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01. Juli 2017

Besser nicht widersprechen?

Es gibt sie doch: die Trump-Doktrin. Und sie ist keine gute Nachricht für Europa

Zwei der erfahrensten Mitglieder der neuen US-Administration beschreiben in einem Zeitungskommentar, wie der Chef des Weißen Hauses auf die Welt blickt. Zwei Lehren können wir daraus schon mal ziehen: Der nationalistische Grundton wird noch schärfer. Und die Europäer werden nur gebraucht, wenn es den Interessen der USA dient.

Die Welt hat sich seit einiger Zeit gefragt, ob am Trumpismus noch mehr dran ist als dräuende Tweets und ungezügelte Impulse: ein Ideensystem, und nicht nur ein Sammelsurium von Einstellungen. Diese Frage ist am 30. Mai beantwortet worden: mit einem Namensartikel von keinen anderen als dem Nationalen Sicherheitsberater der amerikanischen Regierung, General H.R. McMaster, und Gary D. Cohn, dem Vorsitzenden des Nationalen Wirtschaftsrats. Der Artikel gibt vor, die Strategie hinter der ersten Auslandsreise des Präsidenten nach Saudi-Arabien, Israel und Europa zu erläutern.

Es ist wohl nur natürlich, dass die Autoren Wert darauf legten, der Kritik an der zehntägigen Reise des Präsidenten in den Nahen und Mittleren Osten und nach Europa als einer chaotischen und stümperhaften Farce zu widersprechen. Die Versuchung ist groß, ihre Widerlegung als nachträgliche Rationalisierung zu lesen. Das würde uns gestatten, weiterhin zu glauben, dass diese beiden Männer tatsächlich die Rolle der erwachsenen Aufpasser spielen: beauftragt, dafür zu sorgen, dass diese Regierung den Weg zur Normalität zurückfindet und die Ideologen in die Schranken gewiesen werden.

Aber dieser weniger als tausend Wörter lange Kommentar ist weit mehr als das. Er ist ein sorgfältig argumentierter (wenn auch nicht ganz konsistenter) Text, der seine zentralen Ideen bemerkenswert knapp entfaltet. Bis zur Ver­öffentlichung der Nationalen Sicherheitsstrategie dieser Regierung irgendwann im Herbst 2017 bleibt er bestehen als die erste autoritative Beschreibung der Weltsicht dieses Weißen Hauses, aus der Feder von zweien seiner mächtigsten, erfahrensten und angesehensten Mitglieder. Die Trump-Doktrin, die darin zum Ausdruck kommt, ist erschreckend.  

McMaster und Cohn zufolge war die Reise des Präsidenten nichts anderes als „historisch“. Ja, sie sei eine strategische Wende: „America First signalisiert die Wiederherstellung amerikanischer Führung, … um die Sicherheit Amerikas zu verstärken, den Wohlstand Amerikas zu fördern und Amerikas Einfluss rund um die Welt auszudehnen.“ Kurz zusammengefasst: America First heißt Amerika zuerst, und das nicht nur in Amerika, sondern überall auf dem Globus. 

Um jeden Zweifel an der Nullsummen-Weltsicht auszuräumen, die diesem Ansatz zugrundeliegt, erklären General McMaster und Gary D. Cohn: „Die Welt ist keine ‚globale Gemeinschaft‘, sondern eine Arena, in der Nationen, Nichtregierungsakteure und Unternehmen miteinander um Vorteile streiten. … Statt diese elementare Natur internationaler Beziehungen zu bestreiten, ­begrüßen wir sie.“

Kein US-Präsident seit 1945, ob Republikaner oder Demokrat, hat so entschieden mit der amerikanischen Führungsrolle in der liberalen Nachkriegsordnung gebrochen. Im Dienst des Weltfriedens war selbst die Supersiegermacht jahrzehntelang bereit gewesen, sich an universelle Regeln zu binden – ein Zugeständnis, das auf der Annahme einer weltweiten Wertegemeinschaft gründete und nicht auf dem Prinzip „Macht gleich Recht“. Zugegeben, die Republikaner sind schon immer der Ansicht gewesen, dass Wettbewerb gesund sei. Aber doch nicht in diesem Ton, der eher an die Autorin Ayn Rand erinnert als an – sagen wir – Henry Kissinger. Die Ankündigung des US-Präsidenten am 1. Juni, dass die Vereinigten Staaten das Pariser Klimaschutzabkommen verlassen (es sei denn, die anderen 194 Signatarstaaten lassen sich auf eine „Neuverhandlung“ ein), beweist, dass die Regierung meint, was sie sagt. Wo Rauch ist, ist auch Feuer.

