Zum Scheitern verurteilt?
Erfolgreiche Statebuilding-Missionen brauchen Zeit und regionale Partner
Regional statt global: Staaten lassen sich nur von innen heraus aufbauen – mit begleitender Unterstützung der Nachbarn und der Weltgemeinschaft. Diese Einsicht legen fünf neue Bücher über Massengewalt im 20. Jahrhundert, zur Lage in Afghanistan, über die „blinden Helfer“ in Darfur und über welthistorisch dominante Zivilisationen nahe.
Extrem gewalttätige Gesellschaften – unter diesem Begriff lassen sich nicht nur Kriegsschauplätze des 20. Jahrhunderts, sondern auch heutige Einsatzgebiete von UN, NATO, EU oder Afrikanischer Union (AU) fassen – ob Afghanistan, Irak, Libyen oder Somalia. Lassen sich diese Regionen und Gesellschaften von außen befrieden? Ein Blick in die Geschichte der Massengewalt macht skeptisch. Christian Gerlach bringt ein oft auftretendes Dilemma auf den Punkt: „Wenn Regime Guerillas bekämpfen, schießen sie mit Kanonen auf Spatzen. Dabei werden nicht nur sehr wenige Spatzen (Guerillas) getroffen, sondern es wird auch vieles andere zerstört.“
Die bedenkenswerten Ergebnisse Gerlachs, der am Historischen Institut der Universität Bern lehrt und sich in den vergangenen Jahren einen Namen mit grundlegenden Werken zur nationalsozialistischen Wirtschafts- und Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg gemacht hat, setzen ein historisches Bild zusammen, in dem sich die heutige Nachrichtenlage spiegelt. So waren und sind Regierungstruppen gewöhnlich nicht nur bei der Waffentechnologie und finanziellen Ressourcen weit überlegen, sondern auch hinsichtlich der Truppenstärke: In Britisch-Malaya traten 21 000 Soldaten gegen 5000 Aufständische an, erreichten 1951 ein Verhältnis von 25:1 und später von 50:1 – 300 000 gegen 6000 Mann. Die Zahlen für Kenia waren 56 000 zu 12 000, 1956 für Algerien 400 000 zu 8000, 1964 für Südvietnam 4:1, vier Jahre später sogar 8,75:1, und 1974 für Portugiesisch-Afrika 149 000 zu 27 000 – Milizen nicht eingerechnet.
Da Strategen der Aufstandsbekämpfung einen 10:1-Vorteil für die Niederwerfung einer Erhebung für notwendig halten, hätten die westlichen Mächte aufgrund der Kräfteverhältnisse theoretisch in den meisten Fällen gewinnen müssen. Doch scheiterten sie oft dabei, die Guerillabewegungen zu unterdrücken. Großbritannien erzielte zwar Erfolge, aber nur zum Preis der Unabhängigkeit von Malaya und Kenia. Zugleich setzten sich nach Gerlachs Analyse die Regierungen beinahe aller postkolonialen Nationalstaaten in Bezug auf die Beibehaltung des sozioökonomischen und meist auch des politischen Systems durch. Die Guerillaaufstände in Griechenland, den Philippinen, Indien, Thailand, Guatemala, El Salvador, der Osttürkei, Peru und Bangladesch hatten keinen Erfolg. Denn obwohl die postkolonialen Regierungen gewöhnlich wirtschaftlich schwach waren, konnten sie doch mehr Macht und manchmal auch mehr Unterstützung im Inland mobilisieren, um eine Niederlage abzuwenden.
Was lässt sich daraus für die Gegenwart lernen? Gerlachs Untersuchung arbeitet historische Muster heraus, aus denen sich zeitlose Empfehlungen für Prävention, Intervention und Wiederaufbau ableiten lassen: Wenn Vernichtung in einer extrem gewalttätigen Gesellschaft nicht allein von der Regierung ausgeht, kann sie wahrscheinlich nicht allein mittels Beseitigung des Regimes durch internationale Intervention oder durch politischen Druck auf die Führung des Landes gestoppt werden. Auch die Errichtung eines neuen politischen Systems ist nicht unbedingt eine Garantie für die Beendigung der Gewalt.
