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01. Okt. 2007

Whiskey statt Wodka

Die Opposiotion in Russland in schwach - das Establishment zittert trotzdem

Das Ergebnis der Duma- und Präsidentschaftswahlen am 2. Dezember und 2. März gilt als jetzt schon festgelegt: Es wird, so die allgemeine Erwartung der Russen, von Präsident Wladimir Putin entschieden. 40 Prozent der russischen Wähler finden das aber auch ganz in Ordnung – nicht zuletzt, weil die Opposition ein so erbarmungswürdiges Bild abgibt.

Seit Breschnjews Zeiten ist Politik in Russland nicht mehr so langweilig gewesen wie heute. Am 2. Dezember wird ein neues Parlament gewählt, am 2. März 2008 ein neuer Präsident. Aber nur 15 Prozent der Wähler glauben, das Ergebnis der Duma-Wahlen hänge von ihrem Willen ab, 45 Prozent nehmen an, es werde von Präsident Wladimir Putin und seiner Umgebung entschieden.1 Ebenso gilt es als sicher, dass im März der Kandidat Staatschef wird, den Putin persönlich als seinen Nachfolger empfiehlt. Oder, wie es der Schriftsteller Wiktor Jerofejew in Anspielung auf die August-Wahlen in Kasachstan formuliert, bei der die Staatspartei „Licht des Vaterlands“ mit 88,5 Prozent der abgegebenen Stimmen alle Sitze im nationalen Parlament gewann: „Es wird so geschehen, wie es ein Mann im Land entscheidet.“2

Putin wird mehr Vielfalt gewähren als sein kasachischer Amtskollege Nursultan Nasarbajew – zumindest nominell. Nach jüngsten Umfragen ist wahrscheinlich, dass außer den Kreml-Schwesterparteien „Geeintes Russland“ (59 Prozent der Stimmen) und „Gerechtes Russland“ (neun Prozent) auch die Kommunisten (18 Prozent) und Wladimir Schirinowskijs Liberaldemokraten (sieben Prozent) in die neue Duma einziehen.3 Allerdings gelten Kommunisten wie Liberaldemokraten längst als Weisungsempfänger des Kremls. Ähnlich wie Kasachstan hat Russland Aussichten auf ein Parlament, in dem kein wirklicher Oppositionspolitiker sitzen wird. Der Kreml hat in den vergangenen Jahren alle Zugänge zur politischen Willensbildung systematisch verbarrikadiert: Die legalen Parteien wurden durch die Pflicht dezimiert, sich neu zu registrieren und dabei mindestens 50 000 Mitglieder aufzuweisen. Ist man oppositionell, wie etwa Wladimir Ryschkows „Republikanische Partei“, so läuft man Gefahr, dass die Registrationsbehörden massenhaft Mitgliederunterschriften annullieren. Ryschkow, einer der letzten Putin-Kritiker in der Duma, kann auch seinen Sitz als unabhängiger Abgeordneter nicht verteidigen, weil alle Direktmandate abgeschafft wurden. Wer Präsident werden will, braucht wiederum eine Duma-Fraktion, die ihn als Kandidat nominiert, oder zwei Millionen (!) Unterstützungsunterschriften.

So drohen die Winter-Wahlkämpfe zu äußerst exklusiven Partys zu werden. Und die russische Staatsduma ist ab Dezember voraussichtlich ein Klub, vor dessen Tür die Face-Controller des Kremls stehen. Hinein lassen sie nur Leute mit ausgeprägt loyalem Gesichtsausdruck und dem richtigen Parteiabzeichen. Politiker, die trotzdem versuchen, Opposition zu veranstalten, werden auch anderswo ausgesperrt. Überall im Land riskieren sie, dass ihre Veranstaltungssäle kurzfristig anderweitig besetzt sind. Oder dass sie von kremltreuen Jungaktivisten ausgebuht werden. Alle Fernsehsender schweigen ihre Auftritte tot. Aber dadurch verliert das TV-Programm nicht unbedingt an Qualität. Denn viele demokratische Politiker führen sich auf, als gelte es, dem Volk die letzte Lust am Pluralismus auszutreiben.

