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01. Nov. 2014

Zeugnis demokratischer Reife

Die Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen hat sich bewährt

In Deutschland wird nicht nur über mögliche neue Auslandseinsätze der Bundeswehr diskutiert. Eine Kommission soll nun auch das Parlamentsbeteiligungsgesetz prüfen. Dabei hat sich das Gesetz vielfach bewährt: Weil es eine offene Debatte über Ziel und Zweck eines Einsatzes ermöglicht. Und weil es auch praktischen Nutzen für die Truppe besitzt.

Es ist wieder einmal so weit: In der deutschen Politik wird – teils noch hinter vorgehaltener Hand – über neue Auslandseinsätze der Bundeswehr diskutiert. Eine gute Gelegenheit, eine Zwischenbilanz über die Parlamentsbeteiligung bei Auslands­einsätzen der Bundeswehr zu ziehen.

Denn vor 20 Jahren, genauer, am 12. Juli 1994, hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Deutsche Bundestag über den bewaffneten Auslandseinsatz der Bundeswehr zu entscheiden hätte. Und vor fast zehn Jahren, am 24. März 2005, trat nach langen und teilweise kontrovers geführten juristischen und politischen Diskussionen das Parlamentsbeteiligungsgesetz in Kraft. Es regelt Form und Ausmaß der parlamentarischen Beteiligung bei der Entsendung bewaffneter Streitkräfte, nicht jedoch die Ausgestaltung und Durchführung von Auslandseinsätzen. Der Geltungsbereich des Gesetzes betrifft dabei nicht nur konkrete bewaffnete Bundeswehreinsätze, sondern auch solche Einsätze, bei denen mit einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen zu rechnen ist. Ausgenommen sind vorbereitende Maßnahmen und Planungen sowie humanitäre Hilfseinsätze. Das bedeutet: Vorbereitungs- und Planungsarbeit in multinationalen Stäben wird erst dann mandatspflichtig, wenn multinationale Hauptquartiere und Stäbe eigens für einen konkreten bewaffneten Auslandseinsatz gebildet werden.

Der Bundestag hat ausdrücklich nicht das Recht, einen auf Initiative der Bundesregierung vorgelegten Mandatstext zu verändern, sondern er kann lediglich über den Mandatsantrag im Ganzen abstimmen. Bei Gefahr im Verzug oder bei Rettungseinsätzen aus besonderen Gefahrensituationen kann die Bundesregierung ohne vorherige Parlamentsbeteiligung entscheiden, muss den Deutschen Bundestag aber unverzüglich informieren und zwingend im Nachhinein beteiligen. Außerdem besitzt der Deutsche Bundestag ein Rückholrecht. Er kann damit seine bereits getroffenen Entscheidungen revidieren.

So weit, so gut, so bewährt. Dennoch sah sich die amtierende Große Koalition bemüßigt, im März dieses Jahres eine Parlamentskommission zur Überprüfung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes zu berufen. Dieser Kommission gehören neben Parlamentariern der Regierungsfraktionen auch ehemalige Führungskräfte der Bundeswehr sowie Vertreter aus Wissenschaft und Verwaltung an. Abgeordnete der Opposition haben auf eine Teilnahme verzichtet, weil sie damit einen ersten Schritt zur Aushöhlung der Parlamentsbeteiligung befürchteten. Es soll in dieser Kommission überwiegend um eine Überprüfung der Praktikabilität gemischter Verbände auf NATO- und EU-Ebene und um die alte Leier einer angeblich mangelnden Bündniszuverlässigkeit Deutschlands bei multinationalen bewaffneten Einsätzen gehen.

Kein Korrekturbedarf

Erstaunlicherweise kamen in der Vergangenheit derartige Bedenken nicht nur aus den Reihen der NATO-Bürokratie und einiger Partnernationen, sondern gerade auch von christdemokratischen Parlamentariern, die dem Parlament schon lange angehören und eigentlich aus Erfahrung wissen müssten, dass bisher keiner der zahlreichen und langjährigen Auslandseinsätze der Bundeswehr an der Parlamentsbeteiligung gescheitert ist. Das beweist in meinen Augen, dass sich dieses Gesetz in der Praxis in vollem Umfang bewährt hat und keiner weiteren gesetzlichen Korrekturen bedarf.

