Weltspiegel

24. Apr. 2023

Annäherung mit Fragezeichen

Zwischen Saudi-Arabien und dem Iran stehen die Zeichen auf Entspannung. Doch das iranische Nuklearprogramm könnte diese schnell wieder zunichte machen.

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Bild: Chinas Top-Diplomat Wang Yi mit dem saudischen Nationalen Sicherheitsberater Musaad bin Mohammed al-Aiban und dessen iranischen Amtskollegen Ali Shamkhani.
Durchbruch unter chinesischer Vermittlung: Chinas Top-Diplomat Wang Yi mit dem saudischen Nationalen Sicherheitsberater Musaad bin Mohammed al-Aiban und dessen iranischen Amtskollegen Ali Shamkhani.
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Am 10. März 2023 verkündeten die Nationalen Sicherheitsberater Irans und Saudi-Arabiens der Weltöffentlichkeit, dass die Länder ihre 2016 abgebrochenen Beziehungen wieder aufnähmen. Das war eine politische Sensation, denn der Konflikt dieser beiden Mächte prägt den Nahen Osten seit über 40 Jahren und drohte noch 2019 in eine militärische Eskalation zu münden.

Nun könnte sich wie schon in dn 1990er Jahren eine Entspannungsphase anschließen, denn beide Seiten zeigen großes Interesse an ruhigeren Verhältnissen. Die Grundlinien des iranisch-saudischen Konflikts haben sich jedoch nicht verändert, sodass auf Entspannung wieder Eskala­tion folgen dürfte.



Entspannung in den 1990er Jahren

Seit 1979 prägt der Konflikt zwischen dem Iran und Saudi-Arabien die Politik des Nahen Ostens wie kein anderer. Es geht um nichts weniger als die Vorherrschaft am Persischen Golf, der vor allem aufgrund der dortigen Öl- und Gasvorkommen zu den weltpolitisch besonders wichtigen Regionen zählt. Es geht aber auch um die Macht im Nahen Osten insgesamt, wo Iraner und Saudis im vergangenen Jahrzehnt im Irak, in Syrien, im Libanon, im Jemen und in Bahrain miteinander konkurrierten. Dass beide Staaten darüber hinaus ideelle Führungspositionen in der islamischen Welt beanspruchen und für Schiiten und für Sunniten zu sprechen meinen, hat die Auseinandersetzung immer wieder verschärft. Trotzdem hat es in den mehr als 40 Jahren des Konflikts immer wieder Phasen der Entspannung gegeben, von denen eine zwischen 1990 und 2002/03 sogar mehr als ein Jahrzehnt dauerte. Ein Blick auf diese Phase erleichtert das Verständnis der aktuellen Entwicklungen.

Die Ursache für die Beruhigung war damals, dass der Iran nach dem Ende des Krieges gegen den Irak 1988 wirtschaftlich am Boden lag. In der Teheraner Politik setzten sich nach dem Tod des Revolutionsführers Ayatollah Khomeini zunächst pragmatische Realpolitiker um den Präsidenten Ali Akbar Hashemi Rafsandschani (er amtierte zwischen 1989 und 1997) durch. Ihr wichtigstes Ziel war der Wiederaufbau des Iran, denn die auf den Krieg folgende schwere Wirtschaftskrise bedrohte die Stabilität des Regimes. Rafsandschani verzichtete auf die Politik des Revolutionsexports und versuchte, die Beziehungen zu arabischen Ländern wie vor allem zu Saudi-Arabien zu verbessern. Es ging der damaligen iranischen Führung außerdem darum, die eigene Isolation aufzubrechen. Die USA setzten in den 1990er Jahren trotz der Mäßigung Teherans auf eine Strategie der Eindämmung, indem sie den Iran diplomatisch isolierten, mit Sanktionen schwächten und Staaten wie Saudi-Arabien durch gezielte Aufrüstung und die Präsenz eigener Truppen stärkten und schützten.

Die iranische Führung setzte dagegen auf eine Doppelstrategie, indem sie die US-Politik in der Region scharf kritisierte, gleichzeitig aber die Nähe saudi-arabischer Politiker suchte und sich bemühte, diese von den eigenen guten Absichten zu überzeugen. Saudi-Arabien reagierte positiv auf die Avancen aus Teheran, denn die 1980er Jahre waren auch für das Königreich eine Krisenzeit gewesen. Zwischen den beiden Kontrahenten hatte ein regelrechter Kalter Krieg geherrscht, in dem Khomeini wiederholt zum Export der Revolution in die Golfstaaten aufrief und die Saudis Saddam Hussein in seinem Krieg gegen den Nachbarn unterstützten. Während des „Tankerkriegs“ von 1987/88 drohten die Kämpfe sogar, die saudischen Ölexporte zu beeinträchtigen. Entsprechend erleichtert war man in Riad, als Rafsandschani nach dem Tod Khomeinis Entspannungssignale sandte.

