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01. Dez. 2007

Zwischen Hofnarr und Agendasetter

Über wissenschaftliche Beratung in der Außen- und Sicherheitspolitik

Einen Studiengang „wissenschaftlicher Politikberater“ gibt es nicht. In der Außen- und Sicherheitspolitik muss sich wissenschaftliche Beratung daher selbst einen Orientierungsrahmen geben. Wie könnte der aussehen? Einige Betrachtungen über Relevanz, Unabhängigkeit, Distanz, Nähe und die Fallstricke des von den Medien so geschätzten Alarmismus.

Wer sich mit Politikberatung beschäftigt, muss differenzieren: Nicht nur in der Beratung selbst, sondern schon bei der Beschreibung der eigenen Tätigkeit.

„Politikberater“ ist, anders als etwa Steuerberater, kein geschützter Beruf, und insofern nutzen viele Personen oder Unternehmen, die Politiker bei Medien- und Wahlkampagnen unterstützen oder, wie einige große Consulting-Firmen, Mnisterien bei der Erstellung von Gesetzesentwürfen helfen, diesen -Begriff.

Bei wissenschaftlicher Politikberatung dagegen geht es darum, „der -Politik“, also in erster Linie Parlament und Regierung, mit eigener Forschung und wissenschaftlicher Expertise zur Seite zu stehen. Der Wissenschaftsrat hat in seinem Gutachten zur Ressortforschung allgemein und, mit speziellem Blick auf die Außen- und Sicherheitspolitik, zur Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) einige Merkmale definiert, die wissenschaftliche Politikberatung von anderen Beratungsangeboten, aber auch von rein universitärer Forschung unterscheidet.

Dazu gehört die Verpflichtung auf die „Regeln wissenschaftlichen Arbeitens“ bei gleichzeitiger Orientierung an politischen Handlungsfeldern und Problemen genauso wie die Kombination „auftragsunabhängiger Eigenforschung mit der Bereitstellung von Informationen und Dienstleistungen“.1

Auch bei politikberatenden Instituten, die auf Wissenschaftlichkeit Wert legen, gibt es ein breites Spektrum zwischen einer Form modernen Hofnarrentums am einen Ende und einem programmatischen, advokatorischen Agendasetting am anderen. Ersteres finden wir eher bei Formen öffentlich inszenierter Begegnung, wo sich Politiker, Vertreter von Think-Tanks, prominente Journalisten oder Universitätsprofessoren zu größeren Symposien zusammenfinden, die vor allem auf mediale Wirkung setzen. Für die Politik haben solche Veranstaltungen meist einen legitimatorischen Aspekt – man zeigt eben auch öffentlich, dass man den Austausch mit der Wissenschaft sucht. Das programmatische Agendasetting finden wir insbesondere bei amerikanischen Think-Tanks, deren wissenschaftliche Mitarbeiter sich häufig als eine Art Administration im Wartestand verstehen, die mit sehr konkreten Handlungsempfehlungen der jeweiligen Regierung erklären, wie sie die Dinge besser machen könnte – und sich dabei gleichzeitig als Kandidaten für Führungsämter unter einer neuen Administration präsentieren.

Das Hauptaufgabenfeld von wissenschaftlicher Politikberatung in Deutschland liegt in dem weiten Feld dazwischen: bei Forschung und Beratung, die unabhängig sein sollte und die bei einer weitgehend aus staatlichen Mitteln finanzierten Einrichtung wie der SWP zudem auch bewusst auftragsunabhängig ist, sich gleichwohl an Relevanz und an den Bedürfnissen der Politik orientiert. Wissenschaftliche Politikberatung muss sich bewusst sein, dass sie Dienstleisterin und gleichzeitig selbst Wissenschaft ist – nicht nur der Transporteur wissenschaftlicher Erkenntnisse anderer. Sie muss dafür unabhängig sein, was mindestens heißt, dass die Forschungsergebnisse nicht von den Kunden bestimmt werden. Natürlich haben Wissenschaftler eine politische Meinung, aber sie sind in ihrer Forschungs- und Beratungstätigkeit nicht Vertreter einer Partei oder eines politischen Lagers, und sie sind auch keine advokatorische Nichtregierungsorganisation, die wie Greenpeace oder die Save-Darfur-Kampagne für ganz bestimmte Ziele werben und dabei selbst gelegentlich auf wissenschaftliche Beratung zurückgreifen.

