss, notfalls militärisch.

Und nicht nur die Rhetorik Pekings wird immer schriller. An einem einzigen Tag im März wurden vor Taiwan 36 chinesische Militärflugzeuge und sechs Marineschiffe entdeckt – ein Rekord in diesem Jahr. 

Sind diese Flüge eine „eindeutige Machtdemonstration“ Pekings? Ja, sagt Su Tzu-yun, Militärexperte an Taiwans Institut für Landesverteidigung und Sicherheitsforschung. Su Tzu-yun glaubt, die Volksrepublik wolle damit auch ihren Unmut über die politische Einflussnahme der Vereinigten Staaten in der Region zum Ausdruck bringen. 
Die Frage ist nur, ob die Insel im Ernstfall noch auf den Beistand des großen Verbündeten bauen kann.


Auf Washington ist wenig Verlass

Die Fahrt im Taiwan High Speed Rail über 300 Kilometer von Taipeh nach Tainan bietet eine gute Gelegenheit, noch einmal das Buch „Schmales Gewässer, gefährliche Strömung. Über den Konflikt in der Taiwanstraße“ des deutschen Philosophen und Sinologen Stephan Thome zu studieren, der auf der Insel lebt.

Thome zufolge könnte mit einer Invasion Taiwans durch China ein Weltkonflikt drohen, der weit gefährlicher ist als Russlands Krieg gegen die Ukraine. Denn so heikel der Vergleich zwischen den Auswirkungen des Krieges Russlands gegen die Ukraine und denen eines möglichen Krieges Chinas gegen Taiwan sei: Die Insel sei nun einmal der weltweit wichtigste Produktionsstandort für modernste Halbleiterchips, und für die Weltwirtschaft „sind taiwanische Chips deutlich wichtiger als ukrainisches Getreide“. 

Die These, wonach diese Abhängigkeit einen „Silikon-Schutzschirm“ gegen eine Invasion bilde, weist Thome mit Hinweis auf das Urteil maßgeblicher Experten in Washington zurück. Das hat auch damit zu tun, dass Taiwans Lage in der ersten Inselkette von US-Verbündeten vor dem chinesischen Festland dem Land eine enorme strategische Bedeutung in der Rivalität zwischen China und den USA um die Kontrolle des Pazifiks verleiht. Dadurch wächst die Gefahr einer direkten militärischen Konfrontation der beiden Supermächte immens. 

Das sieht wohl auch der Oberbefehlshaber des US-Kommandos für den Indopazifik so, Admiral Samuel Paparo. Vor dem US-Kongress warnte er im April, die Manöver der chinesischen Marine und Luftwaffe um Taiwan herum seien mittlerweile so umfangreich, dass sie zur Verschleierung einer echten Attacke geeignet seien. Es handele sich nicht mehr um normale Übungen, sondern um „Generalproben“ für die Invasion.

Und der „Faktor Trump“? Die Furcht, dass ein Sieg Russlands in der Ukraine Xi Jinping ermutigen könnte, ist in Taiwan seit Donald Trumps Amtsantritt nicht geringer geworden, im Gegenteil. Das erratische Verhalten des US-Präsidenten gegenüber Wolodymyr Selenskyj, Wladimir Putin und Xi Jinping hat den Taiwanern vor Augen geführt, dass sie sich auf bisherige Planspiele und Kalkulationen nicht mehr verlassen können.

Taipeh will, soviel scheint klar, seine Unabhängigkeit und die in mühsamen Kämpfen erreichte Demokratie verteidigen. Jeder Fremdenführer auf der Insel, mit dem man über Politik spricht, berichtet stolz von der Überwindung der Militärdiktatur und der Wertschätzung der Freiheit. Und davon, dass die überwiegende Mehrheit der Inselbewohner diese Meinung teilt, auch wenn sich viele sowohl als Chinesen als auch als Taiwaner definieren.

Woher diese Entschlossenheit rührt und wieviel die Taiwaner zu verlieren haben, wird dem Gast aus Deutschland beim Blick aufs jüngste Ranking der US-Organisation „Freedom House“ deutlich. Danach erreicht der Inselstaat 96 von 100 Punkten auf der Demokratieskala. Deutschland rangiert zehn Punkte weiter hinten.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2025, S. 118-119

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Hans Monath ist freier Journalist und hat viele Jahre für den Tagesspiegel über das Auswärtige Amt und die deutsche Außenpolitik berichtet.
 

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