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01. Jan. 2007

Ende gut, alles gut?

Nach dem EUFOR-Einsatz: Deutschland und die EU müssen sich weiter in Afrika engagieren

Die EUFOR-Mission hatte einen klar umrissenen Auftrag; den hat sie gut erfüllt. Doch damit ist noch lange nicht gewährleistet, dass der Friedensprozess im Kongo einen guten Verlauf nimmt. Sicherheit und Entwicklung bedingen sich gegenseitig, und in beiden Bereichen muss sich die internationale Gemeinschaft weiterhin engagieren.

Verteidigungsminister Jung hat sein Ziel erreicht: Die deutschen Soldatinnen und Soldaten der EUFOR DR Kongo waren zu Weihnachten wieder zu Hause. Damit wurde ein Einsatz beendet, bei dem der Minister nicht immer eine gute Figur machte und der in der Öffentlichkeit höchst umstritten war.1 Dies lag vor allem daran, dass Deutschland in seine Rolle als Führungsnation irgendwie hineingeschlittert zu sein schien und der Öffentlichkeit Sinn und Zweck dieses Afrika-Einsatzes nicht richtig vermittelt werden konnten.2 Kann nun, da der Einsatz beendet ist, erleichtert festgestellt werden: Ende gut, alles gut?

Was die Erfüllung des Auftrags angeht, kann in der Tat ein positives Resümee gezogen werden. Der Einsatz lief glimpflich ab und forderte keine Opfer auf Seiten der EUFOR. Die im Mandat gestellten Aufgaben wurden erfüllt. Dieses Ergebnis wurde durch drei Einschränkungen begünstigt, die in der öffentlichen Debatte auch kritisiert worden sind. Erstens legte das UN-Mandat eine funktionale Eingrenzung fest: EUFOR sollte die UN-Mission für die Demokratische Republik Kongo - MONUC - bei ihrem Stabilisierungsauftrag unterstützen, Zivilpersonen schützen, bei der Sicherung des Flughafens in Kinshasa mitwirken und in begrenztem Umfang gefährdete Einzelpersonen evakuieren. EUFOR sollte eben nicht den Kongo stabilisieren und das Land zur Demokratie führen, sondern lediglich einen begrenzten Beitrag dazu leisten.

Zweitens gab es eine zeitliche Einschränkung, weil der Einsatz auf vier Monate nach der ersten Runde der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen begrenzt wurde. Mit der Durchführung dieser Wahlen am 30. Juli 2006 war klar, dass die Operation plangemäß am 30. November enden würde. Die dritte Einschränkung war eine geo-graphische. Während das UN-Mandat keine solche Einschränkung vorsah, legte der Deutsche Bundestag fest, dass deutsche Streitkräfte nur im Raum Kinshasa eingesetzt werden durften.

EUFOR hatte in erster Linie zwei Aufgaben: Die Unterstützung der MONUC bei ihrer schwierigen Aufgabe, die ersten demokratischen Wahlen in diesem kriegszerrütteten Riesenland durchzuführen und Störer durch Präsenz vor Ort und das Heranführen von in Gabun stationierten Verstärkungskräften abzuschrecken. Genau das musste sie zweimal durchexerzieren. Am 21. und 22. August, drei Wochen nach den Wahlen, kam es zu blutigen Auseinandersetzungen, als Anhänger von Präsident Joseph Kabila die Residenz seines Kontrahenten Jean-Pierre Bemba angriffen, in dem sich die Vertreter des Internationalen Komitees zur Begleitung der Transition (CIAT) sowie der deutsche Botschafter aufhielten.3 Diese Krise konnte durch ein beherztes Eingreifen von MONUC und EUFOR beendet werden. Die Streitparteien wurden getrennt, die Botschafter mit Panzerwagen in Sicherheit gebracht und 130 deutsche Fallschirmjäger zur Verstärkung eingeflogen. Im Vorfeld des zweiten Wahlgangs wurde die EUFOR um 500 Soldaten verstärkt, um für alle Fälle gewappnet zu sein. Dieser Wahlgang verlief ruhig, nicht zuletzt Dank der verstärkten Präsenz. Die Konzentration auf Kinshasa hat sich als richtig erwiesen, da es in den anderen Landesteilen weitgehend ruhig blieb.

