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01. Jan. 2006

Wege in den Krieg

Vorwände, Präzendenzfälle und amtliche Lügen: Wie drei Präsidenten den amerikanischen Kongress entmachteten

Die Väter der amerikanischen Verfassung haben die Entscheidung über Krieg und Frieden in die Hände des Kongresses gelegt. Doch die Exekutive hat diese Zuständigkeit immer weiter ausgehöhlt. Die Präsidenten Franklin D. Roosevelt und Lyndon B. Johnson machten vor, wie man mit amtlichen Lügen das Mandat zur Kriegsführung erhält –und George W. Bush erwies sich als ihr gelehriger Schüler. Eine nationale Debatte über die schleichende Entmachtung der Legislative ist überfällig.

Die Vergeudung von amerikanischem Ansehen, Blut und Geld im Irak ist das jüngste Beispiel dafür, was passieren kann, wenn ein Präsident den Weg in einen Krieg in einen Nebel von Täuschungen hüllt und glaubt, den Krieg an der Heimatfront gewinnen zu können, indem er amtliche Lügen verbreitet – in dem Glauben, dies sei nötig für das Wohl des Volkes.

Amerikaner und unsere verbliebenen Freunde und Verbündeten sollten sich nicht damit trösten, dass die von der Bush-Regierung betriebene Aufhebung des demokratischen nationalen Diskurses und der Debatte über Entscheidungen von Krieg und Frieden – Entscheidungen, die von den Repräsentanten des Volkes (Senat, Repräsentantenhaus und Präsident) auf Basis fundierter Informationen getroffen werden müssen – eine nur temporäre Abweichung von der Verfassung darstellt. Die Verfassungsväter hatten die klare Absicht, die Macht, das Militär aufzustellen und zu lenken, Krieg zu erklären und auch über kleinere Konflikte zu entscheiden, beim Kongress anzusiedeln.

Die Wege in den Krieg, die frühere Präsidenten gingen – in jüngerer Zeit vor allem Franklin D. Roosevelt und Lyndon B. Johnson – zeigen, wie eine solide Grundlage an Scheingründen und amtlichen Lügen aufgebaut wurde, die es George W. Bush dann später möglich machte, zu Zwecken der nationalen Sicherheit zu lügen, die Menschen in die Irre zu führen und sich in atemberaubender Weise der Kriegszuständigkeiten zu bemächtigen. Der Blick auf die Art und Weise, wie Roosevelt und Johnson sich den Weg in ihre Kriege bereiteten, lässt auch verständlich werden, wie das wachsende Repertoire an Vorwänden, Präzedenzfällen und amtlichen Lügen zur heiteren Gelassenheit der Bush-Regierung beigetragen hat: Sie fürchteten ganz offensichtlich nicht, der Kongress könne das Ausmaß der Täuschungen entdecken, das die präventive Invasion des Iraks und die Behauptung, es handle sich um einen Krieg von dringender Notwendigkeit, umgab. Das Aufgebot an Scheingründen, Lügen und allzu passenden Präzedenzfällen, das von Roosevelt und Johnson entwickelt worden war, diente dafür als attraktives Modell.

Franklin D. Roosevelts riskanter Weg in den Krieg

Eine erbitterte Schlacht im Kongress zu Beginn des Jahres 1941 führte zur Lend-Lease Bill, die den Präsidenten mit der umfassenden Macht ausstattete, „jegliches verteidigungsrelevante Material zur Verteidigung eines jeden Landes, dessen Verteidigung der Präsident zur Verteidigung der Vereinigten Staaten für lebensnotwendig hält, zu beschaffen und beizubringen sowie jegliches solches Material an die entsprechende Regierung weiter zu geben“.

