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01. Febr. 2006

Verschoben ist nicht aufgehoben

Eine Nachfrageflaute in den USA könnte auch die asiatischen Märkte ins Schlingern bringen

Im vergangenen Jahr hat die weltwirtschaftliche Entwicklung eine Reihe von Überraschungen bereitgehalten. So gab es bereits seit geraumer Zeit Befürchtungen, dass die bestehenden Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft Risiken für die Finanz- und Devisenmärkte bedeuten könnten. Diese Ungleichgewichte haben sich im vergangenen Jahr nicht nur nicht korrigiert, sondern sie haben sich sogar noch weiter vergrößert. Das amerikanische Leistungsbilanzdefizit etwa hat sich nicht verringert, sondern ausgeweitet; es beträgt mittlerweile fast sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Demgegenüber sind die Leistungsbi-lanzüberschüsse vieler asiatischer Volkswirtschaften, zahlreicher Ölförderländer und auch der Bundesrepublik Deutschland weiter gestiegen.

Entgegen der Erwartung vieler Finanzmarktteilnehmer ist es aber trotzdem nicht zu einer Abwertung des Dollars gekommen. Im Gegenteil, der Dollar hat in handelsgewichteter Rechnung gegenüber den wichtigsten Handelspartnern der USA im Verlauf des Jahres rund vier Prozent an Wert gewonnen. Gegenüber dem Euro und dem japanischen Yen hat er sogar mehr als dreimal so viel zugelegt. Der von manchen Auguren befürchtete Dollar-Crash ist damit 2005 ausgeblieben. Es besteht derzeit weitgehend Konsens unter Devisenmarktbeobachtern, dass der Dollar auch in der ersten Hälfte dieses Jahres weiter steigen sollte. Nur gegenüber dem Euro könnte der „Greenback“ bereits in der ersten Jahreshälfte an Boden verlieren

Der Dollar wurde in den vergangenen Jahren auch durch die De-facto-Währungsunion zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China gestärkt.  Entgegen der Erwartung vieler Marktteilnehmer und entgegen der Hoffnung vieler Wirtschafts- und Währungspolitiker hat es im vergangenen Jahr keine merkliche Anpassung des chinesischen Renminbi gegenüber dem Dollar gegeben. Der Wechselverbund zwischen den USA und der Volkrepublik China besteht ungeachtet der Probleme, die der Kurs der amerikanischen Geldpolitik für die aufstrebende chinesische Wirtschaft mit sich bringt, fort.

Es gibt eine Reihe von weiteren Erklärungen, warum die Dollarkorrektur bislang ausgeblieben ist. Da sind zum einen der „Homeland Investment Act“ und die Zuflüsse von Währungsreserven asiatischer Notenbanken in den amerikanischen Rentenmarkt zu nennen. Zum anderen hat die geldpolitische Straffung der Federal Reserve – die Leitzinsen in den USA sind im Jahresverlauf um 200 Basispunkte angehoben worden – sicher eine wichtige Rolle gespielt.

Trotz der merklichen Straffung der Geldpolitik in den USA sind die Renditen langlaufender US-Staatsanleihen im vergangenen Jahr überraschend niedrig geblieben. Normalerweise steigen die Renditen spürbar an, wenn die US-Notenbank die Leitzinsen derart deutlich anhebt. Meiner Ansicht nach haben beide Phänomene – die Dollarstärke und die Niedrigrenditen – ein und dieselbe Ursache: Es ist die Überschussliquidität, die derzeit in den globalen Finanzmärkten hin- und herschwappt.  Diese Überschussliquidität wurde in einer Phase negativer Realzinsen von den Notenbanken, allen voran der Federal Reserve, in die Wirtschaft und die Finanzmärkte gepumpt. Wenn man die großen Industrieländer und China zusammenfasst, dann sind dort heute die umlaufenden Geldbestände und die gewährten Bankkredite relativ zur Wirtschaftskraft um bis zu 50 Prozent höher als Mitte der neunziger Jahre. Diese Finanzmittel, die weit über das Niveau hinausgehen, das zur Finanzierung von realwirtschaftlichen Transaktionen benötigt wird, sind in die Finanzmärkte geflossen.

So hat die Überschussliquidität etwa die Renditen am langen Ende des amerikanischen Rentenmarkts stark gedrückt. Die niedrigen Renditen sind wiederum der Grund dafür, dass die amerikanische Wirtschaft den Ölpreisschock des vergangenen Jahres so gut verkraftet hat. Das kann zu einem Großteil auf die gestiegenen Immobilienpreise zurückgeführt werden. Diese Preissteigerungen haben den Hauseigentümern einen Vermögenszuwachs beschert, der ihnen erlaubt, ihre Immobilien mit höheren Summen zu beleihen und ihre Schulden von hochverzinslichen Kreditkartenschulden auf niedrigverzinsliche, steuerlich absetzbare Hypotheken umzuschichten. Die daraus resultierende Dynamik der Inlandsnachfrage schlägt sich auch in der Leistungsbilanz nieder. 

Genau dieses Zusammentreffen von niedrigen Zinsen und starkem Wirtschaftswachstum spricht dafür, dass der Grund für den starken Dollar und die niedrigen Renditen in der Geldpolitik liegt. Wäre – wie der zukünftige Fed-Chef Ben Bernanke glaubt – übermäßiges Sparen im Rest der Welt die Ursache, dann hätte das Wirtschaftswachstum auch in den Vereinigten Staaten wesentlich niedriger ausfallen müssen.

Die Überschussliquidität hat nicht nur die notwendigen Anpassungen in der Weltwirtschaft verhindert, sie hat die Ungleichgewichte noch weiter vertieft. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Befürchtungen des vergangenen Jahres in diesem Jahr als richtig erweisen. Es deutet einiges darauf hin, dass es 2006 zu der erwarteten Korrektur des Dollars, der konjunkturellen Abschwächung in den Vereinigten Staaten und dem Zinsanstieg am amerikanischen Rentenmarkt kommt.  Verschoben ist nicht aufgehoben.

Eine Nachfrageflaute in den USA würde gewichtige Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, insbesondere aber auf die asiatischen Schwellenländer haben.  Diese sind nicht nur stark exportabhängig und investitionslastig, sie sind über den Wechselkurs auch an den geldpolitischen Kurs der Fed gebunden. Der Tugendkreis der vergangenen Jahre, in dem die expansive amerikanische Geld- und Fiskalpolitik die asiatischen Exporte beflügelte, diese die asiatischen Währungsreserven stark ansteigen ließen und ein massives Ankaufen von amerikanischen Wertpapieren auslösten, könnte dann in einen Teufelskreis umschlagen. Die amerikanische Notenbank schätzt, dass die Käufe ausländischer Zentralbanken die Anleiherenditen in den Vereinigten Staaten derzeit um bis zu 1,5 Prozentpunkte drücken.  Das wiederum beflügelte in den USA die Immobilienpreise und den Konsum und verstärkte so die expansive Wirkung der amerikanischen Geldpolitik noch einmal. Im Zuge einer strafferen Geldpolitik in den USA könnte dieser Prozess in entgegengesetzter Richtung ablaufen.

Dr. ELGA BARTSCH, geb. 1966, ist seit 1997 Deutschland-und Europavolkswirtin bei Morgan Stanley in London.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2006, S. 98 - 99

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