Krieg auf den TV-Kanälen
Im US-Wahlkampf dreht sich nun alles um den durchschlagenden Werbespot
Die TV-Debatten brachten keine Vorentscheidung, das Rennen um die US-Präsidentschaft bleibt eng. In der heißen Endphase gilt das Hauptaugenmerk der Kampagnen der Fernsehwahlwerbung in den „swing states“. Dafür stehen beiden Kandidaten in den letzten zehn Tagen noch jeweils rund 300 Millionen Dollar zur Verfügung.
Die Präsidentschaftsdebatten sind gelaufen. Laut einer Umfrage des Fernsehsenders CBS unter Wechselwählern in den besonders umkämpften Bundesstaaten, den „swing states“, ging die dritte und letzte Runde zur US-Außenpolitik an Präsident Barack Obama. Doch eine Vorentscheidung ist bei den Rededuellen zwischen Obama und seinem Herausforderer Mitt Romney nicht gefallen.
Das wichtigste Instrument, um bis zum Wahltag am 6. November Unentschlossene auf seine Seite zu ziehen, ist das Trommelfeuer der TV-Wahlwerbespots, die in den Wohnzimmern der Wähler in umkämpften Staaten flimmern. Ich lebe in Kalifornien, und hier wird Obama mühelos gewinnen; deswegen haben Kalifornier kaum Wahlwerbespots der Kandidaten gesehen. Eigentlich haben die Wähler in den meisten Staaten kaum Wahlwerbespots gesehen, weil der Wahlausgang in wohl 43 von 50 Staaten praktisch feststeht. Aber die Wähler in Florida, Ohio, Virginia und einer Handvoll anderer Staaten werden Abend für Abend mit Fernsehspots förmlich bombardiert. Das geht in diesen Staaten schon monatelang so, und dieser „Krieg auf den TV-Kanälen“ wird sich weiter verschärfen: Die Wahlkampfteams von Obama und Romney haben in den nächsten zehn Tagen noch mehrere Hundert Millionen Dollar zum Ausgeben.
Sowohl Obama als auch Romney haben nach neuesten Schätzungen jeweils ungefähr eine Milliarde Dollar für ihre Kampagnen gesammelt, was den Staatshaushalten einiger unterentwickelter Staaten entspricht. Der Sender MSNBC hat vorgerechnet, dass man mit einer Milliarde Dollar über 18 Millionen Kinder 50 Tage lang ernähren und 500 Millionen Kinder drei Monate lang mit sauberem Wasser versorgen könnte. Stattdessen wird das Geld für diesen immer schärfer werdenden „Politkrieg“ ausgegeben. Immerhin ist es gewissermaßen ein zwei Milliarden Dollar schweres Konjunkturpaket für die Werbewirtschaft und eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Politikbesessene und -berater aller Couleur.
„Super-PACs“ – Lobbygruppen, die praktisch unbegrenzt Mittel für Kandidaten oder mit ihnen verbundene politische Ziele ausgeben können und die oft von berühmt-berüchtigten Wahlkampfspendern wie Bob Perry (18 Millionen Dollar) oder Sheldon Adelson (10 Millionen Dollar) auf Romneys Seite sowie George Soros (eine Million) sowie Organisationen wie „Planned Parenthood“ (zwei Millionen) auf Obamas Seite kontrolliert werden – und eine Reihe von Gewerkschaften haben weitere Hunderte Millionen Dollar eingeworben und ausgegeben. Laut Washington Post haben konservative Super-PACs dabei fast dreimal so viele Spenden gesammelt wie demokratische. Jeder Kandidat hat bisher ungefähr knapp zwei Drittel seiner Milliarden-Kriegskasse ausgegeben, einen Großteil für rund 650 000 Fernseh- und Internetwerbespots.
Lächerliche Behauptungen
Beide haben also noch viel „Munition“ auf Lager und sind bereit für den letzten Großangriff. Ich sage „Angriff“, weil die überwiegende Mehrheit dieser Wahlwerbespots sehr negativ war; in ihnen wurden die Politik und der Charakter des jeweils anderen attackiert und oft lächerliche Behauptungen aufgestellt. So hieß es in einem Werbespot der Republikaner, Obama sei kein amerikanischer Staatsbürger. Ein anderer Werbespot aus dem Romney-Lager kritisierte Obama für seinen Gesundheitsplan mit der Behauptung, der Plan würde Medicare, das beliebte Gesundheitsprogramm für Senioren, ausplündern und „Rollstühle und Herzschrittmacher mit Steuern belegen“.