Die Reaktionen der Kongressmitglieder auf diesen großen Sieg Roosevelts bei seiner extrem schwierigen Aufgabe, die USA in den Krieg zu führen, waren unterschiedlich. Auf der einen Seite stand die Aussage des „Hohepriesters der Isolation“, des Senators Hiram Johnson, aus dem es herausbrach: „Wir haben die Freiheit ermordet unter dem Vorwand, einer Partei in einem Krieg zu helfen!“ Auf der anderen Seite findet sich die Bemerkung des skeptischen Senators Arthur Vanderberg – später ein Verfechter von Bündnissen und der Internationalisierung von Sicherheit –, der während der Debatte sagte: „Von nun an sind wir den Ereignissen, so wie sie sich entwickeln werden, ausgeliefert. … Weitreichende Entscheidungsbefugnisse liegen nun beim Weißen Haus. Der Kongress selbst wird nicht mehr viel zu diesen Entscheidungen zu sagen haben. … Wir befinden uns jetzt in der prekären Lage, zu versuchen, auf halbem Wege die Niagarafälle hinab anzuhalten.“

Roosevelt wusste, dass eine Beteiligung am Krieg gegen die „erste Achse des Bösen“ schwer zu verkaufen sein würde. Die Hindernisse waren beträchtlich: Die Gesetze über die Verlängerung der zeitlichen Begrenzung für die Einberufung zum Militär wurden mit nur einer Stimme Mehrheit verabschiedet; die Beschränkungen des Neutrality Act stießen auf überwältigende Zustimmung in der Öffentlichkeit und im Kongress; Meinungsumfragen zeigten Widerstand gegen alles, was nach Intervention roch. All dies widerstrebte Roosevelts persönlicher Entschlossenheit, den Weg in den Krieg zu Ende zu gehen. Die rhetorischen Bekundungen, „Krieg zu hassen“ und Amerika aus dem Konflikt heraushalten zu wollen, waren dabei nicht mehr als ein Deckmäntelchen; in Wahrheit war Roosevelt fest entschlossen, jede Gelegenheit, jedes Argument und jeden Vorwand zu nutzen, um den Krieg mit Deutschland in der öffentlichen Meinung als unvermeidlich erscheinen zu lassen und so die Bereitschaft der Amerikaner zu erhöhen, sich zu bewaffnen und auf den Krieg vorzubereiten.

Während der verzweifelten Tage, die auf Großbritanniens „finest hour“ folgten, setzte Roosevelt geheime Operationen in Gang, die Großbritannien helfen und dem amerikanischen Volk zeigen sollten, dass Nazi-Deutschland eine Bedrohung für Amerika darstellte. Diese Operationen wurden vor dem Kongress und dem Volk geheim gehalten; erst in den letzten Jahren gelangte das Wissen über Roosevelts Handeln an die Öffentlichkeit. Mit diesen Maßnahmen, von denen hier nur einige aufgeführt werden sollen, wurden neue, bis dahin unbekannte Wege im Kampf um das Recht auf die Kriegserklärung beschritten, den Kongress und Exekutive so lange geführt hatten. Die geheimen Operationen des Präsidenten lieferten ferner zukünftigen Präsidenten eine Art exemplarischer Sammlung „qualitativ hochwertiger“ amtlicher Lügen und setzten neue Standards in Bezug auf Kriegserklärungen, die zu Leitfäden für Johnson, Nixon und Bush wurden.

Man sehe sich einmal an, wozu Roosevelt vor den Angriffen auf Pearl Harbor 1941 bereit war, um ein argloses Amerika in den Krieg zu treiben. Er nahm den angeblichen Angriff eines deutschen U-Boots auf den US-Zerstörer Greer am 4. September 1941 zum Anlass, auf die Aufhebung oder zumindest die Aushöhlung des Neutrality Act zu drängen, der die Bewaffnung amerikanischer Handelsschiffe verbot und sie verpflichtete, sich aus Kampfgebieten fernzuhalten. Auf seinem wirkungsvollsten Kommunikationskanal, dem „Fireside Chat“, legte Roosevelt seinen Standpunkt dar. Er erklärte, die Greer habe sich auf einer routinemäßigen Patrouille befunden, sie habe „amerikanische Post nach Island befördert“ und sei bei Tageslicht auf Island zugesteuert: „Sie fuhr unter amerikanischer Flagge. Ihre Herkunft … war unverkennbar. … Ich sage Ihnen, die unverblümte Tatsache ist, dass das deutsche U-Boot … ohne Vorwarnung und mit der Absicht, sie zu versenken, feuerte.“ Weiterhin verkündete der Präsident eine „Shoot-on-Sight“-Politik, die besagte: „Wenn Sie eine Klapperschlange sehen, die bereit ist zuzubeißen, dann warten Sie nicht, bis sie zugebissen hat, ehe Sie sie zertreten.“ Damit befanden wir uns in einem Seekrieg mit Deutschland, eingehegt nur noch durch die – erodierenden – Beschränkungen des Neutrality Act und durch Hitlers Bemühen, sich nicht provozieren zu lassen. Die Fakten über den Greer-Zwischenfall wurden erst Jahre später aufgedeckt. In Wahrheit war der amerikanische Zerstörer Teil einer mit britischen Flugzeugen abgestimmten „Hunter-Killer-Operation“. Die Greer lieferte Ortungsinformationen über deutsche U-Boote und warf Wasserbomben ab. Während dieses Angriffs wendete ein U-Boot und feuerte einen Torpedo auf den Zerstörer.

