Porträt

31. Okt. 2022

Rätselhafter Regent

Er hat Frankreichs Eingreiftruppen vergrault, eine EU-Mission zum Abzug veranlasst und die UN-Mission MINUSMA kaltgestellt. Doch wohin Malis Militärherrscher Assimi Goita sein Land langfristig führen will, wissen nicht einmal die Malier selbst.

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Bild: Assimi Goita salutiert bei seiner Vereidigung
Stets zu Diensten: Seit 2021 ist Assimi Goita Staatspräsident von Mali. Er sitzt fester im Sattel als die anderen westafrikanischen Putschisten der vergangenen Jahre.
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Kaum jemand hatte Oberst Assimi Goita auf dem Schirm, als meuternde Soldaten in Malis Hauptstadt Bamako am 18. August 2020 den gewählten Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita, Premierminister Boubou Cissé und andere Regierungsangehörige festsetzten. Der 37-jährige Kommandeur des „Autonomen Bataillons“ der malischen Spezialkräfte saß schweigend dabei, während Luftwaffenchef Ismail Wagué in der Nacht im Staatsfernsehen die Machtergreifung des aus Militärs bestehenden „Nationalkomitees für die Rettung des Volkes“ (CNSP) verkündete.



Erst am Nachmittag des 19. Au­gust ergriff Goita selbst im Fernsehen das Wort: „Ich bin Oberst Assimi Goita, Präsident des Nationalkomitees für die Rettung des Volkes.“ Der Militärputsch sei ein Akt der Selbstlosigkeit, betonte er: „Mali zuerst!“



Der Oberst war da erst einmal nur der Präsident der Junta, nicht der Präsident der Republik. Aber schon da identifizierten erfahrene Beobachter ihn als den eigentlichen starken Mann der Putschisten.



Goita ließ sich zunächst Zeit. Die Junta schuf neue Übergangsinstitutionen unter dem hochbetagten pensionierten General Bah N’Daw, Goita war „nur“ Vizepräsident. Am 24. Mai 2021 aber bezichtigte Goita N’Daw der „Sabotage“, setzte ihn ab und ernannte sich selbst zum Präsidenten.

Die Rückkehr zur zivilen Demokratie ist seither in mal nähere, mal weitere Ferne gerückt – wobei inzwischen klar ist, dass Goita ähnlich wie andere afrikanische Militärputschisten bei freien Wahlen selbst kandidieren und weiterregieren möchte.



Hatten einige internationale Beobachter den Putsch von 2020 noch als Notbremse angesichts der sich rapide verschlechternden Sicherheitslage Malis begrüßt, so stieß der zweite Putsch auf breite Ablehnung. Mali wurde zeitweise mit einer harten Wirtschaftsblockade belegt und unter internationale Sanktionen gestellt.



Goita hat das alles nicht beeindruckt. Heute sitzt er fester im Sattel als die anderen westafrikanischen Putschisten der vergangenen Jahre. Er hat die Eingreiftruppen der früheren Kolonialmacht Frankreich vergrault, die EU-Trainingsmission EUTM zum Abzug veranlasst und die UN-Mission MINUSMA, eine der größten UN-Missionen der Welt, kaltgestellt. Goita telefoniert mit Wladimir Putin, aber von Emmanuel Macrons Sahelgipfeln ist er ausgeschlossen. Wohin er Mali langfristig führen will, wissen nicht einmal die Malier selbst – nur, dass er führen will.



Unbekannter Retter in der Not

Wer ist dieser Präsident, der so unnahbar wie öffentlichkeitsscheu erscheint? Goita ist weder ein demagogischer pistolenbewehrter Volkstribun noch ein brutaler Willkürherrscher alten Stils. Diplomaten beschreiben ihn als höflich und zurückhaltend, ein stiller, aber resoluter Mensch.



Als die Putschisten vom August 2020 ihn zum Präsidenten der Junta bestimmten, hieß es, Goita sei der jüngste und profilloseste, der klassische Kompromisskandidat, auf den sich alle einigen, weil er niemanden groß stört. Zunächst unterschätzt und gerade dadurch erfolgreich: Dieses Rezept hat schon so mancher afrikanischer Militärherrscher angewandt. Es funktioniert am besten in einem Moment, in dem ein Land im Chaos versinkt und alle bekannten Akteure ihren Anteil am Scheitern haben. Da braucht es einen unbekannten Retter in der Not, und so inszeniert Goita sich auch.