Allerdings gab es im Vorfeld und im Verlauf der Operation auch Probleme, die auf deutsch-französische Befindlichkeiten hinweisen. So besteht in Berlin immer noch der Eindruck, Deutschland sei durch geschicktes Überbandespielen zwischen Paris und New York in eine Lage manövriert worden, in der es die Führungsrolle nicht ablehnen konnte. Zudem war die Bereitstellung von Truppen ein quälender Prozess und keinesfalls ein Beleg für europäische Reaktionsschnelligkeit. Ob sich die Lage anders dargestellt hätte, wenn die deutsche Battlegroup bereits ihre volle Einsatzbereitschaft gehabt hätte, darf angesichts der deutschen Interessenlage (erkennbare multinationale Beteiligung, Lastenteilung) wohl bezweifelt werden. Die geographische Beschränkung für den Einsatz deutscher Truppen durch den Bundestag hätte man auch als mangelnde Solidarität auslegen können, wenn es in anderen Teilen des Kongo zu Unruhen gekommen wäre. Sie sah ein kompliziertes Rotationssystem vor, das glücklicherweise nicht umgesetzt werden musste.4

Ein weiteres Problem bestand darin, dass die notwendige Unparteilichkeit aus deutscher Sicht von der französischen Seite zeitweise missachtet wurde. Konkret ging es um Tiefflüge über die Residenz von Jean-Pierre Bemba. Schließlich hätten Frankreich und Belgien den Einsatz gern um einige Wochen verlängert, um der Gefahr zu begegnen, dass während oder kurz nach dem Abzug der EUFOR neue Unruhen ausbrechen.

Viel brisanter ist jedoch die Frage, wie es nach der erfolgten Stimmenauszählung weitergeht. Nach Angaben der Wahlkommission wurde Kabila mit 58 Prozent der abgegebenen Stimmen als Sieger ermittelt, Bemba erhielt 42 Prozent.5 Während der Sieger zur Versöhnung aufrief, sprach der Herausforderer von Wahlbetrug. Es könnte sich also noch herausstellen, dass EUFOR abzog, bevor es richtig brenzlig wurde.

Hat sich EUFOR DR Kongo also überhaupt gelohnt? Wäre es nicht sinnvoller gewesen, den dreistelligen Millionenbetrag, den die Operation gekostet hat, gleich in direkte Entwicklungshilfe zu investieren?6 Diese Frage kann nur bejahen, wer den stabilisierenden Beitrag der EUFOR negiert oder als unerheblich einschätzt. Wer allerdings die These vertritt, dass etwa die August-Unruhen ohne EUFOR eskaliert wären und damit der ganze Friedensprozess gefährdet worden wäre, wird die Frage verneinen müssen. Allerdings ist es noch zu früh für eine eindeutige Antwort.

Positive Aspekte

Betrachtet man den Einsatz der EUFOR aus einer übergreifenden politischen Perspektive, so können trotz allem positive Aspekte vermerkt werden: Erstens hat sich die EU entsprechend ihrer Afrika-Strategie militärisch an der Krisenbewältigung auf dem Schwarzen Kontinent engagiert. Das war notwendig und konsequent, auch wenn es in Deutschland noch schwer zu vermitteln ist. Die im Jahr 2000 auf dem UN-Millenniumsgipfel verabschiedeten Entwicklungsziele werden nicht erreicht werden können, wenn keine nachhaltige Befriedung der großen Krisen in der subsaharischen Region erfolgt.

Zweitens haben EUFOR und MONUC gut zusammengearbeitet. Die Mission der EUFOR entsprach dem europäischen Anliegen eines effektiven Multilateralismus, indem es die MONUC und damit die UN in einer konkreten Situation gestärkt hat. Zudem wurde mit der Durchführung des EUFOR-Einsatzes erstmals erfolgreich das „Stand-by-Modell" praktiziert, wie es bereits vor drei Jahren von EU und UN erörtert worden war. Demnach hält die EU schnelle Einsatzkräfte („over the horizon") für Notfälle bereit, um UN-Kräfte zu unterstützen oder aus schwierigen Lagen zu befreien.7

Drittens muss die EUFOR im Kontext des gesamten EU-Engagements im Kongo gesehen werden. Brüssel ist auch politisch und mit klassischer Entwicklungshilfe aktiv. Diese reicht von makroökonomischer Hilfe über Infrastrukturprojekte und Gesundheitsförderung bis hin zu Maßnahmen im Bereich Institutionenbildung. Weiterhin ist die EU seit 2005 mit zwei zivilen ESVP-Missionen vor Ort, die den Aufbau einer nationalen Armee (EUSEC) und einer nationalen Polizei unterstützen (EUPOL Kinshasa).

