Auf tönernen Füßen
Die Wahlen im Kongo sind noch lange kein Garant für Frieden
Eine nationale Armee, die Kriege produziert statt zu schlichten, plündernde und mordende Milizen, mangelnde Kooperation zwischen kongolesischen Truppen und der UN-Mission – angesichts des Chaos im Kongo drohen die Erfolge des internationalen Engagements unterzugehen. Die kommenden Wahlen wecken Erwartungen – die allerdings nur erfüllt werden können, wenn die internationale Gemeinschaft das Land nicht sich selbst überlässt.
Es war ein peinliches Debakel. General Padiri Bulendwa, Oberkommandierender der 6. Kongolesischen Militärregion im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo, war in das Kriegsgebiet Ituri gekommen, wo seine Soldaten eine lang angekündigte Großoffensive gegen irreguläre Milizen hätten beginnen sollen. Die Soldaten, darunter eingeflogene Elitekommandos aus einem anderen Teil des Landes, hatten sich stattdessen gegen ihren Kommandeur erhoben und UN-Einrichtungen angegriffen. Als Padiri die Meuterer im Ort Avega zur Raison bringen wollte, geriet auch sein Hubschrauber unter Beschuss. Der General musste den Rückzug in Ituris Distrikthauptstadt Bunia antreten und dort Unterkunft bei einer Nonneneinrichtung suchen, wo die Verantwortlichen sich weigerten, seine Leibwächter bewaffnet auf das Gelände zu lassen. Nach ausgiebigem nächtlichen Funkverkehr mit Kongos Generalstab in der 2000 Kilometer entfernten Hauptstadt Kinshasa, den die anderen Gäste der Nonnen durch die dünnen Wände mithören konnten, saß General Padiri am nächsten Morgen ratlos in Shorts auf der Treppe vor seinem Zimmer, zum Erstaunen der Bevölkerung. Einen Tag später erst traf Kongos Armeechef Sylvain Buki in Bunia ein, um die Meuterer zu entwaffnen.
So schlecht funktioniert Kongos neue geeinte nationale Armee FARDC (Streitkräfte der Demokratischen Republik Kongo) heute – drei Jahre nach dem Friedensschluss, der einen über vierjährigen Bürgerkrieg mit hunderttausenden Toten und der Einmischung von einem halben Dutzend afrikanischer Länder beendete, und zwei Jahre nach Beginn einer Militärreform, in der die verschiedenen Bürgerkriegsarmeen mit Hilfe von Beratern aus Belgien, Südafrika und Angola in neue „integrierte Brigaden“ zusammengeführt und zu verantwortlichen Soldaten ausgebildet werden sollen. Die FARDC ist das Kernstück von Kongos Friedensprozess, der von einer ganzen Armada ausländischer Berater gesteuert wird. Aber kurz vor Kongos ersten wahrhaft freien Wahlen, die im Juni einer dreijährigen Übergangsperiode seit dem Friedensschluss ein Ende setzen sollen, zählt diese neue kongolesische Armee weniger Soldaten als die 17 000 Mann starke UN-Blauhelmmission im Kongo (MONUC), die sich auch noch gegenseitig bekämpfen, wenn sie nicht gerade die Zivilbevölkerung ausplündern.
Ituri, wo die jüngste große Meuterei stattfand, ist eigentlich die Vorzeigeregion der internationalen Befriedung des Kongos. Hier sorgte im Sommer 2003 eine französisch geführte EU-Militärintervention dafür, dass ausufernde Konflikte und wechselseitige Massaker zwischen Milizen der Lendu- und Hema-Völker gestoppt wurden und damit ein Zusammenbruch des im Dezember 2002 unterzeichneten Friedensabkommens zwischen Kongos Bürgerkriegsparteien verhindert werden konnte. Seitdem ist nirgendwo sonst im Kongo die Konzentration von UN-Kampftruppen so hoch und ihre militärische Schlagkraft so groß. Nach Ituri kamen im vergangenen Jahr die ersten Brigaden der neuen FARDC, und die Hälfte dieser landesweiten Armee steht noch immer in dem kleinen Distrikt in Kongos Nordosten an der Grenze zu Uganda. Ituris Hauptstadt Bunia beherbergt eines der wenigen funktionierenden Gerichte des Landes, das sogar Kriegsverbrecher aburteilt. Wenn irgendwo der Friedensprozess hätte greifen müssen, dann hier.
