Essay

31. Aug. 2018

Wider das autoritäre Modell

Plädoyer für eine neue deutsch-europäische Internet-Außenpolitik

Was heißt heute „frei und offen“, wenn es um das Internet geht? Während China und Russland mit ihren autoritären Modellen weltweit Akzente setzen, müssen Deutschland und Europa erkennen, dass demokratische Regulierung notwendig ist. Auf dieser Grundlage kann dann eine neue, glaubwürdige Internet-Außenpolitik gelingen.

Über das Internet spricht Apple-Chef Tim Cook oft und gerne. „Das Thema dieser Konferenz – die Entwicklung einer digitalen Wirtschaft für Offenheit und geteilten Nutzen – ist eine Vision, die wir bei Apple teilen.“ Ein Satz, der zunächst nicht außergewöhnlich klingt, wäre da nicht die Tatsache, dass er im Dezember 2017 auf der von der chinesischen Regierung organisierten Welt-­Internet-Konferenz in Wuzhen fiel.

Daheim in den USA inszeniert sich Cook als Hohepriester der Internetfreiheit und nennt Privatsphäre ein Menschenrecht. Doch im Land der großen, autoritären Firewall äußert er, man sei stolz darauf, zusammen mit den vielen Partnern in China an einer Gemeinschaft für eine digitale Zukunft zu bauen. Damit legitimiert Tim Cook den autoritären Gegenentwurf zum Modell eines freien und offenen Internet. Denn China, ebenso wie Russland, Iran und andere autoritäre Staaten, bemüht sich längst darum, sein eigenes, auf Informationskontrolle ausgerichtetes Modell der Internetregulierung nicht nur national umzusetzen, sondern auch international zu verbreiten.

Peking und Moskau fordern damit die USA und Europa heraus, die seit den 1990er Jahren die Verbreitung eines „freien und offenen Internet“ als außenpolitisches Ziel verfolgen. Dem lag ein libertärer Ansatz zugrunde: Der Staat sollte sich aus der Regulierung des Internets weitgehend heraushalten. Wo nötig, sollten Nutzer, Experten, Unternehmen und Aktivisten in ­Multi-Stakeholder-Foren gemeinsam Standards entwickeln.

Doch dieser Ansatz muss sich heute nicht allein dem Wettbewerb mit dem Techno-Autoritarismus chinesischer und russischer Prägung stellen. Er ist auch immer unglaubwürdiger, weil das libertäre Weltbild der 1990er Jahre nicht der heutigen Regulierungspraxis in Deutschland und Europa entspricht. Es ist also höchste Zeit, das Verständnis eines „freien und offenen“ Internets auf die Höhe der Zeit zu bringen, damit Deutschland und Europa den Wettbewerb mit dem autoritären Ansatz glaubwürdig und schlagkräftig bestreiten können.

Libertäre Blütenträume

Im Jahr 2000 wünschte der damalige US-Präsident Bill Clinton der chinesischen Regierung sarkastisch viel Glück für deren Bemühungen, die Online-Kommunikation zu kontrollieren. Ein solches Vorhaben gleiche dem Versuch, „einen Pudding an die Wand zu nageln“. Für Clinton war eine Regulierung des Netzes nicht nur unmöglich, sondern auch nicht wünschenswert. „Handys und Kabelmodems“ (in der technologischen Vision jener Zeit), so die Annahme vieler damals, würden automatisch zu einer Stärkung der freiheitlichen Ordnung führen, und der Staat sollte so weit wie möglich außen vor bleiben. Dies entsprach der Deregulierungspolitik der 1990er Jahre und dem Glauben an den Exzeptionalismus des Internets als einer Art Sonderwirtschaftszone. Die internetbasierte „New Economy“, so die Annahme, würde ihr Innovationspotenzial am besten entfalten, wenn der Staat sich möglichst wenig einmische. Auch Aktivisten machten Druck, dass sich der Staat aus dem Internet heraushalten sollte. „Über den Ort, an dem wir uns versammeln, habt ihr keine Souveränität“, schrieb 1997 der libertäre Netzaktivist John Perry Barlow in einem Manifest und traf damit den Puls der Zeit.

Das Zusammenspiel dieser Denkweisen führte dazu, dass sich in den USA der Staat bei der Regulierung des Internets stark zurücknahm. Gleichzeitig entstand eine klare außenpolitische Agenda: die Schaffung eines freien, offenen und interoperablen Internets. Die Standards sollten in einem Multi-­Stakeholder-Rahmen, in dem Regierungen nur eine von vielen Anspruchsgruppen sind, gesetzt werden. Der US-Regierung fiel die Zustimmung leicht, waren doch die meisten Teilhaber an diesem Prozess amerikanisch oder amerikanisch geprägt, ob Wissenschaftler, Aktivisten oder Firmen.

