Was soll die EU im Kongo?
Die europäische Afrika-Strategie zwischen Symbolik, Realpolitik und kosmopolitischem Engagement
In der Debatte um die Rolle Deutschlands bei der „EUFOR DR Kongo“, dem Einsatz der EU zur Stabilisierung des Kongos, werden zu Recht ein klares Mandat, eine vernünftige Ziel-Mittel-Relation und eine stringente Interessenanalyse gefordert. Welche Ziele, Konzepte, Strategien und Methoden verfolgt die EU, was ist sie bereit zu investieren?
Deutsche Afrika-Politik ist zunehmend Entwicklungs- und erweiterte Sicherheitspolitik zugleich.1 Sie wird vor allem in einem multilateralen Kontext verfolgt, wobei die EU den wichtigsten politischen Rahmen darstellt. Deutschland hat ein nationales Interesse an einer handlungsfähigen Union, weil sie die Kräfte bündelt, die für die Bewältigung der globalen ordnungspolitischen Herausforderungen im 21. Jahrhundert nötig sind. Das militärische Engagement der EU im Kongo erfolgt im Rahmen der interessen- und wertegeleiteten GASP/ESVP (Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik/Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) und im Kontext der allgemeinen Afrika-Politik der Union. Diese ist wiederum abhängig von der Lage vor Ort.
Die Demokratische Republik Kongo (DRK) ist eines der ärmsten Länder der Welt und zugleich ein potenziell reiches Land. Es ist etwa sieben Mal so groß wie Frankreich und verfügt über einen erheblichen Reichtum an natürlichen Ressourcen, der potenzieller Segen und realer Fluch zugleich ist. Einerseits könnte er eine wichtige Grundlage für die ökonomische Entwicklung des Landes sein, andererseits erzeugt er interne und externe Begehrlichkeiten, die einen großen Anteil daran haben, dass der Kongo ein konfliktgeschüttelter schwacher Staat ist.
Die DRK befindet sich nach einem vierjährigen Bürgerkrieg in einer komplizierten Phase der Friedenskonsolidierung. Dieser auch als „Erster Weltkrieg Afrikas“ bezeichnete Kon-flikt, in den neun afrikanische Staaten involviert waren, kostete fast vier Millionen Menschenleben und führte zu einer katastrophalen ökonomischen Lage. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Erschöpfung konnte 2002 ein Friedensprozess eingeleitet werden, der zu einer umfassenden Übereinkunft der wichtigsten Konfliktparteien über den Übergang des Landes zu einer semipräsidentiellen Demokratie führte. Diese Phase endet mit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Juli 2006.
Der wirtschaftliche Prozess konnte mit Hilfe der Weltbank und des IWF wieder in Gang gesetzt werden. So ist die Hyperinflation überwunden, die Staatseinnahmen nehmen zu, und das Budgetdefizit verringert sich. Gleichwohl existieren noch gewaltige soziale, ökonomische und politische Probleme. Die Armut ist groß, das Bildungsniveau und die Lebenserwartung sind gering. Die Ressourcen des Landes werden noch immer größtenteils so ausgebeutet, dass sie weder dem Staat noch der Stabilisierung des Landes zugute kommen. Die Mitglieder der Präsidialregierung sind Rivalen, die sich misstrauisch beäugen. Die Opposition ist gespalten, und es ist nicht absehbar, wie sich die Wahlverlierer verhalten werden.
Die Sicherheitslage ist prekär. Zwar steht mit der circa 17 000 Soldaten umfassenden MONUC die größte Friedenstruppe der UN im Lande, doch sie hat bereits Probleme, sich um die unruhigen Gebiete im Nordost- und Ostkongo zu kümmern. Die Provinz Katanga im Südosten gilt als vergessener Krisenherd. Der Bitte des UN-Generalsekretärs, eine zusätzliche Brigade von 2590 Blauhelmen in dieses Gebiet zu entsenden, hat der UN-Sicherheitsrat ebenso wenig entsprochen wie der vorherigen Bitte, die MONUC auf 25 000 Mann aufzustocken. Die Reform des Sicherheitssektors, die zu einer integrierten nationalen Armee führen soll, hinkt weit hinter dem ursprünglichen Zeitplan her.
