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01. Juni 2007

Gesucht: Der „Geist von Rambouillet“

Ökonomie

Es geht um Makroökonomie: Heiligendamm sollte die
ursprüngliche Agenda von Weltwirtschaftsgipfeln wieder beleben

Deutschland ist richtig gefordert. Es hat die EU-Ratspräsidentschaft inne und ist gleichzeitig verantwortlich für den G-8-Gipfel des Jahres 2007. Und die übrigen Europäer? Frankreich wird durch seine Präsidenten- und Parlamentswahlen politisch voll absorbiert. England steht ebenfalls vor einer Zäsur: Es gilt, ohne Tony Blair zurechtzukommen. In Italien ist die Regierung derzeit wahrlich fragil. Und viele der kleineren Länder sind alles andere als politisch stabil, sie wechseln Regierungen und wirtschaftspolitische Konzepte wie andere Leute ihre Hemden. Das gilt für die Slowakei wie für Ungarn, in anderer Weise für die Tschechische Republik, und Polen erscheint momentan seinen Nachbarn als einigermaßen störrisch und manchmal rückwärtsgewandt.

In dieser Umgebung der Europäischen Union Richtung zu geben, ist eine ausgesprochen diffizile Aufgabe. Da ist der aufs Riff gelaufene Verfassungsentwurf mit neuen Segeln auszustatten und, wenn möglich, diesmal seetüchtig für die zweite Tour herzurichten. Die Energiesicherheit Europas muss in einem gemeinsamen europäischen Energiekonzept verankert werden, das die ehrgeizigen Klimaschutzziele der Union nicht konterkariert. Hier sind fundamentalistische Atomkraftgegner und notorische Zweifler an der Zukunft der erneuerbaren Energien ebenso miteinander zu versöhnen wie traditionelle Protektionisten für Energieproduktion aus fossiler Energie und Energieverteiler, die ihre Gebietsmonopole wie ihren Augapfel hüten, unter einen Hut zu bringen. Und gleichzeitig brauchen Forschung und Entwicklung auf dem Feld der Energie und des Umweltschutzes kräftige Impulse.

Obendrein muss der G-8-Gipfel in Heiligendamm erfolgreich über die Bühne gebracht werden. Die Liste, die sich die Sherpas gegeben haben, ist lang und kompliziert. Dabei wäre es für den Gipfel schon genug, wenn man sich der ursprünglichen Agenda von Weltwirtschaftsgipfeln zuwenden und – auf den Spuren von Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt – den „Geist von Rambouillet“ wieder aufleben lassen würde. Denn die makroökonomischen Verwerfungen und die daraus resultierenden Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft sind größer als die momentane Ruhe an den Finanzmärkten zu signalisieren scheint. Niemals zuvor in der Währungsgeschichte haben die Devisenreserven so vieler Zentralbanken so nachhaltig und so massiv zugenommen wie seit der Asien-Krise 1997/98 (um rund 3000 Milliarden Dollar, d.h. sie haben sich mehr als verdoppelt).

Waren es zunächst vor allem die asiatischen Länder, die Leistungsbilanzüberschüsse und Devisenreserven anhäuften, so sind dies seit einigen Jahren zunehmend auch die Exporteure von Rohstoffen. Das hat zwar dazu geführt, dass einigen Ländern – insbesondere den USA – neben kräftigen Investitionssteigerungen auch ein hoher Konsum ermöglicht wurde, doch erkauft wurde dies mit steigender (Auslands-)Verschuldung und einem entsprechend künftig erhöhten Kapitaldienst. In einer Vielzahl von Ländern entwickelten sich dank der preiswerten Finanzierungsmöglichkeiten (etwa auch durch „carry trades“ aus dem besonders zinsgünstigen japanischen Finanzmarkt) Immobilienblasen. Die Bautätigkeit ist vielerorts (so etwa in Spanien, Irland, England, USA, Australien, China) überproportional angestiegen, die Kosten für Wohneigentum haben teilweise Niveaus erreicht, die über dem 15-fachen Nettojahreseinkommen des jeweiligen Landes liegen. Das ist nicht lange durchhaltbar. Wenn dieser G-8-Gipfel es schafft, eine makroökonomische Koordinierung zu erörtern und zu beschließen, damit solche Ungleichgewichte sich nicht weiter aufschaukeln, sondern durch Finanz-, Arbeitsmarkt- und Geldpolitik möglichst bald eingedämmt werden, wäre das ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Während einige Maßnahmen theoretisch zweifellos erwünscht sind – etwa eine steuerliche Verteuerung des US-Energieverbrauchs, insbesondere der fossilen Brennstoffe, oder eine Aufwertung des Renminbi – ist es sehr viel weniger sicher, ob man der Bank von Japan zur Stärkung des Yen durch eine Heraufsetzung der japanischen Zinsen raten sollte – schließlich wurde in den neunziger Jahren durch restriktive Finanzpolitik schon einmal die japanische Deflation auf unverantwortliche Weise verlängert. Ob die EZB gut beraten wäre, die europäischen Zinsen weiter heraufzusetzen, ist zwar nicht so kategorisch abzulehnen wie im Falle Japans, aber in Kombination mit einem aufwertenden Euro könnte ein solches Konzept dazu führen, dass das zarte Aufschwungpflänzchen in Europa frühzeitig wieder abgewürgt wird. Was Europa sicherlich dringender braucht, ist eine Politik zur Förderung unternehmerischen Verhaltens, eine Politik, die über den Zyklus hinweg zu niedrigeren Steuersätzen und Sozialversicherungsbeitragssätzen führt und damit Wachstum und Beschäftigung fördert. Wenn die G-8-Regierungschefs eine solche Abstimmung der Wirtschaftspolitik verabreden und durch nationale und internationale Gremien unterstützen können, wird der Gipfel von Heiligendamm als Erfolg in die Annalen eingehen. Das würde die Chance erhöhen, dass die G-8 im Jahr 2008 im japanischen Hokkaido nicht vor einem dramatisch angestiegenen Berg von Ungleichgewichten steht. Erdrutsche an den globalen Devisen- und Kapitalmärkten sollten um jeden Preis vermieden werden.

Prof. Dr. NORBERT WALTER, geb. 1944, ist Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe in Frankfurt am Main; www.norbert-walter.de.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2007, S. 92 - 93.

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