Wenn verschiedene soziale Gruppen beteiligt sind und nicht nur tief verwurzelte Einstellungen, die vielleicht durch Umerziehung geändert werden könnten, eine Rolle spielen, sondern auch tiefgreifende innergesellschaftliche Konflikte, die auf unvereinbaren Interessen beruhen, scheint Gerlach das Problem viel komplizierter, als herkömmliche Anschauungen zur „Genozidprävention“ es suggerieren. Hier seien eine Verringerung des sozialen Konfliktpotenzials und weitreichende Wirtschaftsmaßnahmen erforderlich. Nicht mit politisch spektakulären Schritten wie Interventionskriegen, die eine große Symbolwirkung auf die öffentliche Meinung hätten, könnten internationale Kreise helfen, sondern nur mit mühseligen, langwierigen Anstrengungen und starker finanzieller Unterstützung. Und nur wenn diese Bemühungen auf richtige Weise gezielt unternommen würden, könnten sie wirklich Gleichheit, Bildung und Zusammenarbeit zwischen den Gruppen fördern und dazu beitragen, das Gefühl der Unsicherheit einzudämmen.
Ob dies jedoch bald einmal gelingen wird, erscheint Gerlach fraglich. Zu Recht weist er nicht nur auf Versäumnisse bei der Entwicklungshilfe hin, sondern insbesondere auf die Tatsache, dass die öffentliche Meinung vor allem in den Industrienationen es oft nicht erlaubt, die nötigen Mittel bereitzustellen. Die derzeitige Praxis ausländischer Interventionen in Afghanistan, Bosnien oder dem Irak scheint ihm stattdessen spezielle Gruppeninteressen, eine rasche soziale Mobilität – aufwärts und abwärts – und damit eine weitere Polarisierung in diesen Ländern zu fördern.
Wie dies deutsche Soldaten am Hindukusch sehen, geht aus ihrer Feldpost in der heutigen Form von Briefen, E-Mails und SMS hervor, die das Magazin der Süddeutschen Zeitung ohne Unterstützung der Bundeswehr zusammengestellt hat. Die Herausgeber Marc Baumann, Martin Langeder, Mauritius Much, Bastian Obermayer und Franziska Storz, die für diese Sammlung mit dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet wurden, veröffentlichen die Überlegungen von Soldaten, die von einem Sinn des Afghanistan-Einsatzes überzeugt sind, ebenso wie von solchen, die daran zweifeln. Damit wollen sie keine bestimmte Position vertreten, sondern in der deutschen Bevölkerung überhaupt erst einmal das Interesse an diesem Thema wecken, es den Menschen näherbringen, sie involvieren und dazu anregen, sich eine Meinung zu bilden, und vor allem die Diskussion beleben: „Wie es einer Demokratie ansteht.“
Dass es für Deutschland und seine Verbündeten nicht gut läuft am Hindukusch, zeigt schon allein die Tatsache, dass die Herausgeber in 17 Fällen die Namen von Soldaten ändern mussten, um sie vor ihrem Arbeitgeber – der Bundeswehr – zu schützen. Denn viele ihrer Lageeinschätzungen dürften Berlin wenig gefallen. Ein Oberstleutnant notiert: „Noch immer sind 70 Prozent der Bevölkerung unter 30 Jahre, der Nachschub an künftigen Taliban und sonstigen den Westen hassenden Perspektivlosen dürfte daher nicht weniger werden.“ Er ergänzt an anderer Stelle: „An manchen Tagen nehmen ISAF und OEF etliche Aufständische fest oder töten sie, aber es ist wie der Kopf der Hydra, dank des riesigen Nachschubs an zornigen jungen Männern aus den Koranschulen Pakistans, die es Uncle Sam mal zeigen wollen, gehen uns die Gegner nicht aus. ... Ich weiß nicht, ob dieser Krieg militärisch zu gewinnen ist. Der Preis, den dafür vor allem Kanadier, Briten und Amerikaner zahlen, ist jedenfalls sehr, sehr hoch.“ Generelle Zweifel an der bisherigen Ausrichtung des Afghanistan-Einsatzes kommen auch einem Hauptfeldwebel: „Insgesamt ist es schon alles recht diffus, was die internationale Gemeinschaft und somit wir hier eigentlich wollen und wo unsere Ziele gesetzt sind.“