Insgesamt kann man also feststellen, dass die Lage im Kongo seit kurzem zwar auf dem Wege der Besserung, aber gleichwohl noch sehr prekär ist. Ohne die Präsenz der internationalen Gemeinschaft würde das Land, so die einhellige Einschätzung, wieder in einen allgemeinen Bürgerkrieg zurückfallen.
Der konzeptionelle Ansatz der EU
Nach Artikel 11 des EU-Vertrags gehören zu den Zielen der GASP unter anderem die Stärkung des Friedens und der internationalen Sicherheit, die Stärkung der Sicherheit der Union sowie die Entwicklung und Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Diese allgemeinen Ziele erfuhren eine erste Präzisierung in der Europäischen Sicherheitsstrategie, die regionale Konflikte und Staatszerfall als zwei Hauptbedrohungen im 21. Jahrhundert aufführt. Die Abwehr dieser Bedrohungen erfordert demnach eine Politik, die auf die Förderung demokratischer staatlicher Strukturen ausgerichtet ist und eine Kombination verschiedener Instrumente einsetzt, einschließlich militärischer und polizeilicher.
Dieser Ansatz wurde Anfang 2004 durch die „Gemeinsame Position zur Konfliktprävention, Konfliktbearbeitung und -lösung in Afrika“ weiter ausgeführt. Als Ziele werden genannt: die Stärkung afrikanischer Mittel und Fähigkeiten, die enge Zusammenarbeit mit den UN und regionalen Organisationen sowie die Bereitschaft der EU, sich „wann immer nötig“ mit eigenen Fähigkeiten im afrikanischen Krisenmanagement zu engagieren.2
Schließlich verabschiedete der Europäische Rat am 19. Dezember 2005 eine Afrika-Strategie,3 die folgende Themen anspricht: Frieden und Sicherheit, Menschenrechte und Re-gierungsführung, Entwicklungshilfe, nachhaltiges Wachstum, regionale Integration und Handel, Investieren in Menschen, EU-Partnerschaft mit Afrika. Im friedens- und sicherheitspolitischen Bereich bekräftigt die EU, dass sie mit den afrikanischen Partnern im Bereich Krisenprävention, Krisenbearbeitung und Friedenserhaltung zusammenarbeiten will. Sie will Frieden und Stabilität durch direkte Unterstützung im Rahmen der ESVP fördern und die Unterstützungsmaßnahmen für die Friedenskonsolidierung in Afrika verstärken. Zudem will sie die Zusammenarbeit im Kampf gegen den illegalen Waffenhandel und den internationalen Terrorismus ausbauen.
Umsetzung der EU-Afrika-Strategie
Bekanntlich ist die Union kein einheitlicher Akteur, sondern ist auf das Zusammenspiel von EU-Institutionen und Mitgliedsstaaten sowie von Rat und Kommission angewiesen. Das gilt insbesondere, wenn, wie im Kongo, entwicklungs- und sicherheitspolitische Ziele und Maßnahmen eng miteinander verzahnt sind. Aus Sicht des Entwicklungsressorts der Kommission benötigt der Kongo in den kommenden Jahren nachhaltige Unterstützung, um die Lasten des Wiederaufbaus und die Herausforderung des politischen Übergangs bewältigen zu können. Neben der allgemeinen Verbesserung der Lebensverhältnisse und der Wirtschaft hebt die Kommission die Bedeutung der Reform des Justiz- und des Sicherheitssektors hervor. Der Hohe Vertreter für die GASP, Javier Solana, vertritt die These, dass es ohne die Stabilisierung der DRK und des Sudans unmöglich sein wird, die Millenniumsentwicklungsziele für Afrika zu erfüllen. Die gemeinsame Zielsetzung ist also eine entwicklungs- und stabilitätspolitische.
