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01. Sep 2005

Wackelt das internationale Finanzsystem?

Paradoxerweise liegt in seinem derzeitigen guten Zustand die größte Gefahr für die langfristige Stabilität. Die globalen Ungleichgewichte werden größer

Die Widerstandsfähigkeit des internationalen Finanzsystems hat sich den letzten Jahren merklich verbessert. In der derzeitigen guten Verfassung des internationalen Finanzsystems liegt aber zugleich auch das größte Gefahrenpotenzial für dessen langfristige Stabilität. So sind die Risikoaufschläge für Inflations- oder Kreditrisiken, die derzeit in den Märkten eingepreist sind, im historischen Vergleich sehr niedrig. Sie lassen nur wenig Spielraum für negative Überraschungen. Des Weiteren steigen die Herausforderungen für das internationale Finanzsystem: Durch die rasch fortschreitende Globalisierung der Finanzmärkte haben die internationalen Kapitalverflechtungen stark zugenommen. Daher werden rein national ausgerichtete Konzepte der Finanzaufsicht den deutlich gestiegenen internationalen Finanzverflechtungen heute nicht mehr gerecht.

Gleichzeitig werden die globalen Ungleichgewichte, die sich an immer weiter ansteigenden Leistungsbilanzsalden zeigen, größer. Das Leistungsbilanzdefizit der USA wird sich aller Voraussicht nach auch in diesem Jahr weiter ausweiten und hat gute Chancen, die 650-Milliarden-Dollar-,Grenze zu sprengen. Mit dem amerikanischen Leistungsbilanzdefizit geht ein enormer Kapitalbedarf einher: Die USA benötigen pro Tag rund zwei Milliarden Dollar Kapital, um ihr Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren. Damit beansprucht die reichste Volkswirtschaft der Welt fast 80 Prozent der weltweiten Überschussersparnisse. Diese werden benötigt, um einen andauernden Boom der Konsumnachfrage in den Vereinigten Staaten zu finanzieren.

Das Risiko, dass diese globalen Ungleichgewichte nicht in geordneter Weise abgebaut werden, sondern zu drastischen Wechselkurs- oder Zinsreaktionen führen, steigt damit weiter an. In diesem Zusammenhang kommt den asiatischen Zentralbanken, die in der Vergangenheit zum Teil in erheblichem Maße zugunsten des Dollars interveniert haben, eine besondere Bedeutung zu. Dadurch, dass sie zumindest implizit ein Wechselkursziel gegenüber dem Dollar verfolgen, waren die asiatischen Zentralbanken gezwungen, den sehr expansiven geldpolitischen Kurs der US-Notenbank mitzutragen. Das hat in einigen Ländern, allen voran in der Volksrepublik China, zu einer Überhitzung der Wirtschaft geführt. Diese Überhitzung zeigt sich dort vor allem in einem ungeahnten Immobilien- und Bauboom.

Aber nicht nur Asien, sondern das gesamte internationale Finanzsystem ist in den vergangenen Jahren von Liquidität geradezu überschwemmt worden. Als Folge einer insgesamt sehr expansiv wirkenden Geldpolitik sind nicht nur Vermögenswerte, sondern ist auch die Verschuldung auf breiter Front gestiegen. Viele Vermögenswerte – Aktien, Rentenpapiere, Immobilien oder Rohstoffe – weisen daher heute deutliche Zeichen einer Überbewertung auf. Damit hat sich aber auch das Risiko eines möglichen Rückschlags merklich erhöht. Der Abbau der Verschuldung ist in der Regel langwierig und mit hohen realwirtschaftlichen Kosten verbunden. Durch ihren relativ expansiven geldpolitischen Kurs und die damit verbundene Aufblähung der Geldmenge haben die Zentralbanken meines Erachtens das Entstehen finanzieller Ungleichgewichte stark begünstigt.

Durch die anhaltende Niedrigzinsphase haben auch Finanzinnovationen, die mit einem erheblichen Kredithebel operieren – wie Hedgefonds und Private Equity Investoren – stark an Bedeutung zugenommen. Die daraus und aus dem starken Wachstum der Derivatemärkte entstehenden Risiken lassen sich durch Regulierungen nur teilweise abfedern. Das liegt nicht zuletzt daran, dass ein Großteil dieser Kapitalsammelstellen ihren Sitz in so genannten Offshore-Zentren hat. Zudem besteht die Gefahr, dass detaillierte Regulierungen systemische Risiken erhöhen, statt sie zu verringern. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn diesen Institutionen ein einheitliches Risikomanagement verordnet wird. Durch ein erzwungenes, gleichgerichtetes Anlageverhalten würde Herdenverhalten wohl eher mehr als weniger wahrscheinlich.

Insgesamt beruht der Wunsch nach stärkerer Regulierung von Hedgefonds auf dem fälschlichen Glauben, dass eine Regulierungsbehörde das Marktgeschehen fast vollständig vorausberechnen kann. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Regulierungsbehörden viele der großen finanziellen Schieflagen meist nicht frühzeitig genug gesehen haben. Gerade an den Finanzmärkten hat die dezentrale Verarbeitung von Informationen entscheidende Vorteile. Selbst bei einer vollständigen Offenlegung aller Marktpositionen und Investitionsstrategien wäre eine zentrale Vorausberechnung aller Eventualitäten nicht zu leisten. Darüber hinaus ginge eine verschärfte Regulierung an dem Kern des Problems, nämlich den Niedrigzinsen und der daraus resultierenden Überschussliquidität, vorbei.

Hier sind die Zentralbanken gefragt. Sie haben nicht nur Verantwortung für die Wahrung der Preisstabilität, sondern auch der Finanzstabilität. Mit dem Erreichen der Preisstabilität in den späten achtziger Jahren ist es nicht zu einer Zunahme der Finanzstabilität gekommen. Stattdessen stieg die Zahl der Finanzkrisen an. Zunächst wurde dies auf die umfassende Deregulierung nationaler und internationaler Finanzmärkte zurückgeführt. Dabei wurde übersehen, dass das Finanzsystem starke zyklische Bewegungen aufweist, die in der Regel eng mit dem Zinszyklus der Zentralbanken zusammenhängen. Nachdem die Inflations-erwartungen fest auf einem niedrigen Niveau verankert waren, haben viele Zentralbanken die Zinsen vielfach zu lange zu niedrig gelassen, da sich kein Inflationsdruck abzeichnete.

Insbesondere den Zentralbanken, die sich einer direkten Inflationssteuerung verschrieben haben, sind die Hände gebunden. Damit wurde das Entstehen finanzieller Ungleichgewichte begünstigt. Erst in letzter Zeit wird den Geldmengen- und Kreditaggregaten hier wieder eine größere Bedeutung zugemessen. Die geldpolitische Strategie der Europäischen Zentralbank (EZB) mit ihren zwei Säulen – dem allgemeinen Inflationsausblick auf der einen Seite und der monetären Analyse auf der anderen – scheint besser geeignet zu sein, die Stabilität des Finanzsystems zu wahren als eine eng ausgelegte Inflationssteuerung. Allerdings muss die EZB der monetären Analyse bei ihren Zinsentscheidungen auch die Bedeutung zukommen lassen, die ihr gebührt.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2005, S. 80 - 81

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