Die erste Runde geht an die Ideologen

Dieser Wendepunkt hält zwei Lehren bereit. Die erste ist für Washington: Der Wettbewerb zwischen Amateurideologen und qualifizierten Erwachsenen ist fürs Erste entschieden: Runde eins geht an die Ideologen. Das Weiße Haus ist mitnichten im Begriff, „normal“ zu werden; im Gegenteil, es verschärft noch den nationalistischen Grundton.  

McMaster und Cohn haben nun ihr Schicksal und ihren Ruf mit dem des Präsidenten verbunden – sogar so weit, dass sie mit der Behauptung, Donald Trump habe in Brüssel ein Bekenntnis zur gegenseitigen Verteidigungsklausel in Artikel 5 des NATO-Vertrags abgegeben, eine offensichtliche Unwahrheit geltend machen. Man könnte zu ihren Gunsten annehmen, dass sie damit dokumentieren, dass sie anderer Meinung sind als ihr oberster Befehlshaber und ihn damit entschärfen und einhegen.

Aber wenn das Trumpismus light ist, ist er dennoch weit entfernt vom traditionellen republikanischen Internationalismus. Mit anderen Worten: Es ist immer noch Trumpismus. Es ist auch keineswegs beruhigend zu wissen, dass die Autoren diese Aktion unternehmen, nachdem entweder der Präsident selbst oder einer seiner schärfer gestimmten Berater – wie Susan Glasser von Politico kurz nach der Rede enthüllte – eine ausdrückliche Bestätigung des Artikel 5 in der Brüsseler Rede im letzten Moment herausoperierte. Die Sache mit der Einhegung funktioniert also bestenfalls bedingt.

Die zweite Lehre ist für Amerikas europäische Verbündete. Effizient geben McMaster und Cohn dem Fundament des westlichen Bündnisses den Gnadenstoß – der Überzeugung, dass uns der Glaube an eine Wertegemeinschaft eint. Das Wort „Werte“ erscheint zweimal, aber nicht im Zusammenhang mit den europäischen Alliierten: zuerst in einem Absatz über den Besuch in Saudi-Arabien und dann in einer Passage, die den Gegnern der USA versichert, dass Amerika seine „Werte und Interessen verteidigen, aber auch nach Interessenüberschneidungen Ausschau halten wird“. In einer eigenartig matten und verkrampften Redewendung sprechen die Autoren von den „Prinzipien, die Amerika ungewöhnlich machen“. Dass Amerika Bündnisse brauche, bestätigen sie mit Nachdruck. Aber sie machen auch klar, dass seine Allianzen auf Zeit angelegt, an Bedingungen geknüpft und strikt geschäftsmäßig motiviert sind: „Soweit unsere Interessen gleichgelagert sind, sind wir offen für Zusammenarbeit zur Lösung von Problemen und für das Ausloten möglicher Chancen.“ 

Für europäische Ohren ist das eine erstaunlich verkümmerte Beschreibung einer Beziehung, die seit fast 70 Jahren andauert, heute breit und tief ist und die von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen bis hin zu Sicherheit und Verteidigung reicht. Sie ist gänzlich unzureichend als Erklärung für die Tatsache, dass fast 900 Europäer und Europäerinnen, Seite an Seite mit ihren amerikanischen Kameraden kämpfend, ihr Leben in Afghanistan ließen, nachdem Europa am 12. September 2001 wegen des Angriffs auf die USA zum ersten und bisher einzigen Mal in der Geschichte der NATO die Beistandsverpflichtung des Artikel 5 auslöste.

Aber es ist wohl besser, nicht zu widersprechen. Denn „diejenigen, die sich entscheiden, gegen unsere Interessen zu handeln, werden auf den entschiedensten Widerstand stoßen“. Diese kühle, geschäftsmäßige Drohung lässt keine Kompromisse oder eine andere Form des Aushandelns zu. Noch viel weniger lässt sie Raum für ein kollektives Bekenntnis zu Zielen, die größer sind als die Summe unserer gemeinsamen Interessen. Von einem gemeinsamen Schicksal des Westens ganz zu schweigen.

Die Europäer haben die Nachricht vernommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte, dass die aktuell leider nur bedingte Verlässlichkeit der USA (und Großbritanniens) bedeute, dass „wir Europäer … unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen“ müssen. Am 7. Juni hat ein EU-Gipfel weitreichende Maßnahmen zur Verstärkung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beschlossen, angetrieben von der fortdauernden Bedrohung durch ein revisionistisches Russland.

Nichts von alledem bedeutet, dass die Europäer sich abwenden von Amerika, von den transatlantischen Beziehungen oder von der NATO, ihrem militärischen Arm. Aber es ist eine Emanzipationserklärung. Und das dürften McMaster und Cohn nicht beabsichtigt haben.

Dr. Constanze ­Stelzenmüller ist ­Robert Bosch Senior Fellow an der Brookings Institution in Wa­shington, DC. Dieser Text ­erschien zuerst auf Englisch als ein ­Brookings Blog.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli-August 2017, S. 14 - 16

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