Der Bedarf an fundierter, unabhängiger außen- und sicherheitspolitischer Forschung und Beratung hat nicht zuletzt in Deutschland zugenommen und wird noch weiter zunehmen. Dies hat mit allgemeinen Entwicklungen der Informationsgesellschaft zu tun, aber auch mit Veränderungen in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, ihren Aufgaben und ihrem Umfeld. Der Status von Wissen hat sich selbst verändert; es gilt immer seltener als langfristig gesichert. Gleichzeitig muss Politik immer mehr und immer komplexere Informationen verarbeiten, wobei wissenschaftliche Untermauerung nicht selten nur eingefordert wird, um politisches Handeln zu rechtfertigen. Tatsächlich macht die Überflutung mit Informationen, die mit Hilfe des Internets abrufbar sind, Entscheidungen nicht unbedingt leichter. Es ist nicht schwer, Informationen etwa über fremde Länder, über die Verfügbarkeit von Ressourcen, über den Wandel des Weltklimas oder über terroristische Gruppen zu beschaffen. Umso schwerer aber ist es, hier systematisch eine angemessene Auswahl zu treffen, die „information bits“ sinnvoll miteinander zu verknüpfen, zu deuten und kausale Zusammenhänge zu eruieren.

Zudem ist Deutschland heute ein anderer außenpolitischer Akteur als vor 1990. Der Aktionsraum der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ist größer geworden, wie nicht nur ein kurzer Blick auf eine Weltkarte, die die gegenwärtigen Auslandseinsätze der Bundeswehr verzeichnet, deutlich macht. Außenpolitik wird auch nicht mehr durch ein einzelnes Paradigma wie das des Ost-West-Konflikts bestimmt, das von der Gründung der Bundesrepublik Deutschland bis zur Wiedervereinigung die strategischen Herausforderungen definierte. Die Bedrohungssituation war eindeutig; auch wenn es politischen Streit über Einzelfragen gab, war doch klar, dass diese im Rahmen des westlichen Bündnisses beantwortet werden mussten.2

Risiken und Gefahren lassen sich heute nicht mehr eingrenzen. Nicht nur Handel, Finanzströme, Ideenaustausch und Kommunikation, sondern auch Risiken sind heute globalisiert. Bedrohungen kommen nicht mehr in erster Linie von etablierten Staaten, sondern gehen von nichtstaatlichen Akteuren oder gescheiterten Staaten aus. Entsprechend erwähnt die Europäische Sicherheitsstrategie, ein im Dezember 2003 von den Staats- und Regierungschefs der EU beschlossenes Dokument, die aus europäischer Sicht wesentlichen Risiken und Gefährdungen: Terrorismus, die Proliferation von Massenvernichtungswaffen, regionale Konflikte, Staatsversagen und organisierte Kriminalität, dazu kommt Energieabhängigkeit als „Anlass zur Besorgnis“.3 Das heißt auch für Deutschland, dass außen- und sicherheitspolitisches Denken deutlich über das unmittelbare europäische Umfeld und die transatlantischen Beziehungen hinaus reichen und „ferne Regionen“ nicht nur mit Blick auf außenwirtschaftliche Interessen einbeziehen muss.

Deutsche Politik hat gelernt, dem großen Verbündeten USA gegenüber fallweise „Nein“ zu sagen. Schon dazu braucht es mehr eigenständige Analysekapazität. Gleichzeitig bedeutet die Einbindung in einen europäischen Handlungsrahmen und die graduelle Entwicklung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU eben nicht, das Nachdenken über politische Handlungsmöglichkeiten oder entsprechende Verantwortlichkeiten nach Brüssel outzusourcen. Es verlangt vielmehr, kompetente und verantwortliche deutsche Beiträge zur Gestaltung einer europäischen Politik auch für regionale und funktionale Handlungsfelder zu entwickeln, die deutsche Politik in der Vergangenheit zumindest nicht als prioritär betrachtet und deshalb anderen westlichen Akteuren überlassen hat. All dies erhöht den Bedarf an unabhängiger wissenschaftlicher Forschung und Beratung.