Seit die Demokraten mit Putins Amtsantritt 2000 in die Opposition geraten sind, will es ihnen nicht gelingen, sich zu einen. Grigorij Jawlinskijs sozialliberale „Jabloko“-Partei und die unternehmernahe „Union der rechten Kräfte“ (russisch abgekürzt SPS) scheiterten bei den vergangenen Parlamentswahlen 2004 an der Fünf-Prozent-Klausel – getrennt. Aber obwohl die Hürde inzwischen schon auf sieben Prozent liegt, verweigert Jawlinskij weiter jedes Wahlbündnis mit anderen Demokraten. Viele Moskauer vermuten, Jawlinskij antichambriere insgeheim im Kreml. „Es wird solange keine geeinte Opposition geben, wie einzelne Parteien versuchen, mit dem Kreml Sonderkonditionen auszuhandeln“, sagte Wladimir Ryschkow dem Autor schon im April 2006.

Jawlinskij will auch selbst bei den Präsidentenwahlen kandidieren; viele Basisaktivisten aber kooperieren längst mit dem außerparlamentarischen Bündnis „Anderes Russland“. Anlass genug für die Moskauer Jabloko-Spitze, Ende August die ersten Parteiausschlussverfahren einzuleiten.

Dem „Anderen Russland“ haben sich außer Exweltmeister Gari Kasparow und seiner „Offenen Bürgerfront“ auch die SPS, Menschenrechtsgruppen sowie der anarchistische Schriftsteller Eduard Limonow mit seinen inzwischen verbotenen Nationalbolschewisten angeschlossen. Ein Zweckbündnis. Aber es droht an der Aufgabe zu scheitern, einen gemeinsamen Oppositionskandidaten für die Präsidentschaftswahlen zu nominieren. Im Sommer scherte Expremier Michail Kasjanow mit seiner „Volksdemokratischen Partei“ aus. Stein des Anstoßes: Kasjanow, der sich von seinen Volksdemokraten schon zum Präsidentschaftskandidaten küren ließ, lehnte es ab, sich den Primaries zu stellen, die Kasparow und die SPS vorgeschlagen hatten. Als Alternativkandidaten standen der in England lebende frühere Sowjetdissident Wladimir Bukowskij bereit sowie Viktor Geraschtschenko, Exchef der russischen Zentralbank. Bukowskij allerdings ist nicht im Besitz eines russischen Passes, Geraschtschenko wiederum scheint die Sache nicht besonders ernst zu nehmen. In einem Zeitungsinterview amüsierte er sich schon über die Opposition als „Liliputaner“.4

Jedenfalls veranstaltet das „Andere Russland“ zurzeit eine Reihe von lokalen Vorwahlkonferenzen. Achtmal gewann dabei Kasparow, der gar nicht kandidieren möchte, zehnmal Kasjanow, der diese Primaries nicht akzeptiert. Dabei gilt Kasjanow seit seinen Amtszeiten unter Jelzin als einer der korruptesten russischen Politiker. Insider tauften ihn sogar auf den Spitznamen „Mischa zwei Prozent“, weil er als Finanzminister bei der Verwaltung der Staatsschulden für jede Unterschrift zwei Prozent der dokumentierten Summe kassiert haben soll.5 Kasjanow war bis 2004 Premier, jetzt klingt seine Kritik gegenüber dem Kreml eher zahm. Viele Russen glauben, er stecke mit Putins Wahlkampfmanagern unter einer Decke: Seine Aufgabe sei es, die Kandidatur eines starken Einheitskandidaten der Opposition zu verhindern.6