Europa schloss sich den USA politisch an. Die Rede von einem Internet, das „frei und offen“ sein solle, entwickelte sich zum Slogan westlicher Regierungen. Auch die Bundesregierung forderte noch 2014 in ihrer Digitalen Agenda: „Wir wollen das offene und freie Internet, wie wir es kennen, erhalten und als Raum der Meinungsvielfalt, Teilhabe und Innovation schützen.“ Auf dem Papier sind Deutschland und Europa diesem Mantra in ihrer Internet-Außenpolitik bis heute treu geblieben.

Den Pudding an die Wand nageln

Autoritäre Staaten nahmen dies von Anfang an als Bedrohung wahr, hatten dem vom Westen mit Verve vertretenen Ansatz eines freien und offenen Internets aber zunächst wenig entgegenzusetzen. Die Erfindung und Verbreitung des Internets durch amerikanische und europäische Wissenschaftler und Militärs schufen einen institutionellen Rahmen, den westliche Akteure dominierten. Institutionen wie die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) oder die Internet Engineering Task Force (IETF), die wichtige technische Funktionen ausführen und Internetstandards setzen, wurden in den USA angesiedelt. Auch große Teile der technischen Infrastruktur wurden in den USA und Europa entwickelt und hochgezogen.

Für China, Russland und andere autoritäre Staaten war dies Ansporn, ein eigenes Regulierungsmodell zu entwickeln, dieses im Inland effektiv umzusetzen und dann auch international zu verbreiten. Sie sehen den freien Fluss von Informationen als Gefahr für das eigene politische System. Deswegen muss der Staat klare Grenzen ziehen: Die Regierung ist online wie offline der Souverän, dessem absoluten Machtanspruch sich alle anderen unterzuordnen haben. Diese Zentralität des Staates bringt zum Beispiel das chinesische Geheimdienstgesetz mit der Forderung auf den Punkt, dass „alle Organisationen und Bürger, in Übereinstimmung mit geltendem Recht, die nationale nachrichtendienstliche Arbeit unterstützen und damit kooperieren und kollaborieren“ sollen.

Perfektionierte Überwachung

In China ist es der Kommunistischen Partei gelungen, im eigenen Land ein System aufzubauen, das in noch nicht dagewesenen Dimensionen Bürger überwacht und Inhalte zensiert. Hunderttausende Mitarbeiter staatlicher Behörden und privater Unternehmen arbeiten zusammen, um Inhalte zu zensieren oder zu manipulieren und Kommunikation zu unterbinden und zu überwachen.

Besonders extrem ist die Überwachung in der westchinesischen Region Xinjang, in der die muslimischen Uiguren die Bevölkerungsmehrheit stellen. Hier wird jedes Küchenmesser mit einem QR-Code versehen, der Informationen zu den Personalien und ein Foto des Käufers enthält. Ein Drittel aller ohnehin handverlesenen chinesischen Pilger nach Mekka müssen dieses Jahr eine „Smart Card“ tragen, die unter anderem die Ortung des Trägers ermöglicht. Doch das autoritäre Modell setzt nicht nur auf krude Überwachung und Repression. Das soziale Bonitätssystem, das das Verhalten jedes Bürgers und jedes Unternehmens mit Punkten bewertet, setzt auch positive Anreize. Das Konzept liest sich wie eine radikalisierte Form moderner Verhaltensökonomie, wie sie etwa Cass Sunstein und Robert Thaler in ihrem Buch „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ vertreten.

Russlands System ist weniger elaboriert, doch auch der Kreml will Peking in nichts nachstehen. Das russische Überwachungssystem SORM ist eines der effektivsten weltweit und verpflichtet alle Netzanbieter, dem russischen Geheimdienst FSB Zugang zu jedweder Kommunikation zu gewähren. Gleichzeitig hat die Regierung weitreichende Befugnisse, Inhalte auf Websites löschen zu lassen, und dominiert die Medienlandschaft.

In China wie in Russland spielt die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor eine herausgehobene Rolle. Über private Netze und Server fließen die meisten Daten. Oft sind es Privatunternehmen, deren hochmoderne Technologie die Sammlung und Auswertung riesiger Datensätze erst ermöglicht. Wo Firmen nicht freiwillig mitmachen, werden sie durch entsprechende Gesetze gefügig gemacht oder gezwungen, den Markt zu verlassen. In Russland zum Beispiel sind dem Vernehmen nach Google und Apple den Verpflichtungen eines Datenlokalisierungsgesetzes nachgekommen, während LinkedIn dies verweigerte und anschließend seine Dienste nicht mehr anbieten durfte. Es ist dieser Hintergrund, vor dem Tim Cooks Stolz auf die Kooperation mit Apples chinesischen Partnern so verwerflich wirkt.

