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01. Mai 2019

In der zweiten Reihe

Von Dominic Johnson

Afrika und Deutschland nehmen sich gegenseitig nicht besonders wichtig. Ob die neuen afrikapolitischen Leitlinien daran etwas ändern, ist fraglich

Erst bleibt Entwicklungsminister Gerd Müller in Sambia stecken und schafft es nicht mehr nach Namibia. Dann sitzt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier stundenlang in Äthiopien fest. Und schließlich muss Außenminister Heiko Maas wider Willen eine zusätzliche Nacht in Mali einlegen. Schon dreimal dieses Jahr sind afrikanische Regierungen staunende Zeugen gravierender technischer Defekte bei den Regierungsfliegern der Bundesrepublik Deutschland gewesen, die Staatsgäste am Boden gehalten haben. Die Ausfälle der deutschen Flugbereitschaft sind in Afrika besonders peinlich, denn Deutschland dient sich gerade dort gerne als Innovator und technologisches Vorbild an, das globale Maßstäbe in Qualität und Verlässlichkeit setzt und sich damit von windigen Partnern wie China überzeugend abgrenzen kann. Vorsprung durch Technik, deutsche Wertarbeit – das war einmal.

Deutschlands Ansehen in Afrika beruht auf seinem guten Ruf in technischen Dingen. Ohne deutsche Ingenieure wird kaum ein afrikanisches Großprojekt realisiert, die Bundesregierung preist bei jeder Gelegenheit das duale System der Berufsausbildung zum Heranziehen von Facharbeitern, deutsche Werkzeugmaschinen mit entsprechender Expertise sind Export- und Investitionsschlager.

Ohne Technologie bliebe von Deutschland in Afrika aber herzlich wenig. Für keinen einzigen Staat des Kontinents ist die Bundesrepublik der Partner Nummer eins. Das liegt vor allem am frühzeitigen Ende des deutschen Kolonialabenteuers vor hundert Jahren – jeder afrikanische Staat ist in Europa am engsten mit dem Land verbunden, von dem es in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Und Deutschland gehört nicht dazu. Es geht dabei nicht um emotionale Bindungen, sondern in der unmittelbaren postkolonialen Phase betraf diese fortdauernde enge Beziehung zur alten Kolonialmacht essenzielle Bereiche der Staatlichkeit: die ­Kontinuität der Rechtspflege und der juristischen Ausbildung, den Aufbau von Streitkräften, das Fortbestehen administrativer Akte und Verwaltungssysteme. Universitäre, militärische, sprachliche und kulturelle Verknüpfungen zwischen afrikanischen Ländern und ihren ehemaligen Kolonialmächten sind bis heute einmalig dicht und nicht austauschbar.

Ruanda nach dem Völkermord 1994 war das erste Land Afrikas, in dem nicht mehr die letzte ehemalige Kolonialmacht das beständige erste Ziel telefonischer Auslandsgespräche war – Belgien wurde dort von den USA abgelöst. Kein afrikanisches Land spricht am liebsten mit Deutschland, auch wenn deutsche Autos, deutsches Bier und deutsche Motorsägen überall hochgeschätzt werden.

Nur Zuschauer, kein Akteur

Beziehungen zu Deutschland sind in Afrika abstrakter als zu Frankreich oder den USA. Sie funktionieren mehr über Gegenstände als über Personen. Es gibt in Deutschland kein dem französischen „­Françafrique“ vergleichbares Geflecht kontinent­übergreifender alter Freundschaften, mafiöser Kumpa­neien und familiärer Loyalitäten. Das ist eigentlich gut so, es bedeutet aber auch, dass Deutschland afrikanische Ereignisse immer von außen beobachtet und nicht von innen beeinflusst. Es ist Zuschauer, nicht Akteur.

Die Akteursrolle in Afrika überlässt man in Berlin immer und ganz bewusst Paris – womit sich Deutschland im Zweifelsfall zum Komplizen dubioser französischer Afrika-Abenteuer macht. Das wird gerne hinter dem Verweis auf die nötige Europäisierung der Außenpolitik versteckt. Deutsche Afrika-Politik wird teilweise in Paris und Brüssel gemacht, französische Afrika-Politik aber niemals außerhalb von Paris und nicht einmal außerhalb der eingespielten, abgeschotteten ­Apparate des Elysée und der außen- und verteidigungspolitischen Schlüsselministerien. In Frankreich hat Afrika strategischen Rang, in Deutschland nicht.