Wahlwerbespots von Obama und mit ihm verbündeten Super-PACs waren ähnlich bissig in ihrer Darstellung von Mitt Romney. Ein Werbespot gab Romney der Lächerlichkeit preis, indem er unterstellte, der Kandidat habe „Big Bird“ (in Deutschland als „Bibo“ bekannt) aus der Sesamstraße als Hauptverantwortlichen für die Wirtschaftsmisere ausgemacht (Romney hatte angekündigt, dem öffentlich-rechtlichen Sender PBS, der die amerikanische „Sesame Street“ produziert, die Mittel streichen zu wollen). Andere Spots kritisierten Romney für seine Rolle als Vorstand von Bain Capital, einem Hedgefonds, der Firmen geschlossen und Jobs gestrichen hat. Auch sein niedriger Einkommenssteuersatz von nur 14 Prozent, den er für 2011 gezahlt hat, obwohl er in dem Jahr 20 Millionen Dollar verdiente, wird in Spots thematisiert.
Zielgruppe Frauen
Viele Werbespots zielen allerdings auf bestimmte Wählergruppen – allen voran auf Frauen. Sie könnten diese Wahl durchaus entscheiden, also werden viele Werbespots so zugeschnitten, dass sie möglichst viele Frauen ansprechen.
Vor allem die Abtreibung hat sich so von einem eher nebensächlichen Thema in vergangenen Präsidentschaftswahlkämpfen zu einem der Hauptthemen der diesjährigen Wahlen entwickelt. Obamas Kampagne hat einen neuen Werbespot veröffentlicht, in dem es heißt, Mitt Romney würde Abtreibungen verbieten. Im Werbespot wird eine Szene aus einer Debatte des republikanischen Vorwahlkampfs eingespielt, in welcher der CNN-Moderator Anderson Cooper die republikanischen Kandidaten fragte: „Wenn das entsprechende Verfassungsgerichtsurteil von 1973 gekippt und der Kongress ein landesweites Verbot aller Abtreibungen beschließen würde – würden Sie als Präsident dieses Gesetz unterschreiben? Ja oder nein?“ Der Spot zeigt, wie Romney gutgelaunt verkündet: „Es wäre mir eine Freude, dieses Gesetz zu unterzeichnen.“ Auf der anderen Seite bezeichnete das Komitee „National Right to Life“ Obama als den Präsidenten, der wie kein anderer vor ihm „Abtreibungen am stärksten befürwortet“. Andere Anti-Abtreibungsgruppen wie die Susan B. Anthony List und Faith2Action haben Obama als „Radikalabtreiber“ bezeichnet und behauptet, der Präsident sei „für den Tod“ (von Ungeborenen) verantwortlich.
Während die Umfragen besagen, dass Abtreibung und andere soziale Themen für die meisten Amerikaner nicht annähernd so wichtig sind wie Arbeitsplätze und das Gesundheitssystem, ist Abtreibung für eine bestimmte Wählergruppe ein sehr emotionales Thema – ein „Blitzableiter“, der diese Wähler mobilisieren kann, die ihrerseits vielleicht unentschiedene Freunde und Familienmitglieder überzeugen. In einem Kopf-an-Kopf-Rennen könnten diese Stimmen in ausschlaggebenden „swing states“ den Unterschied ausmachen.
Niemand weiß, welcher der TV-Spots der durchschlagende sein wird. Um ihn zu finden, werden die Kampagnenmacher noch den letzten Cent aus ihrer milliardenschweren Kriegskasse locker machen.
STEVEN HILL ist Publizist in San Francisco. Zuletzt erschien von ihm „10 Steps to Repair American Democracy“(www.10Steps.net) und „Europe’s Promise: Why the European Way is the Best Hope in an Insecure Age“ (www.EuropesPromise.org).
IP Online Exclusive