Mobilisierung versus Überzeugung
Der letzte Akt des amerikanischen Präsidentschaftsdramas
Der US-Präsidentschaftswahlkampf ist auf der Zielgeraden angelangt. Während die Kampagnenmacher die „Swing States“ weiter mit Werbespots bombardieren, sind sich die meisten Experten einig, dass es gar nicht mehr so viele unentschiedene Wähler gibt. Die Wahl dürfte weniger im Kampf um Themen entschieden werden als im Wettlauf darum, welche Seite ihre Unterstützer dazu bringt, wählen zu gehen.
Um die Dinge im US-Präsidentschaftswahlkampf komplizierter zu machen, hat Mutter Natur beschlossen, sich einzumischen. Hurrikan Sandy, einer der zerstörerischsten Wirbelstürme in der Geschichte der USA, suchte nicht nur mehrere der umkämpften Staaten heim – insbesondere Ohio, Virginia und New Hampshire –, sondern sorgte auch dafür, dass über 7000 Flüge ausfielen, die Stromversorgung von Millionen Menschen unterbrochen wurde und letztlich auch die Fähigkeit der Kampagnenmacher eingeschränkt wurde, noch einmal die letzten Kräfte zu mobilisieren. Dazu gehören tausende Freiwillige und bezahlte Helfer, die von Tür zu Tür gehen oder Telefonketten starten. Viele dieser Freiwilligen sind monatelang aktiv gewesen, haben Wähler registriert und Unterstützer identifiziert. Nun stehen sie vor ihrer letzten Aufgabe: dafür zu sorgen, dass diese Unterstützer auch wählen gehen.
Um sicherzustellen, dass ihre Unterstützer wählen gehen, haben sowohl Obamas als auch Romneys Kampagnenmacher für „early voting“ geworben. Dadurch lassen sich nicht nur sichere Stimmen gewinnen, es bietet auch eine Versicherung gegen unvorhergesehene Situationen am Wahltag, die verhindern, dass Unterstützer von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen – seien es Stürme oder unaufschiebbare Aufgaben am Arbeitsplatz.
Erfreulicher Nebeneffekt: Dadurch werden Kampagnenressourcen frei, mit denen sich andere Wähler umwerben lassen. Obama hat diese Taktik 2008 sehr erfolgreich angewandt. Nach Schätzungen haben bis Freitag den 26. Oktober fast 20 Prozent der Wähler in umkämpften Staaten wie Ohio bereits ihre Stimmen abgegeben. Umfragen zufolge führt Obama bei diesen Wählern mit deutlichem Vorsprung. Politikwissenschaftler schätzen, dass eine Rekordprozentzahl von 30 bis 40 Prozent aller amerikanischen Wähler ihre Stimme vor der Wahl am 6. November abgeben werden; in einigen umkämpften Staaten könnte die Quote noch höher sein.
Beide Kampagnen setzen auf das Prinzip der Nachbarschaft und Freundschaft: Potenzielle Wähler sollen von Leuten gewonnen werden, die sie bereits kennen oder die einen ähnlichen lokalen oder ethnischen Hintergrund besitzen. Soziale Netzwerke wie Facebook werden extensiv genutzt.
Schaut man allein auf die Zahlen, scheint Obama hier knapp im Vorteil zu sein. Sein Kampagnenteam kann auf mehr als doppelt so viele bezahlte Helfer zurückgreifen wie das seines republikanischen Widersachers. In Ohio hat Obamas Kampagnenteam 120 Außenposten eröffnet, 45 mehr als 2008, Romney dagegen nur 40. Laut einer aktuellen Umfrage wurden 36 Prozent der Wähler in Ohio von Obamas Kampagnenteam angesprochen, von Romneys Team nur 29 Prozent.
Hatte schon Obamas Präsidentschaftskampagne im Jahre 2008 Maßstäbe gesetzt, was die Mobilisierung von Unterstützern angeht, so spricht der Macher der Kampagne 2012, Jim Messina, davon, dass man in diesem Jahr die „größte und innovativste Graswurzelkampagne in Amerikas politischer Geschichte“ gestartet habe. In vielen der umkämpften Staaten sei es den Demokraten gelungen, mehr Wähler zu überzeugen, sich registrieren zu lassen, als den Republikanern.
Doch auch die Vertreter von Romneys Kampagnenteam verweisen in ihren öffentlichen Erklärungen darauf, dass man ebenso viele Wähler kontaktiere wie der demokratische Gegner. Nach Romneys solidem Auftreten in der ersten Debatte soll die Zeit, die freiwillige Helfer für die Kampagne investierten, um 63 Prozent gestiegen sein, was in Ohio 237.000 Besuche bei Wählern in der Woche der Debatte bedeutete, im Vergleich zu 162.000 Besuchen in der Woche zuvor. Und über die bloße Anzahl der Kontakte hinaus behauptet Romneys politischer Direktor Rich Beeson: „Wir nutzen eine etwas andere Methode [als Obamas Kampagnenteam]. Wir setzen auf die Qualität und die Effektivität unserer Kontakte.“
Das mag natürlich alles eher Wunschdenken als ernsthafter empirischer Befund sein – und die Kampagnenmacher auf beiden Seiten sind Profis, wenn es darum geht, sich selbst zu loben. Immerhin, Obamas Kampagne scheint derzeit einen kleinen Vorteil bei zwei Schlüsselfaktoren zu haben – die Wähler zu registrieren und sie dazu zu bringen, ihre Stimme früh abzugeben. Aber gerade die Republikaner haben in der Vergangenheit – wie bei George W. Bushs Kampagnen in den Jahren 2000 und 2004, die von Bushs Mastermind Karl Rove geleitet wurden – immer wieder ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, ihre Wähler zum Wählen zu bringen.
Eines scheint sicher: Da Obama und Romney Umfragen in so vielen „Swing States“ zufolge gleichauf liegen, könnten die größtenteils unsichtbaren Mechanismen der Identifizierung von Wählern, ihrer Registrierung und ihrer Motivierung zum Wählen den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen.
Steven Hill ist Publizist. Zuletzt erschien von ihm „10 Steps to Repair American Democracy“(www.10Steps.net) und „Europe’s Promise: Why the European Way is the Best Hope in an Insecure Age“ (www.EuropesPromise.org).
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