In 80 Phrasen um die Welt

01. Sep 2021

„Wandel durch Handel“

Unsere Kolumne zu Phrasen der internationalen Politik

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Bild: Illustration eines Spruckbandes das die Erde umkreist
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Es gibt zahlreiche Varianten der Denkfigur des Wandels durch Handel, etwa Wandel durch Verflechtung oder Modernisierungspartnerschaft. Sie alle gehen auf eine Formel Egon Bahrs zurück, mit der dieser 1963 bei einer Tutzinger Rede das Konzept der Neuen Ostpolitik eingeführt hatte: Wandel durch Annäherung. Der gedankliche Kern ist, dass ein autoritäres Regime (damals die Sowjetunion) durch den Anreiz der wirtschaftlichen Öffnung auch politisch und gesellschaftlich aufgeschlossen werden soll. Zweifellos ist dies eine der folgenreichsten außenpolitischen Ideen der Bundesrepublik.



Sozialdemokraten haben sie erfunden, und Christdemokraten haben sie anfangs bitter bekämpft. Heute jedoch ist CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier ihr treuester Verfechter. Bedenken gegen chinesische Firmen im deutschen 5G-Netz, Wünsche nach stärkerem deutschen Engagement in Sachen Hongkong oder Mahnungen wegen der Unterdrückung der Uiguren wischt er vom Tisch. Was bei der Sowjetunion funktioniert habe, werde auch gegenüber China und anderen „schwierigen Partnern“ irgendwann Früchte tragen.

Das ist eine erstaunliche Banalisierung eines historisch erfolgreichen Konzepts. Heutige Fans der stabreimenden Phrase ignorieren geflissentlich, dass sie in den Siebzigern, während der KSZE-Verhandlungen, mit einem klaren Bekenntnis zu Menschen- und Bürgerrechten daherkam. Man rang den Ostblock-Herrschern in der Helsinki-Schlussakte ein Ja zur „Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit“ ab. Womöglich haben diese darin zunächst bloß folgenloses Wortgeklimper gesehen.

Doch die Verknüpfung war entscheidend. Der Deal mit den Ostblock-Herrschern lautete: Ihr bekommt unsere Anerkennung nur, wenn ihr selbst die Menschenrechte anerkennt. Darauf wiederum konnten sich dann Dissidenten berufen, die von innen heraus für größere Freiheiten im Ostblock stritten. Der Erfolg der Entspannungspolitik entsprang der kreativen Kombination von Anreiz und Druck, Wirtschaft und Moral, Werten und Interessen.

Die heutige Schwundform suggeriert, wirtschaftliche Kooperation werde irgendwie selbsttätig und unwiderstehlich eine Öffnung herbeiführen. Dabei widerlegt das chinesische Beispiel diesen schlichten Glauben seit Jahren: Nie gab es mehr Austausch und doch nie mehr Repression. Das Pekinger Regime kombiniert wirtschaftliche Öffnung virtuos mit gesellschaftlicher Schließung. Handel geht auch ohne Wandel, freie Märkte lassen sich mit unfreien Bürgern bewirtschaften.

Interessanterweise praktiziert die chinesische Regierung in ihrer Außenwirtschaftspolitik selbst eine Variante von Wandel durch Handel – nur soll die Veränderung eben im Sinne chinesischer Werte und Ideen erfolgen. Wer in China Autos verkaufen will, muss zum Los der Uiguren schweigen. Wer seine mobilen Daten über chinesische Infrastruktur lenkt, soll bitte keine Fragen zur Sicherheit dieser Daten im Konfliktfall stellen. Und: Wer chinesische Bewerber aus Sicherheitsbedenken vom Netzausbau in Deutschland ausschließt, der möge sich doch bitte mal die Abhängigkeit der deutschen Exportindustrie vom chinesischen Markt vor Augen führen.



Jörg Lau ist Außenpolitischer Koordinator im Ressort Politik der ZEIT und Kolumnist der „80 Phrasen“.

 

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2021, S. 15

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