Roosevelt schickte auch heimlich ein Marinekontingent in einen britischen Hafen, um dort Hilfestellung bei der Bewachung zu leisten und gemäß dem Lend-Lease Act bereitgestellte Ausrüstung abzuladen. Als es nach Gerüchten über diese Entsendung zu Anfragen kam, belog ein Kabinettsmitglied der Regierung Roosevelt den Ausschuss für Auswärtige Beziehungen. Roosevelt persönlich stimmte im Geheimen einem Invasionsplan für die Azoren zu, der verhindern sollte, dass die Deutschen die Insel eroberten. Nachdem dieses Vorgehen als militärisch nicht mehr erforderlich angesehen wurde, schickte Roosevelt die Truppen, die gerade dabei waren, für die Azoren-Operation an Bord zu gehen, nach Island. Die „Einladung“ zur Besatzung wurde der isländischen Regierung mit Hilfe von Drohungen abgerungen. Erneut ohne Wissen des Kongresses und der Bevölkerung stimmte Roosevelt kurz nach dem Greer-Zwischenfall der Verwendung amerikanischer Kriegsschiffe zum Transport von „Lend-Lease-Material“ zu.

Im Oktober wurde die U.S.S. Kearney, einer von fünf amerikanischen Zerstörern, die einen Transport schützen sollten, von einem Torpedo getroffen; elf Crewmitglieder starben. Als die Nachricht davon einige Tage später Wa-shington erreichte, nahm das Repräsentantenhaus das Verbot der Bewaffnung von Handelsschiffen mit großer Mehrheit zurück. Der Senat jedoch verabschiedete die Maßnahme nur knapp, und die endgültige Abstimmung fand im Repräsentantenhaus nur eine Mehrheit von 212 zu 194 Stimmen – obwohl während der Verhandlungen der Zerstörer Ruben James mit Torpedos beschossen wurde, wobei 115 Crewmitglieder starben.

Trotz aller heimlichen Operationen und öffentlichen Reden blieb bis zum Dezember 1941 die amerikanische Öffentlichkeit in der Frage einer Kriegserklärung gespalten. Der Kongress war unentschlossen, der Präsident frustriert. Letzten Endes waren es Japans Angriff auf Pearl Harbor und Deutschlands nicht nachvollziehbare Entscheidung, den USA den Krieg zu erklären, die Amerika schließlich in den Krieg trieben.

Lyndon B. Johnsons zögerlicher Weg in den Krieg

Präsident Lyndon B. Johnsons Weg in den Vietnam-Krieg ebnete der so genannte „Golf von Tonkin“-Zwischenfall am 4. August 1964. Als Johnson dem Kongress vortrug, was dort angeblich geschehen war, verlieh der ihm ohne Zögern die Vollmacht, „alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um jeglichen bewaffneten Angriff auf Streitkräfte der Vereinigten Staaten zurückzuschlagen und weitere Aggression zu verhindern“. Aus diesen Worten ergab sich ein Krieg, in dem drei Millionen Vietnamesen und 58 000 Amerikaner starben – ein Krieg, von dem Johnson nie erwartete, ihn gewinnen zu können. Präsident Nixon nutzte die unbeschränkten Freiheiten, die ihm der Tonkin-Zwischenfall verschaffte, um weitere Kriegshandlungen in Südost-asien zu rechtfertigen, insbesondere die Invasion des souveränen Staates Kambodscha. Damit war ein zweiter Präzedenzfall für die Aneignung des Rechts zur Kriegserklärung durch den Präsidenten geschaffen. Vier Jahrzehnte später griff Präsident George W. Bush darauf zurück und nahm einen weiteren vertrauensseligen Kongress mit in einen neuen Krieg.