Anforderungen und Funktionen

Die Politik, das sollte durchaus gesagt werden, hat dies im Großen und Ganzen erkannt. Sie stellt ihrerseits Anforderungen an Einrichtungen wie die SWP, etwa die, „präzise aufbereiteten und wissenschaftlich fundierten Rat“ zu geben, um der Bundesregierung zu helfen, aus verschiedenen Entscheidungsoptionen „die kurzsichtigen, einseitigen, untauglichen, falschen und weniger guten möglichst frühzeitig auszusondern“, dazu unabhängiges, konzeptionelles Denken, aber auch die rasche und zuverlässige „Mobilisierung von Expertise“.4 Vielen Wissenschaftlern mag dies wie eine Zumutung erscheinen. Verträgt sich, so fragen nicht nur universitäre Akademiker, wissenschaftliche Gründlichkeit denn überhaupt mit rascher Verfügbarkeit und einer Orientierung am Bedarf der Politik?

Natürlich fordern die Aufgaben, denen Think-Tanks – wissenschaftliche Denk- und Beratungsfabriken – sich stellen müssen, ihre Mitarbeiter auch heraus. Dabei lässt sich, was für die Politik und im Austausch mit ihr zu leisten ist, als ein Aufgabenfeld mit fünf Funktionen charakterisieren.5

Erstens gibt es eine Deutungsfunktion. Diese liegt nicht zuletzt auch darin, unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten für Entwicklungen in der internationalen Politik vorzustellen und sie in ihrer Relevanz für politische Akteure zu verdeutlichen.6 Man kann dies auch einen problemorientierten Umgang mit Theorie nennen. Die Aufgabe, Deutung anzubieten, hat Politikberatung im demokratischen Staat gerade auch gegenüber der Gesellschaft; sie wird sie in der Regel über die Medien wahrnehmen. Insofern ist es schon richtig, dass wissenschaftliche Politikberatung selbst Teil eines Prozesses ist, „in dem die Wahrnehmung der politischen Realität und die Definition von Themen als Probleme mit geschaffen werden“.7

Die Deutungskapazität der wissenschaftlichen Politikberatung stützt sich dabei im Unterschied zur Instant-Expertise etwa notwendig ereignisorientierter Journalisten auf eigene theoretisch geleitete und empirische Forschung. Think-Tanks sollten dabei idealerweise multidisziplinär arbeiten.8 Dies erlaubt die Produktion von synthetischem Wissen: Die Welt und jene Phänomene der internationalen Politik, die uns interessieren oder wachsam machen sollten, sind eben nicht nur in den Kategorien entweder des Völkerrechts oder der Geschichte, mit Kultur oder Religion, oder durch den Kampf um Macht und Ressourcen zu verstehen.9

Zweitens geht es um die Entwicklung von Ideen. Es steht außer Frage, dass diese ebenfalls theoretisch und empirisch fundiert sein sollten. Dies erlaubt eher einen „langen Blick“, der sich von tagespolitischen Diskussionen absetzt und die Kontexte herausarbeitet, die die Umsetzung solcher Ideen beeinflusst. Wer der Tagespolitik voraus sein will, muss allerdings auch akzeptieren, dass bestimmte Ideen heute als unrealistisch verworfen werden – um vielleicht, wenn sie tatsächlich solide sind, Monate oder Jahre später zurück auf die Tagesordnung zu kommen.

Mindestens so wichtig ist drittens die Bereitschaft, Ideen zu testen. Dies heißt anzuerkennen, dass auch Politik und Administration Ideen haben, und oftmals recht gute. Think-Tanker sollten sich deshalb ganz bewusst auch als Sparringpartner der Politik verstehen, die einen kritischen Testdurchlauf für Ideen ermöglichen, bevor diese in die Öffentlichkeit gebracht oder umgesetzt werden.

Viertens hat wissenschaftliche Politikberatung Vorwarnfunktion, um auf mögliche Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen. Zumindest sollte sie sich darum bemühen. Ein akademischer Grad und auch eine gute Kenntnis der eigenen Forschungsgegenstände garantieren dies noch keineswegs. Wissenschaft, die die Politik beraten will, muss gerade für diese Funktion auch ihr eigenes methodisches Instrumentarium stets weiterentwickeln – das der Szenarienerstellung etwa, nicht zuletzt um in eigenen Studien oder in Workshops mit Vertretern der Praxis durchzudeklinieren, was eigentlich in einem bestimmten Politikfeld schief gehen kann: bestenfalls, um dies zu vermeiden, zumindest jedoch, um vorbereitet zu sein.