Viertens ist die zwar begrenzte, jedoch wirksame Leistungsfähigkeit der ESVP unterstrichen worden. Die schnelle Reaktionsfähigkeit durch Nachführen von Kräften aus Gabun hat funktioniert, auf die in Frankreich verbliebene strategische Reserve musste nicht zurückgegriffen werden. Die Präsenz von EUPOL und EUSEC erwies sich als großer Vorteil während der August-Unruhen, weil sie über intime Kenntnisse der internen Macht- und Interessenstrukturen verfügen und eng mit EUFOR kooperierten. Wichtig war auch, dass es EUFOR gelungen ist, der Bevölkerung Sinn und Zweck ihrer Präsenz zu vermitteln: Es ging nicht darum, einem Kandidaten zu helfen oder gar Krieg zu führen, sondern den Stabilisierungsauftrag der MONUC zu unterstützen und dadurch Entwicklung zu ermöglichen.

Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen, und die schwierigste Etappe hat jetzt nach den Wahlen begonnen. Insofern gilt die relativ positive Einschätzung des EUFOR-Einsatzes nur bedingt. Die entscheidende Frage ist, wie die Schlüsselakteure auf den Wahlausgang reagieren. Die internationalen Emissäre sollten den Druck auf Kabila und Bemba aufrechterhalten, denn an positiven und negativen Anreizen mangelt es nicht. Den Protagonisten muss  klar gemacht werden, dass sie persönlich ernste Konsequenzen zu tragen haben, wenn sie den Friedensprozess hintertreiben. Insofern ist es zu begrüßen, dass der Internationale Strafgerichtshof jüngst gegen einen ehemaligen kongolesischen Warlord tätig geworden ist und die USA sieben Milizenführer, Waffenhändler und Geschäftsleute mit Sanktionen belegt haben.

So unbefriedigend es auch erscheinen mag: Die Lösung kann nur in einer ausgehandelten Machtteilung liegen. Kurzfristig kommt es darauf an, weiterhin ein einigermaßen stabiles Umfeld zu gewährleisten. Da EUFOR den Kongo pünktlich verlassen hat, obwohl die Lage auch nach Einschätzung von NGOs wie Oxfam und Human Rights Watch eine längere Präsenz verlangt hätte, bleibt nach dem 15. Dezember 2006 nur die Option, dass die MONUC die Lage allein sichern muss.8 Auf keinen Fall sollte die MONUC, deren Mandat Ende September 2006 nur bis zum 15. Februar 2007 verlängert worden ist, voreilig verringert werden.9

Mittel- und langfristig stellen sich drei Aufgaben: Stabilität kann es im Kongo nur geben, wenn es den Menschen besser geht. Das ist primär eine entwicklungspolitische Aufgabe. Nachhaltige Entwicklung kann aber nur funktionieren, wenn die entsprechenden institutionellen Voraussetzungen auf nationaler und lokaler Ebene existieren. Die ersten demokratischen Wahlen sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung gewesen.

Ein zweites Element ist die Reform des Sicherheitssektors, also der staatlichen Machtapparate. Armee und Polizei sind bislang immer noch eher Teil des Problems als der Lösung. Darum muss einerseits das Engagement in diesem Bereich verstärkt werden, andererseits muss den demobilisierten Kämpfern eine zivile Perspektive durch entsprechende Entwaffnungs-, Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramme (DDR) geboten werden. Hier plant die EU, ihre eigenen Maßnahmen zur Reform der kongolesischen Polizei und Armee zu bündeln und sich als Koordinator für alle internationalen Aktivitäten in diesem Bereich zur Verfügung zu stellen. Wichtig wäre auch eine enge Koordinierung mit der für DDR-Programme zuständigen Europäischen Kommission.

