Unheimliche Nachbarn
Islamabad hat kein Interesse an einer Atommacht Iran
Pakistan entwickelt sich unaufhaltsam zum islamischen Staat – aber zu einem sunnitischen. Deshalb verschärfen sich auch die Konflikte mit dem schiitischen Iran. Sollte das iranische Nuklearprogramm gewaltsam beendet werden, würde man das in Islamabad insgeheim begrüßen.
Die Konfrontation mit dem Iran wegen dessen Nuklearprogramm spitzt sich zu. Dennoch äußern nur wenige pakistanische Experten Besorgnis über die mögliche Aufstellung von Atomwaffen entlang ihrer westlichen Grenzen. Im Augenblick empört man sich eher über die vermeintlichen Schikanen der Amerikaner gegenüber einem islamischen Nachbarland, als dass man sich bedroht fühlte.
Doch in Anbetracht der ständigen und oft gewalttätigen Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich das ändert. Die Beziehungen Pakistans zum Iran haben sich seit dem Abzug der Sowjets aus Afghanistan und dem darauf folgenden Bürgerkrieg grundlegend gewandelt. Während der Regierungszeit des Schahs war der Iran einer der engsten Freunde und Alliierten Pakistans. Die islamische Revolution bewirkte ein Umdenken innerhalb der pakistanischen Elite. Sie bekannte sich offiziell zwar zum Islam, aber auf keinen Fall wünschte sie eine Revolution nach iranischem Muster. Der damalige Präsident Pakistans Zia ul-Hak griff jedoch immer intensiver auf einen religiösen Diskurs zurück, da er auf die Unterstützung der Geistlichen angewiesen war. Deshalb betonte er in wachsendem Maße die im Grunde recht unwesentlichen Glaubensunterschiede zwischen orthodoxen Schiiten und Sunniten. Es gehörte zu Zia ul-Haks Politik, heimlich militante sunnitische Gruppen wie die Laschkar-e-Jhangvi zu fördern, was zur Bildung zahlreicher Terrorrganisationen führte, die Schiiten als Abtrünnige betrachten.
Dieser konfessionelle Konflikt spiegelte sich im afghanischen Bürgerkrieg wider. Pakistan unterstützte dabei die radikalsten sunnitischen Gruppen und setzte zuletzt sogar auf die ultra-extremen Taliban. Der Iran wiederum bewaffnete schiitische Gruppen wie diejenige von Schah Achmed Massud in der Provinz Pandschir. Diese religiösen Differenzen führten immer häufiger zu Konflikten zwischen den Militärs und Geheimdiensten der beiden Länder.
Da Pakistan sich weiterhin schrittweise auf die Errichtung eines sunnitischen Gottesstaats zubewegt, muss sich der Wettstreit mit dem schiitischen Iran zwangsläufig verschärfen. Bereits jetzt führt die Unterstützung der USA durch die pakistanische Militärregierung zu enormen Spannungen. Die Zurechtweisung aller muslimischen Länder, die sich auf Gespräche mit Israel einlassen, durch den iranischen Präsidenten Achmadinedschad zielte eindeutig auf Islamabad ab. Bisher wurde das iranische Atomprogramm zwar nicht als Bedrohung angesehen, aber wohlgelitten ist es bei antischiitischen Gruppen sicherlich auch nicht.
Ein weiterer Faktor, der zunehmend für Unbehagen unter Verteidigungsexperten sorgt, ist die Intensivierung der Handelsbeziehungen zwischen Indien und dem Iran. Es wäre übetrieben, diese Entwicklung in der gegenwärtigen Gefahrenanalyse als „Einkreisung“ zu bezeichnen. Dennoch sieht man in Islamabad den wachsenden Einfluss Neu-Delhis auf Teheran mit großem Missfallen. Denn in Pakistan möchte man sich traditionell die Option einer strategischen Allianz mit dem westlichen Nachbarn Iran bewahren, sollte es zu einem bewaffneten Konflikt mit Indien kommen.