Was war im Golf von Tonkin geschehen? Am 10. Juni 1964, als sich abzeichnete, dass der Vietnam-Krieg zu scheitern drohte, diskutierte der Nationale Sicherheitsrat, ob der Kongress um eine Entscheidung gebeten werden sollte. Außenminister Dean Rusk fand jedoch Zustimmung für seine Warnung: „Wir sollten nur dann einen Beschluss anstreben, wenn die Umstände Handeln erfordern und somit auch den Kongress zum Handeln zwingen.“ Die erforderlichen „Umstände“ kamen rasch auf Capitol Hill an – in Gestalt einer Litanei von offiziellen Lügen, die sogar Roosevelt hätten erröten lassen. Am 4. August 1964, während des Johnson-Goldwater-Präsidentschaftswahlkampfs, kündigte der Präsident in einer dramatischen Rede an die Amerikaner an, dass – als Antwort auf Angriffe gegen Schiffe der US-Marine, die in internationalen Gewässern operierten – ein großer, von einem Flugzeugträger ausgehender Luftangriff auf Nordvietnam im Gang sei (dass die Flugzeuge noch gar nicht abgehoben hatten, spielte dabei  offenbar keine Rolle).

Was tatsächlich passiert war, war aber nicht das, was dem Kongress erzählt wurde. Die Maddox war nicht „auf einer Routine-Patrouille“, als sie am 1. August angegriffen wurde. Der Zerstörer befand sich in den Gewässern Vietnams und nahm an einer elektronischen Aufklärungsmission teil, im Zusammenhang mit dem Angriff eines südvietnamesischen Kommandos auf den Norden. Die südvietnamesischen Initiatoren des Angriffs wurden von Amerikanern trainiert und angeführt. Die Nordvietnamesen hatten also jeden Grund, Torpedoboote auszusenden, um die Maddox anzugreifen. Die Antwort der USA bestand darin, eine Warnung an die Nordvietnamesen zu schicken, diese Angriffe einzustellen und die Maddox anzuweisen, ihre Patrouille fortzusetzen, begleitet vom US-Zerstörer Turner Joy.

Glaubwürdige Beweise für eine zweite Attacke am 4. August sind nie aufgetaucht. Es sollte bis zum Oktober 2005 dauern, bis die Welt verstand, dass die „harten, glaubwürdigen Beweise“, die dem Kongress 1964 als Rechtfertigung für die Tonkin-Kriegserklärung vorgelegt wurden, in Wahrheit ein schales Potpourri aus gefälschten Dokumenten, unkorrigierten Übersetzungsfehlern, absichtsvoll zusammengestellten „ausgewählten“ Geheimdienstinformationen und bearbeitetem Abhörmaterial waren. Diese Enthüllung war die Arbeit eines Historikers der National Security Agency (NSA), Robert J. Hanyok, die er in einer internen Zeitschrift 2003 publizierte. Offizielle der NSA (und womöglich auch des Weißen Hauses) versuchten die Veröffentlichung dieser 40 Jahre alten Informationen – die jetzt komplett einsehbar sind  unter www.nsa.gov/vietnam/index.cfm – zu verhindern, weil sie einen „unbequemen Vergleich mit den fehlerhaften Ergebnissen, die zur Rechtfertigung des Irak-Kriegs benutzt wurden“, fürchteten. Mit gutem Grund!

Die pathetischste Reaktion auf die Veröffentlichung stammt von Robert S. McNamara, der in seinen Aussagen vor dem Senatskomittee für Auswärtige Angelegenheiten, 1964 und erneut 1968, die alttestamentarischen Götter noch übertraf mit seiner stählernen Gewissheit über die Tragfähigkeit der Tonkin-Geheimdienstinformationen und seiner Verachtung gegenüber Skeptikern. McNamara, der sich inzwischen in einen weinerlichen Büßer verwandelt hat, der um Entschuldigung bittend durch die Welt wandert und eine Litanei von „gelernten Lektionen“ aus Vietnam vorzutragen pflegt, reagierte vorhersehbar auf die Veröffentlichung. Niemand habe ihm je gesagt, dass das Material erfunden worden sei: „Das ist wirklich überraschend für mich. Ich denke, sie sollten das ganze Material öffentlich zugänglich machen.“