Fünftens, das letzte Beispiel verweist schon darauf, sollten Think-Tanks auch physisch ein Ort des rationalen Austauschs sein, wo jenseits von Partei- und Ressortgrenzen über das Notwendige und Sinnvolle in, für unseren Fall, der Außen- und Sicherheitspolitik reflektiert werden kann. Die SWP bezeichnet sich in diesem Sinne ganz bewusst als ein Ort der leisen Töne. Hier gibt es keine Diskussionen, die im Fernsehen übertragen würden; auch politische Entscheidungsträger können hier im Dialog mit Wissenschaftlern Gedanken entwickeln und Fragen stellen, ohne sich dafür öffentlich rechtfertigen zu müssen. Und natürlich realisiert sich gerade diese Funktion des Austauschs, wie auch die der Deutung, der Ideenproduktion und -überprüfung oder der Antizipation von Risiken nicht nur im nationalen, sondern ebenso im internationalen Rahmen. Politikorientierte Think-Tanks ignorieren die Interessen ihrer jeweiligen Staaten nicht, können aber vielleicht gerade deshalb in diversen bi- oder multilateralen Formaten internationale Debatten weiterbringen, gemeinsam nach Handlungsoptionen suchen und gelegentlich auch zur Vertrauensbildung beitragen.

Wunsch und Wirklichkeit

Abgesehen davon, dass Politikberatung immer ein interaktiver Prozess ist, der nicht nur gute Beratung, sondern auch Beratungsoffenheit braucht – das Krankheitsbild der Beratungsresistenz korreliert stark mit lang praktizierter und schwach kontrollierter Macht – , so ist der eigentliche Prozess auch meist sehr viel unspektakulärer, als Zeitungsleser sich das vorstellen mögen oder ein Film wie „Thirteen Days“ dies suggeriert.10

Selbstverständlich sprechen selbst die Chefs von Think-Tanks nicht jeden Tag mit der Kanzlerin oder dem Außenminister, und der Austausch mit der Politik findet in erster Linie auf der Arbeitsebene, mit den Stäben, den Fachabteilungen, den Fraktionsarbeitskreisen und oft den persönlichen Beratern der Entscheider statt. Think-Tanker müssen dabei im Unterschied zum universitären Wissenschaftler akzeptieren, dass Politikberatung kein Urheberrecht reklamiert: Wenn ein Professor von einem anderen – oder wohl eher: von einem Doktoranden – abschreibt, dann ist das ein Plagiat. Wenn ein Politiker Ideen oder ganze Absätze aus einem Papier unseres Instituts übernimmt, dann ist das ein Erfolg der Politikberatung. So waren wir selbstverständlich nicht böse, als das Büro eines Spitzenpolitikers anfragte, ob er die ihm übersandte umfangreiche Studie zu den außenpolitischen Aufgaben unter der deutschen Ratspräsidentschaft vielleicht auch als Word-Datei haben könne – wichtige Passagen ließen sich dann doch leichter in eine bevorstehende außenpolitische Grundsatzrede kopieren.11

Und natürlich muss in der Politikberatung auch, sehr viel häufiger, akzeptiert werden, dass Vorschläge und Ideen, so exzellent man sie selbst auch finden mag, nicht und schon gar nicht eins zu eins umgesetzt werden. Wer das erwartet, irrt. Es kann im Übrigen in demokratisch verfassten Staaten auch nicht so sein, dass Experten politische Entscheidungen bestimmen: Sie sind nicht gewählt. Entscheiden muss, wer dazu demokratisch legitimiert ist; Berater geben bestenfalls Inputs für Entscheidungsprozesse. Dies lässt sich mit einem Blick auf eine Reihe der Analyse- und Ideenpapiere nachvollziehen, die etwa seitens der SWP im Vorfeld der deutschen EU-Ratspräsidentschaft erstellt wurden – die genannte Sammelstudie bietet hier einen guten Überblick. Politikberatung wird, wenn sie relevant ist, Debatten und Prozesse, die schließlich zu Entscheidungen oder zur Bestimmung von Positionen führen, mit prägen – und damit auch die Frage, was eigentlich politisch relevant ist.