Die Parlamentsbeteiligung in ihrer jetzigen Form ist im Gegenteil ein Ausdruck von demokratischer Reife. Regierung und Abgeordnete müssen sich in einer der elementarsten Fragen eines Staates, nämlich derjenigen von Krieg und Frieden, einer öffentlichen Debatte im Parlament stellen. Durch das abschließende parlamentarische Votum wird deutlich gemacht, dass sich die Soldatinnen und Soldaten, die in einem Einsatz ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, auf eine breite politische Rückendeckung stützen können.

So müssen bei der jährlich erforderlichen Debatte über eine Mandatsverlängerung sowohl Regierung als auch Parlament Rechenschaft über das bisher Geleistete ablegen und die Notwendigkeit einer Fortsetzung der Auslandseinsätze gegenüber der Öffentlichkeit begründen.

Das mag in den Augen derjenigen, die eine schlüssige politische und militärische Begründung abliefern müssen, lästig sein. Aber die Bürger unseres Landes und unsere Soldaten haben ein Recht darauf zu erfahren, welche politischen Ziele mit der Entsendung der eigenen Streitkräfte verbunden sind und wie sie erreicht werden sollen. Gerade bei den so genannten Out-of-Area-Einsätzen, deren Notwendigkeit sich für das eigene nationale (Sicherheits-)Interesse nicht immer auf den ersten Blick erschließen mag, ist es wichtig, genau hinzusehen und eine Beteiligung der eigenen Streitkräfte politisch sauber zu begründen. So wichtig und unverzichtbar internationale Bündnisfähigkeit auch sein mag, sie ist kein Selbstzweck und bedarf einer ausreichenden demokratischen Kontrolle und Legitimation.

Die meisten Partner eines Bündnisses vertreten auch dort ihre jeweils eigenen nationalen Interessen, die nicht immer mit denen der anderen Partner übereinstimmen müssen. Die Bündniseinsätze von NATO und EU beispielsweise in Libyen und Mali waren in erster Linie durch französische Interessen geprägt. Ihnen lag kein Angriff auf die nationale Souveränität des NATO-Mitglieds Frankreich zugrunde, der einen Bündnis­automatismus hätte auslösen können. Deshalb müssen Partner gerade in solchen speziellen Fällen von Krisen- und Konfliktbewältigung in der Lage sein, eine souveräne politische Entscheidung über eine Beteiligung oder eben auch Nichtbeteiligung zu treffen. Gerade Bündniseinsätze, die nicht dem ureigenen Zweck der Landes- und Bündnisverteidigung dienen und in der Regel in einem asymmetrischen Umfeld mit nichtstaatlichen Gegnern stattfinden, müssen zwingend einer souveränen und individuellen politischen Risikoabwägung unterliegen.

Die Notwendigkeit, diese Entscheidungen im Einvernehmen mit dem Parlament zu treffen, verhindert, dass Regierungen (vertreten durch ihre Bürokratien) nur „um des lieben Friedens willen“ oder auf politischen Druck hin einem bewaffneten Einsatz zustimmen, auch wenn er sich gegen die eigenen Interessen richtet oder nicht über eine angemessene Akzeptanz in der eigenen Bevölkerung verfügt. In der politischen Praxis kann man hin und wieder den Eindruck gewinnen, dass sowohl Spitzenbeamte als auch Spitzenmilitärs die deutsche Parlamentsbeteiligung als ein willkommenes Abwehrargument a priori – oder freundlicher ausgedrückt: in weiser Voraussicht – gegen jeweilige militärische Überlegungen innerhalb von NATO und EU ins Feld führen, noch bevor das Parlament überhaupt etwas von diesen Überlegungen erfahren konnte.

Kritiker einer Parlamentsbeteiligung, die als Beispiel mangelnder Bündniszuverlässigkeit gerne auch den Abzug deutscher AWACS-Besatzungen in Afghanistan und Libyen ins Feld führen, vergessen dabei häufig, dass diese Entscheidungen eben nicht aufgrund einer Beteiligung und Ablehnung durch das Parlament, sondern durch die jeweilige Bundesregierung zustande kamen. Die Bundesregierung hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt, dem Parlament einen Mandatsantrag zeitnah vorzulegen und für diesen zu werben. Dies geschah aus offensichtlich wohlerwogenen politischen Gründen nicht.

Reicht ein Rückholrecht?

