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01. März 2007

Welche Löhne braucht das Land?

Ökonomie

Nachhaltige Beschäftigungsbesserung – und marktgerechte Entlohnung – sollten die Leitmotive der kommenden Tarifabschlüsse sein

Kombilöhne, Mindestlöhne, Gewinnbeteiligung für Arbeitnehmer, hohe Löhne für mehr inländische Kaufkraft – was schwirrt nicht alles durch den Medienwald in diesen Tagen, in denen ein wichtiger betrieblicher und volkswirtschaftlicher Faktor für die Wachstums- und Beschäftigungsperspektive in unserem Land festgelegt wird. Staat und Tarifparteien sind sich hoffentlich ihrer Verantwortung für den Einzelnen und das Ganze bewusst. Statt all der oben zitierten Vokabeln hätte ich mir allerdings ein anderes Orientierungswort gewünscht: marktgerechte Entlohnung! Aber davon war vor lauter arbeitsmarktpolitischem Getöse und Kampfgeschrei der Tarifparteien nichts zu hören.

Zur Diagnose: Selten in der Nachkriegszeit gab es bei der Gestaltung der Arbeitsmarktbedingungen so viel ernsthafte Anpassung an die Erfordernisse der technologischen Entwicklung und der Globalisierung wie in den letzten Jahren. Zu nennen sind die Flexibilisierung und Verlängerung der Arbeitszeiten, Abbau von Sonderzahlungen sowie allgemeine Lohnzurückhaltung. Damit haben sich die Lohnkosten pro Einheit Sozialprodukt vermindert. Dies gilt ganz besonders im Bereich, der im internationalen Wettbewerb steht. Dort sind die Lohnstückkosten beträchtlich gesunken und haben die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands – vor allem im europäischen Kontext – massiv verbessert. Die Einkommenssituation der Arbeitnehmer war in diesen Jahren freilich nicht allein durch die schwache Bestückung der Lohntüte geprägt. Gleichzeitig mit dieser Anpassung haben die Belastungen durch staatliche Preisanpassungen und Steuer- und Abgabenerhöhungen – zum jeweils guten Zweck der staatlichen Schuldenbegrenzung – die Nettoeinkommen reduziert, zuletzt durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent. Und auch Energie wird Jahr für Jahr teurer wegen der Knappheit von Rohstoffen und der Sorge um die Umwelt.

Die Weltkonjunktur ist noch in guter Verfassung. In den USA gibt es jedoch schon Alterserscheinungen des Booms. Im Immobilienbereich ist der Abschwung schon eingeleitet. Deutlich erhöhte Zinsen, Belastungen aus den militärischen Engagements und teure Energieimporte nagen an der Konjunkturdynamik. In Japan will die Deflation trotz guter Export- und Investitionskonjunktur nicht weichen. Die Schwellenländer Asiens, Osteuropas und Lateinamerikas, ja sogar viele Entwicklungsländer, vor allem jene mit Rohstoffreichtum, entwickeln sich dagegen weiterhin dynamisch. Europa hat sich gar vom Nachzügler zum Wachstumsträger gemausert. Es wirkt so, als sei die Weltwirtschaft in einer recht stabilen Lage. Staatliche Finanzen erscheinen weniger fragil, Inflation ist fast nirgendwo ein Problem.

Einige Phänomene mahnen zur Vorsicht. Reichlich Liquidität und niedrige Zinsen haben mancherorts dazu verführt, (zu) große Räder zu drehen. Einige Länder leben – das zeigen ihre außerordentlich hohen Leistungsbilanzdefizite, die nicht nur große Investitionsdynamik, sondern vielfach exzessiven Konsum widerspiegeln – über ihre Verhältnisse, so zum Beispiel die Vereinigten Staaten, Ungarn oder Spanien. Korrekturen solcher Ungleichgewichte stehen an, man weiß nur nicht wann und wie. Größere Unruhen an den Devisenmärkten – etwa mit dem Risiko einer ungeordneten Aufwertung des Euro – sind nicht ausgeschlossen.

Die Arbeitsmarktlage ist höchst differenziert. Was wir deshalb brauchen, sind stärker marktorientierte Löhne. Die hohe Arbeitslosigkeit ist sicher Anlass, über ein „Schleusen öffnen“ für die Lohnerhöhung nicht einmal nachzudenken. Das gleiche Verdikt gilt gegen Mindestlöhne, die jene, die heute unter Arbeitslosigkeit besonders leiden, noch tiefer und endgültiger in diesem Zustand des Ausgeschlossenseins festhielten bzw. sie noch stärker in die Illegalität der Schwarzarbeit abdrängten. Wer das will, mag das tun. Wer dies mit dem Würdesiegel der sozialen Orientierung rechtfertigt, ist blind gegenüber den ökonomischen Wirkungen seines Tuns, oder – schlimmer – zynisch.

Es kann aber auch nicht sein, dass wir mit dem Argument „wir haben Arbeitslosigkeit“ jenen kräftige Lohnsteigerungen verweigern, deren Leistungen hierzulande dringend gebraucht werden (und die man weder zum Auswandern noch zur inneren Emigration veranlassen sollte). Bezüglich der Form, in der solche Einkommenskorrekturen nach oben erfolgen sollten, gilt es virtuos zu sein. Mitarbeiterbeteiligung mag dort, wo es Rechtsform und institutioneller Rahmen zulassen, die ideale Antwort sein. An anderer Stelle ist die Einmalzahlung zum Ausgleich unerwartet günstiger Entwicklung das Mittel der Wahl. Eine allgemeine kräftige Erhöhung der Tariflöhne ist überall dort eine schwere Hypothek, wo Mitarbeiter unterschiedlich knapp sind oder die Absatzperspektive durchaus volatil ist. Sehr bald könnte sich diese Hypothek als zu belastend herausstellen.

Und was wird herauskommen? Die Art und Weise, wie die öffentliche Debatte geführt wird, der Stil, in dem die Forderungen einiger Gewerkschaften vorgetragen werden, lassen vermuten, dass statt jener marktgerechten Entlohnung 2007 mit einem Einheitsabschluss die Gerechtigkeitsreflexe der (meisten) Deutschen befriedigt werden und nicht die Notwendigkeit nachhaltiger Beschäftigungsbesserung zum Leitmotiv wird.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, März 2007, S. 98 - 99.

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