Die Chancen der Ungewissheit

Politikberatung lässt sich nicht als Fach studieren, sondern allenfalls in der Praxis, als Ergänzung zu einer soliden wissenschaftlichen Ausbildung und Erfahrung. Das bedeutet, immer auch eigene Antworten auf Dilemmata zu finden, die im Folgenden in vier Konstellationen charakterisiert werden sollen:

1. Das Verhältnis von Beratungsoffenheit und Relevanz

Tatsächlich ist in Deutschland die Bereitschaft der Politik, wissenschaftliche Beratungsleistungen anzunehmen, größer als oft behauptet.12 Allerdings gibt es auf Seiten der politischen Entscheidungsträger oft Skepsis, ob Wissenschaftler überhaupt in der Lage sind, politikrelevant und verständlich zu arbeiten. Auch bei der Wirtschaft, die selbst zunehmend Akteur im internationalen Raum und gleichzeitig von globalen Entwicklungen betroffen ist, ist die Beratungsoffenheit grundsätzlich groß. Wirtschaftsvertreter mahnen häufig eine klarere Definition deutscher Interessen in der Welt an. Gleichzeitig allerdings scheint das Bewusstsein für die Bedeutung unabhängiger Think-Tanks, die genau diese Aufgabe leisten können, bei deutschen Unternehmen noch unterentwickelt – jedenfalls im Vergleich zu entsprechenden Unternehmen in den USA, in Großbritannien oder in Frankreich, die sehr wohl wissen, warum sie nationale Think-Tanks in ihren Ländern unterstützen, auch wenn diese für die Allgemeinheit und nicht nur für ihre spezifischen Unternehmensinteressen arbeiten.

Im politischen Raum liegt das Problem in Deutschland darin, dass die Außenpolitik, wie Christoph Bertram einmal festgestellt hat, „keine Lobby“ hat – und dass deshalb, wie zu ergänzen wäre, andere Lobbys im Zweifelsfall die Definitionsmacht darüber gewinnen, was die außenpolitischen Interessen des Landes sind. Natürlich muss eine Forschungseinrichtung, wenn sie ein größeres außenpolitisches Interesse oder eine breitere strategische Debatte einfordert, sich selbst immer wieder fragen, wie relevant ihre eigene Forschung eigentlich ist. Dabei ist es auch notwendig, deutlich zu machen, dass relevant – durchaus mit Blick auf die außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands oder Europas – nicht nur ist, was Entscheidungsträger heute dazu erklären, also die Probleme, mit denen die zuständigen Ministerien und das Kanzleramt sich aktuell herumschlagen. Relevanz wird letztlich als Ergebnis eines Diskussionsprozesses oder einer strategischen Debatte zwischen „der Politik“ und „der Wissenschaft“, idealerweise sogar in einem Dialog zwischen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Gruppen definiert. Zu den Aufgaben der Wissenschaftler gehört dabei zu erklären, warum bestimmte Themen, die sich heute nicht auf der Agenda befinden, gleichwohl von hoher Bedeutung sind. Als Beispiel mag die Diskussion über Energie- und Klimasicherheit gelten, die bis vor kurzem nur ein Thema der Think-Tanks war. Gleichzeitig gilt es, sich auch den Nachfragen aus der Politik nicht zu verschließen, die ein Wissenschaftler für wenig spannend hält oder für ir-relevant erklärt, weil er sie ohnehin nicht beantworten kann. Gerade Fachwissenschaftler müssen darüber hinaus damit umgehen können, dass politische Entscheidungsträger andere Rationalitäten – koalitions-, wahl-, haushaltspolitische etc. – haben als jene, die sie mit Blick auf das spezifische Politikfeld erkennen.