Doch im UN-Plan für humanitäre Hilfe im Kongo 2006 ist Ituri die Region mit dem größten Anstieg an Kriegsvertriebenen, und nirgends bilden sich so schnell irreguläre Milizen, die sich vom Friedensprozess ausgeschlossen fühlen. Im Frühjahr 2005 unternahmen die UN-Truppen in Ituri eine gewaltsame Demobilisierungsaktion gegen die Milizen des Distrikts, in dessen Verlauf rund 12 500 von geschätzten 15 000 Milizenkämpfern ihre Waffen abgaben. Auf 2500 schätzten die Vereinten Nationen daraufhin den demobilisierungsunwilligen „harten Kern“, der durch gemeinsame Operationen von UN und FARDC aufgelöst werden sollte. Doch aus diesen 2500 sind nach Schätzungen von Hilfswerken inzwischen wieder 10 000 geworden, quer über die ethnischen Grenzen hinweg – mehr als UN-Truppen und Regierungstruppen in Ituri zusammen. Und sie profitieren von einem blühenden Schmuggel mit Waffen, Munition und Ausrüstung. Die zu ihrer Bekämpfung entsandten Elitekommandos in Avega meuterten unter anderem deswegen, weil sie sahen, dass ihre Gegner dieselben Uniformen und dieselben modernen Waffen trugen wie sie.
Am anderen Ende des Landes, in der MONUC-Zentrale in Kinshasa, nennen Verantwortliche inzwischen die Zusammenarbeit mit der FARDC als größten strategischen Fehler der UN-Friedensarbeit im Kongo. Die kongolesische Truppe begeht schwere Menschenrechtsverletzungen, plündert hemmungslos, ist in Rohstoff- und Waffenschmuggel verwickelt und hält lokale Konflikte mit Milizen im Ostkongo – von Ituri bis Katanga – selbst am Laufen, um einen Grund für neue Geldausschüttungen und Materialausgaben zu haben. Fast überall dort, wo sie präsent ist, hat die FARDC mit ihren inneren Konflikten neue Kriege produziert, statt alte zu schlichten. In den „Brassage“-Lagern, wo unter internationaler Anleitung aus früheren Bürgerkriegssoldaten FARDC-Truppen werden, grassieren Cholera und Unterernährung, während hohe Generäle die internationale Militärhilfe für sich behalten.
In zahlreichen ländlichen Gebieten Ostkongos herrscht wegen dieser Zustände Krieg und Elend, als habe es nie einen Friedensschluss gegeben. Gleichzeitig aber ist die FARDC vom geltenden Waffenembargo gegen den Kongo ausgenommen, Belgien schenkt ihr Waffen aus NATO-Altbeständen, internationale Geber zahlen ihr Geld, eine EU-Militärberatermission überwacht ihren Ausbau. Und parallel zur FARDC stehen nach wie vor in allen Landesteilen die Reste der alten Bürgerkriegsarmeen sowie neue private Garden der Mächtigen, zum Beispiel die Präsidialgarde GSSP des Präsidenten Kabila, die sich mit ihren 16 000 Mann der offiziellen Militärstruktur entzieht.
Die Schwäche der MONUC
Die UN-Mission MONUC selbst ist nicht in der Lage, dem üblen Treiben etwas entgegenzusetzen. Mit ihren 17 000 Soldaten ist sie bereits hoffnungslos überfordert. Sie soll in einem völlig unübersichtlichen, 1000 Kilometer langen Kriegsgürtel entlang der kongolesischen Ostgrenzen Dutzende lokale Milizen in den Frieden einbinden, ausländische irreguläre Gruppen wie die Hutu-Kämpfer aus Ruanda und Burundi zur freiwilligen Demobilisierung anhalten, humanitäre Hilfe schützen, vertrauensbildende Maßnahmen für die Bevölkerung betreuen, dazu noch in Kinshasa die Institutionen der Übergangsregierung schützen und im ganzen Land Materialien und Helfer für die Vorbereitung der geplanten Wahlen transportieren.