Im Iran droht man auch deshalb mit der nuklearen Option, weil das sunnitische Pakistan bereits über Atomwaffen verfügt. Mehr noch als Washington und Tel Aviv muss sich Teheran vor fanatischen Sunniten in Islamabad fürchten, die Zugriff auf Atomwaffen haben. Der größte Albtraum des Westens ist auch der des Irans.
Dass die nuklearen Ambitionen des Irans in Pakistan wiederum noch keine allzu großen Befürchtungen hevorrufen, mag daran liegen, dass dieses Problem bislang noch gar nicht auf dem politischen Sicherheitsradar aufgetaucht ist. Oder dass Pakistan sich einfach darauf verlässt, jemand anderes – die USA oder Israel – werde das Problem schon erledigen. Falls also iranische Nuklearanlagen mittels eines Luftangriffs zerstört werden, dürfte das in Pakistan niemanden allzusehr empören, auch wenn Demonstranten und Leitartikler einen solchen Akt offiziell verdammen werden.
Wenn man die ideologischen Differenzen betrachtet, die sich in den vergangenen 20 Jahren zwischen dem Iran und Pakistan aufgetan haben, wird es immer offensichtlicher, dass auch die strategischen Interessen der beiden Länder inzwischen enorm differieren. Obwohl Pakistan ein zunehmend islamischer Staat ist, sieht es seine Zukunft eng mit dem Westen verknüpft. Der Iran kann sich mit Hilfe seiner riesigen Ölvorkommen weit extremere und antiwestlichere Positionen leisten. Teheraner Intellektuelle verhöhnen öffentlich die Bush-freundliche Politik des pakistanischen Präsidenten Pervez Muscharraf. Dies schlägt sich sich auch in den staatlich gelenkten Medien nieder.
Säkulare Pakistanis, die heftig gegen das Kernwaffenprogramm ihres eigenen Landes opponierten, reagieren alarmiert auf die Aussicht, dass noch mehr Massenvernichtungswaffen in diese unberechenbare Region gelangen sollen. Derart gefährliche Waffen möchte man ungern unter der Kontrolle der Mullahs wissen. Mangels naturwissenschaftlicher Bildung, so befürchtet man in Pakistan, bestehe bei ihnen die Gefahr, dass sie Atomsprengköpfe bloß als besonders große Bomben betrachteten, mit denen sie ihre Feinde vernichten können. Auf das Jenseits mit seinen Glücksverheißungen fixiert, würden sie wohl eher auf den Knopf drücken, als skeptischere Geister das täten.
Doch trotz dieser realen Sorgen erzürnt es die pakistanische Öffentlichkeit, dass Washington und Tel Aviv auf ein muslimisches Land Druck ausüben. Das übliche Argument klingt reichlich abgenutzt: Wenn Israel Atomwaffen besitzen darf, warum dann nicht der Iran? In der Tat bejubelten die meisten Pakistanis die ersten Atomwaffenversuche von 1998. Über die Folgen solchen Waffenbesitzes dachten die Wenigsten nach. Doch heute, mehr als sieben Jahre später, erkennen einige, dass Pakistan dadurch nicht sicherer, sondern verwundbarer geworden ist: Unmittelbar nach dem 11. September führte Muscharraf als einen der Gründe für die pakistanische Unterstützung des amerikanischen Krieges gegen den Terror die Gefahr an, die den pakistanischen Atomanlagen drohe.
Sollten die iranischen Atomwaffenträume durch eine auswärtige Intervention zerstört werden, wären die meisten Tränen, die in Pakistan vergossen werden, Krokodilstränen.
IRFAN HUSAIN, geb. 1944, ehemaliger pakistanischer Staatsbeamter, schreibt regelmäßige Kolumnen für mehrere große pakistanische Zeitungen. Der vorliegende Text erschien in englischer Sprache auf www.bitterlemonsinternational.org.
Internationale Politik 3, März 2006, S. 74 - 75.