Der Kongo geriet erst mit dem Beginn des Friedensprozesses vor wenigen Jahren verstärkt auf den politischen Radarschirm der EU. Vorher beschränkte sich das Engagement der Union im Wesentlichen auf die politische Unterstützung des nationalen Dialogs durch die Ernennung eines Sonderbeauftragten für die Region der Großen Seen und punktuelle technische Zusammenarbeit sowie die Gewährung humanitärer Hilfe. Seit 2003 ist die EU mit Belgien, Frankreich und Großbritannien sowie der EU-Präsidentschaft im Internationalen Komitee zur Begleitung der Transition der DRK vertreten. In dasselbe Jahr fällt die Operation Artemis, der erste EU-Militäreinsatz außerhalb Europas.
Gleichzeitig erklärte die EU ihre Bereitschaft, den politischen Prozess im Kongo wirtschaftlich, politisch und sicherheitspolitisch weiter zu begleiten. So investierte sie seither 750 Millionen Euro in die Entwicklung des Landes. Hinzu kommen die Gelder, die von den Mitgliedsstaaten direkt oder über die Finanzierung von MONUC gezahlt werden. Auf einer von UN und EU veranstalteten Geberkonferenz wurden im Februar 2006 knapp 700 Millionen Euro für einen Kongo-Hilfsfonds zugesagt, der primär für direkte Hilfen an die Bevölkerung und für die nachhaltige Reintegration ehemaliger Kämpfer vorgesehen ist.
Die Kosten der sicherheitspolitischen Aktivitäten im Rahmen der ESVP nehmen sich dagegen gering aus. Die Operation Artemis hat gemeinsame Kosten von sieben Millionen Euro verursacht. Den größten Anteil der operativen Ausgaben mit militärischem Bezug mussten die teilnehmenden Nationen nach dem Prinzip „costs lay where they fall“ tragen.4 Für die beiden seit Mitte 2005 laufenden kleinen ESVP-Operationen werden insgesamt gerade einmal sechs Millionen Euro veranschlagt. Angesichts der Bedeutung, die einer grundlegenden Reform des Sicherheitssektors zukommen müsste, ist das sicherlich zu wenig.
Die Polizeimission „EUPOL Kinshasa“ läuft seit Mai 2005 in Abstimmung mit den UN. Es handelt sich um die erste zivile ESVP-Mission in Afrika. Sie hat den Auftrag, den Aufbau und die Ausbildung einer integrierten Polizeieinheit von 1008 Polizisten zu unterstützen, die als neutraler Akteur die Sicherheit der Regierung und der Regierungsinstitutionen schützen soll. Die Mission umfasst 30 Personen und wird vom Sonderbeauftragten der EU, Aldo Ajello, geführt. Sie knüpft an frühere Ausbildungsaktivitäten der Kommission an, wobei Ausbildung und Ausrüstung der EUPOL weiterhin aus dem Budget des EDF (European Development Fund) bezahlt werden. Gleichzeitig fördert Frankreich den Aufbau einer schnellen Interventionseinheit der Polizei nach dem Vorbild einer entsprechenden Spezialeinheit der französischen Gendarmerie. Insgesamt strebt die internationale Gemeinschaft an, bis zu den Wahlen 32 000 polizeiliche Einsatzkräfte auszubilden. Die Kosten dafür werden auf 35 Millionen Euro veranschlagt.
Im Mai 2005 wurde die zweite ESVP-Operation begonnen. Sie heißt „EUSEC DR Kongo“ und soll die Reform des Militärs gemäß den Vereinbarungen des Prätoria-Abkommens unterstützen. Sie besteht aus nur acht Experten, die ihre Beratertätigkeit jedoch in Schlüsselpositionen ausführen. Sie sind vertreten im Büro des Verteidigungsministers, im Generalstab, im Stab der Landstreitkräfte, im Ausschuss für gemeinsame Operationen und in der nationalen Kommission für Abrüstung, Demobilisierung und Wiedereingliederung. Zudem unterstützt die Kommission zwei Zentren zum Aufbau einer integrierten nationalen Armee mit 1,5 Millionen Euro und beteiligt sich mit 20 Millionen Euro an einem DDR-Programm (Disarmament, Demobilization, Reintegration) der Weltbank, das allein für die DRK 100 Millionen Euro zur Verfügung stellt.