Es ist eine „Mission Impossible“, zumal wenn der kongolesische Partner sich so katastrophal verhält wie die FARDC. Man kann verstehen, wieso MONUC-Chef William Swing im Februar 2005 schon einmal fast seinen Rücktritt eingereicht hätte. Es heißt, er sei schon auf dem Weg zum Flughafen in Kinshasa gewesen, als ihn die Nachricht erreichte, in Ituri seien neun UN-Blauhelmsoldaten von Milizen ermordet worden. Swing kehrte um und leitete eine Phase offensiver UN-Militäraktionen ein, die bis heute andauert. Nun aber, da auch diese Phase nur minimale Verbesserungen erzielt hat, steht er erneut am Abgrund. Die französischen und frankophonen Teile der MONUC, die vor allem den militärischen Teil der Mission kommandieren und dominieren, werfen ihm Mangel an strategischem Weitblick und ein Verlassen auf angelsächsische Geheimdienste vor. Sie selbst allerdings paktieren mit den kongolesischen Generälen und verschließen vor deren Umtrieben die Augen. MONUC-Militärchef Babacar Gaye aus Senegal absolvierte schließlich einst gemeinsam mit dem FARDC-Oberkommandierenden Kisempia die französische Militärakademie Saint-Cyr.
Mehrfach hat der UN-Sicherheitsrat sich geweigert, die MONUC über ihre derzeitige Stärke von 17 000 Mann hinaus aufzustocken. 2005 forderte die MONUC-Zentrale 25 000 Mann – schon das war ein Kompromiss – und bekam sie nicht, weil die USA das zu teuer fanden. Als Ergebnis bleiben weite Teile des Kongos, auch Kriegsgebiete, weiße Flecken auf der Landkarte. Der schlimmste dieser weißen Flecken ist der Norden Katangas, wo irreguläre Milizen ein Gebiet von mehreren zehntausend Quadratkilometern verwüstet und über 120 000 Menschen in die Flucht getrieben haben – im Kampf gegen kongolesische Soldaten, die nicht zur FARDC zu rechnen sind, sondern noch zur unreformierten alten Armee Präsident Kabilas, und die Zivilbevölkerung nicht besser behandeln als die Milizen. Da altgediente Kabila-treue Generäle aus eben dieser Region zugleich die Milizen aufrüsten und damit kurz vor den Wahlen einen Vorwand für massive Waffenlieferungen in die sensible Bergbauprovinz Katanga schaffen, ist dieser Konflikt ohne politische Intervention an höchster Stelle nicht zu lösen. Aber die gibt es ebensowenig wie ein militärisches Eingreifen. Erst Ende April werden 300 UN-Soldaten aus Benin im Norden Katangas erwartet – in der Bergbaustadt Mitwaba, was wieder zu Vorwürfen Anlass geben könnte, die UN-Blauhelme machten sich besonders gerne dort breit, wo es wertvolle Mineralien gibt, wie auch in Ituri und Kivu.
Man kann sich leicht ausrechnen, wie explosiv die Lage in all diesen Gebieten und anderen Landesteilen im Juni werden dürfte, wenn Präsidentschafts- und Parlamentswahlen anstehen. Vor allem die Parlamentswahlen bieten Zündstoff für einen landesweiten Flächenbrand. Der Kongo ist in 500 Wahlkreise aufgeteilt, die jeweils zwischen einem und zehn Abgeordneten ins zu wählende Parlament entsenden werden – je zehn aus den vier Wahlkreisen, die die acht Millionen Einwohner zählende Hauptstadt Kinshasa ausmachen, je einer aus den ländlichen Gebieten. Schon der Zuschnitt der Wahlkreise hat in Teilen Ostkongos für massiven Unmut gesorgt, weil unterhalb der geographischen Raumteilung auch auf den ethnischen Proporz zu achten ist. Der Wahlkampf selbst könnte zu einer Serie von kleinen Bürgerkriegen werden, wenn der jeweils Mächtigste in jedem Wahlkreis sich mit Gewalt gegen seine Rivalen durchzusetzen und die Kontrolle über die Bevölkerungsmehrheit zu halten versucht. Und es gibt nirgends im Kongo funktionierende neutrale Sicherheitskräfte.
