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01. Sep 2020

Abgewirtschaftet

Bis zur Corona-Krise lief es ökonomisch gut für Donald Trump. Nun bröckelt der unternehmerische Ruhm des Präsidenten. Besonders seine Abkehr vom Freihandel ist eine schwere Hypothek.

Hinter Donald Trump stand noch nie eine Mehrheit der Amerikaner. Bei den Wahlen 2016 hätte Hillary Clinton gewonnen, wäre es nach der absoluten Zahl der Stimmen gegangen. Seit seinem Amtsantritt im Januar 2017 war bei Meinungsumfragen die Zahl derer, die den 45. Präsidenten und seine Politik ablehnten, fast immer größer als die der Unterstützer. Dann kam die Corona-Krise, Trump demonstrierte seine Inkompetenz und die Umfragewerte stürzten regelrecht ab. Mit einer Ausnahme, der Wirtschaftspolitik. Noch im Juli, mitten in der Pandemie, glaubte im Durchschnitt der Umfragen eine knappe Mehrheit, dass Trump gut für die amerikanische Wirtschaft sei. Daraus kann man schließen: Ginge es nur um die Wirtschaft, würde Trump die Wahl im November vermutlich gewinnen.



Über fast die gesamte Amtszeit Trumps, bis zum Ausbruch von Corona, erlebten die Vereinigten Staaten einen ununterbrochenen Aufschwung. Im historischen Vergleich waren die Wachstumszahlen zwar nicht überragend, aber sie lagen doch immer höher als jene Europas. Der Aufschwung war im Kern nicht Trumps Verdienst, der hatte ihn von Barack Obama und Fed-Chef Ben Bernanke geerbt, die mit ihrer Finanz- und Geldpolitik die Finanzkrise von 2008/2009 überwunden hatten. Allerdings hat Trump 2017, in seinem ersten Amtsjahr, eine große und heftig umstrittene Steuersenkung in den Kongress gebracht. Sie dürfte das Wirtschaftswachstum im Ergebnis leicht erhöht haben. Wie hoch, ist ebenso offen wie die Frage, ob die Steuersenkungen der Mittelschicht nützten oder ob sie im Gegenteil die Kluft zwischen Arm und Reich noch weiter öffneten.



Keine Zweifel gibt es daran, dass die Reform zu gewaltigen Steuerausfällen führen wird. Vor Ausbruch der Pandemie wurden sie auf 1,5 Billionen Dollar bis 2027 geschätzt. Der Ökonom Paul Krugman twitterte im Dezember: „Der Steuerplan hat den Vermögenden geholfen und gleichzeitig das Defizit in die Höhe getrieben.“

Nun steckt Amerika, wie der Rest der Welt, in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die USA stemmen sich mit Staatsausgaben in Billionenhöhe gegen die Katastrophe. Wegen der desaströsen Reaktion des Weißen Hauses auf die Pandemie steht Amerika allerdings vergleichsweise schlecht da.



Mehr Schulden, weniger Handel

Die massive Ausweitung der Staatsausgaben ist angesichts der verheerenden Krise im Prinzip und auch in der Größenordnung richtig. Aber sie ist riskant, weil die Verschuldung schon vorher so hoch war. Nach Schätzungen der OECD vom Juli wird das Defizit des amerikanischen Staates 2020 auf 16,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen (Deutschland: 7,25 Prozent). Die Staatsschuld, bezogen auf das BIP (Staatsschuldenquote), könnte 130 Prozent überschreiten. Das wäre für die USA der höchste Wert in Friedenszeiten. Bis dato haben weder die gigantische Neuverschuldung noch die Geldschwemme der Fed zu einem Anstieg der Inflationserwartungen geführt. Wie der Rest der Welt befindet sich Amerika in einer absoluten Ausnahmesituation. Die Zinsen auf zehnjährige US-Staatsanleihen sind im Zuge der Pandemie sogar noch gesunken und lagen Ende Juli bei 0,6 Prozent.



Allerdings birgt die Rekordverschuldung politische Risiken. Gut 5 Prozent der amerikanischen Staatsschulden befinden sich in chinesischer Hand. Was bedeutet dies angesichts der immer aggressiver auftretenden Führung in Peking? Außerdem führt die Zunahme der Neuverschuldung zu einem weiter steigenden Defizit in der US-Leistungsbilanz – also dem Gegenteil dessen, was Trump anstrebte. Was bedeutet das für den Dollar? Wie lange werden US-Anleihen noch als sicherer Hafen gelten, vor allem, wenn Washington die Pandemie nicht unter Kontrolle bekommt?



Die folgenreichste Entscheidung Trumps jedoch ist die Abkehr Amerikas vom Ideal des Freihandels. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs standen die USA für ein Handelssystem, das auf Regeln und offenen Märkten basierte. Es war eine der Lehren, die eine ganze Generation von Politikern und Ökonomen damals gezogen hatte: Protektionismus hat die Weltwirtschaftskrise der Jahre 1929 bis 1933 erst richtig befeuert und die Katastrophe des Krieges mit ausgelöst. Eine der Konsequenzen war die Gründung des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) 1947, das zusammen mit Internationalem Währungsfonds und Weltbank eine friedliche Nachkriegsordnung ökonomisch absichern sollte.