Geboren 1983, trat der Sohn eines Soldaten früh in die Armee ein und diente nach Abschluss seiner Militärausbildung 2002 in Gao im Nordosten Malis. Bis 2010 war er ständig im malischen Norden stationiert, im Rahmen der Aufklärung und der Grenz­überwachung. Nach Ausbruch des malischen Bürgerkriegs 2012, als Tuareg-Rebellen und radikale Islamisten die Kontrolle über Malis Norden übernahmen und unzufriedene Soldaten in Bamako putschten, stieg Goita im Generalstab auf. Nach dem blutigen Terroranschlag auf das Luxushotel Radisson Blu mitten in Bamako leitete er die Terroristenjagd der Spezialkräfte. Ab 2016 kommandierte er die ­Spezialkräfte in Sofara in der zen­tralmalischen Region Mopti, die schwierigste Front im Kampf gegen die Ausbreitung des islamistischen Terrors nach Süden.



Den Sprung nach oben verschaffte ihm die Schaffung des „Autonomen Bataillons der Spezialkräfte und Ertüchtigungszentren“ per Präsidialdekret am 16. Mai 2018. Es war eine Sonder­einheit an der Spitze aller Sondereinheiten, zuständig unter anderem für die Planung und Ausführung von „Spezialoperationen“ und die Überwachung und Koordination der an Operationen beteiligten Streitkräfte. Kommandant: Assimi Goita.



Goita verfügt über eine gewisse Auslandserfahrung; in Frankreich, in Gabun, in den USA und auch in Deutschland hat er sogar spezielle Qualifikationen erworben, darunter eine dreimonatige Sprachausbildung am Bundessprachenamt in Hürth, einen Kompaniecheflehrgang an der Logistikschule der Bundeswehr in Osterholz-Scharmbeck und ein vierwöchiges Seminar „Program on Terrorism and Security Studies“ am deutsch-amerikanischen Marshall-Center in Garmisch-Partenkirchen.



Malische Beobachter betonen, dass Goita in allen Landesteilen des riesigen Mali gedient hat und den Militärapparat von allen Seiten kennt. Sein Aufstieg ist damit nicht der Sieg einer Fraktion des Militärs über eine andere wie etwa der Putsch von 2012, der das Land in den Bürgerkrieg geführt hatte. Er steht für eine staatliche Neugründung Malis nach militärischem Ideal anstelle der Demokratisierung westlicher Prägung.



Nebulöses Treiben

In seiner Rede an die Nation anlässlich des Putschjahrestags 2021 stellte Goita „das, was am 18. August geschah“ in eine direkte Linie mit dem desaströsen Umsturz 2012. „Auf den Zusammenbruch des Staates am 22. März 2012 hätte ein patriotischer Aufbruch folgen sollen.“ Stattdessen sei alles immer schlechter geworden, eine neue Protestbewegung sei entstanden, und „die nationale Armee, eure Armee, konnte nicht untätig bleiben“.



Nicht von ungefähr galt das Hauptaugenmerk des CNSP nach dem ersten Militärputsch der „Verifizierung“ der Staatsverwaltung, also der Aufdeckung von Korruption und Schlen­drian. Die Ergebnisse waren mager, aber der Ansatz war populär. Nicht von ungefähr war einer der ersten ausländischen Gesprächspartner Goitas nach dem 2020er Putsch der alte Jerry Rawlings in Ghana, selbst doppelter Militärputschist 1979 und 1981 und damals Vertreter einer jungen Soldatengeneration, die die Entkolonisierung für unvoll­endet hielt und Afrika nachträglich durch revolutionäre Machtergreifungen „befreien“ wollte.



Politische Überzeugungen sind von Goita nicht überliefert, wohl aber war sein Doppelputsch Ansporn für weitere Staatsstreiche in Guinea und Burkina Faso und begeistert Oppositionelle von Senegal bis zum Kongo.



Als Präsident tritt Goita selten in Erscheinung und schert sich offensichtlich wenig um die öffentlichen Attribute der Macht. Große Veranstaltungen und öffentliche Reden überlässt er dem Premierminister und dem Außenminister. Die streiten dann wortgewaltig mit internationalen Partnern, während Goita sich um die Truppe kümmert. Gerüchten zufolge meidet Goita den Präsidentenpalast und wohnt lieber in der Kaserne.



Ob er nach innen wirklich hart durchregiert, lässt sich von außen kaum beurteilen. Wenn ­Goita als Präsident eines geschafft hat, dann ist es, Malis Politik undurchsichtig zu machen. Lebendiger öffentlicher Wettstreit findet kaum noch statt, Entscheidungsprozesse sind intransparent, Regierungsverlautbarungen dominieren die Medien.



„Unsere Ambition“, sagte ­Goita in seiner Jahrestagsrede 2021, „besteht darin, uns Sicherheit zu geben, um uns zu entwickeln.“ Bisher bleibt es bei der Ambition. Für viele in Mali ist aber schon das ein Fortschritt.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2022, S. 9-11

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Dominic Johnson ist Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und Afrika-Redakteur der taz.

 

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