Korruptions- und Verratsgerüchte, Egoismus statt Kompromissfähigkeit – Russlands führende Oppositionelle scheinen sich teilweise selbst nicht mehr ernst zu nehmen. Boris Nemzow etwa, Galionsfigur der liberalen SPS, hat gerade eine neue Autobiographie veröffentlicht. Vielversprechender Titel: „Aufzeichnungen eines Rebellen“. Darin kritisiert er Putins Korruptokratie, beklagt neoimperale Phrasendrescherei, Heuchelei und Selbstzufriedenheit. „Was aber tun? Sich von der Ausweglosigkeit erdrücken lassen? Dasitzen, vergangener Größe nachtrauern und Tränen über Fotos mit Jelzin vergießen?“7 Als Antwort verkündet der „Rebell“ weder seine Präsidentschaftskandidatur noch ruft er die Leser zu zivilem Ungehorsam auf. Stattdessen erklärt er kapitellang, Wein und Whiskey seien gesünder als Wodka und Bier. Und was er täglich im Fitnessstudio mache, um seine athletische Figur zu halten.8 Botschaft: Ich habe Prinzipien, aber zurzeit lohnt es sich nicht, dafür zu kämpfen.

Auch Anarchist Limonow ergeht sich in Hedonismus: „Radikale Politiker können morgen verhaftet oder getötet werden. Deshalb sollen sie sich mit Wein, Frauen und schönen Dingen umgeben“.9 Man mag bezweifeln, dass Kasjanow, Nemzow oder Limonow wirklich ein für Russland segensreiches Kabinett formieren könnten. Aber nach den jüngsten Umfragen würden sowieso nur drei Prozent der Wähler für den „liberalen“ Kandidaten stimmen.

So läuft alles auf ein Wettrennen zwischen den Favoriten des Kremls hinaus. Ganz vorne die beiden Ersten Vizepremiers Sergej Iwanow und Dmitrij Medwedjew, zwei Weggefährten Putins aus Leningrader Zeiten. Iwanow gilt mit 36 Prozent in der Wählergunst als bislang aussichtsreichster Kandidat auf Putins Thronerbe, gefolgt von Medwedjew (34 Prozent).10 Allerdings hat Putin mit der Ernennung des bis dahin fast völlig unbekannten Finanzgeheimdienstlers Viktor Subkow zum neuen Premier Mitte September einmal mehr demonstriert, dass von ihm jede Überraschung zu erwarten ist. Und jetzt zerbrechen sich Politologen und Journalisten den Kopf darüber, ob besagter Subkow der Kandidat sein wird oder etwa Sergej Naryschkin, ein weiterer alter Bekannter Putins aus St. Petersburg, der es inzwischen zum Vizepremier gebracht hat. Sie alle verbreiten ähnliche Farblosigkeit wie jener Putin, den Jelzin vor sieben Jahren aufs Schild heben ließ. Aber die Russen warten zurzeit auch auf niemanden, der mit rebellischen Beichten glänzt. Sie hoffen darauf, dass sich die Stabilität der Ära Putin fortsetzt, 40 Prozent der Wähler wollen schon jetzt für den Kandidaten stimmen, den er vorschlägt.11

Umso mehr erstaunt, wie heftig der Kreml auf jede öffentliche Regung der Opposition reagiert. Im April verprügelten Einsatzpolizisten in Moskau und St. Petersburg bei Demonstrationen von „Anderes Russland“ nicht nur die zahlenmäßig unterlegenen Teilnehmer, sondern auch Passanten und Journalisten. Anfang August feuerte das staatliche Autowerk WAS in Togliatti zwei Gewerkschaftler, weil sie sich an der Organisation eines Streikes beteiligt hatten. Und es gibt erste Fälle von Provinzjournalisten, die wegen Kritik am Kreml in Psychiatrien eingewiesen werden.12

84 Prozent der Russen stehen hinter Präsident Putin13 – der Staat aber benimmt sich, als kämpfe er ums nackte Überleben. Ende August klagte Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka anlässlich der Festnahmen im Mordfall der regimekritischen Journalistin Anna Politkowskaja mit viel Pathos im Ausland sitzende Auftraggeber an, die die russische Verfassungsordnung stürzen wollten, um zu jener Ordnung zurückzukehren, in der „Geld und Oligarchen alles entschieden“.14 Dabei bediente er sich sehr ähnlicher Wendungen wie Präsident Putin, als er bei seiner letzten Ansprache an das russische Parlament im April über ausländische Kräfte klagte, die Russland seine wirtschaftliche und politische Selbstständigkeit nehmen wollten.15