Als ehemaliger Geheimdienstoffizier der Flotte, der 1967/68 für den Vorsitzenden Fulbright die Untersuchung darüber vorbereitete, was im Golf von Tonkin wirklich geschah, kann ich versichern, auf einen brutalen, selbstgewissen McNamara gestoßen zu sein, als ich damit befasst war, die Beweise für Manipulation und Verfälschung zusammenzustellen. Im Wissen darüber, was ich dem Komitee vorgelegt hatte, eine Woche bevor McNamara seine Aussage vor dem Komitee machte, zeigte er den Senatoren niemals Kopien des Abhörmaterials, die er als „in Gold gefasste Beweise“ für eine zweite Attacke bezeichnete. Dann schickte er mich aus dem Zimmer – die einzige Person, die das Abhörmaterial einschätzen konnte. Bei diesem Hearing lehnte er alle Forderungen nach Deklassifizierung der Dokumente ab. Um seine Verachtung für das Komitee noch zu unterstreichen, übermittelte er der Presse eine Erklärung, derzufolge das Komitee Präsident Johnson einer „Verschwörung“ bezichtigt habe, um das Land in den Krieg zu führen. Man könnte sich kein besseres Vorbild für die Bush-Regierung vorstellen – dafür, wie imperial auftretende Kabinettsmitglieder den Kongress in der Frage der Zuständigkeiten bezüglich des Krieges blockieren und einschüchtern können.

George W. Bushs Triumphzug in den Krieg

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Präzedenzfälle und Vorwände, die von den Präsidenten Roosevelt und Johnson auf ihren Wegen in den Krieg entwickelt wurden, Präsident Bush mit einem entscheidenden Erbe an Kriegsvokabular ausstatteten, ebenso wie mit dem Bewusstsein über die Wirkmächtigkeit von amtlichen Lügen. Die Irak-Resolution war ein theatralisches Meisterwerk aus amtlichen Lügen, Vortäuschungen und absichtlicher Manipula-tion von wichtigen Geheimdienstinformationen. Die wortreiche Resolution wies erhebliche Schwächen auf: Zum Beispiel die nicht weiter ausgeführte Behauptung, dass internationale Anstrengungen, einschließlich derjeniger „irakischer Abtrünniger“, zu der Entdeckung geführt hätten, dass der Irak über einen großen Bestand an chemischen Waffen und über ein robustes Biowaffenprogramm verfüge; oder dass von Al-Qaida-Mitgliedern „bekannt“ sei, „dass sie sich im Irak aufhalten“. Wenn man die Anklageschrift gegen das Regime Saddam Husseins liest – dessen bestialische Terrorherrschaft, die zur zentralen Rechtfertigung für die Intervention werden sollte, wird in der Resolution gar nicht erwähnt –, dann fällt es schwer, nicht zu dem Urteil zu kommen, dass es sich bei der Irak-Resolution um jenen klassischen Fall handelt, den Shakespeares Diktum festgehalten hat: „Mich dünkt, die Dame protestiert zu viel.“

Diese rhetorischen Exzesse sind nicht das eigentlich Bedenkliche an Bushs Zugriff auf die Macht seit dem 11. September 2001. Viel bedenklicher ist der ständige Druck, den Präsidenten mit der souveränen Macht auszustatten, Kriege ohne die Autorisierung durch den Kongress zu beginnen und die Macht des Kongresses, Kriege zu erklären, als „bedeutungslose Formalitäten“ anzusehen. Gestützt wird dies durch die Rhetorik und die juristischen Argumente der so genannten „Souveränisten“ und der Mitstreiter des Berkeley-Professors John Yoo – bis vor kurzem ein unbekannter Beamter des Justizministeriums, nach dessen Ansicht der Präsident die Erlaubnis des Kongresses zur Irak-Invasion nicht brauchte.

Bis zum Korea-Krieg erkannten amerikanische Präsidenten an, dass die Autorisierung zum Krieg durch den Kongress unabdingbar war bzw. dass der Präsident die Verantwortung hatte, den Kongress davon zu überzeugen, dass eine bestimmte militärische Operation erforderlich sei. Mit Hilfe der Vorwände der Vorbilder Roosevelt und Johnson hat sich George W. Bush nun die Macht angemaßt, in seiner Funktion als Oberbefehlshaber in den Krieg zu ziehen, wann immer er es für geboten hält. Die von der Verfassung vorgesehene Zuständigkeit des Kongresses in Fragen von Krieg und Frieden bewegt sich bedrohlich schnell in Richtung Irrelevanz.