Bill Clintons Annahmen über die Unmöglichkeit der Regulierung von Online-Kommunikation waren also falsch. China und Russland haben mit Nachdruck gezeigt, dass dies möglich ist. Anders gesagt: Der Pudding hängt an der Wand. Die Frage ist daher nicht mehr, ob reguliert wird, sondern wie, durch wen und mit welchen Konsequenzen.

Internationale Vermarktung

Diese Frage spielt auch international eine Rolle. Für die Internet-Außenpolitik von Deutschland, Europa und anderen liberalen Demokratien stellen sich damit neue Fragen. Denn China, Russland und andere haben längst begonnen, ihr Modell der Informationskontrolle international erfolgreich zu vermarkten. Und sie geben im Bereich der internationalen Regelsetzung in manchen Fragen bereits den Ton an.

Schon 2011 haben die Mitglieder der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit einen „Internationalen Verhaltenskodex für Informationssicherheit“ vorgeschlagen, basierend auf einem Konzept der staatlichen Informationskontrolle. Chinas Präsident Xi Jinping hat selbst als Ziel ausgegeben, das „Recht individueller Staaten, unabhängig von anderen ihren eigenen Weg der Cyber-Entwicklung und ihr eigenes Modell der Cyber-Regulierung und der Internetpolitik“ zu wählen. Auch aus diesem Grund bemüht sich eine Koalition um Russland und China, die Internationale Fernmeldeunion (ITU) als zwischenstaatliche Institution der internationalen Internetpolitik zu stärken. Damit zielen sie klar darauf ab, ein Gegenmodell zu dem institutionellen Rahmen um ICANN und anderen Organisationen, die sich dem Multi-Stakeholder-­Modell verpflichtet sehen und trotz einiger Reformen immer noch stark westlich dominiert sind, aufzubauen. Ein weiterer Baustein dieser Strategie ist es, die notwendige Technologie zusammen mit dem Regulierungsmodell zu exportieren. China zum Beispiel strebt im Rahmen seiner Belt and Road Initiative an, eine „digitale Seidenstraße“ zwischen China und Europa aufzubauen. Dabei geht es eben nicht nur darum, neue Glasfasernetze anzulegen und chinesische Server zu verkaufen. Anderen Staaten soll auf diese Weise auch ein System der Informationskontrolle an die Hand gegeben werden. Und der Appetit auf High-tech-Kon­trolle der Bürger wächst.

Als es 2012 zum ersten Mal darum ging, ob die Internationale Fernmeldeunion und die nationalen Staaten eine wichtigere Rolle in der Internetpolitik spielen sollten, stimmten am Ende der Beratungen 89 Staaten, angeführt von China und Russland, für die neuen Bestimmungen, und nur 55 dagegen. Die Bestimmungen waren nicht bindend, aber sie waren ein Indikator für die Verschiebung der Kräfteverhältnisse.

Seither hat China umfängliche Bemühungen unternommen, das eigene Modell zu exportieren. Zum Beispiel wurde kürzlich eine Kooperation zwischen China und Simbabwe bekannt, in deren Kern der Aufbau einer nationalen Datenbank für Gesichtserkennung steht; die Zusammenarbeit soll aber auch Dimensionen von Infrastruktur, Technologie und Biologie berühren und zum Beispiel smarte Bezahlsysteme ermöglichen. China exportiert auch seine Sprachregelung: Die Regierung in Tansania lehnt sich in einem Gesetz zum Verbot von „falschen Inhalten“ und „Inhalten, die Unruhe verursachen“, klar an Formulierungen der autoritären Vorreiter in Peking an.

Die Notwendigkeit demokratischer Regulierung

Für Deutschland und Europa reicht das 1990er-Jahre-Mantra eines „freien und offenen“ Internets nicht aus, um den autoritären Staaten etwas entgegensetzen zu können. Die Vision eines Internets der Freiheitsrechte, der Innovation und der Bereitstellung öffentlicher Güter, kurz: eines Internets, das im Dienst des Bürgers steht, sollte Bestand haben. Aber dies setzt verantwortliche, demokratisch legitimierte staatliche Regulierung voraus.

