Tricksen und täuschen
Der US-Präsidentschaftswahlkampf nimmt Fahrt auf
Seit dem Kongress der Republikaner am Dienstagabend ist es offiziell: Mitt Romney und sein Vizekandidat Paul Ryan sind die Präsidentschaftsanwärter der „Grand Old Party“. Zwei Themen stehen im Mittelpunkt der Wahlschlacht: die Staatsschulden und die Attacke auf die Gesundheitsreform.
Im Augenblick befindet sich der Wahlkampf in der Phase des Geplänkels. Beide Seiten trainieren ihre Rhetorik und versuchen, die Verteidigung des anderen in Verlegenheit zu bringen. Seriöse politische Debatten über die Zukunft der Nation sind noch Mangelware; dafür machen die kleinen Dinge große Schlagzeilen: die Behinderung des Nominierungsparteitags der Republikaner in Tampa durch stürmisches Wetter, die Jahre zurückliegende Fehlgeburt von Mitt Romneys Frau Ann – ein Versuch, die Sympathien der weiblichen Wählerschaft zu gewinnen, oder die ignoranten und frauenfeindlichen Bemerkungen des Senatskandidaten Todd Akin zu Vergewaltigung und Abtreibung – die es Obama ermöglichen könnten, viele Wählerinnen von einer Stimmabgabe für Romney abzuschrecken. Die von beiden Seiten engagierten privaten Ermittler arbeiten seit Monaten rund um die Uhr, um möglichst viel Schmutz ans Tageslicht zu fördern.
Dem Lärm und Unsinn zum Trotz werden aber auch ein paar echte Probleme diskutiert. Umfragen zeigen, dass nur 6 Prozent der amerikanischen Wähler noch nicht wissen, für welchen Kandidaten sie stimmen wollen. Für die Handvoll Wähler in der Handvoll Staaten, die letztendlich über den Ausgang des Wahlkampfs entscheiden werden, könnte es jedoch auf eine Schlacht zwischen Gesundheitsvorsorge/Medicare (Demokraten) und großem Finanzdefizit/aufgeblasenem Staatsapparat (Republikaner) hinauslaufen.
Die Republikaner versuchen, die Wählerschaft zu überzeugen, dass Obama und seine Demokraten die Partei der großen Ausgaben und der Staatsverschuldung sind. Diese uralte Wahlkampfstrategie wurde schon in den sechziger Jahren von Richard Nixon und Barry Goldwater benutzt. Aber man kann sich darauf verlassen, dass republikanische Präsidentschaftskandidaten sie aus der Mottenkiste holen, ungeachtet der Tatsache, dass beide Parteien einen „big state“ und Etatüberziehung befürworten. Die einzigen Unterschiede liegen in der Frage, wofür man das Geld ausgeben soll.
Beim Nominierungskongress der Republikaner tat der republikanische Vorsitzende Reince Priebus sein Bestes, daran zu erinnern, dass das Land bis zum Hals in Schulden stecke und man wisse, wer dafür verantwortlich sei: die anderen. Unter dem tosenden Applaus der Delegierten eröffnete Priebus den Kongress, indem er eine „Schuldenuhr“ in Gang setzte: Sie zählte, von Null aufwärts, welche Schulden allein seit dem Beginn des Kongresses aufliefen. Der Hinweis auf die von Republikanern oft kritisierte „beispiellose finanzpolitische Sorglosigkeit der Obama-Regierung“, die das Land über kurz oder lang in den Ruin treiben werde, war damit kaum zu übersehen.
Den Vorwurf der „finanzpolitischen Sorglosigkeit“ wies die Obama-Regierung selbstverständlich empört zurück. Für den Großteil des Defizits seien schließlich die Steuersenkungen während der Bush-Ära, zwei Kriege im Irak und Afghanistan und der wirtschaftliche Kollaps 2008 verantwortlich – und damit die Republikaner. Nichts da, hält Romneys Lager dagegen: Erst Obama habe das Defizit mit seinem wirkungslosen und verschwenderischen Konjunkturprogramm von 2009 weiter in die Höhe getrieben.
Die nationale Verschuldung beträgt mittlerweile 15,9 Billionen Dollar, 2009, zu Beginn der Obama-Regierung, waren es noch 10,6 Billionen. Ohne sein Konjunkturprogramm, hält Obama nun wiederum dagegen, befände sich die amerikanische Wirtschaft in einer noch schlechteren Verfassung und wären die Arbeitslosenzahlen noch höher. So benutzen beide Seiten ihre eigenen Zahlen, ihre eigenen Statistiken und ihre eigenen Claqueure, um ihre Behauptungen zu untermauern.
Betreiben die Republikaner Angstmacherei um das Anwachsen der Staatsschulden, kontern die Demokraten spätestens seit der Nominierung Ryans als Vizepräsident mit Schreckensszenarien rund um Medicare und Gesundheitsreform. Immerhin ist Ryan bekannt für seinen Budgetplan, der vorsieht, dass Medicare gründlich überprüft und die Ausgaben für die staatliche Fürsorge eingeschränkt werden sollen.
Zum Pech der Republikaner kommt eine aktuelle Umfrage der Quinnipiac Universität/New York Times/CBS News zu dem Ergebnis, dass der republikanische Reformplan für Medicare mit seiner Abschaffung garantierter Fürsorgestufen und gleichzeitiger Auszahlung von festgeschriebenen Geldbeträgen zum Kauf von privaten Krankenversicherungen bei den Wählern nicht auf Gegenliebe stößt und besonders in den Swing-States Florida und Ohio unbeliebt ist. Insgesamt würden die Wähler die Frage der Reform des Medicare-Prgramms lieber Obama anvertrauen als Romney. Sechs von zehn Wählern wollen, dass Medicare älteren Amerikanern weiterhin eine Krankenversicherung nach dem bewährten Modell bietet und 60 Prozent der unabhängigen Wähler unterstützen Medicare in seiner heutigen Form. Unter den Demokraten sind es acht von zehn und in den beiden ausschlaggebenden Staaten Florida und Ohio sind selbst die Republikaner in dieser Frage uneins.
Keine guten Aussichten für Romney. Obama hat gewichtige Argumente gegen Romneys Vorwürfe der Geldverschwenderei und kann ohne weiteres behaupten, dass es der Wirtschaft besser geht als zu Beginn seiner Präsidentschaft. Romney und Ryan hingegen haben den Vorwurf, dass sie das Thema Medicare als Wahlkampfthema ausschlachten wollen, nicht schlüssig widerlegen können. Aus einem einfachen Grund: Es ist eines ihrer Wahlkampfthemen.
STEVEN HILL ist Publizist in San Francisco. Zuletzt erschien von ihm „10 Steps to Repair American Democracy“ (www.10Steps.net) und „Europe’s Promise: Why the European Way is the Best Hope in an Insecure Age“ (www.EuropesPromise.org).
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