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06. Jan. 2013

Aus Fehlern lernen

Keine deutsche Beteiligung an einer Mali-Mission ohne klare Ziele

Der Afghanistan-Einsatz hat zu der Erkenntnis geführt: Ohne definierte Ziele und Exit-Strategie und ohne die Unterstützung der Bevölkerung sollte keine Auslandsmission beschlossen werden. Es war nicht nur voreilig, die Entsendung von 240 Soldatinnen und Soldaten für eine Ausbildungsmission nach Mali zuzusagen. Sondern auch verantwortungslos.

Winston Churchill brachte eine simple Lebensweisheit auf den Punkt: „Alle Menschen machen Fehler, aber nur die Klugen lernen daraus“. Für die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik hat seit der Wiedervereinigung eine ganz besondere Lernphase begonnen. In zahlreichen Auslandseinsätzen verrichtet die Bundeswehr seit 1992 ihren Dienst. Die Truppe ist in internationale Strukturen eingebettet und richtet ihre Personalgewinnung und Ausrüstung immer mehr auf Auslandseinsätze aus.

Wenn sich mit der möglichen Entsendung deutscher Soldatinnen und Soldaten als militärische Ausbildungshelfer nach Mali nun ein weiterer Auslandseinsatz der Bundeswehr abzeichnet, ist es an der Zeit zu fragen: Was haben wir aus vergangenen Einsätzen der Bundeswehr gelernt und vor allem: Was haben wir aus Afghanistan gelernt, dem bisher längsten und blutigsten Einsatz? Was können wir besser machen? Was müssen wir anders machen und wie gewinnt die deutsche Politik eine möglichst breite Unterstützung in der Bevölkerung für einen Auslandseinsatz?

Eine wesentliche Erkenntnis besteht darin, dass jede Beteiligung Deutschlands an internationalen Militäreinsätzen von Anfang an mit einer klaren politischen Zielsetzung unterlegt sein muss. Nach dem Motto: „Wir können uns nicht entziehen“ oder „Wir müssen etwas machen“ sollten keine Streitkräfte entsandt werden. Klar definierte politische Ziele sind ebenso unabdingbar wie die Einschätzung potenzieller Eskalationsrisiken und die Vorlage einer sinnvollen Exit-Strategie.

Was aber noch viel wichtiger ist: Die Verantwortlichen müssen dem Bürger Sinn und Zweck erklären. Ein Hineinstolpern in eine militärische Mission oder eine einsame Entscheidung auf Ebene der Bürokratie darf es nach den leidvollen Erfahrungen in Afghanistan nicht mehr geben.

Die erste Frage, die ich mir gestellt habe, war: Warum plötzlich Mali? Welches Interesse hat Deutschland an einer solchen Ausbildungsmission? Die beiden Hauptargumente für diesen Einsatz lauten: Der Norden Malis dürfe kein Rückzugsraum für Terroristen und Extremisten werden; und die europäische Sicherheit sei bedroht, falls sich Mali zu einem zweiten Afghanistan entwickele. Das ist ein sehr hoher politischer Anspruch: zu verhindern, dass ein Staat erneut Rückzugsraum für Terroristen wird. Dem aufmerksamen Beobachter dürfte dieses Argument recht bekannt vorkommen – vom seit fast zwölf Jahre währenden Einsatz der NATO und ihrer Verbündeten in Afghanistan. Ein Einsatz, von dem man nicht behaupten kann, dass er alle selbstgesteckten Ziele erreicht hat und der aufgrund einer übergroßen Betonung militärischer Mittel viele Soldatenleben und ungeheure Geldsummen gekostet hat.

Besteht angesichts dieser Erfahrungen Klarheit über die Ziele und Rahmenbedingungen für eine Entsendung deutscher Soldaten nach Mali? Können internationale militärische Ausbildungshelfer eine zurzeit ca. 3000 Mann umfassende malische Armee in kürzester Zeit fit für die Bekämpfung eines Aufstands bzw. für den Kampf gegen den internationalen Terror machen? Ich meine: Nein. Hinzu kommt, dass sich die Auffassungen über eine militärische Mission in den Hauptstädten der Region sowie in Europa grundlegend voneinander unterscheiden. Während Paris eine militärische Intervention befürwortet und vorantreiben will, sind Berlin und London eher zurückhaltend.

Wie ist die derzeitige Lage vor Ort? Die frühere französische Kolonie hat sich seit dem Militärputsch vom März 2012 und seit dem ungehinderten Zufluss von Waffen aller Art aus den Arsenalen des gestürzten libyschen Diktators Gaddafi zu einem Krisenherd entwickelt, dessen Auswirkungen über die Sahel-Region ausstrahlen könnten. Die politische Lage im Süden des Landes hat sich zwar nach der Einsetzung einer „Regierung der nationalen Einheit“ mit Einschränkungen wieder stabilisiert, doch nur langsam kehrt man mit der Ankündigung von Wahlen für 2013 zur verfassungsmäßigen Ordnung zurück.

Ein geteiltes Land

Die schwerwiegendste Folge des März-Putsches ist neben der ökonomischen Schwächung des Landes jedoch der Verlust von staatlicher Kon­trolle über das nördliche Territorium. Einem ungleichen Bündnis aus säkularen Tuareg-Rebellen und bewaffneten salafistischen Gruppen ist es im April 2012 gelungen, gegen ein demoralisiertes und schlecht ausgestattetes Militär die Macht in der Nordregion zu übernehmen. Mali ist seither faktisch ein geteiltes Land.

Bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen sind an der Tagesordnung. Diplomatische Initiativen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), Gespräche mit gemäßigten Elementen der islamistischen Gruppierung Ansar al Dine aufzunehmen, blieben bisher ohne greif­bare Ergebnisse.

Durch diese angespannte politische Lage verschlechtert sich die schon kritische humanitäre Situation im Norden Malis weiter. Nach Schätzungen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) befinden sich derzeit bereits rund 400 000 Menschen auf der Flucht, vor allem in die Nachbarstaaten Niger, Burkina Faso und Mauretanien. Man kann davon ausgehen, dass ein Militäreinsatz zu noch mehr Flüchtlingen führen würde.

Die Übergangsregierung unter Präsident Dioncounda Traoré hat sich das Ziel gesetzt, den Norden des Landes wieder zurückzugewinnen. Ein Ziel, das mit den einheimischen Streitkräften – deren Zustand Verteidigungsminister Thomas de Maizière vor kurzem als „erbarmungswürdig“ bezeichnet hat – kaum zu erreichen ist. Deshalb hat die malische Übergangsregierung die Vereinten Nationen um militärische Unterstützung bei der Rückgewinnung des Nordens gebeten. Eine militärische Interven­tion unter Führung der afrikanischen Staaten sollte hier Abhilfe schaffen.

Es bleibt jedoch weiterhin unklar, ob das Ziel einer dauerhaften Stabilisierung Malis durch einen kurzfristigen Einsatz multinationaler afrikanischer Streitkräfte erreicht werden kann, wie es bisherige Planungen vorsehen; zumal nicht klar ist, ob dies im Rahmen von innerer Stabilisierung, Aufstandsbekämpfung oder eines ­Anti-Terror-Einsatzes geschehen soll. Afghanistan hat gezeigt, dass politische Stabilität vor Ort nur durch eine umfassende und langfristige politische Initiative erreicht werden kann, die alle Akteure und Interessen in der Region einbindet.

Die deutsche Regierung und die Europäische Union haben frühzeitig ihre Bereitschaft erklärt, eine Ausbildungsmission zu stellen. Inzwischen liegt ein erster Entwurf eines entsprechenden Crisis-Management-Konzepts der EU für die Ausbildung malischer Streitkräfte vor. Es wirft erhebliche Fragen hinsichtlich der Sicherheit unserer eigenen Soldatinnen und Soldaten auf, aber auch hinsichtlich der Ausbildungsziele und -szenarien.

Eine unverantwortliche Mission

Ein Team aus 240 Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland und anderen europäischen Staaten soll im Süden des Landes die malische Armee befähigen, die Sicherheit im ganzen Land wieder herzustellen. Der Schutz der europäischen Soldaten gegen die Gefährdungen vor Ort soll dabei nicht durch eigene bewaffnete Kräfte gewährleistet werden, sondern maßgeblich durch die malische Truppe selbst übernommen werden.

Ein solches Vorgehen wäre unverantwortlich, denn eine wesentliche Ursache für die Machtübernahme der Rebellengruppen im Norden Malis war der desolate Zustand der unter­finanzierten und schlecht ausgerüsteten malischen Armee. Wie es dieser Armee gelingen soll, die europäischen Truppen erfolgreich zu schützen, bleibt völlig offen. Zudem hat die Mission der Bundeswehr für die somalischen Streitkräfte beispielhaft gezeigt, dass Ausbildungshilfe ebenso erfolgreich in einem angrenzenden Nachbarstaat geleistet werden kann. Dies dient der Sicherheit sowohl der eigenen als auch der auszubildenden Soldatinnen und Soldaten.

Darüber hinaus benennt das Crisis-Management-Konzept die verschlechterte Lage im Norden Malis und ein Ausgreifen des Konflikts nach Süden als wesentliche Risiken einer multinationalen Militärmission und entzieht damit einer Ausbildung vor Ort bereits im Vorfeld eine wesentliche Grundlage. Wie die Notfallpläne für ein solches Eskalationsszenario aus­sehen sollen, ist ebenfalls völlig offen. Die internationale Gemeinschaft wird sich in einem solchen Fall fragen lassen müssen, ob sie die Stabilisierung Malis aufgibt oder ob sie bereit ist, weitere Truppen zu entsenden. Auch auf Deutschland würde diese Frage zukommen: Wer A sagt, muss auch B sagen? Muss, wer anfangs lediglich ausbildet und unterstützt, am Ende vielleicht doch in eine militärische Intervention eintreten, weil es sich um eine gemeinsame europäische Mission handelt, deren Eskalationspotenzial man bei einer vorschnellen Zusage unterschätzt hat?

Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, wie wichtig eine ehrliche Risiko- und Eskalationsabschätzung im Vorfeld politischer Verpflichtungen ist. Vor vorschnellen Zusagen auf diplomatischer Bühne sollte man eine zeitnahe und ergebnisoffene Abstimmung mit Fachleuten und politischen Entscheidern vornehmen, damit Fragen und Sinnhaftigkeit eines Einsatzes von Streitkräften geklärt sind – und dies nicht erst auf medialer Bühne in einem offenen Schlagabtausch nachgeholt werden muss. Auch dies sollte eine Lektion aus den bisherigen Auslandseinsätzen sein.

Elke Hoff ist sicherheitspolitische Sprecherin der FDP- Bundestagsfraktion.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/ Februar 2013, Seite 106-109

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