Das relative Desinteresse an Deutschland beruht also auf Gegenseitigkeit. Genauso wie es für jedes afrikanische Land einen wichtigeren Partner gibt als Deutschland, gibt es für jeden handelnden Akteur in Deutschland ein wichtigeres Thema als Afrika. Jenseits schöner Worte fristet Afrika im außenpolitischen Vergleich in Deutschland noch immer ein Mauerblümchen-Dasein: geeignet sowohl für die erste als auch die letzte Stufe einer politischen oder administrativen Karriere, aber – mit wenigen, umso bemerkenswerteren Ausnahmen – nicht für die Kernzeit und für das politische Profil.

Die Rolle als zweitrangiger, weil nicht als Akteur der Entkolonisierung aufgetretener Partner in Afrika kommt Deutschland zupass: Sie lenkt von der eigenen Kolonialgeschichte ab. Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist bis heute ein Nischenthema. Lange Zeit wurde sogar behauptet, Deutschland komme in Afrika eine besondere Rolle zu, weil das Land unbelastet von kolonialer Vergangenheit sei. Seit den heftigen Debatten um den von deutschen Truppen begangenen Völkermord an den Herero und Nama im heutigen Namibia ist diese Ignoranz nicht mehr möglich. Aber die Bundesrepublik hat diesen Völkermord bis heute nicht offiziell als solchen anerkannt, und er spielt in Debatten um die deutsche Vergangenheit und das deutsche Selbstverständnis keine Rolle.

In keinem anderen europäischen Land wäre es möglich, dass der einzig existierende Gedenkort an den kolonialen Völkermord aus einer Gedenkplatte im Boden vor einem Gedenkstein an die deutschen Soldaten besteht, die beim „Feldzug in Südwestafrika“ den „Heldentod“ starben, in einer schwer auffindbaren Ecke eines wenig besuchten Friedhofs. Das Auslöschen des kolonialen Gedächtnisses in Deutschland ist Teil und Symptom der allgemeinen Geringschätzung, die dem Nachbarkontinent in der deutschen politischen Kultur insgesamt entgegenschlägt. Die kommenden Debatten um die Nutzung des Humboldt-Forums, des wiederaufgebauten ehemaligen Berliner Schlosses und Sitz des Kaisers, zur möglichen Ausstellung kolonialer Raubgüter oder dem selbstkritischen Umgang mit der eigenen Geschichte werden dies noch drastischer vor Augen führen.

Das Fehlen einer bewussten eigenen Afrika-Politik auf Regierungs­ebene, obwohl die globale Bedeutung Afrikas immer weiter wächst, hat in Deutschland zuletzt ein kurioses Phänomen hervorgebracht: Jedes Ministerium und jeder Interessierte entwickelt seinen eigenen Ansatz. Doch statt harmonischer Vielfalt besteht ein heilloses Durcheinander, das nur deshalb relativ folgenlos bleibt, weil Afrika in der deutschen Politik eine äußerst geringe Priorität hat.

Die vom Kanzleramt getragene G20-Präsidentschaft erfand den „Compact mit Afrika“, das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) den „Marshallplan mit Afrika“ und das Bundeswirtschaftsministerium die Initiative „Pro! Afrika“ – alle mit weitgehend identischen Zielen. Das Verteidigungsministerium weitete Bundeswehreinsätze aus, das Auswärtige Amt rief zum Dialog. Das Bundesinnenministerium verfolgte in Umsetzung von EU-Beschlüssen Migrationspartnerschaften, das BMZ Reformpartnerschaften. Darüber hinaus agieren Wirtschaftsverbände, Kirchen, Nichtregierungsorganisationen, Kultureinrichtungen sowie politische Stiftungen jeweils auf eigene Faust.

Ob die neuen „Afrikapolitischen Leitlinien“ der Bundesregierung, die das Kabinett am 27. März als Zusatz zu den bestehenden Leitlinien von 2014 verabschiedete, am bisherigen Zustand in der Praxis viel ändern, muss sich erst noch zeigen. Wichtiger als neue Dokumente sind möglicherweise die neu entstandenen permanenten Runden auf Abteilungsleiter- und Staatssekretärsebene zwischen allen an Afrika interessierten Ministerien. Sollte die Regierung tatsächlich einmal an einem Strang ziehen, könnte vielleicht auch in Afrika mehr Klarheit über die Frage entstehen, was Deutschland in Afrika will und tut. Die Antwort auf diese Frage muss aus Berlin kommen.
 

Dominic Johnson ist seit 1990 Afrika-­Redakteur der taz in Berlin und leitet deren Auslandsressort.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2019, S. 87-89

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