Ein Brigadegeneral hingegen gibt sich standhaft: „Dennoch bleiben wir präsent! Wir dürfen uns nicht in unsere geschützten Räume zurückziehen und so den Feinden der positiven afghanischen Entwicklung das Feld überlassen. Das wollen sie so. Aber wir dürfen es nicht zulassen! Es bedarf Zeit, viel Zeit! Wir müssen Geduld haben.“ Und ein Oberstleutnant ist überzeugt: „Natürlich ist die Situation hier noch nicht stabil. Die Bevölkerung in der Masse aber will endlich Frieden haben und ist froh, dass wir hier sind und eine gewisse Stabilität sicherstellen.“ Zugleich wendet er ein: „Demokratie hier einzuführen wäre eine über Generationen andauernde Aufgabe. Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob das überhaupt hier funktionieren kann.“
Welche dieser Stimmen wird Recht behalten? Martin Kipping hat die sowjetische und die amerikanische Intervention in Afghanistan detailliert verglichen. Sein politikwissenschaftliches Dissertationsprojekt an der Freien Universität Berlin zeigt einmal mehr, dass die Sowjetunion und ihre afghanischen Partner vor allem an der mangelnden Stabilität im Lande scheiterten, da die schlechte Sicherheitslage erfolgreiches Statebuilding nur in eng begrenzten Räumen und Politikfeldern möglich machte. Außerhalb der Städte war Kapazitäts- und Institutionenaufbau weitgehend unmöglich. So scheiterten beispielsweise zahlreiche wirtschaftliche Investitionsprojekte ebenso wie Bemühungen zur Ausweitung der Strukturen der Demokratischen Volkspartei Afghanistans. Der Fortbestand des Regimes hing deshalb direkt von ununterbrochener materieller Unterstützung durch die Sowjetunion ab, sowohl in Bezug auf Waffen-, Munitions- und Treibstofflieferungen als auch bei Lebensmitteln und anderen Gütern zur Versorgung der Bevölkerung.
In den achtziger Jahren entstand folglich kein selbsttragender afghanischer Staat. Entsprechend schnell brach das Regime nach Ende der sowjetischen beziehungsweise russischen Unterstützung mit Umsetzung der zwischen Moskau und Washington vereinbarten „negativen Symmetrie“ Anfang 1992 zusammen. Auch der Aufbau irregulärer, primär ihren Kommandeuren, weniger dem afghanischen Staat gegenüber loyalen Sicherheitskräften, mit denen sich das Regime Ende der achtziger Jahre hatte kurzfristig militärisch stabilisieren können, hat letztlich mit zu seinem Kollaps geführt. Hinzu kamen andauernde Divergenzen in der Zieldefinition zwischen Sowjets und ihren afghanischen Partnern sowie zwischen den einzelnen lokalen Akteuren.
Das Gesamtbild der westlichen Intervention stellt sich nach Kippings erhellender Untersuchung hingegen deutlich anders dar. Denn während der Gestaltungsraum für Statebuilding in den achtziger Jahren angesichts des Widerstands der Mudschaheddin von Beginn an eng begrenzt war, waren die entsprechenden Voraussetzungen in den ersten Jahren nach 2001 erheblich besser: Landesweit herrschte eine relative Ruhe. Mit Ausnahme der Taliban hatten alle in Afghanistan bedeutsamen Akteure auf dem Bonner Petersberg ihre Zustimmung zu einem politischen Übergangsprozess erklärt. Damit gab es ein Grundübereinkommen zu einem Institutionenaufbau nach liberal-demokratischen Vorstellungen.
Allerdings verzichteten die Interventionsmächte in den Folgejahren auf eine rasche und substanzielle Expansion der ISAF, die notwendig gewesen wäre, um die relative Stabilität hin zu einer genuinen Kontrolle weiter Landesteile auszubauen. Zugleich wurde die Rückkehr der Warlords in ihre angestammten Einflusssphären toleriert und teilweise sogar aktiv gefördert. Die umfassende Entwaffnung der Bürgerkriegsmilizen wurde damit praktisch unmöglich, die Einflussnahme krimineller Interessen auf die lokale Verwaltung hingegen erleichtert. Zudem beschädigte die Kooptierung der Warlords die Integrität der neuen politischen Institutionen auf nationaler Ebene. Dies untergrub die Legitimität des neuen afghanischen Staates insgesamt und in den Provinzen im Besonderen, was wiederum die Rückkehr der Taliban erleichterte – wenn nicht gar verursachte. Seither weitet sich ihr Aufstand auf immer mehr Landesteile aus.