Kurios und vielleicht bezeichnend ist, wie lang, komplex, wortreich und defensiv in der Ausdrucksweise die Irak-Resolution ist, verglichen mit dem knappen Text der Kriegserklärungen an Deutschland und Japan, der Tonkin-Resolution und sogar der Formosa-Resolution. (Letztere war Präsident Eisenhowers Beitrag in Sachen Umgehung des Kongresses bei Kriegserklärungen.) Bushs Resolution enthält 22 Paragraphen, die mit „In Anbetracht der Tatsache, dass …“ beginnen, und sie umfasst volle fünf Seiten. Die Kriegserklärung an Deutschland und Japan konnte man noch auf eine Seite drucken. Die Tonkin-Resolution – die dem Modell der Formosa-Resolution folgte – war etwa eineinhalb Seiten lang.

Lehren aus den Wegen in den Krieg

Es lassen sich einige Lehren aus diesen Fällen ziehen, in denen die Exekutive die Unterstützung oder zumindest die Billigung der Öffentlichkeit für einen Krieg suchte, indem sie mit Hilfe amtlicher Lügen Täuschungskampagnen im großen Stil inszenierte. Die erste Lehre besagt: Wann immer es um die Rechtfertigung eines zwangsläufig erscheinenden Marsches in den Krieg geht, muss man vorsichtig umgehen mit dem Repertoire an öffentlich verkündeten Fakten, um nicht jenes Gewebe des Vertrauens zu zerreißen, das die Grundlage für überparteiliche Politik und internationale Unterstützung bildet. Ist dieses Vertrauen erst einmal zerstört – wie durch die auf Täuschungen beruhende Erklärung des Tonkin-Zwischenfalls der Regierung Johnson oder durch ähnliche Manöver der Bush-Regierung bei der Darstellung der „dringenden Notwendigkeit“, Saddam Husseins Regime von der Macht zu entfernen –, ist es nur äußerst schwer wieder aufzubauen.

Täuschungen, die von einem Präsidenten ausgingen, schaffen ihrerseits wieder Zwangslagen für diejenigen, die täuschen. Im Falle Vietnams bestand diese Zwangslage – die Senator Fulbright einige Tage, bevor Präsident Johnson sich entschloss, nicht mehr zur Wiederwahl anzutreten, als einen „auf falschen Darstellungen beruhenden Vertrag“ kennzeichnete –, darin, die USA zu der gewaltigen Aufgabe zu zwingen, einen unverwüstlich erscheinenden Feind zu besiegen.

Die zweite Lektion besteht darin, dass unbearbeitetes geheimdienstliches Material dem Zugriff nationaler Sicherheitsberater und Politiker entzogen bleiben sollte, auch in Krisenzeiten. Mit neuen Geheimdienstinformationen sofort zum Präsidenten, zur Presse und zu Kongressmitgliedern zu laufen, noch bevor diese Informationen von Profis analysiert und bestätigt wurden – deren Beruf es ist, politische Entscheidungsträger mit denjenigen geheimdienstlichen Erkenntnissen zu versorgen, die sie brauchen, und nicht mit denen, die sie haben wollen –, ist ein Rezept für Verwirrung, interne Streitigkeiten und falsche Interpretationen, sowohl in Bezug auf Quellen als auch auf Methoden. In vielen Fällen führt dies auch zur unwiderstehlichen Versuchung zu lügen.

Während der Bemühungen der Johnson-Regierung, die Wahrheit über die tatsächlichen Vorgänge im Golf von Tonkin geheim zu halten – mit zunehmender Entschlossenheit und Erbitterung über einen Zeitraum von vier Jahren betrieben –, wurde dem Fulbright-Ausschuss 1968 geheimdienstliches Rohmaterial vorgelegt. Dies geschah durch Verteidigungsminister Robert McNamara, der behauptete, er besitze Aufzeichnungen über den Marineverkehr der Vietnamesen, die bewiesen, dass die Vietnamesen die Maddox und die Turner Joy tatsächlich angegriffen hatten. Diese unbearbeiteten Daten erwiesen sich später als Berichte über den ersten, unstrittigen Angriff. Die Hinweise der Bush-Regierung auf zweifelhaftes geheimdienstliches Rohmaterial im UN-Sicherheitsrat, im Kongress und gegenüber der internationalen Öffentlichkeit waren dann noch ungeheuerlicher, als es McNamaras amtliche Lügen gewesen waren. Denn letzterer hatte einen laufenden Krieg decken wollen, während die Regierung Bush uns in einen neuen Krieg führte.