Nun ist die EU im Kongo nur ein Akteur unter anderen. Gleichwohl kann bereits hier konstatiert werden, dass angesichts der zentralen Bedeutung, die einer Reform des Sicherheitssektors zukommen müsste, ihr Engagement so gering ist, dass Zweifel an den hehren programmatischen Zielen aufkommen müssen. Diese Zweifel werden dadurch verstärkt, dass zunächst lange über die Lastenteilung und erst danach über den politischen Zweck des Einsatzes diskutiert wurde.
Die politischen Konzepte der EU für Afrika und ihre Aktivitäten im Kongo zeigen einerseits, dass der Kontinent im Allgemeinen und der Kongo im Besonderen in den letzten Jahren verstärkte politische Aufmerksamkeit erfahren haben. Andererseits ist es angesichts der vielerorts schwierigen Lage fraglich, ob das begrenzte Engagement der Union ausreicht. Eine Beurteilung hängt letztlich davon ab, welchem politisch-strategischen Zweck das Engagement der EU dient und welche Mittel dafür zur Verfügung stehen.
Solana nennt in seinem Beitrag zur Afrika-Strategie sechs Gründe für ein nachhaltiges Engagement, die auch auf den Kongo angewendet werden können: die entwicklungspolitischen Fehlschläge in der Vergangenheit, das neue Bewusstsein von der engen Verbindung zwischen Entwicklung, Sicherheit, Frieden und Menschenrechten, die ermutigenden Signale aus Afrika, die zunehmende Fähigkeit der Union zur umfassenden Bearbeitung von Krisen, die finanziellen Zusagen der entwickelten Welt und die sicherheitspolitischen Herausforderungen.
Diese Herausforderungen liegen jedoch nicht darin, dass vom Kongo eine unmittelbare Bedrohung für die europäische Sicherheit ausginge. Der eigentliche sicherheitspolitische Zweck ist vielmehr, einen Beitrag zur Stabilisierung eines Landes zu leisten, das eine zentrale Bedeutung für die gesamte Region hat. Denn es besteht die Gefahr, dass die ganze Region in Anarchie und Gewalt versinkt und über transnationale Wechselwirkungen – etwa durch die Entstehung von Gewaltmärkten oder Aktivitäten von Machtnetzwerken – neue Unsicherheiten produziert werden. Bei der Bewältigung dieser Herausforderung fällt dem Militäreinsatz der EU nur eine subsidiäre Rolle zu. Im Zentrum steht die hauptsächlich in der Verantwortung der UN liegende entwicklungspolitische Aufgabe des Staatsaufbaus mit dem Ziel der Stabilisierung des Kongos und damit der gesamten Region. Allerdings zeigt die Auseinandersetzung innerhalb der EU und Deutschlands, dass die Wahrnehmung und Gewichtung des politischen Zweckes sehr unterschiedlich und die Bereitschaft zu einem stärkeren Engagement eher gering sind.
Das führt zu der Frage, welche Optionen angesichts knapper Mittel überhaupt bestanden. Für die Option, die MONUC signifikant zu verstärken, fand sich keine politische Unterstützung im Sicherheitsrat. Somit richteten sich die Augen auf die EU, die entscheiden musste, ob sie dem Ersuchen der UN nach Entsendung einer vorübergehenden Militärpräsenz entsprechen wollte. Hätte sich die EU negativ entschieden und würde die Lage eskalieren, so wären UN und EU diskreditiert. Programmatische Grundsätze der Union wie die Stärkung der UN im Rahmen eines effektiven Multilateralismus, ihre Afrika-Strategie und ihre bisherige Kongo-Politik wären unglaubwürdig, die GASP/ESVP nachhaltig geschwächt. Folglich fiel die Entscheidung für einen Einsatz. Sie wurde politisch ermöglicht, weil der Auftrag begrenzt ist und die anfallenden Kosten beherrschbar erscheinen. Ob dies auch so eintritt, muss abgewartet werden.
