Was will der Souverän?
Er möchte gerne Gutes tun in der Welt. Aber am liebsten auf die sanfte Tour
Kein demokratischer Staat kann auf eine demokratische Legitimation seiner Außenpolitik verzichten. Was so einfach klingt, ist in der Praxis sehr viel komplexer. Anders als Gesundheits-, Renten- oder Sozialpolitik betrifft die Außenpolitik – vermeintlich – nichts Lebensnahes. Es ist eben nicht einfach zu vermitteln, warum unsere Sicherheit auch in Afghanistan verteidigt wird oder wieso uns der Streit um ein paar Inseln im Südchinesischen Meer interessieren sollte. In der Außenpolitik muss schnell auf Krisen reagiert, aber gleichzeitig in langen Linien gedacht werden.
Welche Krisenbewältigung oder welche Strategie am Ende erfolgreich ist, lässt sich oft erst sehr viel später mit einigermaßen verlässlicher Sicherheit sagen. Das erleichert die demokratische Legitimation nicht gerade, die ja üblicherweise per Wahlen in kürzeren Zeiträumen eingeholt wird. Natürlich ist nicht ausgemacht, ob die Politik solche Weitsicht aufbringt. Das gilt aber ganz gewiss auch für den Souverän: Hätte es Anfang der fünfziger Jahre eine Volksbefragung zur Westintegration gegeben und wäre 20 Jahre später ein Referendum zur Ostpolitk abgehalten worden: Diese beiden erfolgreichen Strategien der Bundesrepublik wären vermutlich abgelehnt worden.
Weil in außenpolitische Entscheidungen so komplexe Sachverhalte und im besten Fall ein gehöriges Maß an Expertise einfließen müssen, bleiben sie in gewisser Weise Elitenprojekt. Gleichzeitig aber muss die Außenpolitik wenigstens in ihren großen Linien und grundsätzlichen Entscheidungen von einer breiten Öffentlichkeit getragen werden. Die Legitimation durch den Souverän kann nicht in allen Einzelheiten für eine gewisse Außenpolitik eingeholt werden. Aber gerade weil Außen- und Verteidigungspolitik im Letzten immer auch eine Frage von Krieg und Frieden sein kann, darf sie auf Dauer nicht gegen ihn durchgesetzt werden.
Was der deutsche Souverän will – oder eben nicht will –, das hat die Körber-Stiftung im Rahmen der „Review 2014“ durch das Meinungsforschungsinstitut TNS Infratest ermitteln lassen. Und das fragt auch IP in Zusammenarbeit mit Forsa regelmäßig ab.
Wie groß ist überhaupt das Interesse an Außenpolitik, wollte Körber/TNS Infratest im April und Mai dieses Jahres und IP in der November/Dezember-Ausgabe des Jahres 2012 wissen. Dass dabei unterschiedliche Ergebnisse zu verzeichnen sind, mag an der natürlich nicht identischen Fragestellung liegen oder aber an der Tatsache, dass kein außenpolitisches Thema der jüngsten Zeit die Deutschen so umtrieben hat wie die Ukraine-Krise und unser Verhältnis zu Russland. 68 Prozent der Deutschen interessieren sich laut Körber-Stiftung stark oder sehr stark für Außenpolitik. In der IP/Forsa Umfrage interessieren sich nur knapp über die Hälfte für das Geschehen im Ausland. Nicht einmal so viel, nämlich nur 46 Prozent, möchte sich laut IP/Forsa auch mehr engagieren. Laut Körber/TNS Infratest sind dies gerade einmal 37 Prozent. 60 Prozent der Deutschen möchten sich weiterhin „eher“ zurückhalten. Und wenn schon Engagement gewünscht wird, dann eher auf den Sektoren „humanitäre Hilfe“, in der Diplomatie und bei Verhandlungen. Allerdings würden laut IP/Forsa auch 67 Prozent derer, die ein stärkeres Engagement wünschen, die Teilnahme an friedenssichernden Blauhelmeinsätzen begrüßen.
Ganz entsprechend wollen die meisten Deutschen einen Einsatz der Bundeswehr auch mit großer Mehrheit zur Landesverteidigung oder für humanitäre Zwecke sehen (jeweils 83 Prozent). Aber auch Einsätze zur Bekämpfung des Terrors finden eine Mehrheit (63 Prozent). Dass nur 60 Prozent der Deutschen meinen, dass die Bundeswehr auch zur Erfüllung von NATO-Verpflichtungen eingesetzt werden sollte, lässt wohl darauf schließen, dass das Vertrauen in die Allianz, die Deutschlands Sicherheit viele Jahrzehnte garantierte, doch auch ein Stück erodiert ist. Konstant bleibt die Ablehnung eines Einsatzes der Bundeswehr für wirtschaftliche Interessen – ganz als ob internationale, vor allem maritime Handelswege nicht gesichert werden müssten und als ob die Mission Atalanta vor der somalischen Küste nicht auch das täte.
Wie sieht es also aus mit den alten, aus dem Kalten Krieg stammenden Gewissheiten wie „Die NATO garantiert Europas Sicherheit, Europa wird sich immer weiter integrieren und die USA bleiben der wichtigste Partner Europas und Deutschlands“? Sie sind keine klaren Gewissheiten mehr. In einer Umfrage, die IP zur Zukunft der EU nach dem Beginn der Euro-Krise im Jahr 2009 und dann 2012 noch einmal durchführen ließ, wünschten sich zwar 2 Prozent mehr als noch 2009 (nämlich 20 Prozent) einen europäischen Bundesstaat. 15 Prozent, 5 Prozent mehr als 2009 wollten eine Auflösung der EU, und 33 Prozent eine Rückkehr zu einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft. Als klares Mandat des Souveräns für eine immer tiefere Integration wird man das nicht betrachten können.
Und die transatlantischen Beziehungen? Beruhigend ist: Die öffentliche Meinung scheint sich weniger an der NSA-Affäre zu stören als die veröffentlichte Meinung, das deutsche Kommentariat, dies nahe legt. 76 Prozent der Deutschen glauben jedenfalls nicht, dass die Spähaktivitäten des amerikanischen Geheimdiensts dem Verhältnis zwischen den USA und Deutschland nachhaltig schaden würden. Heißt das aber, dass die USA immer noch unser wichtigster westlicher Verbündeter sind, oder verschieben sich hier die Gewichte?
Was die Kooperation mit anderen Ländern angeht, sind die Deutschen grundsätzlich offen für neue Partner. Ein Drittel möchte weiterhin eher hauptsächlich mit den westlichen Partnern kooperieren, ein Drittel mit neuen Ländern wie China oder Japan, ein Drittel findet, dass das Eine das Andere nicht ausschließt. Von der Körber-Stiftung/TNS Infratest gefragt, mit wem die deutsche Außenpolitik „mehr zusammenarbeiten soll“, präferierten die Deutschen Frankreich, Polen und Großbritannien, danach China und erst an fünfter Stelle die USA.
Mehr Engagement im Rahmen unserer westlichen Partnerschaften ohne den Einsatz militärischer Mittel gänzlich auszuschließen, hat Bundespräsident Joachim Gauck gefordert. Man kann nicht behaupten, dass der Souverän dem ausdrückliche Zustimmung gäbe. Aber die hätten auch die Politik der Westintegration und die Ostpolitik nicht gehabt.
Die gesamte Umfrage der Körber-Stiftung ist zu finden unter:
http://www.koerber-stiftung.de/internationale-politik/sonderthemen/umfrage-aussenpolitik.html
Internationale Politik 4, Juli/August 2014, S. 24-29