Die hyperlibertäre Interpretation war schon in den 1990er Jahren fragwürdig. Heute ist sie gefährlich, denn der Exzeptionalismus des Internets ist lange vorbei. Das Netz ist kein Nebenschauplatz einiger weniger Akteure mehr, sondern zentrales Medium unseres politischen, wirtschaftlichen und sozialen Geschehens. Genauso wie freie und offene Gesellschaften staatliche Rahmensetzung und Interventionen benötigen, ist dies auch für ein freies und offenes Internet notwendig – nicht zuletzt zum Schutz der Freiheitsrechte. Gesetze müssen online genauso Gültigkeit besitzen wie offline. Es gilt, Marktversagen zu korrigieren, für einen starken Wettbewerb zu sorgen sowie kritische Infrastruktur und Verbraucher zu schützen. Selbstregulierung ist dafür keine Option.

Die Frage nach dem „ob“ der Regulierung ist damit beantwortet, doch lohnt es sich, über das „wie“ zu streiten. Dass wir Datenschutz in Europa brauchen, ist unstrittig. Ob die Datenschutzgrundverordnung dafür den besten Weg aufzeigt, kann man mit guten Gründen anzweifeln. Und so richtig der Grundgedanke des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes von 2017 ist, dass Recht auch online gelten muss und dass außerhalb Deutschlands beheimatete Konzerne wie Facebook und Google dafür mit deutschen Behörden zusammenarbeiten müssen, so sehr kann man über die Umsetzung streiten. Denn der Staat stiehlt sich aus seiner Verantwortung, wenn er Unternehmen Entscheidungen über komplexe strafrechtliche Rechtsgüterabwägungen überträgt.

Eine Agenda auf der Höhe der Zeit

Nur wenn Deutschland und Europa selbstbewusst vertreten, dass die demokratisch kontrollierte staatliche Regulierung Teil einer Agenda eines „freien und offenen“ Internets ist, können sie in der Internet-Außenpolitik glaubwürdig auftreten und sich damit auch kraftvoll gegen das autoritäre Modell stemmen.

Eine schlagkräftige deutsche und europäische Internet-Außenpolitik beginnt mit einer guten Regulierungspraxis daheim, die sich als Modell in die Welt tragen lässt. Dazu gehört, dass Parlamente und Regierungen die erforderliche Kompetenz aufbauen, um wohlinformierte Regulierungsentscheidungen treffen zu können. Sie müssen gleichzeitig die Effekte der Regulierung klar ermessen können, um Debatten über mögliche Anpassungen evidenzbasiert führen zu können. Wenn etwa Datenlokalisierungsgesetze gefordert werden, muss klar sein, mit welchen Kosten dies für Unternehmen und Nutzer verbunden ist. Dabei geht es nicht um blindes Vertrauen in Expertise. Im Gegenteil: Volksvertreter, Minister und Ministerialbeamte müssen die Kompetenz haben, auf breite, auch konträre Expertise zurückzugreifen und diese selbst einschätzen zu können.

Auf einer solchen Basis lässt sich dann das Narrativ der Internetregulierung durch den demokratischen Rechtsstaat selbstbewusst nach außen tragen. Die Unterschiede zur autoritären Regulierungspraxis sind leicht erkennbar. Materiell steht im demokratischen Rechtsstaat die Stärkung individueller Rechte und Freiheiten klar im Zentrum, wohingegen in autoritären Regimen der Allmacht- und Kontrollanspruch des Staates und der autoritären Elite gegenüber den Bürgern dominiert. Prozedural können wir in liberalen Demokratien offen über Internetregulierungsfragen streiten. Demokratisch legitimierte Volksvertreter treffen Entscheidungen. Parlament und unabhängige Medien überwachen die Regulierungspraxis von Behörden. Dies führt nicht zu perfekten Gesetzen, aber die regulatorische Machtausübung ist durch Gewaltenteilung und eine demokratische Öffentlichkeit eingehegt.

Die Kosten des autoritären Modells

Deutschland und Europa sollten verstärkt auf die Kosten des autoritären Modells hinweisen. Dabei sollten sie nicht nur auf die autoritären Staaten zielen, die das Modell schon praktizieren. Vielmehr gilt es, die vielen Staaten zu überzeugen, die mit autoritären Elementen liebäugeln, aber sich dem Modell noch nicht vollends verschrieben haben. Das autoritäre Modell ist mit Kosten verbunden, die über die Einschränkung individueller Freiheitsrechte weit hinausgehen. Politisch besteht die Gefahr, gesellschaftliche Spannungen durch Überwachung und Repression mittel- und langfristig zu verstärken. Dies trifft beispielsweise auf die ethnischen Minderheiten in Chinas Westprovinzen zu. Auch wirtschaftlich sind die Kosten beträchtlich. China mit seinem riesigen nationalen Markt mag die Kosten der großen Internet-Firewall auffangen können. Auch hat es gezeigt, dass es Autoritarismus mit Innovationskraft verbinden kann. Aber ob kleineren Staaten das auch gelingt?