Die dritte Lektion läuft darauf hinaus, dass in Fällen von Lügen und Täuschungen zu Zwecken der nationalen Sicherheit staatliche Eliten am Ende sowohl in politischer als auch in historischer Hinsicht meist von der Kritik zerrissen werden, es sei denn, sie haben sich den „richtigen“ Feind ausgesucht. Lyndon B. Johnson, der in Ho Chi Minh den „falschen“ Feind hatte – nämlich eine angesehene nationale Führungsfigur, die mit chinesischer und sowjetischer Unterstützung für ein Vietnam frei von Beherrschung durch äußere Mächte kämpfte –, wurde 1968 aus dem Amt gejagt. Ein Hauptgrund für diesen abrupten Abgang – und für den Verzicht, trotz einer außergewöhnlich guten innenpolitischen Bilanz zur Wiederwahl anzutreten – war seine Rolle bei den Lügen und Täuschungen, die die USA in einen bewaffneten Konflikt in Vietnam hineingezogen hatten. Im Gegensatz dazu hatte Franklin D. Roosevelt, als er in der Zeit vor Pearl Harbor das amerikanische Volk wiederholt aus Gründen nationaler Sicherheit täuschte, in Hitler den „richtigen“ Feind. Wie es im Fall des Iraks ausgeht, und ob der Kongress schließlich einen Fulbright finden wird, der die verfassungsrechtlichen Kontrollbefugnisse und Verantwortlichkeiten des Kongresses in Bezug auf das heilige und ernste Dokument einer Kriegserklärung mit Nachdruck bekräftigt, wird letztlich darüber entscheiden, ob Saddam Hussein der „richtige“ oder der „falsche“ Feind war. Der Historiker in mir vermutet, dass George W. Bush nur geringe Chancen haben wird, einem vernichtenden Urteil der Geschichte zu entgehen.

Wie der Kongress sein Recht auf Kriegserklärung aufgab

Wenn man die Macht untersucht, die amtliche Lügen Präsidenten verleihen, dann muss man die ängstliche Reaktion des Kongresses auf die Usurpation der Kriegsbefugnis durch das Weiße Hauses rückhaltlos beleuchten. Schon zur Zeit des Korea-Krieges haben Senat und Repräsentantenhaus den langen Marsch begonnen, der mit der Abdankung jedes echten Sinnes für institutionelle Verantwortlichkeit und politische Rechenschaftspflicht bei vom Weißen Haus geplanten Kriegsentscheidungen endete. Ebenso ungeheuerlich war das Versagen, der deutlichen Aufforderung der Verfassungsväter Folge zu leisten, in eine institutionelle und nationale Debatte einzutreten, sobald Amerikaner von ihrem Präsidenten in einen Konflikt getrieben würden.

Bilanzierend ist nochmals hervorzuheben, was die Verfassung in ganz klaren Worten zum Thema Kriegserklärung sagt: „Der Kongress soll die Macht haben, Krieg zu erklären.“ Das tatsächliche Verhalten des Kongresses auf dem Weg in den Krieg in neuerer Zeit zeugt von einer tiefen Erosion dieser Macht. Richter Robert Jackson hat dies bereits vor über einem halben Jahrhundert vorhergesehen, als er über die Befugnisse in der Außenpolitik schrieb: „Es gibt eine Grauzone, in der der Präsident und der Kongress gemeinsame Zuständigkeit besitzen mögen, oder in der die Verteilung der Zuständigkeiten unklar ist. Untätigkeit, Gleichgültigkeit oder Schweigen des Kongresses könnten eine unabhängige Verantwortlichkeit des Präsidenten  manchmal – zumindest in der Praxis – möglich machen, wenn nicht gar zu einer solchen einladen.“ Der vom Kongress eingeschlagene Weg in den Krieg in den Fällen Zweiter Weltkrieg, Vietnam und Irak war vorgezeichnet.