Wiederholt wurde in der Diskussion über die Parlamentsbeteiligung das Argument vorgebracht, ein Rückholrecht des Parlaments wäre als Beteiligung ausreichend und grundgesetzkonform. Doch eine solche Praxis wäre im Ernstfall weltfremd und kaum zu verantworten. Gerade in einem bereits laufenden bewaffneten Einsatz, wo die gegenseitige Abhängigkeit der Partnernationen sehr konkret über Erfolg oder Misserfolg eines Einsatzes und damit auch über Leben und Tod der betroffenen Soldaten entscheidet, würde die Anwendung dieses Rückholrechts erst recht die Bündniszuverlässigkeit infrage stellen. Als konkrete Beispiele mögen der unerwartete Abzug französischer Streitkräfte aus Afghanistan dienen oder der Beschluss des niederländischen Parlaments, die eigenen Truppen aus dem Süden Afghanistans abzuziehen. Diese Entscheidungen haben den anderen Partnern und ihren Soldaten massive Schwierigkeiten bereitet, denn sie waren gezwungen, mit den eigenen, bereits an anderer Stelle gebundenen Streitkräften die entstandenen Lücken während des laufenden Einsatzes zu schließen.
Die notwendigen politischen Debatten über Sinn und Zweck eines Einsatzes müssen deshalb vor dessen Beginn geführt werden, damit Klarheit herrscht. Die Vorstellung, dass Soldaten in einem Kampfeinsatz Leben und Gesundheit riskieren, während zu Hause auf offener Bühne munter über diesen Einsatz gestritten wird, müsste jedem politisch verantwortlich Handelnden – ganz zu schweigen von den Angehörigen der Soldaten – den Schlaf rauben.

Niemand lässt seine Zuverlässigkeit in einem Bündnis gerne durch andere in Frage stellen, und schon gar nicht in aller Öffentlichkeit. Deshalb ist es für Deutschland wichtig und längst überfällig, die eigenen nationalen Sicherheitsinteressen realistisch zu definieren und sich über die dafür zur Verfügung stehenden Mittel, aber auch über deren Grenzen im Klaren zu sein. Bei einer notwendigen Einsatzplanung müssen die jeweils unterschiedlichen Stärken und Begrenzungen der Bündnispartner in Rechnung gestellt werden. Dafür muss die politische Ausgangslage der Partner klar und die zugesagten Mittel – zivile und militärische – verfügbar sein.
Die aktuellen Krisen und Konflikte haben häufig genug unter Beweis gestellt, dass es mit dem Einsatz militärischer Mittel alleine nicht getan ist. Militärische Intervention kann unter Umständen einen zeitlichen Korridor für politische Verhandlungen eröffnen. Aber die tiefer reichenden gesellschaftlichen Ursachen für die aktuellen Krisen und Umwälzungen können militärisch nicht gelöst werden. Deshalb wäre es viel zu kurz gedacht, wenn sich Bündnispartner öffentlich gegenseitig der Unzuverlässigkeit bezichtigen, statt anzuerkennen, dass es für den Einsatz militärischer Mittel klare Grenzen gibt und weitere politische und diplomatische Bausteine bei der Krisen- und Konfliktbewältigung in einem Bündnis vonnöten sind.

Es wäre an der Zeit, eine tatsächliche Vernetzung der unterschiedlichsten Stärken militärischer, ökonomischer oder administrativer Art im Sinne einer Gesamtstrategie innerhalb der NATO oder innerhalb Europas anzupacken. Konfliktnachsorge hat sich als mindestens genauso bedeutend herausgestellt wie ein militärischer Einsatz selbst. Das zeigen die Beispiele Afghanistan, Irak oder Libyen.

Kritische Stimmen heben auch immer wieder hervor, die Parlamentsbeteiligung würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen und die Reaktionsfähigkeit eines Bündnisses beeinträchtigen bzw. man müsse in der Vorbereitung eines weiteren Einsatzes die eigenen Soldaten aus den Stäben des Bündnisses abziehen. Gerade in einem schwerfälligen Bündnis wie der NATO fällt kein Einsatz „vom Himmel“. Er bedarf einer UN-Resolution, einer Vielzahl planerischer und logistischer Vorbereitungen, aufwändiger und zeitraubender Truppensteller-konferenzen und der politischen und diplomatischen Abstimmung mit den betroffenen Einsatzländern. Zeit genug also, in dieser Phase den Deutschen Bundestag auch innerhalb weniger Tage inhaltlich zu überzeugen und parlamentarisch zu beteiligen. Keine noch so prestigeträchtige Stabsarbeit in Bündnissen kann so wichtig sein, dass sie die demokratische Legitimation eines neuen oder zu erweiternden Auslandseinsatzes infrage stellen könnte.