2. Die Problematik von Nähe und Unabhängigkeit

Auf der einen Seite ist eine gewisse Nähe der Berater zu den Entscheidungsträgern und ist auch Vertrauen notwendig, um überhaupt gehört zu werden. Wenn die Stiftung Wissenschaft und Politik etwa mit ihrem Umzug von Ebenhausen nach Berlin die Transformation von einer Art Kloster – im guten mittelalterlichen Sinne einer Anstalt zur Bewahrung und Erweiterung von Wissen – zu einem Think-Tank mit geschärftem Sinn für operatives Handeln vollzogen hat, so verlangt letzteres auch, über bestimmte Vorabinformationen zu verfügen und einen ständigen Austausch mit Vertretern der Administration und des Parlaments zu pflegen. Auf der anderen Seite sind Grenzen der Nähe, ist ein Mindestabstand zur operativen Politik notwendig, um die Freiheit, Vorschläge zu machen – gerade auch solche, die der Administration oder der politischen Mehrheit als allzu unorthodox erscheinen mögen –, nicht zu kompromittieren.13 Ein solcher „hygienischer Abstand zu Politik“ (Christoph Bertram) ist letztlich auch mit Blick auf den eigenen Erkenntnisprozess sinnvoll, weil zu große Nähe zu denjenigen, die die Vorlagen in den Ministerien schreiben, immer die Gefahr des group think beinhaltet. „Great minds think alike“, versichern Mitglieder der außenpolitischen Community sich gerne – und genau hier kann das Problem liegen. Vom Gruppendenken zum Konformismus, wo Berater der Politik folgen und diese allenfalls noch intelligent legitimieren, ist es nur ein kleiner Schritt. Auch solche Beratung hat ihre Funktion im politischen Geschäft; nur eine auf eigenständige wissenschaftliche Analyse basierte Frühwarn- oder -Sparringfunktion wird sie nicht ausüben können.

3. Der Widerspruch zwischen dem Wunsch nach und den Grenzen der Gewissheit

Natürlich sucht, wer sich um Beratung bemüht, ein Mehr an Gewissheit. Ein guter wissenschaftlicher Berater hat jedoch auch die Aufgabe, den politischen Entscheidungsträgern die Grenzen der eigenen Erkenntnis, die Hinterfragbarkeit und Unsicherheit wissenschaftlichen Wissens zu vermitteln.14 Das bedeutet, deutlich zu machen, welche Faktoren und Entwicklungen sich unserer Analyse und Kenntnis entziehen. Donald Rumsfeld mag als Verteidigungsminister auch deshalb versagt haben, weil er und sein engeres Team sich im Vorfeld des von ihnen vorbereiteten Irak-Kriegs als beratungsresistente Ideologen erwiesen haben; gleichzeitig ist er immer ein scharfer analytischer Denker gewesen. Legende sind seine nahezu poetischen Ausführungen über die Kategorien des Nichtwissens, bei denen er die wichtige Unterscheidung zwischen den known unknowns, den Dingen oder den Gefahren, von denen wir wissen, dass wir sie nicht kennen (die wir, weil wir das wissen, aber als Risiken einkalkulieren können), und den unknown unknowns gezogen hat, den Dingen oder Gefahren, von denen wir gar nicht wissen, dass wir sie nicht kennen (auf die wir deshalb auch nicht vorbereitet sein können).

Politiker, Entscheidungsträger und Journalisten wollen wissen, was sie zu erwarten haben. Seriöse wissenschaftliche Beratung wird oft klar machen müssen, dass die Wissenschaft ihnen das nicht sagen kann. Wissenschaftler können bestenfalls Szenarien entwickeln, die verschiedene Optionen zukünftiger Entwicklungen aufzeigen, können vielleicht den Rat geben, was sinnvollerweise zu tun wäre, um auf verschiedene mögliche Zukünfte vorbereitet zu sein oder die am wenigsten präferierten Szenarios darüber zu vermeiden. Dies ist nicht immer befriedigend. Aber es ist auch Aufgabe guter Politikberatung, genau diesen „Umgang mit Ungewissheit“ zu vermitteln.15

4. Alarmismus versus Optimismus

Auch wenn politische Berater ehrlich zugeben, Prognosen allenfalls mit Vorbehalten machen zu können, sprechen und schreiben sie häufig über Entwicklungsoptionen oder über mögliche, wenngleich oft komplizierte Lösungsansätze. Je öffentlicher dies geschieht, desto mehr ist der politische Analyst oder Berater nicht nur den eigenen methodischen Standards, sondern auch den Verwertungskriterien der Medien, mit denen er oder sie die Öffentlichkeit anspricht, unterworfen. Tatsächlich gibt es in der Mediengesellschaft, wie mein Kollege Ulrich Schneckener ausgeführt hat, eine Art Prämie für Alarmismus: Wer dramatisiert, wird nicht zur Rechenschaft gezogen, wenn die von ihm heraufbeschworenen Gefahren nicht eintreten; wer Gefahren unterschätzt, dessen Expertise wird allerdings in Frage gestellt.