Vielleicht die wichtigste Lehre, die der Kongress aus dieser Geschichte dreier Wege in den Krieg ziehen sollte, besteht darin, dass eine Kriegserklärung zu Amerikas ehrwürdigsten und heiligsten Dokumenten zu zählen ist. Es ist unverzeihlich, wenn in einem Dokument, das Bürger losschickt, für eine als gerecht erklärte Sache zu kämpfen und zu sterben, „die Wahrheit gedehnt“ wird oder wenn wesentliche Fehler bei Tatsachenbehauptungen mit dem Hinweis gerechtfertigt werden, dass „jeder andere Geheimdienst die gleichen Fehler auch gemacht“ habe. Dem Komitee für Auswärtige Angelegenheiten wird eine verfassungsrechtliche und moralische Verantwortung dafür zukommen, den Text der Irak-Resolution neu zu bewerten – im Lichte der Erkenntnisse, die eines Tages vollständige Aufklärung darüber bringen werden, was hinter jenen „In Anbetracht der Tatsache, dass …“-Klauseln stand, die Amerika dazu bewegten, den Krieg zu erklären. Senator Ful-brights Worte zur Eröffnung der Anhörung im Jahr 1968, die ergab, dass die Tonkin-Zwischenfälle in der Darstellung der Regierung Johnson eine einzige große amtliche Lüge waren, klingen von heute aus betrachtet prophetisch: „Wenn diese Nation nicht in der Lage ist, aus ihrem Verhalten in der Vergangenheit zu lernen und anzuerkennen, wo sie falsch lag oder sich der gestellten Aufgabe nicht gewachsen zeigte, dann werden die Vereinigten Staaten zum Knecht ihrer Vergangenheit werden – und werden an den Folgen dieser Knechtschaft leiden.“

Unmittelbar nach der Anhörung ergriff Fulbright im Senat das Wort, um die Tonkin-Resolution für null und nichtig zu erklären und sie als einen „auf falschen Darstellungen basierenden Vertrag“ zu bezeichnen. Erst am 2. Januar 1971 hob der Kongress die Resolution auf, ohne dass jemand groß Notiz davon nahm. Es bleibt nur zu hoffen, dass der Kongress die Irak-Resolution ebenfalls aufheben wird, und dass das dieses Mal angemessen zur Kenntnis genommen, verstanden und gewürdigt wird.

Von weitaus größerer Konsequenz als der politische Symbolismus des institutionellen Händewaschens in Unschuld, als welcher die Aufhebung der Irak-Resolution von vielen gesehen werden wird, wird die Aufgabe für den Kongress sein, zum ersten Mal seit den fünfziger Jahren ernsthaft aufzubegehren. Er muss die Intention der Verfassungsväter wieder wirksam werden lassen, dass nämlich der Prozess der Kriegserklärung dem Kongress vorbehalten ist. Diese Wiederherstellung darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden und der hohlen legislativen Scharade zum Opfer fallen, die die Gesetzgebung der Kriegsmächte produziert hat. Nötig ist – wie Leslie Gelb und Anne-Marie Slaughter im Atlantic Monthly vom November 2005 zu Recht gefordert haben –, dass wir einen neuen, rechtlich begründeten Prozess der Kriegserklärung entwickeln, der „eine wohlüberlegte öffentliche Debatte über die Kriegsgründe, die Kosten, die Risiken, den wahrscheinlichen Gewinn und die dazu erforderlichen Strategien“ erzwingt. Womöglich ist das nur der Beginn einer längst überfälligen nationalen Debatte, ein machtvoller Aufruf zum Handeln. Wir sollten damit anfangen, zum Wohle der Welt.

Dr. WILLIAM B. BADER, geb. 1931, akademischer Schüler von Gordon A. Craig, war Chief of Staff des Foreign Relations Comittee des amerikanischen Senats und stellvertretender US-Außenminister. Zurzeit arbeitet er am Genfer Hochschulinstitut für Internationale Studien. Demnächst erscheint von ihm die Studie „The Road to War: Roosevelt, Johnson, Bush. The Power of Pretext and Precedent“.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar 2006, S. 44 - 52.

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