Die Präsidentschaftswahl wiederum wird ein Reigen des politischen Schacherns. Kein einziger Kandidat, nicht einmal Präsident Joseph Kabila, ist in allen Landesteilen stark und kann damit rechnen, im ersten Wahlgang problemlos die 50-Prozent-Hürde zu nehmen. Kabila wird seine Rivalen kaufen oder neutralisieren müssen, wenn er gewinnen will. Die Rivalen wissen das natürlich und treiben den Preis hoch. Zunächst einmal treten möglichst viele im ersten Wahlgang an, um dann in einer eventuellen Stichwahl ihre Prozente zu Geld zu machen. Dann zeigen sie entweder ihr militärisches Drohpotenzial oder ihre ökonomischen Lockmittel, um sich für Kabila interessant zu machen.
Im Bewusstsein dessen, dass solche Konstellationen im Kongo bisher immer zu neuen Krisen und Kriegen geführt haben, suchen die UN nun nach europäischer Verstärkung. 1500 EU-Soldaten, davon je 500 aus Deutschland und Frankreich und weitere 500 aus anderen EU-Ländern, sollen in Kinshasa die Wahlen absichern. Die meisten von ihnen bleiben vermutlich außerhalb des Kongos in Bereitschaft, werden aber im Krisenfall eingeflogen. Dafür wird vorab vermutlich eine Bundeswehreinheit schon einmal den internationalen Flughafen von Kinshasa sichern. Das strategische Hauptquartier des Einsatzes soll ebenfalls in Deutschland liegen, das taktische Kommando vor Ort allerdings ebenso wie der heikelste Teil eines möglichen gewaltsamen Einsatzes in den Händen von Franzosen.
Mehr als ein symbolischer Akt ist das angesichts der Weite des Landes und der Vielfalt der potenziellen Konflikte nicht, und die Kongolesen fragen sich, was für ein Symbol das wohl sein wird. Frankreich gilt unter den internationalen Partnerländern zusammen mit den USA als eifrigster Unterstützer Kabilas. Die beiden Länder, heißt es bei der MONUC, betreiben aktiv Kabilas Wiederwahl im ersten Wahlgang. Während Frankreich sich für den EU-Einsatz in Stellung bringt, haben US-Firmen wichtige Verträge in Katangas Bergbauregion geschlossen – und aus Katangas Bergbau finanziert sich Kabilas Partei PPRD (Volkspartei für Wiederaufbau und Demokratie).
Schickt also Frankreich Soldaten für Kabila und Amerika Geld? So einfach ist das nicht, aber schon das Vorhandensein dieser Mutmaßung in der kongolesischen Bevölkerung dürfte den Eindruck prägen, den eine EU-Truppe erwecken könnte, egal was sie selbst von sich denkt: Hier kommt eine Armee, um Kabila mit Gewalt an der Macht zu halten.
Positive und negative Szenarien
Die optimistische Lesart all dieser Vorgänge ist natürlich, dass trotzdem alles funktionieren wird. Die Wahl bleibt halbwegs friedlich, Kabila siegt mangels gewichtiger Gegenkandidaten, in der Parlamentswahl zwingt die regionale Aufsplitterung der Parteienlandschaft den Präsidenten bei der Regierungsbildung zu Kompromissen mit seinen Gegnern, und am Schluss regieren wieder alle einträchtig zusammen. Dann ist der Kongo endlich eine normale afrikanische Mehrparteiendemokratie mit eingebauter Konsensfindung, und bei Investoren im In- und Ausland schwinden die letzten Zweifel am Frieden. So flössen endlich Milliardensummen in das verwüstete 60-Millionen-Einwohner-Land, um durch sachgemäße Ausbeutung seiner beträchtlichen natürlichen Reichtümer den Wiederaufbau der Infrastruktur zu finanzieren und einen Wirtschaftsaufschwung einzuleiten. Zugleich kann ein internationaler Schuldenerlass greifen, der den Staat von seiner größten Last befreit und in die Lage versetzt, etwas gegen die immense Armut zu tun.