Die USA waren in der Folge durchaus nicht immer vorbildliche Freihändler; nationale Interessengruppen versuchten immer wieder, die Politik in Washington zu beeinflussen, oft mit Erfolg. Im Prinzip jedoch stand Washington hinter dem Freihandel und der multilateralen Handelsordnung. Nach dem Ende des Kalten Krieges 1990, als die USA die einzige verbliebene Supermacht waren, wollten sie die liberale Ordnung auf eine solide Basis stellen. Das war der Sinn der Welthandelsorganisation (WTO), die als Ergebnis der sogenannten Uruguay-Runde 1995 in Genf ihre Arbeit aufnahm.



Die WTO war mächtiger als das alte GATT. Vor allem verfügte sie über ein Schiedsverfahren, um Streitigkeiten zu schlichten. Die USA profitierten von vielen Schiedssprüchen, vor allem aber beugten sie sich ihnen, auch wenn es unbequem war für die amerikanische Wirtschaft.



Dennoch: Mit dem Versprechen, für amerikanische Arbeitsplätze zu kämpfen,  lässt sich in Washington alles Mögliche verkaufen. Das war auch vor Trump so. Der jedoch ging einen radikalen Schritt weiter. Er führte eine neue Handelsdoktrin ein, die sein Berater Peter Navarro und der Handelsbeauftragte Robert Lighthizer umsetzten. Am besten bezeichnet man sie als „deal-based“ (anstelle von „rules-based“): Sie versucht nicht mehr, Regeln für den Welthandel aufzustellen, sondern will konkrete nationale Ziele erreichen, etwa eine ausgeglichene Handelsbilanz, neue Arbeitsplätze oder höhere Umsätze. Langfristig schaden solche Deals meist allen Beteiligten, kurzfristig lassen sich damit aber Wahlen gewinnen.



Trumps Abkehr vom Freihandel bedeutet, dass die USA ihre Rolle als Schutzmacht, als Hegemon im internationalen Handelssystem aufgeben. Schließlich waren sie auch deshalb eine Supermacht, weil sie im Ernstfall kurzfristige Wirtschaftsinteressen zugunsten langfristiger strategischer Interessen hintanstellen konnten. Unter Trump kann es sein, dass ein Alliierter wie Deutschland plötzlich zum Feind wird, weil das Land einen hohen Leistungsüberschuss hat. Schon im ersten Amtsjahr stoppte der Präsident die Verhandlungen um Freihandelsabkommen mit Asien (TPP) und der EU (TTIP).



Feindlich ist auch die Haltung gegenüber der WTO, die ja ursprünglich einmal die Krönung eines amerikanisch dominierten freien Handelssystems sein sollte. Trump blockierte den Schiedsmechanismus der Organisation, weil er dessen Ergebnisse als unfair empfand. Er besetzte die Richterstellen nicht, die den USA zustehen, so dass die Schiedsgerichte nicht  tagen können.



Wohin die Reise gehen soll, sprechen einige Konservative offen aus. „Schafft die WTO ab!“, überschrieb der republikanische Senator Josh Hawley Anfang Mai einen Gastbeitrag in der New York Times. Die globale Handelsordnung habe den amerikanischen Arbeitern nur geschadet. Jetzt komme es darauf an, Deals abzuschließen, „die wirklich gegenseitig sind und wirklich vorteilhaft für Amerika“. In Wirklichkeit geht es nicht um Gegenseitigkeit, sondern um knallharte Interessenpolitik.



 Berend Diekmann, Leiter des Nordamerika-Referats im Bundeswirtschaftsministerium, schrieb dazu in der Zeitschrift Wirtschaftsdienst: Hegemon seien die USA geworden, weil sie „nicht nur den Zugang zum lukrativen US-Markt garantierten, sondern auch ihr politisches Gewicht in die Waagschale warfen, damit die Regeln Glaubwürdigkeit und Gültigkeit behielten“. Das bedeutet: Hegemon des Handelssystems können die USA unter diesen Bedingungen nicht mehr sein. Aber wer könnte an ihre Stelle treten? Und wie werden sich die internationalen Wirtschaftsbeziehungen entwickeln, wenn es gar keinen Hegemon mehr gibt?



Das Problem China

Hier muss nun die Rede sein vom Aufstieg der Volksrepublik China zur Wirtschaftssupermacht. Tempo und Dimension dieses Aufstiegs sind ebenso phänomenal wie die Rolle der Kommunistischen Partei dabei, der Protektionismus und der Diebstahl technischen Wissens seitens chinesischer Unternehmen. Der Aufstieg weckt Ängste, vor allem seit der autoritäre Xi Jinping an der Spitze von Partei und Staat steht und China seine wirtschaftliche Macht einsetzt, um geopolitische Ziele zu erreichen. Wie man mit der neuen Wirtschaftsmacht umgehen soll, ist nicht nur ein Problem für die USA, sondern auch für die EU und besonders für die Exportnation Deutschland.