Drittens bedarf es einer stärkeren Unterstützung des vom UN-Sicherheitsrat bereits im Jahr 2000 geforderten regionalen Ansatzes für die Region der Großen Seen.10 Dieser KSZE-ähnliche Konferenzprozess der Region der Großen Seen entwickelt sich seit 2003 und wird von der EU und den meisten ihrer Mitglieder, darunter auch Deutschland, sowie den USA, Russland, China und anderen, die sich 2003 als „Friends of the Great Lake Region" organisiert haben, gefördert. An diesem Prozess nehmen elf Staaten teil, darunter der Kongo und seine Nachbarstaaten. Die Staats- und Regierungschefs der Konferenz tagten Mitte Dezember 2006 in Kenia und verabschiedeten einen Pakt über Sicherheit, Stabilität und Entwicklung. Der Pakt enthält regionale Aktionsprogramme in den Bereichen Sicherheit und Frieden, Demokratie und gute Regierungsführung, wirtschaftliche Entwicklung und regionale Integration sowie humanitäre und soziale Angelegenheiten, die mit Leben gefüllt werden müssen.

Das Vorhaben erfordert neben dem politischen Willen der beteiligten afrikanischen Staaten vor allem die Fortsetzung des Stabilisierungsprozesses in der Demokratischen Republik Kongo. Dazu bedarf es aber auch eines starken Engagements der internationalen Gemeinschaft, denn komplexe Friedenssicherung ist eine langwierige Aufgabe.11 Wenn es stimmt, dass sich Sicherheit und Entwicklung gegenseitig bedingen, wird das Engagement Deutschlands, der EU und der internationalen Gemeinschaft auf beiden Feldern weiterhin erforderlich sein.

Dr. HANS-GEORG EHRHART, geb. 1955, ist stellvertretender Leiter des Zentrums für Europäische Friedens- und Sicherheitsstudien (ZEUS) am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).

  • 1Vgl. zur Vorgeschichte Hans-Georg Ehrhart: In schwieriger Mission: Der EU-Militäreinsatz im Kongo, Hamburger Informationen zur Friedensforschung und Sicherheitspolitik 38/2006, unter: www.ifsh.de/pdf/publikationen/hifs/HI38.pdf, und ders.: Was soll die EU im Kongo?, Internationale Politik (IP), Juni 2006, S. 84-89.
  • 2Vgl. dazu Peter Schmidt: Freiwillige vor! Bundeswehreinsatz im Kongo - zur Dialektik einer Führungsrolle wider Willen, IP, November 2006, S. 68-77.
  • 3Das CIAT tagt unter Vorsitz des UN-Sondergesandten und besteht aus den akkreditierten Botschaftern der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats sowie Belgiens, Kanadas, Südafrikas, Angolas, Sambias, Mosambiks und der EU-Präsidentschaft.
  • 4Das Rotationssystem sah vor, dass deutsche Kampftruppen nach Kinshasa geflogen werden, wenn die spanischen und französischen Einheiten an anderen Orten im Westkongo gebraucht werden sollten.
  • 5Vgl. www.kongo-kinshasa.de/news/praeswahl_congo2006_II.pdf.
  • 6Die nach dem Umlageverfahren Athena zu zahlenden „gemeinsamen Kosten" lagen bei 16,7 Millionen Euro. Den Großteil der Kosten für Militäroperationen müssen die teilnehmenden Staaten nach dem Prinzip „costs lie where they fall" zahlen. Die Bundesregierung rechnet mit 56 Millionen Euro. Frankreichs Kosten dürften ähnlich hoch sein.
  • 7Das Überbrückungs- bzw. „Bridging-Modell" war ja bereits 2003 mit der Operation Artemis erfolgreich getestet worden. Vgl. Rat der Europäischen Union, Bericht des Vorsitzes zur ESVP, Brüssel, 15. Juni 2004, Anhang II.
  • 8Nach Einschätzung des Vorsitzenden des EU-Militärausschusses, General Henri Bentégeat, wird der größte Teil der Kapazitäten zwar bis zum 15. Dezember vor Ort und im Prinzip einsatzfähig sein, allerdings fehle dann die legale Grundlage; www.monuc.org/news.aspx?newsID=13153.
  • 9Vgl. S/RES/1711 (2006).
  • 10Vgl. UNSC-Resolution 1291 und 1304.
  • 11Vgl. Dennis Tull: Herkulesaufgabe Kongo, Vereinte Nationen, Nr. 3/2006, S. 90-97.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar 2007, S. 83 - 89.

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