Entlang dieser groben Linie bewegen sich sämtliche internationalen Pläne für den Kongo. Die dazugehörige Zuversicht gründet sich auf die unbestreitbaren Erfolge, die das internationale Engagement trotz aller Fehlschläge dennoch erzielt hat. Entgegen zahlreicher Voraussagen und trotz häufiger Krisen ist der Frieden nicht zusammengebrochen, ist die Allparteienregierung von Präsident Kabila und seinen vier Vizepräsidenten aus verfeindeten politischen Lagern nicht auseinander gefallen, ist im weiterhin umkämpften Osten des Landes keine provinzübergreifende Rebellion entstanden, die die Machthaber in Kinshasa herausfordert. Die Registrierung von über 25 Millionen Wählern zwischen Juni 2005 und Februar 2006 war ein logistischer Kraftakt, der bewies, was im Kongo tatsächlich möglich ist. Die Volksabstimmung vom 18. und 19. Dezember 2005, bei der die neue demokratische Verfassung des Landes ohne großen Widerspruch angenommen wurde, blieb friedlich und unangefochten. Die Verlängerung der einst auf zwei Jahre angelegten Amtszeit der Allparteienregierung um ein Jahr bis zum 30. Juni 2006 ging trotz vereinzelter Zusammenstöße ohne die von Oppositionellen prophezeiten Volksaufstände vonstatten.
Doch die Wahrscheinlichkeit, dass diese Teilerfolge zum Gesamterfolg führen, wird in vielfacher Weise geschmälert. Neben dem eingangs geschilderten Scheitern der Reform des Sicherheitssektors und der dadurch wieder zunehmenden Unsicherheit in Teilen des Landes ist vor allem der Mangel an Transparenz im Wirtschaftsbereich ein Problem. Nachdem die Vereinten Nationen während des Kongo-Krieges von 1998 bis 2003 die Ausplünderung der natürlichen Ressourcen des Landes zugunsten von Warlords als einen Hauptfaktor der Krise identifiziert hatten, gibt es seit dem Friedensschluss keinerlei Anstalten, die Art des Umgangs mit Kongos Reichtümern grundlegend zu verändern.
Eine parlamentarische Untersuchungskommission, die so genannte Lutundula-Kommission, hat zwar in anderthalbjähriger Arbeit 2004/05 die zu Kriegszeiten geschlossenen Verträge durchleuchtet und in zahlreichen Fällen die Annullierung dieser Vereinbarungen und strafrechtliche Schritte gegen die Verantwortlichen gefordert. Dass Kongos Parlament den Bericht bis zu seiner Veröffentlichung durch einzelne Parlamentarier im März 2006 ad acta legte, war zu erwarten; doch auch internationale Geldgeber machten sich die Forderungen nicht zu eigen. Nach wie vor werden neue Konzessionsverträge und Joint-Ventures im Bergbau- und Regenwaldbereich unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschlossen, ohne Beteiligung der betroffenen Bevölkerung und ohne klare Kriterien.
Der Internationale Währungsfonds kritisiert darüber hinaus die Rückkehr von Praktiken der staatlichen Ausplünderung der eigenen Institutionen, die an die Zeiten der Mobutu-Diktatur erinnern: Abzweigen von Geld aus der Zentralbank durch die Regierung oder auch verordnete „Dividendenvorschüsse“, also Profit- oder gar Kapitalabfluss, aus Staatsbetrieben an den Staat. Kongos Staatspräsident hat im Staatshaushalt mehr Geld zur freien und unkontrollierten Verfügung als das staatliche Gesundheitswesen des Landes. Gehälter im öffentlichen Dienst werden immer noch nicht regelmäßig bezahlt, und selbst im Zahlungsfall reichen sie meist nicht zu einem anständigen Leben.