Die Volksrepublik war erst im Dezember 2001 der WTO beigetreten – mit ausdrücklicher Unterstützung der USA. Damals hatte man gehofft, dass China als Mitglied der WTO offener, freier und weniger von der Kommunistischen Partei dominiert werden würde. Diese Erwartungen wurden enttäuscht. China nutzte die Möglichkeiten, die ihm die WTO bot, äußerst effektiv; die Volksrepublik wurde in weniger als zwei Jahrzehnten zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Erde und, unter anderem, zum wichtigsten Handelspartner Deutschlands. Trotzdem hat China offiziell immer noch den Status eines Entwicklungslands in der WTO inne, was mit Privilegien verbunden ist, etwa beim Schutz eigener Industrien vor der ausländischen Konkurrenz. Natürlich sind diese Privilegien ein Anachronismus, die chinesische Führung weigert sich jedoch beharrlich, auf sie zu verzichten.



Kritik daran, dass die WTO es nicht schafft, das Problem China zu lösen, gibt es schon lange. Bereits unter Präsident Obama besetzten die USA ihre Posten in den Schiedsgerichten der Organisation nicht mehr. Mit Trumps Amtsantritt 2017 wurde der Ton in Washington aggressiver. Trump erklärte China den Handelskrieg, indem er eine Fülle von Zöllen auf chinesische Importe erhob oder bestehende erhöhte; Peking reagierte entsprechend. Vor Corona galt dieser Konflikt als größtes Risiko für die Weltkonjunktur. Im August 2019 errechnete das Haushaltsbüro des Kongresses, dass der Handelskrieg die USA bis 2020 0,3 Prozent Wirtschaftswachstum kosten würde. Angesichts der globalen Wirtschaftskrise erscheint diese Zahl heute fast bedeutungslos; sie zeigt aber trotzdem, wie schädlich Trumps Handelspolitik für die eigene Wirtschaft ist.



Nun gibt es zweifellos gute Gründe dafür, den chinesischen Telekomriesen Huawei vom Ausbau des 5G-Netzes auszuschließen. Trump versucht aber gar nicht erst, gegenüber Peking die Regeln der multilateralen Handelsordnung durchzusetzen. Er strebt im Gegenteil Deals an, die für Amerika vorteilhaft erscheinen.

Illustriert wird das durch ein Abkommen mit China, das Trump Anfang 2020 unterzeichnete. Früher sahen derartige Abkommen vor, dass Zölle gesenkt und Märkte geöffnet wurden. Trumps Abkommen dagegen belässt die US-Zölle weitgehend unverändert. Dafür verpflichtet sich Peking, bis 2021 zusätzlich amerikanische Waren im Wert von 200 Milliarden Dollar zu kaufen. Kaufverpflichtungen sind aber einer der schlimmsten Verstöße gegen die Regeln der bestehenden Handelsordnung, die man sich vorstellen kann. Der Staatseinfluss im Handel wird nicht zurückgedrängt, der Staat bekommt sogar eine neue Aufgabe: zu garantieren, dass China eine bestimmte Menge amerikanischer Waren kauft. „Während frühere Präsidenten versuchten, Chinas ökonomisches Verhalten zu ändern, hat sich Trump diesem angepasst“, schrieb die New York Times.



Offen ist, was von Trumps Politik nach einem möglichen Regierungswechsel revidiert werden kann und ob die regelbasierte Handelsordnung dann überhaupt noch eine Chance hat. Traditionell ist der Kampf gegen den Freihandel nicht unbedingt ein rechtes, sondern ein linkes Anliegen. Das bedeutet, dass eine nach links verschobene Demokratische Partei eher protektionistischen Instinkten nachgeben wird. Dafür stehen die beiden parteiintern unterlegenen Kandidaten Bernie Sanders und Elizabeth Warren. Joe Biden gilt dagegen als Liberaler. Amerika müsse entschlossen gegenüber China auftreten, schrieb er in einem Beitrag für Foreign Affairs. Die USA sollten „eine Allianz mit ihren Verbündeten und Partnern bilden, um sich Chinas missbräuchlichem Verhalten und seinen Menschenrechtsverletzungen entgegenzustellen. Und gleichzeitig die Zusammenarbeit mit Peking suchen, auf Gebieten von gemeinsamem Interesse wie Klimaschutz, Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen und globaler Gesundheitspolitik.“



Aber Biden, der einst die Freihandelsabkommen TPP und TTIP unterstützte, hat sich in einigen Fragen auch dem protektionistischen Zeitgeist angepasst. Bei einer Rede in Pennsylvania kündigte er im Juli ein Programm an, wonach die Regierung in vier Jahren 400 Milliarden Dollar für den Kauf amerikanischer Produkte ausgeben soll. Auch derartige „Buy American“-Kampagnen sind ein krasser Verstoß gegen die Regeln des Freihandels.

Selbst wenn die Ära Trump am 3. November enden sollte: In der Wirtschafts- und Handelspolitik wird sie noch lange nachwirken. 

 

Nikolaus Piper, ehemaliger Wirtschaftskorrespondent der SZ in New York, lebt als Autor in München.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2020, S. 41-45

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