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01. Febr. 2003

Wege aus der Krise

Die Asien-Krise begründete neue Kooperationsmechanismen in Ostasien

Die Asien-Krise zwischen 1997 und 1999 war Anlass, die zwischenstaatliche Zusammenarbeit in Ostasien durch neue Initiativen regionaler Kooperation auf eine breitere und solidere Basis zu stellen. Dirk Nabers stellt drei Neuerscheinungen vor, die sich mit den Auswirkungen der Asien- Krise und mit der Entwicklung der Beziehungen zwischen China und Japan befassen.

Die Asien-Krise zwischen 1997 und 1999 markiert eine wichtige Zäsur in den Bestrebungen, die zwischenstaatliche Zusammenarbeit in Ostasien durch neue Initiativen regionaler Kooperation auf eine breitere und solidere Basis zu stellen. In dieser Krise wurden Organisationen wie der Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) und die Asiatisch-Pazifische Wirtschaftskooperation (APEC) erstmals vor ernsthafte Herausforderungen gestellt. Schwere und anhaltende Rückgänge der Wirtschaftsaktivität und die damit einhergehenden Probleme (wie die massive Zunahme der Arbeitslosigkeit und Verarmung weiter Teile der jungen Mittelschichten) setzten diese bereits seit längerem bestehenden und weitgehend institutionalisierten Foren unter Handlungsdruck.

Es wurde schnell deutlich, dass beide Organisationen die an sie gerichteten Erwartungen nicht erfüllen konnten. Maßnahmen der Krisenreaktion wurden entweder im globalen multilateralen Rahmen oder unilateral ergriffen. Bereits unter dem Eindruck der Krise tat sich insbesondere Japan mit weit reichenden Initiativen zur Bewältigung der Krise in den ASEAN-Staaten und in Südkorea hervor, aus denen sich neue Impulse für die regionale Integration ergaben. Besonders interessant ist dabei, dass an den seit 1997 laufenden Kooperationsmechanismen auch die Volksrepublik China stärker beteiligt ist.

Angesichts der politischen und wirtschaftlichen Risiken, die in diesem Prozess stecken, widmen sich seither mehr und mehr Publizisten den aktuellen Beziehungen zwischen Japan und China, indem sie die Chancen nachhaltiger bilateraler Kooperation eruieren und die Perspektiven für den Regionalismus in Ostasien allgemein aufzeichnen.

Das Mammutwerk der in Hongkong lebenden Journalistin Edith Terry stellt hierbei Japan in den Mittelpunkt des Interesses. Unter der breit angelegten Fragestellung „How Asia Got Rich“ behandelt die Autorin die Geschichte der Beziehungen Japans zu seinen wichtigsten Handelspartnern in Ostasien, unter denen China langsam aber sicher an die prominenteste Stelle tritt. Ausgehend von einer detaillierten Darstellung des „Fluggänsemodells“, in dem die auf einer komplementären Faktorausstattung beruhende Interdependenzbeziehung zwischen Japan und der Region beschrieben wird, und das der japanischen Industrialisierungsstrategie in Ostasien damit seinen theoretischen Unterbau verleiht, untersucht Terry in 14 Kapiteln Aufstieg und Untergang der japanischen Wirtschaft, das exportinduzierte Wachstum der sechziger und siebziger Jahre, die Aufwertung des japanischen Yens in den achtziger Jahren, die wachsenden Immobilienpreise, das Platzen der Seifenblase zu Beginn der neunziger Jahre und die  gerade vorübergegangene, für die japanische Binnenwirtschaft verlorene Dekade.

Die seit Jahrzehnten in vielen Ländern Ostasiens lebende Autorin versteht es geschickt, ihre höchst kritischen Analysen an passenden Stellen mit ihrer Autobiographie zu verbinden. Letztlich legt sie gerade in jenen Bereichen den Finger in die Wunde, wo es Japan am meisten schmerzt: die faulen Kredite im Bankensektor, die maroden Staatsfinanzen, die wachsende Aushöhlung des Industriestandorts Japan und das nach wie vor schwach ausgeprägte Krisenbewusstsein innerhalb der liberal-konservativen Regierungskoalition.

Im Mittelpunkt steht eine kontroverse These, die sie im Laufe ihres Buches zu belegen versucht: Nach einer Epoche des militärischen Kolonialismus in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts sei das japanische Unternehmen, Ostasien mit wirtschaftlichen Mitteln zu kolonialisieren, nun endgültig gescheitert. China werde, so Terry im Einklang mit den meisten neueren Studien zu dieser Thematik, Japan mittelfristig den Rang als größte Wirtschaftsmacht der Region streitig machen.

Sicher eignet sich das Buch auf Grund seines mitunter metaphorischen Stiles weniger für universitäre Seminare. Als Einführung in die aktuellen wirtschaftlichen Probleme der größten Volkswirtschaft in Ostasien, als brillant verfasster Hinweis auf die atmosphärischen Störungen zwischen Japan und der aufstrebenden Volksrepublik China zum Beginn des neuen Jahrhunderts und als erste umfassende Bewertung der auf regionale Institutionalisierung und bilaterale Handelsliberalisierung setzenden neuen Außenwirtschaftsstrategie Japans ist es jedoch fast unverzichtbar.

Sucht man dagegen die präzise, allein auf der Auswertung aktuellen Zahlenmaterials beruhende wissenschaftliche Untersuchung, findet man diese in dem kürzlich publizierten, die unterschiedlichen Facetten der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Japan und China beleuchtenden Sammelband von Hanns Günther Hilpert und René Haak. Hier wird auf hohem theoretischen Niveau die wachsende Interdependenz zwischen Japan und China betrachtet. Allein der Untertitel des Bandes, „Cooperation, Competition and Conflict“, ist leicht irreführend, wird doch damit die politische Dimension des bilateralen Verhältnisses betont. Es fehlen in dem Buch ebenfalls eindeutige Hinweise auf staatliche Steuerungsmechanismen der zunehmend komplexen Austauschprozesse.