Die Geldgeber ziehen aus diesen Zuständen keine Konsequenzen. Vermutlich rechnen sie damit, dass sich die Verhältnissse unter einer gewählten Regierung automatisch ändern. Doch je länger Misswirtschaft jetzt toleriert wird, desto schwieriger wird es sein, sie irgendwann zu beseitigen. „Gute Regierungsführung“ ist im Kongo noch immer ein Fremdwort, und die Herstellung dieses Zustands scheint nicht gerade an oberster Stelle der internationalen Prioritäten zu stehen.
Mit der neuen demokratischen Verfassung ist überdies ein weiterer Sprengsatz eingebaut. Die Verfassung verfügt, dass 40 Prozent der Staatseinnahmen zukünftig bei der Provinzregierung verbleiben, aus deren Territorium sie kommen. Das ist ein Stück Dezentralisierung, der dem weitverbreiteten Unmut entgegenwirken soll, dass aus reichen Gegenden alles Geld ins ferne Kinshasa fließt und dort spurlos verschwindet. Doch die jetzigen Provinzregierungen sind nicht weniger korrupt als die Zentralregierung – ganz im Gegenteil. Sie sind nicht gewählt, sondern ihre Führungen sind ebenso wie die Ämter der Zentralregierung und der sonstigen staatlichen Behörden und Betriebe nach Proporz unter den einstigen Kriegsparteien aufgeteilt. Da es noch keinen Termin für Provinzwahlen gibt, werden diese künftig über sehr viel mehr Geld verfügen als bisher – ohne jede demokratische Kontrolle. Ferner wird die Zahl der Provinzen nach drei Jahren von derzeit elf auf 26 erhöht, was die Herausbildung kleiner Feudalreiche begünstigt.
Doch auf internationaler Ebene gibt es nicht einmal den Ansatz einer Überlegung, wie denn „gute Regierungsführung“ in den Provinzen hergestellt und die notwendigen Verwaltungsstrukturen geschaffen werden können, geschweige denn Mechanismen zur Vermeidung ethnischer Benachteiligung, neutrale Sicherheitsapparate und funktionierende Finanzsysteme. Der Verbleib von mehr Staatsgeld auf Provinzebene benachteiligt wiederum die Hauptstadt Kinshasa, mit bis zu acht Millionen Einwohnern die drittgrößte Stadt Afrikas und bei weitem die ärmste unter Afrikas Millionenstädten. Dort werden derzeit 85 Prozent des Staatshaushalts verbraucht – aber so viel Geld wird es in Zukunft nicht geben. Da die radikalsten Gegner der derzeitigen politischen Entwicklung in Kinshasa leben, sind neue Spannungen auch dort programmiert.
Für die Zeit nach den Wahlen gibt es also nicht weniger Probleme, für deren Lösung die auswärtigen Partner des Kongos gefragt sind, als für die jetzt allmählich ablaufende Übergangszeit. Die bisherige Linie der internationalen Gemeinschaft, wonach die Wahlen eine „Exit Strategy“ darstellen, ist somit nicht haltbar. Ein rascher Abzug der MONUC wäre angesichts des Fehlens einer funktionierenden kongolesischen Armee eine Einladung zu neuem Krieg. Und auch das „Comité International d’Accompagnement de la Transition“ (CIAT – Internationales Komitee zur Begleitung des Übergangs), in dem sich einmal wöchentlich die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und andere wichtige Partner des Kongos mit der kongolesischen Übergangsregierung absprechen, wird eine derzeit nicht vorgesehene Nachfolge brauchen, wenn die bisherige Intensität des internationalen Engagements im Kongo beibehalten werden soll. Für die meisten Kongolesen jedenfalls ist eine deutliche und nicht von bilateralen Interessen geleitete internationale Präsenz immer noch die beste Garantie dafür, dass sich die zukünftige junge Demokratie nicht sofort als Diktatur entpuppt und damit die Weichen für den nächsten Krieg stellen kann.
DOMINIC JOHNSON, geb. 1966, ist Afrika-Redakteur der taz. Zuletzt veröffentlichte er mit Aloys Tegera beim Pole Institut in der DR Kongo die Studie „Digging Deeper: How the Congo’s mining policy is failing the country“ (Dezember 2005).
Internationale Politik 4, April 2006, S. 50 - 56