„Drahtzieher im Ausland“

Das neue Feindbild von den pseudo-demokratischen Verschwörern, deren Drahtzieher im Ausland sitzen, ist ein sehr sowjetisches Stereotyp, das allerdings aus der Perspektive des Kremls durch die „orangene Revolution“ von 2004 bestätigt wurde, als in der benachbarten Ukraine prowestliche Massenproteste den getürkten Wahlsieg eines von Russland unterstützten Präsidentschaftskandidaten kippten. Das geschockte Moskau machte dafür massive logistische und finanzielle Unterstützung des Westens verantwortlich – und unterstellt seitdem, dass dieses Szenario auch in Moskau wiederholt werden soll. Der Kreml mobilisiert präventiv Jugendmassenorganisationen, um diese im Ernstfall gegen orangene Revoluzzer auf die Straße schicken zu können. Allerdings bleibt zweifelhaft, ob die asthmatische Opposition fähig sein wird, anlässlich ihrer schon jetzt als sicher geltenden Wahlpleite Proteste zu organisieren, die im täglichen Moskauer Einkaufstrubel besonders auffallen würden. Tatsächlich wirkt die Nervosität der Bürokratie hausgemacht.

Wladimir Putin hat die Macht in Russland zentralisiert. Er und seine engste Umgebung entscheiden Sach- und vor allem Kaderfragen in allen Regionen, aber auch in den großen Wirtschaftsunternehmen. Seine so genannte „Vertikale der Macht“ stellt eine – sehr steile – Karrierepyramide dar. Oben das Staatsoberhaupt. Darunter seine alten Leningrader Bekannten, die Schlüsselpositionen in Staat und Wirtschaft innehaben: Vizepremier Dmitrij Medwedjew und Wirtschaftsminister German Gref im Aufsichtsrat von Gazprom, Igor Setschin, stellvertretender Leiter der Präsidialadministration, im Aufsichtsrat der staatlichen Ölfirma Rosneft, Finanzminister Kudrin im Aufsichtsrat des Diamantenkonzerns Alrosa. Jeder Putin-Intimus hat wieder seine eigenen Leute im Schlepptau. So formieren sich ganze Seilschaften, die alle an der Spitze der Pyramide hängen.

Jetzt zittert Kader-Russland, weil Putin, der Gipfel- und Fixpunkt des Systems, zu verschwinden droht. Selbst wenn sein Nachfolger ein enger Freund und Gesinnungsgenosse sein wird, selbst wenn er Putin persönlich Treue geschworen hat, wird er nach allen Traditionen russischer Machtpolitik seine eigenen Favoriten nachziehen, die wiederum ihre eigenen Mannschaften … Das heißt, hunderten, ja tausenden von Topbeamten in der Präsidialadministration, den Ministerien und Parteien, aber auch den großen Rohstoffkonzernen droht unangenehmes Stühlerücken.

Die Putinsche Pyramide aber ist nicht nur personenabhängig, sie gilt auch als sehr einträglich. Und seine Nomenklatura muss jetzt außer Karriereknicks auch den Verlust ergiebigster Schmiergeldquellen fürchten. Wie groß die Unruhe in der Bürokratie ist, zeigt die Eile, mit der Duma und Kreml dieses Jahr in nur vier Monaten einen Staatshaushalt auf drei Jahre im Voraus bewilligt haben. Offenbar hofft man so, zumindest bis 2010 die Geldströme für die gewohnten Kanäle zu sichern. Auch der unerwartete Haftbefehl gegen den Ölmagnaten Michail Guderzijew zeugt von hektischen Bemühungen einflussreicher Leute in Putins Umgebung, vor dessen Abgang noch einmal Kasse zu machen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte schon seit Ende 2006 wegen Steuerhinterziehung und illegalem Unternehmertum gegen Guderzijew, den Chef des Ölkonzerns Rosneft (geschätzter Marktwert acht Milliarden Dollar). Offenbar unter diesem Ermittlungsdruck verkaufte Guderzijew Rosneft im Juli für drei Milliarden Dollar an den kremlnahen Oligarchen Oleg Deripaska. Danach ließ man Guderzijew nach London fliehen, um ihn dann per Haftbefehl endgültig zum Emigranten zu machen. Dabei gilt Guderzijew im Gegensatz zu dem opponierenden Michail Chodorkowskij als politisch loyaler Unternehmer.

„Mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent geht es um eine ‚vorzeitige‘ Neuverteilung von Besitz“, vermutet der Moskowskij Komsomolez. „Wenn so etwas passiert, solange Wladimir Putin noch die Funktion des Oberschiedsrichters ausübt, welch siedende Leidenschaften erwarten uns dann 2008!“16 Auch die Unternehmer müssen also die Zeit nach Putin fürchten. Den Oligarchen drohen feindliche Übernahmen, kleineren Betrieben der Verlust ihrer Ansprechpartner in den Staatsorganen und das fragliche Vergnügen, sich mit deren – voraussichtlich hungrigeren – Nachfolgern erst wieder einigen zu müssen.

Aber die größten Unwägbarkeiten drohen dem Establishment selbst. In Moskau und den Provinzmetropolen gibt es inzwischen eine ganze Schicht von Schmiergeldmillionären. Das heißt von Beamten, die auf einem Berg illegalen Geldes sitzen. Boris Nemzow berichtet von Diebesbanden, die sich im Villenviertel an der prestigeträchtigen Rubljowka-Chaussee auf die Privatsafes von Staatsdienern spezialisiert haben, in dem Bewusstsein, dass deren Geld schwarz sei und die beraubten Beamten keine Anzeige bei der Miliz erstatten würden. Bei ausreichendem politischen Willen sei es ein leichtes, diese Korruptionäre zu überführen. „Darum kämpfen die Bürokraten jetzt so hysterisch und verbiestert um die Fortsetzung des korrupten politischen Kurses.“17

Es gehörte zu Putins Alltagsrhetorik, den Kampf gegen die Korruption zu predigen, um das Image seiner „harten Hand“ zu pflegen. Vor allem in der Provinz gab es deshalb immer wieder lautstarke Schauprozesse gegen korrupte Polizeioffiziere und Stadträte, sogar gegen Gouverneure – fast immer Männer, die unter Jelzin groß geworden waren. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch Putins Nachfolger versucht sein wird, sich als Antikorruptionskämpfer zu profilieren. Und dabei könnte manch ein Kader ins Visier geraten, der seine Karriere und sein Geld unter Putin gemacht hat. Sobald Putin geht, droht einem Teil seiner Pyramide ein Schwindel erregender Absturz. Kein Wunder, dass Parlamentarier, Gouverneure und Parteipolitiker Putin immer wieder um eine dritte Amtszeit bitten. Und dass nur 31 Prozent der Bevölkerung gegen eine entsprechende Verfassungsänderung wären.18 Wladimir Putin widerspricht mit seinem cetero censeo, er werde das russische Grundgesetz auf keinen Fall anrühren, um seine Amtszeit zu verlängern, der inneren Logik des eigenen Systems: Dort waren persönliche Macht und Loyalität immer wichtiger als das Gesetz.

In politischer Hinsicht hat Putin die Weichen für Russland eher in Richtung Byzantinismus gestellt. Tritt er jetzt wirklich ab, wäre dieser Akt der Selbstbeschränkung sein vielleicht größter Beitrag zur Wahrung eines Restes von Demokratie. Die Alternative demonstrierte sein kasachischer Amtskollege Nursultan Nasarbajew: Dieser bewilligte sich im Mai per Verfassungsänderung das Recht auf eine unbeschränkte Zahl von Amtszeiten. So wird die spannendere Frage des bevorstehenden politischen Winters nicht sein, wie Putins Nachfolger heißen wird. Sondern ob er wirklich einen Nachfolger haben wird.

STEFAN SCHOLL, geb. 1962, lebt als freier Autor in Twer. Zuletzt erschien von ihm „Aus dem macht ihr keinen Menschen mehr“ (2004).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 10, Oktober 2007, S. 104 - 110.

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