Praktischer Nutzen für die Truppe

Weder Bürger noch Soldaten unterscheiden bei der elementaren Frage von Krieg und Frieden zwischen Regierungs- oder Parlamentszuständigkeit. Für sie ist es immer „die Politik“, die in der Lage sein muss, Sinn und Zweck eines Einsatzes zu erklären. Wenn man dem rasanten Verfall der politischen Autorität gewählter Volksvertreter und einer allgemeinen Demokratieverdrossenheit nicht weiter Vorschub leisten will, müssen die Abgeordneten in der Lage sein, verantwortlich an diesen Entscheidungen mitzuwirken und ihre Wähler umfassend darüber zu informieren.

Auch die zurzeit verstärkte öffentliche Debatte über Rüstungsexporte, deren Genehmigung de jure in der Alleinzuständigkeit der Bundesregierung liegt, zeigt, dass der Bürger hier keine Unterscheidung zwischen Parlament und Regierung trifft, sondern die Verantwortung bei allen politisch Betroffenen verortet. Es ist nachvollziehbar, dass auch hier der Ruf nach demokratischer Kontrolle und Transparenz angesichts der weltweiten Zunahme von bewaffneten Konflikten immer lauter wird. Dem Gewinn an Informationen durch die Medien darf in heutiger Zeit nicht ein Verlust an demokratischer Kontrolle gegenüberstehen.

Die Parlamentsbeteiligung hat aber auch einen sehr praktischen Nutzen für die Truppe selbst. Die öffentliche Aufmerksamkeit für die Bundeswehr war noch nie so groß wie seit der umfassenden Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen. Fragen über Fähigkeiten, Ausrüstung und Struktur der Bundeswehr hielten nach und nach Einzug in die parlamentarische und mediale Debatte. Waren frühere Rüstungsvorhaben überwiegend industriepolitischen Überlegungen von Regierungen und Regionen geschuldet, so steht heute immer auch die Frage im Raum, ob die Beschaffung von militärischem Gerät und Systemen den tatsächlichen Einsatzanforderungen gerecht wird.

Auf diese wichtigen Fragen können aber nur dann sinnvolle Antworten gefunden werden, wenn das für den Haushalt und die Entsendung zuständige Parlament die Anforderungen kennt, die an Truppe und Material gestellt werden, weil es eben unmittelbar mitverantwortlich ist. Bei einer Reihe solcher einsatzrelevanten Beschaffungen – wie der Beschaffung geschützter Fahrzeuge, Schutz gegen Sprengfallen sowie die Bereitstellung von Forward Air Medevac – war in jüngster Vergangenheit das Parlament die treibende Kraft, obwohl es de jure eigentlich „nicht zuständig“ war. Auch die Tatsache, dass Deutschland inzwischen über eines der besten Gesetze zur Versorgung von im Einsatz an Körper und Seele verwundeter Soldaten verfügt, ist der besonderen Nähe zwischen Parlament und Bundeswehr zu verdanken.

Das Parlamentsbeteiligungsgesetz hat sich bewährt und bedarf keiner Korrekturen. Es hat dabei geholfen, die Aufgaben der Bundeswehr an die speziellen Anforderungen durch weltweite Krisen und Konflikte zu Beginn des 21. Jahrhunderts anzupassen, die Verantwortung für den Einsatz von Streitkräften auf eine breite demokratische Basis zu stellen und das Interesse an dem Schicksal unserer Streitkräfte im Einsatz zu wecken und aufrecht zu erhalten.

Das Parlament muss in der Lage sein, vor einem möglichen Bundeswehreinsatz all die Fragen zu stellen, die auch an die Abgeordneten in ihren Wahlkreisen gestellt werden. Es muss auf klare Antworten dringen, um den Wählerinnen und Wählern das Handeln ihres Staates in Krisenzeiten schlüssig zu erklären. Es muss die Beteiligten immer wieder daran erinnern, dass alle gemeinsam eine hohe Verantwortung für die Soldaten und ihre Familien vor, während und nach einem Einsatz tragen und dafür die richtige Vorsorge treffen müssen. Und es muss einer Regierung selbstbewusst aufzeigen, dass es auch in deren eigenem Interesse liegt, sich im Krisenfall auf eine breite demokratische Legitimation berufen zu können.

Elke Hoff ist Verteidigungsexpertin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2014, S. 78-83

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