Nationbuilding gegen Staatszerfall
Wenn oben die Stabilisierung des Kongos als übergeordneter politischer Zweck der internationalen Gemeinschaft und der EU identifiziert wurde, so kann die dabei angewandte Methode als Beitrag zum Nationbuilding beschrieben werden. Die ersten und wichtigsten Schritte in diesem langfristigen Prozess sind der Aufbau funktionierender staatlicher Strukturen und die Wiederherstellung des staatlichen Gewaltmonopols. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es dabei keine schnellen Lösungen gibt und die externen Akteure mit zahlreichen Dilemmata konfrontiert werden. Diese reichen von der Frage nach den materiellen und ideellen Kosten einer Intervention bzw. Nichtintervention über das Problem der Vereinbarkeit unterschiedlicher Handlungslogiken der Akteure bis zur Gefahr, dass autoritäre und klientelistische Strukturen sowie die Korruption gestärkt werden könnten. Vor diesem Hintergrund können schematisch drei Modelle unterschieden werden:
- Strongman-Modell: Seit dem Ende des Kalten Krieges zunehmend diskreditiert ist die bis dahin bevorzugte Strategie, eine starke autoritäre Führung zu unterstützen oder einzusetzen. Dieser Ansatz ist ethisch zu verwerfen, aber vergleichsweise preiswert, wenn – was nicht ratsam ist – die Langzeitkosten ausgeblendet werden.
- Standardmodell: Dieses heute bevorzugte Modell komplexer Friedensoperationen – rechtsstaatliche Verfassung, Wahlen, Finanzhilfen, wirtschaftlicher Wiederaufbau, militärische Absicherung durch internationale Präsenz – ist demokratischer, aber auch teurer, tiefgreifender und bislang nicht sehr erfolgreich.
- Geordnete Anarchie: Das Ziel moderner Staatlichkeit ist diesem Modell zufolge den vormodernen Strukturen nicht angemessen. Externe Akteure sollen sich auf die Gewährleistung eines Mindestmaßes an Sicherheit und die Absicherung einiger Basisfunktionen beschränken, die Hilfe dezentralisieren, die Beziehungen zu den Warlords mit dem Ziel der politischen Einbindung institutionalisieren und die Regierung auf eine neutrale Mittlerrolle beschränken.5
Das erste Modell ist für die EU eigentlich nicht akzeptabel, weil es ihrem Wertekanon widerspricht und langfristig kontraproduktiv ist. Es hat allerdings den Anschein, dass die Union eine gewisse Präferenz für Präsident Joseph Kabila hegt. Dessen über 15 000 Kämpfer starke Präsidentengarde ist bislang nicht in die nationale Armee integriert worden und stellt eine starke parallele Machtstruktur dar. Die Opposition sieht jedenfalls den EU-Militäreinsatz als Unterstützung für Kabila, weil die EU daran bislang nicht gerüttelt hat. Immerhin wäre es schon aus machtpolitischen Gründen plausibel, wenn sich die EU (und die MONUC) mit dem stärksten internen Akteur arrangieren würde.