Für Wissenschaftler, die den in seiner medialen Nutzung sehr fragwürdigen Ehrentitel des „Experten“ erwerben wollen, ist es deshalb sicherer, Gefahren zu betonen und möglicherweise aufzubauschen, selbst auf die Gefahr hin, Panikmachern in die Hände zu spielen.16 Für viele Medien sind dramatische Beschwörungen kommender Gefahren guter Stoff, auch wenn dies genau das Gegenteil von dem ist, was ein guter Berater tun sollte: abwägend zu analysieren und zu begründeten Urteilen zu kommen.

Andererseits müssen wissenschaftliche Politikberater sich häufig dem Vorwurf des übergroßen Optimismus oder, weniger freundlich formuliert, der Blauäugigkeit stellen. Keine Frage, dass es blauäugige Wissenschaftler gibt, dies vielleicht eher an den Lehrstühlen als in der wissenschaftlichen Politikberatung. Richtig ist aber auch, dass wissenschaftliche Berater, nicht nur in der Politik, sich dadurch auszeichnen, dass sie nach Lösungen oder zumindest nach Lösungsansätzen suchen, also die Möglichkeiten im Blick haben, mit denen ein Problem zu bearbeiten ist. Sicher gibt es Situationen, wo ehrlicherweise zu sagen ist, dass die Politik – die deutsche, die europäische oder jede Politik – keine Lösungen mehr anzubieten hat, sondern nur noch nach der Option suchen muss, die am wenigsten Schaden oder Leid verursacht.

Gleichwohl wird man in den meisten Beratungssituationen – denken wir etwa an die Konflikte im Nahen Osten, an den Klimawandel oder an terroristische Bedrohungen – versuchen müssen, ein realistisches Bild von der Situation und möglichen weiteren Entwicklungen zu zeichnen, um Entscheidungsträgern Handlungsoptionen vorzustellen, die etwas bewirken. Beratung im Stile von „Es geht eh alles den Bach runter, versuchen Sie gar nicht erst, durch Politik einen -Unterschied zu machen!“ brauchen Politiker oder hohe Beamte in den wenigsten Fällen. Problem- und lösungs-orientierte Beratung heißt eben auch, auf Chancen hinzuweisen und Möglichkeiten auszuloten, den eigenen normativen Grundlagen oder Interessen entsprechend positive Veränderungen zu bewirken, selbst wenn diese Chancen gering erscheinen. Wenn dies den Propheten von gloom and doom, die es vorziehen, Schlagzeilen oder zumindest ein wohliges Grauen in ihrer Zuhörerschaft zu produzieren, zu optimistisch erscheint, dann akzeptiere ich das gern als die „déformation professionelle“ unseres Metiers.

Politikberatung sollte nicht, und sie muss auch nicht dramatisieren, um den eigenen Marktwert zu erhöhen. Angesichts der tagesaktuellen, vor allem aber der längerfristigen Aufgaben deutscher und europäischer Politik – als Prioritäten ließen sich hier eine Wiederherstellung westlicher Gemeinsamkeit, die den Rest der Welt nicht vor den Kopf stößt, ein Management von Energie- und Klimaproblemen, das die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen wahrt, und die Integration aufstrebender Mächte des Südens in die Institutionen globalen Regierens erwähnen – wird der Bedarf an solider, wissenschaftlicher Beratung und an entsprechend qualifiziertem Nachwuchs ohnehin zunehmen.

1 Wissenschaftsrat: „Stellungnahme zum Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin“, Mai 2006; „Empfehlungen zur Rolle und künftigen Entwicklung der Bundeseinrichtungen mit FuE-Aufgaben“, Januar 2007.