Die saudi-arabische Führung um den Kronprinzen Abdallah – der ab 1995 die Regierungsgeschäfte für seinen schwer erkrankten Bruder König Fahd führte – hoffte außerdem, moderate Kräfte in der Teheraner Politik durch einen Entspannungskurs stärken zu können. Dies wurde besonders deutlich, als der Reformer Mohammed Khatami 1997 die Präsidentschaftswahlen gewann und im Februar 1998 als erster iranischer Präsident seit der Revolution Saudi-Arabien besuchte. Trotzdem blieb das Misstrauen in Riad groß, da rasch deutlich wurde, dass der Oberste Führer Ali Khamenei der neue starke Mann in Teheran war und – nachdem er lange zum Rafsandschani-Lager gehört hatte – für eine klar aggressivere Politik stand als Rafsandschani und Khatami. Als zu Beginn der 2000er Jahre Nachrichten über ein geheimes militärisches Nuklearprogramm publik wurden, endete das Tauwetter, und die Beziehungen verschlechterten sich zusehends, bis nach 2011 beide Staaten auf zumindest indirekte Konfrontation setzten.



Verlierer im Kalten Krieg

Die gegenwärtige Détente setzte im Herbst 2019 ein. Die Beziehungen zwischen Teheran und Riad hatten sich seit 2015 dramatisch verschlechtert, weil der Iran die Bürgerkriege im Irak, Syrien und Jemen nutzte, um seine militärische Präsenz und seinen Einfluss massiv auszubauen. Im Jemen intervenierte Saudi-Arabien im März 2015, um eine Übernahme des Landes durch die von den iranischen Revolutionsgarden unterstützten Huthi-Rebellen zu verhindern. Am 14. September 2019 jedoch griffen iranische Drohnen und Marsch­flugkörper die Ölanlagen von Khurais und Abqaiq im Osten Saudi-Arabiens an; für zwei Wochen verringerte sich die Ölproduktion Saudi-Arabiens um rund die Hälfte. Teheran demonstrierte so, dass es die Herzkammer der weltweiten Ölversorgung mit einem Schlag lahmlegen konnte. Als die US-Regierung von Präsident Donald Trump anschließend auf eine militärische Reaktion verzichtete, gab Riad klein bei und suchte das Gespräch mit Teheran, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Es begannen iranisch-saudische Gespräche im Irak, die lange ergebnislos blieben, im März dann aber zu einer Übereinkunft geführt haben.

Der Durchbruch wurde möglich, weil der saudische De-facto-Herrscher Mohammed bin Salman seit 2022 auf eine neue Außenpolitik setzt. Der Kronprinz hat schon vor Jahren wirtschafts- und sozialpolitische Reformen gestartet, die aus dem ehemals verschlafenen, schlecht geführten und höchst korrupten Königreich eine globale Wirtschaftsmacht machen sollen. Vor diesem Hintergrund sind nicht nur die hohen Kosten des Krieges im Jemen ein Problem, aus dem Riad keinen gesichtswahrenden Ausweg findet. Er schadet auch der Reputation Saudi-Arabiens und hält ausländische Investoren fern.

Neu ist aber vor allem, dass Saudi-Arabien zwar weiter auf die enge militärische und sicherheitspolitische Bindung zu den USA setzt, gleichzeitig aber seine Beziehungen zu Russland und China ausbaut und damit klar macht, dass es nicht auf der Seite der USA in einen neuen Kalten Krieg der Großmächte hineingezogen werden will. Wie groß die Distanz der Saudis mittlerweile ist, verdeutlichte Riad im Oktober 2022, als es dem amerikanischen Ersuchen nicht nachkam, die Erdölfördermenge zu erhöhen, um die sanktionsbedingten Ausfälle aus Russland auszugleichen und so die Preise stabil zu halten. Es passt nun gut in diese neue Politik, dass Saudi-Arabien mit dem Entspannungsschritt demonstriert, dass es sich nicht an einer Eindämmung des Iran beteiligen will.



Wirtschaftlich am Boden

Notwendige Voraussetzung für das Abkommen war auch eine Veränderung in Teheran. Die dortige Führung beobachtete mit Genugtuung, dass sich Saudi-Arabien schon kurz nach den Angriffen auf Khurais und Abqaiq nach Jahren der Spannungen gesprächs- und kompromissbereit zeigte. Die Kontakte blieben lange ergebnislos, vermutlich, weil der Iran sich in einer Position der Stärke wähnte und keinen Grund für Zugeständnisse sah. Dies zeigte sich auch im Jemen-Konflikt, in dem seit 2019 verhandelt wurde, die Huthis aber kaum Entgegenkommen zeigten. Stattdessen beschossen die Rebellen Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) mit iranischen Raketen, Drohnen und Marschflugkörpern und demonstrierten den reichen Nachbarn so, dass diese den Krieg verloren hatten.