Für Deutschland und Europa gilt es, Mitstreiter für ein rechtsstaatlich eingebettetes, freies und offenes Internet und gegen das autoritäre Modell zu finden. Dafür bieten sich zunächst einmal die Staaten an, die Bundesaußenminister Heiko Maas als Schlüsselpartner für seine Allianz für Multilateralismus identifiziert hat: Japan – mit dem die EU jetzt ein Datentransferabkommen geschlossen hat –, Südkorea, Kanada und Australien. Für die Internet-Außenpolitik sind zudem die demokratischen Mitglieder der BRICS wichtig: Brasilien, Indien und Südafrika. Sie können bei diesen Fragen ein Gegengewicht zu den beiden prominentesten Verfechtern des autoritären Internetregulierungsmodells, China und Russland, bilden. Insbesondere mit Brasilien kann Deutschland schon auf einer erfolgreichen Kooperation in Internetfragen aufbauen, etwa im Rahmen gemeinsamer UN-Resolutionen zum Recht auf Privatsphäre.

Als konkrete Kooperationselemente bietet sich der Bereich des Kapazitätsaufbaus bei der digitalen Infrastruktur und bei Cybersicherheits- und Regulierungsthemen an. Dies ist umso dringlicher, da China seine Projekte in diesem Bereich rapide ausbaut. Gleichzeitig sollten Deutschland und Europa westliche Unternehmen an ihre Verantwortung erinnern. Zuhause gerieren sich die Chefs von Apple, Facebook und Google gern als Apostel für ein freies und offenes Internet. Doch Facebook-Chef Mark Zuckerberg dient sich seit Jahren – mit mäßigem Erfolg, aber hohem Peinlichkeitsfaktor – der chinesischen Führung an. Auch Apple und Google laufen Gefahr, immer stärker zu Steigbügelhaltern des autoritären Modells zu werden – Google etwa plante eine zensurkompatible Version seines Suchdiensts für den chinesischen Markt. Dies sollte in ihren Heimatmärkten mit Kosten verbunden sein, um einen Kurs der Äquidistanz zwischen liberal-demokratischem und autoritärem Internetmodell zu erschweren.

Zudem sollten Deutschland und Europa helfen, mit der Fragmentierung des Internets konstruktiv umzugehen. Die Bemühungen von Regierungen, Kommunikationsstrukturen in nationale Grenzen und Gesetze zu zwängen, führen dazu, dass sich Anwendungen und Inhalte im Internet auseinanderentwickeln. Nutzer in Deutschland sehen andere Inhalte als in Indien oder gar China. Dieser Trend lässt sich nur schwer aufhalten. Dennoch sollten sich Deutschland und Europa verpflichten, den eigenen Beitrag zur Fragmentierung so gering wie möglich zu halten. Schließlich sollte die grundlegende Interoperabilität beibehalten und durch gezielte Harmonisierung ergänzt werden, beispielsweise bei internationalen Datentransfers und dem Datenzugang für Strafverfolgungsbehörden.

Das Einstehen für ein demokratisch reguliertes, freies und offenes Internet sollte ein Kernelement deutscher und europäischer Außenpolitik bleiben. Der Aufstieg des autoritären Modells bedeutet nicht, wie Harvard-Professor Jack Goldsmith jüngst in seinem Artikel „The Failure of Internet Freedom“ (Knight First Amendment Institute, Columbia University) formuliert hat, das komplette Versagen der Agenda für ein freies und offenes Internet. Gescheitert ist vielmehr der hyperlibertäre Ansatz der 1990er Jahre. Für Europa ergibt sich daraus eine Chance. Hierzulande ist man dem extremen Laisser-faire-Ansatz der USA nie in letzter Konsequenz gefolgt. Auch ist Europa glaubwürdiger, weil es in Internetfragen als weniger dominant als die USA gesehen wird. Dies gilt es zu nutzen. Der Einsatz für ein rechtsstaatlich abgesichertes freies und offenes Internet ist es wert.

Thorsten Benner ist Mitgründer und Direktor des Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin.

Mirko Hohmann ist Non-Resident Fellow beim GPPi sowie Stipendiat des Mercator Kollegs für internationale Aufgaben.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September-Oktober, 2018, S. 120 - 127

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