2 Es ist interessant, dass schon Ende der siebziger Jahre davon gesprochen wurde, der „Komplexi-tätsgrad der Außenpolitik“ habe „in der jüngsten Vergangenheit aufgrund der internen Fundamentaldemokratisierung und infolge der externen globalen Verflechtung“ zugenommen, und dass dies auch als Grund für eine notwendige „Bedeutungssteigerung politikwissenschaftlicher Forschung in der Außenpolitik“ betrachtet wurde. Werner Link: Außenpolitische Forschung im Spannungsfeld zwischen Praxisbezug, Praxisrechtfertigung und Praxiskritik, Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 9/1978, S. 484–504.

3 „Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie“ vom Dezember 2003, abgedruckt in IP, Juni 2004, S. 126–131.

4 Frank-Walter Steinmeier, Rede zum 40-jährigen Bestehen der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, Juli 2002, www.swp-berlin.org/common/get_document.php?asset_id=1628.

5 Ich nutze hier die Kategorien von Harald Müller und ergänze sie. Vgl. Harald Müller: Politikberatung in unterschiedlichen Kontexten: Notizen aus der Praxis, in Gunther Hellmann (Hrsg.): Forschung und Beratung in der Wissensgesellschaft. Das Feld der internationalen Beziehungen und der Außenpolitik, Baden-Baden 2007, S. 212–248.

6 Dazu gehört dann auch, auf die Hinterfragbarkeit wissenschaftlich begründeter Meinungen und auf die Möglichkeiten, das eigene Deutungsangebot in Zweifel zu ziehen, hinzuweisen. Vgl. Peter Weingart: Die Stunde der Wahrheit. Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft, Weilerswist 2005, insbes. S. 159–168.

7 Gunther Hellmann und Peter Rudolf: Über die Produktion von Wissen, IP, Mai 2007, S. 110–121. Ähnlich Weingart, a.a.O., S. 141.

8 Jochen Thies verweist zu Recht auf die Bedeutung von historischer, zeitgeschichtlicher und kulturwissenschaftlicher Expertise in politikorientierter Forschung und Beratung zur Außenpolitik hin: „Die Krise der Politikberatung“, Merkur, Heft 695, S. 266–270. Sein Vorwurf allerdings, außenpolitische Beratung in Deutschland werde von Politologen monopolisiert, geht ins Leere. Bei der SWP etwa befanden sich zum Zeitpunkt ihrer Evaluierung durch den Wissenschaftsrat unter den wissenschaftlichen Mitarbeitern 52 Prozent Politologen, zehn Prozent Wirtschaftswissenschaftler, neun Prozent Wissenschaftler mit kulturwissenschaftlichen, weitere neun Prozent mit anderen sozialwissenschaftlichen Abschlüssen sowie 17 Prozent aus anderen Fachrichtungen.

9 Vgl. Müller (Anm. 5), S. 220.

10 „Thirteen Days“, Regie: Roger Donaldson, USA, März 2001.

11 Besagte Studie ist auf der Homepage der SWP verfügbar: Stefan Mair und Volker Perthes (Hrsg): Europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Aufgaben und Chancen der deutschen Ratspräsidentschaft, SWP-Studie 2006/S 2, September 2006.

12 Auch der Umzug der SWP von Ebenhausen nach Berlin reflektiert zumindest eine gestiegene Bereitschaft, außenpolitische Expertise in der Nähe des außenpolitischen Entscheidungszentrums zu haben.

13 Vgl. in diesem Sinne das Résumé des Symposiums „Think-Tanks and Decision Makers in a Europe in Crisis“, Proceedings of the Second European Think-Tank Forum, Lyon, 9.–11.12.2005, Institut Aspen France.

14 Dies hat verschiedentlich Peter Weingart unterstrichen. Vgl. Anm. 6 oder das Interview in Humboldt-Kosmos, 10/2006, www.humboldt-foundation.de/kosmos/titel/2006_010.htm.

15 Christopher Daase: Wissen, Nichtwissen und die Grenzen der Politikberatung – über mögliche Gefahren und wirkliche Ungewissheit in der Sicherheitspolitik, in: Gunther Hellmann (Anm. 5), S. 189–212.

16 Ulrich Schneckener: Die Grenzen der Terror-Forschung, Handelsblatt, 6.9.2006.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 12, Dezember 2007, S. 114 - 123.

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