Doch zeigte sich im Laufe des Jahres 2022, dass auch die iranische Position schwach war. Im Innern erschütterten ab September landesweite Proteste die Islamische Republik, die verdeutlichten, dass weite Teile der Bevölkerung das Regime und seine Politik ablehnen. Sie wurden teils befeuert von der immer katastrophaleren wirtschaftlichen Situation, die sich vor allem in einer weiter ansteigenden Inflation niederschlägt. Da im Laufe des Jahres auch die Verhandlungen über ein Atomabkommen mit den USA kurz vor dem endgültigen Scheitern standen und ausgesetzt wurden, gab es auch keine Hoffnung mehr auf eine Aufhebung der Sanktionen. Wie schon Anfang der 1990er Jahre trieb also eine Wirtschaftskrise ­Teheran an den Verhandlungstisch.

Durch die Annäherung an Saudi-Ara­bien kann Teheran aber auch außenpolitisch punkten. Mit dem faktischen Ende des Atomabkommens wächst die Wahrscheinlichkeit eines israelischen Angriffs auf die iranischen Atomanlagen. Die erneute Wahl des Hardliners Benjamin Netanjahu zum israelischen Ministerpräsidenten im November 2022 ließ die Sorge in Teheran wachsen. Hinzu kommt, dass Israel und Saudi-Arabien sich angesichts der iranischen Bedrohung seit Jahren annähern und die VAE und Bahrain sogar Frieden mit dem jüdischen Staat geschlossen haben. Wie schon in den 1990er Jahren versucht der Iran, durch die Annäherung an Saudi-Arabien einen Keil zwischen seine Gegner zu treiben. Dass China als Vermittler und informelle Garantiemacht des Abkommens auch dabei ist, ist aus Sicht Teherans ein weiterer Schritt aus der Isolation heraus.



Der Konflikt geht weiter

Solange die Interessen des Iran und Saudi-Arabiens weitgehend auf Entspannung ausgerichtet sind, dürfte das Abkommen halten. Das kann trotz des großen gegenseitigen Misstrauens auch über einen längeren Zeitraum geschehen, wie die Entspannungsphase der 1990er gezeigt hat. Dabei ist aber nicht zu übersehen, dass – ähnlich wie damals – die Ursachen des Konflikts fortbestehen. Der Iran hat seine Hegemonialpolitik nicht aufgegeben: Die iranische Expansion im Nahen Osten mag ihren Zenit erreicht haben, doch sind die Al-Quds-Brigaden der Revolutionsgarden und mit ihnen verbündete Gruppierungen im Irak, Syrien, Libanon und Jemen weiterhin stark präsent. Teheran betreibt auch weiter sein Raketenprogramm, zu dem die Drohnen und Marschflugkörper gehören, mit denen Saudi-Arabien 2019 zum Einlenken gezwungen wurde. Außerdem steht Teheran an der Schwelle zur Nuklearmacht und es wird – so Khamenei eine entsprechende Entscheidung fällt – höchstens zwei Jahre dauern, bis das iranische Militär über einsatzfähige Atomsprengköpfe verfügt.

Trotz aller Kompromissbereitschaft sucht Saudi-Arabien nach Wegen, ein weiteres Erstarken des Iran zu verhindern und seinen eigenen militärischen Rückstand aufzuholen. Mohammed bin Salman sieht sich als Führer einer starken Regionalmacht und rüstet militärisch weiter auf. Um sich dem Iran längerfristig entgegenstellen zu können, hat Saudi-Arabien unter seiner Führung die militärische und nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit Israel ausgebaut. Wie stark das Interesse Riads an einer Allianz mit dem jüdischen Staat weiterhin ist, zeigte sich zuletzt – und bezeichnenderweise zeitgleich mit dem mit Iran geschlossenen Abkommen –, als sich Riad sogar zu einem Friedensschluss mit Israel bereit erklärte. Zwei Bedingungen formulierte die saudische Führung gegenüber den USA: Diese müssten ihr Sicherheitsversprechen für das Königreich erneuern und ihm bei einem saudischen Nuklearprogramm assistieren. Es ist unwahrscheinlich, dass dieses Programm, wie von Riad beteuert, nur zivilen Zwecken dienen soll.

Die vielleicht schwerste Bewährungsprobe für die iranisch-saudische Entspannung könnte schon bald kommen. Die israelische Regierung hat immer wieder angekündigt, eine anstehende nukleare Bewaffnung des Iran durch Militärschläge gegen die Atomanlagen verhindern zu wollen. Sollte dies geschehen, dürfte Riad vor dem Hintergrund seiner engen Zusammenarbeit mit Israel große ­Schwierigkeiten haben, den Iran davon zu überzeugen, dass es neutral ist. Dann könnte die Annäherung schon wieder ­Geschichte sein.

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Bibliografische Angaben

Interntaionale Politik 3, Mai/Juni 2023, S. 82-86

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Dr. Guido Steinberg ist Islamwissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

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