Damit nähert sich die heutige Lage sukzessive der Situation an, in der sich die Sowjets seit Beginn ihrer Intervention befanden. Durch die Ausweitung des Aufstands der Taliban und die Destabilisierung weiter Landesteile sieht sich der neue afghanische Staat – mit Ausnahme Nord- und Zentralafghanistans – zusehends auf die Städte beschränkt.
Was lässt sich daraus für zukünftige Interventionen ableiten? Kipping gibt wertvolle Empfehlungen: Maßnahmen zur Schaffung oder Stärkung staatlicher Kapazitäten, Institutionen und nachhaltiger Politiken sind erst dann sinnvoll, wenn ein Mindestmaß an Stabilität und Kontrolle im jeweiligen territorialen oder sektoralen Bereich des Statebuilding gewährleistet ist. Falls ein Mangel an Stabilität und Kontrolle im Interventionsland noch keine umfassenden Statebuilding-Maßnahmen zulässt, sondern vor allem nach kurzfristig ausgerichteten Stabilisierungsansätzen verlangt wie dem Einsatz von internationalen Streitkräften oder irregulären Sicherheitskräften, die sich vor allem ihren Kommandeuren gegenüber verpflichtet fühlen, ist eine langfristige Bereitschaft der Interventionsmächte zu fortgesetzten Unterstützungsleistungen besonders wichtig. So fordert Weltbank-Präsident Robert Zoellick vor dem Hintergrund der besonderen Bedürfnisse fragiler Staaten Finanzierungsmechanismen, die eine langfristige und verlässliche Fortsetzung externer Unterstützung garantieren.
Hier stellt Kipping die zentrale Frage, unter welchen Bedingungen Demokratien den benötigten „langen Atem“ beim Statebuilding in Drittländern entwickeln können. Während sich die Autokratie Sowjetunion als verhältnismäßig verlässliche Interventionsmacht bis zur Entmachtung Michail Gorbatschows zeigte, machen es die Wahlzyklen der liberalen Demokratien schwieriger, die „strategische Geduld“ aufzubringen, die Stabilisierung und Statebuilding benötigen.
Kipping weist ferner auf den entscheidenden Punkt jeder „Exit-Strategie“ hin: Appelle der Interventionsmächte an ihre Partner auf Seiten des aufzubauenden beziehungsweise zu stärkenden Staates, „ownership“ gegenüber bestimmten, in der Regel von den Interventionsmächten mitgebrachten Ansätzen und Konzepten zu entwickeln, reichen nicht aus. Im Gegenteil: Ein zu dominantes Auftreten kann in dieser Hinsicht eher kontraproduktiv wirken. Für nachhaltigen Kapazitäts- und Institutionenaufbau und die reale Umsetzung neuer Politiken braucht es eine kohärente Zieldefinition der im jeweiligen Bereich relevanten Akteure. Wenn diese nicht „an einem Strang ziehen“, sind bleibende Erfolge unwahrscheinlich.
Wendet man sich mit Kippings luziden Schlussfolgerungen im Kopf Mahmood Mamdanis Analyse des Konflikts in Darfur zu, dann wird sehr schnell klar, warum der Westen dort außer der Ressource Moral keine größeren Mittel und schon gar keine Streitkräfte einsetzt, um der fortdauernden Gewalt ein Ende zu bereiten. Hier dürften schon allein die von dem an der Columbia University in New York lehrenden Anthropologen und Politikwissenschaftler anschaulich beschriebenen politischen und historischen Verstrickungen von Sklavenhandel, Stammesinteressen, Migrationsströmen, Kolonialismus, Islamismus, der sich verschärfenden ökologischen Krise, Unabhängigkeitsbewegungen, Bürgerkrieg, Rebellionen und Repressionen nach den ernüchternden Erfahrungen mit dem ähnlich komplizierten Krisenfall in Afghanistan abschreckend wirken.
