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27. Apr. 2018

Vesuv am Potomac

Unruhige Zeiten in der amerikanischen Hauptstadt

Früher waren die klimatischen Extreme das Anstrengendste am Leben in Washington. Obwohl die US-Hauptstadt auf demselben Breitengrad wie Neapel liegt, können Winterschneestürme bis Ende März über Nacht hüft­hohe Schneewehen hinabschleudern. Vor den schwülen Sommermonaten mit ihren mon­sunartigen Sturzregengewittern flieht, wer kann, in kühlere Gefilde.

Sonst aber ist der District of Columbia eine freundliche Südstaatenmetropole von gerade 700 000 Einwohnern und einer knappen, aber selbstbewussten schwarzen Bevölkerungsmehrheit. Hubschrauber lärmen immer wieder mal am Himmel, und gepanzerte Wagenkolonnen halten den Innenstadtverkehr auf. Echte Washingtonians lassen die Wichtigtuer vorbeirauschen. Denn zwischen historischen Häuserreihen, baumbesäumten Straßen, Wochenmärkten, Straßencafés und Fahrradwegen lässt es sich eigentlich leicht leben.

Das Politiktheater schlägt aber auch die normalen Hauptstadtbewohner in seinen Bann. Was der Rest der Welt sich aus West Wing, House of Cards und Veep zusammenreimt, bekommen wir live. Die großen Dramen spielen sich zwischen den klassizistischen Säulentempeln von White House, Congress und Supreme Court ab: platziert wie in einem Kräftepa­rallelogramm – „balance and separation of powers“ war das tragende Prinzip der Verfassung von 1789 – auf dem Gitterplan des französischen Architekten Pierre L’Enfant. Die Republik war da noch der blutjunge Schreck aller europäischen Erb­monarchen, und das nach dem Revolutionsgeneral und ersten Präsidenten benannte Wa­shington eine schlechte Idee an den sumpfigen Ufern des trägen Potomac.

Skandale, Filz und zwielichtige Lobbyisten wuchern hier seit den ersten Tagen. Früher ging es um Ehrenduelle, Mätressen, Eisenbahnnetze, Kartelle; in jüngerer Zeit haben Watergate, Vietnam, Lewinsky, 9/11 und der Irak-Krieg Spuren in der Seele der Hauptstadt hinterlassen. Aber es gibt ein starkes Gegengift: die vielen Idealisten, die aus ganz Amerika nach Wa­shington strömen, weil sie an public service und die Überzeugungskraft rationaler Argumente glauben. Die Besten sehen die überragende Macht der USA als gewaltige Verantwortung.

Ein paar davon sind Freunde geworden. So wie B., die Diplomatin, die an dunklen Tagen während des Irak-Kriegs und der Enthüllungen über Abu Ghraib ihre Mittagspausen auf den Treppen des Lincoln Memorial verbrachte. Die schwarze Sopranistin Marian Anderson sang dort 1939 vor 75 000 Zuhörern, nachdem man ihr den Auftritt in einer Konzerthalle verwehrt hatte. Martin Luther King hielt am selben Platz 1963 vor einer Viertelmillion Menschen seine „I Have a Dream“-Rede. Diese Stufen sind ein sakraler Ort für diejenigen Amerikaner, die die Größe ihres Landes vor allem darin sehen, dass es aus seinen Sünden lernt.

Manche Freunde und Bekannte arbeiten auch heute in Regierungsbehörden. Taktlose Fragen erübrigen sich; es ist klar, dass sie ihren Dienst als einen Akt der Selbst-Inpflichtnahme verstehen. Andere haben Briefe geschrieben oder mit unterzeichnet, warum sie dieser Regierung keinesfalls dienen können. Manche leiden laut und ausführlich, in Talkshows oder Essays; andere hüllen sich in Schweigen. Aber denen, die drinnen arbeiten, verdankt Europa die Verstärkung der US-Truppen im Baltikum und an Polens Ostgrenzen, das Bekenntnis zur NATO und die verschärften Russland-Sanktionen.

Seit Donald Trumps Einzug ins Weiße Haus im Januar 2017 leben aber auch wir einfachen Bürger auf den Flanken eines hochaktiven politischen Vulkans. Fast jeden Morgen spuckt der Twitterfeed des Präsidenten Feuer und Asche. Jeden Abend fragt man sich, ob der nächste Sonnenaufgang den ganz großen Knall bringt – oder den Kollaps des Kegels nach innen.

Man muss nun nicht gleich an Plinius und Pompeii denken; wer die Cicero-Trilogie von Robert Harris gelesen hat, mag allerdings ein ­Déjà-vu-Gefühl empfinden. Denn in diesem Frühjahr scheinen sämtliche narrative Lunten, die im Jahr I der Ära Trump eingeführt worden waren, sich zu einer gigantischen Brennschnur zu verklumpen: Vorwürfe von Rassismus, Korruption, Justizvereitelung und Kollaboration; Drohungen mit Mauern, Strafzöllen, Sanktionen und Raketen. Und ein Präsident, der mit seiner bizarren Vorliebe für Oligarchen und Autokraten immer mehr wie ein Möchtegern-Monarch erscheint. Bisher haben Konfusion und Inkompetenz an der Spitze der Regierung wohl manche Krise verhindert. Im April aber wurden mit John Bolton als Nationalem Sicherheitsberater und Mike Pompeo als Außenminister Falken mit erprobter Durchschlagskraft berufen. Schon lange nicht mehr schien die Gefahr eines Krieges so hoch.

Eine kleine Flucht in diesen wilden Tagen bieten Basketballspiele in der Capital One Arena. Alt und jung, arm und reich, weiß und schwarz: zu Tausenden sitzen wir friedlich auf engen Klappsitzen zusammengedrängt, um unser Team anzufeuern. Schade nur, dass die Washington Wizards ausgerechnet in dieser Saison schwächeln.

Dr. Constanze ­Stelzenmüller ist seit Oktober 2014 Robert Bosch Senior Fellow an der Brookings Institution in Wa­shington, DC.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai-Juni 2018, S. 128 - 129

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