Das Augenmerk liegt stattdessen zu Recht auf der Handelsbeziehung und auf Japans Rolle für die chinesische Industrialisierung: Welche Auswirkungen haben japanische Direktinvestitionen auf die wirtschaftliche Entwicklung Chinas? Wie ist der Beitritt der Volksrepublik zur Welthandelsorganisation (WTO) perspektivisch zu bewerten? Wie wirkt sich dieser Schritt auf die Strategien japanischer Unternehmen in China aus? Welche Rolle spielt die Entwicklungszusammenarbeit in den bilateralen Beziehungen, und wie wirkt sich der globale Klimawandel auf die Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten aus? Dies sind die Fragen, die hier von erfahrenen Wirtschaftswissenschaftlern behandelt werden. Zwei stärker empirisch angelegte und auf längerfristigen Studien beruhende Beiträge zur Rolle japanischer Direktinvestitionen in den Sektoren Automobile, Elektronik und Textil sowie zur Rolle von Auslandschinesen für die japanisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen runden das Buch ab.

Was der ansonsten durch Detailkenntnisse beeindruckenden Arbeit fehlt, ist ein zusammenfassendes Kapitel. Hier hätte in der Tat die im Titel aufgeworfene Frage beantwortet werden können, ob sich die Zukunft der Beziehung zwischen den beiden ostasiatischen Großmächten eher kooperativ oder konfrontativ entwickeln wird. Dabei wäre ebenfalls ein Blick auf die politischen, zum Teil aus historisch bedingten Ressentiments gespeisten Diskrepanzen nötig gewesen, um zu verstehen, warum sich die Regierungen beider Staaten bei der Schaffung der Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Zusammenarbeit oft so schwer tun. Die Gefahr eines „Ausblutens“ des Industriestandorts Japan durch anhaltende Produktionsverlagerungen auf das chinesische Festland hätte dann in ihrer politischen Bedeutung thematisiert werden können.

Doch soll hier am Ende nicht ein anderer Schwerpunkt des Buches eingefordert werden. Der Band ist insgesamt gerade für jene Leser empfehlenswert, die sich Einblicke in die strukturellen Bedingungen der wirtschaftlichen Verflechtung zwischen Japan und China erhoffen. Durch den engen, wirtschaftstheoretisch inspirierten Fokus auf Handel, Investitionen und Unternehmensaktivitäten wird eine breite Lücke in der Forschung der Ostasien-Wissenschaften geschlossen.

Dies trifft in gleichem Maße für das Buch über die Asien-Krise des Amerikaners C. Randall Henning zu, der in beeindruckender Klarheit den Weg von der finanziellen Misere der südostasiatischen Volkswirtschaften über die ersten multilateralen Treffen aller ost- und südostasiatischen Staats- und Regierungschefs bis zur Gründung des neuen regionalen Forums ASEAN+3, bestehend aus den zehn Mitgliedern des ASEAN sowie Japan, China und Südkorea, nachzeichnet. Alsbald war der Kooperationsprozess durch eine stetige Institutionalisierung gekennzeichnet, die Ministerrunden verschiedener Fachressorts und so genannte Senior Official Meetings (SOM) umfasste. Diese Verdichtung der Gespräche führte bereits im Mai 2000 beim Finanzministertreffen im thailändischen Chiang Mai zu einer Rahmenübereinkunft mit dem Ziel, künftige Finanzkrisen in der Region im Keim zu ersticken.

Die Übereinkunft von Chiang Mai bildete den Rahmen für die gemeinsame Aufsicht über kurzfristige Kapitalströme sowie für Unterstützungsmechanismen und Initiativen zur Reform des internationalen Finanzsystems. Darüber hinaus beschlossen die ASEAN+3-Länder so genannte Swap-Abkommen. Im Detail vereinbarten die 13 Minister Finanzierungsarrangements zwischen den nationalen Zentralbanken, um in Krisenfällen spekulativen Angriffen auf ihre Währungen durch die schnelle Bereitstellung von Krediten durch zahlungskräftige Partnerländer zu begegnen. Als Resultat der Chiang-Mai-Initiative ist in Ostasien ein enges Netz bilateraler Unterstützungszusagen entstanden, die Henning zufolge später in einen Asiatischen Währungsfonds münden könnten.

Auf der Grundlage ökonomischer Sachkunde ist es das Anliegen des Autors, konkrete Politikberatung zu leisten. In dem Ausbau von ASEAN+3 unter der Führung Japans und Chinas müsse ein von den Weisungen der USA und der globalen Finanzinstitutionen unabhängiger Kriseninterventionsmechanismus geschaffen werden, an dessen Ende möglicherweise die Etablierung eines regionalen Währungsfonds stehen könne. Innerhalb dieser Entwicklung dürfe nicht vor bestimmten Tabus, wie der Akzeptanz des japanischen Yens als Leitwährung, zurückgeschreckt werden.

Edith Terry, How Asia Got Rich. Japan, China, and the Asian Miracle. Armonk/London: M.E. Sharpe 2002, 689 S., 28,95 $.

Hanns Günther Hilpert/René Haak, Japan and China. Cooperation, Competition and Conflict, Houndsmills u.a: Palgrave 2002, 217 S., 76,00 EUR.

C. Randall Henning, East Asian Financial Cooperation, Washington D.C.: Institute for International Economics 2002, 130 S., 20,15 EUR.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2003, S. 67 - 69

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