Dies steht einer Lösung des Darfur-Konflikts aber keinesfalls im Weg. Diese muss nach Mamdanis realistischer Einschätzung ohnehin regionaler Natur sein, verbunden mit einem globalen Eingeständnis von Verantwortung. Das Problem Darfur verlange nach einer Dreifachlösung: ein regional ausgehandelter Friedensschluss, eine Reform der Machtstrukturen im Nationalstaat Sudan und eine Boden- und Verwaltungsstrukturreform innerhalb Darfurs. Wie im Fall anderer afrikanischer Krisenregionen plädiert Mamdani auch hier für Interventionen unter Federführung der Afrikanischen Union. Denn anders als bei den von westlichen Großmächten angeführten Einsätzen der Vereinten Nationen könne sich praktisch jedes AU-Land in Darfur hineinversetzen. Und die AU betrachte ihre dortige Arbeit nicht als rein humanitäre Intervention von außen, sondern als ein Unterfangen mit humanitärer und politischer Zielsetzung. Mamdani zitiert Südafrikas früheren Präsidenten Thabo Mbeki: Für den „strategischen Rahmen“ der AU seien zwei Gesichtspunkte grundlegend. Es gelte, „die Zivilbevölkerung zu schützen“ und „eine konsensfähige politische Lösung zu finden“. Wie erfolgreich in der Tat eine solche Regionalisierung von Interventionen sein kann, hat sich bereits in Somalia gezeigt, wo die Friedenstruppe der AU die islamistische Al-Shabaab-Miliz jüngst zumindest aus Mogadischu verdrängen konnte.
Wird auf diese Weise zukünftig die gesamte Welt regiert? Die direkten Interventionen westlicher Staaten in Afrika, auf dem Balkan, im Nahen Osten und am Hindukusch seit Beginn der neunziger Jahre haben oft vergessen lassen, dass die Regionalisierung von Militäreinsätzen heute lediglich eine Renaissance erlebt und keine gänzlich neue Strategie ist. Wer dies spannend erzählt nacherleben will, der sollte Ian Morris, Historiker und Archäologe an der University of Chicago und der Stanford University, auf seinem Ritt durch die Weltgeschichte begleiten. So erkannten westliche Mächte bereits Ende des 19. Jahrhunderts die Vorteile einer Zusammenarbeit mit Japan und bedienten sich seiner wachsenden Macht, um Krisenherde in Asien zu befrieden. Beim Boxeraufstand in China intervenierten 20 000 ausländische Soldaten, zum Großteil Japaner. Derart zufrieden war Großbritannien mit dem Ausgang dieser Intervention, dass es 1902 eine Flottenallianz mit Japan schloss und damit dessen Großmachtstatus im Osten anerkannte.
Bereits ein Jahrhundert zuvor war es den Briten gelungen, in Indien mit knapp 5000 Soldaten – die Hälfte davon vor Ort rekrutiert und an europäischen Musketen ausgebildet – eine zehnmal so große Streitmacht des indischen Marathenreichs zu zerschlagen. Zwar geschah all dies in der Kolonialära aus gänzlich anderen Motiven heraus als bei den heutigen Statebuilding-Missionen. Aber die schon damals erfolgreiche Strategie, mit lokalen und regionalen Kräften die Oberhand in Krisenregionen zu erlangen, trägt auch heute dazu bei, die strategisch überdehnten Allianzen des Westens zu entlasten.
Christian Gerlach: Extrem gewalttätige Gesellschaften. Massengewalt im 20. Jahrhundert. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011, 576 Seiten, 39,99 €
Marc Baumann, Martin Langeder, Mauritius Much, Bastian Obermayer und Franziska Storz (Hrsg.): Feldpost. Briefe deutscher
Soldaten aus Afghanistan. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2011, 207 Seiten, 17,95 €
Martin Kipping: State-Building. Erfolg und Scheitern in Afghanistan. Nomos, Baden-Baden 2011, 278 Seiten, 49,00 €
Mahmood Mamdani: Blinde Retter. Über Darfur, Geopolitik und den Krieg gegen den Terror. Edition Nautilus, Hamburg 2011, 383 Seiten, 29,90 €
Ian Morris: Wer regiert die Welt? Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden. Campus, Frankfurt am Main 2011, 656 Seiten, 24,90 €
Dr. THOMAS SPECKMANN lehrt am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universiät Bonn.
Internationale Politik 1, Januar/ Februar 2012, S. 136-141