Eine konsequente Anwendung des Standardmodells auf die DRK würde ein wesentlich stärkeres Engagement der internationalen Staatengemeinschaft voraussetzen. Doch fehlen der politische Wille und die Mittel, sich so stark wie etwa auf dem Balkan zu engagieren. Darum böte sich eigentlich die dritte Variante an. In der Realität werden aber Elemente aus allen drei Strategien kombiniert in der Hoffnung, den politischen Zweck, also die Stabilisierung der DRK, schrittweise zu erreichen. Dabei folgt die EU zumindest ansatzweise der Erkenntnis, dass vier primäre Schwerpunkte gesetzt werden müssen: Entprivatisierung der Gewalt und Reform des Sicherheitssektors, Förderung einer unabhängigen Justiz, Dezentralisierung der Macht und wirtschaftliche Unterstützung.6
Es ist unbestritten, dass die Außenbeziehungen der EU durch ein „capability expectation gap“ gekennzeichnet sind. Diese Lücke zwischen Zielen und Fähigkeiten wird noch dadurch verstärkt, dass die vorhandenen Mittel oftmals entweder nicht gezielt oder nicht nachhaltig genug eingesetzt werden. Auch im Fall des Kongos trifft diese Kritik zu. So haben beispielsweise die politisch Verantwortlichen gemeinsam beschlossen, sich auch mit militärischen Mitteln bei der Krisenbewältigung in Afrika zu engagieren. Folglich müssen sie damit rechnen, dass der UN-Sicherheitsrat in einer konkreten Situation ein entsprechendes Ersuchen formuliert. Dies gilt umso mehr, da die EU die Stärkung der UN und ein verstärktes Engagement in Afrika in ihre – partiell kosmopolitische – Programmatik aufgenommen hat.
Die EU steht also wieder einmal vor der Wahl, ihrem normativen Anspruch gerecht zu werden oder damit zu leben, dass Realität und Anspruch auseinander klaffen. Nun handelt es sich um eine recht abstrakte Programmatik, so dass sich die Frage stellt, wie sie konkretisiert werden soll. Was mit Blick auf die einzelnen Aktivitäten als bloße Symbolik erscheinen mag, lässt sich angesichts der begrenzten politischen Bereitschaft zu einem stärkeren Engagement und des Drucks zur Risikominimierung auch als Realpolitik beschreiben. Dazu gehört aber die Erkenntnis, dass die Stabilisierung des Kongos eine langfristige Aufgabe ist, für die erst noch der richtige Weg zwischen Symbolik, Realpolitik und kosmopolitischer Orientierung gefunden werden muss. Die Alternative dazu wäre der Verzicht auf „EUFOR DR Kongo“ in der – wohl vergeblichen – Hoffnung, dass sich der politische Prozess trotzdem positiv entwickelt.
HANS-GEORG EHRHART, geb. 1955, ist stellvertretender Leiter des Zentrums für Europäische Friedens- und Sicherheitsstudien (ZEUS) am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).
- 1 Vgl. Stefan Mair: Weniger Altruismus, mehr Engagement, Internationale Politik, April 2006, S. 34–41.
- 2 Council Common Position 2004/374/CFSP vom 26. Januar 2004, Official Journal of the European Union, L 21/25. Mit der Verabschiedung eines Aktionsplans zur Unterstützung von Frieden und Sicherheit in Afrika zehn Monate später erfolgte ein erster Schritt zur Umsetzung der Gemeinsamen Position.
- 3 Der Text ist zu finden in der Dokumentation unter http://www.internationalepolitik.de/ Inhaltsverzeichnis/2006/April.html.
- 4 Das belastet insbesondere die Framework-Nation, weil sie die meisten Soldaten stellt und für die Führung des Hauptquartiers zuständig ist. So soll der Einsatz der Bundeswehr das Dreifache der ursprünglich veranschlagten 20 Millionen Euro kosten, vgl. FAZ vom 11.5.2006.
- 5 Marina Ottaway und Anatol Lieven: Rebuilding Afghanistan: Fantasy versus Reality, Carnegie Endowment for International Peace, Policy Brief, Januar 2002, S. 4 f.
- 6 Hans-Georg Ehrhart: Staatszerfall, Gewaltkonflikte und „Nation-building“ als politische Her- ausforderung für die EU, in: Hans-Georg Ehrhart und Burkard Schmitt (Hrsg.): Die Sicherheitspo- litik der EU im Werden. Bedrohungen, Aktivitäten, Fähigkeiten, Baden-Baden 2004, S. 45–59.
Internationale Politik 6, Juni 2006, S. 84‑90