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01. Jan. 2012

Spiel mit dem Feuer

Deutschland braucht eine konsequente Politik gegenüber dem Iran

Nach dem Ende der Verhandlungen mit dem Iran über dessen Urananreicherung scheint die deutsche Politik sich darauf zu beschränken, vor militärischen Abenteuern der USA zu warnen und ansonsten auf bessere Zeiten zu hoffen. Tatsächlich wird die Lage immer ernster und erfordert wirkungsvolle Schritte, um den Iran vom Bau von Kernwaffen abzuhalten.

Die Krise um das iranische Nuklearprogramm geht in eine neue, möglicherweise entschei­dende Phase. Lange Zeit hat diese Krise vor sich hin geköchelt. In Deutschland ist nur wenigen die Dramatik bewusst geworden. Die Mehrheit der Politiker und der sie begleitenden Journalisten und Experten haben immer nur zwei Dinge interessiert: Wie kann man die USA davon abhalten, auch im Iran einen gewaltsamen Regimewechsel herbeizuführen? Und wie kann man den Iran mit diplomatischen Mitteln zur Rückkehr in die „internationale Gemeinschaft“ (d.h. den Nichtverbreitungsvertrag) bewegen?

Das erste Ziel hat sich durch den Amtswechsel in Washington im Januar 2009 eigentlich erledigt, doch solange Präsident Barack Obama den Einsatz militärischer Mittel grundsätzlich nicht ausschließt, steht auch er unter dem Verdacht, eine Invasion zu planen. Das zweite Ziel ist bislang verfehlt worden. Es hat seit 2003 mehrere interessante Anläufe für diplomatische Lösungen gegeben, die aber stets im letzten Augenblick durchkreuzt wurden (meistens infolge von Störfeuer aus Teheran).

Und nun gibt es unangenehme Nachrichten: Die Erstürmung der britischen Botschaft und Meldungen über militärische Vorbereitungen der Israelis gehören ebenso dazu wie beunruhigende Berichte über Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen Iraner, die in Deutschland Terror­anschläge gegen Einrichtungen der US-Armee vorbereitet haben sollen.

Die Erstürmung der britischen Botschaft in Teheran ist ein Indiz dafür, dass die iranische Führung zunehmend aggressiv reagiert, da sie vor einem Scherbenhaufen steht. Das Nuklearprogramm – an dessen angeblich zivile Zweckbestimmung außer einigen berufsmäßigen Propagandisten niemand mehr glaubt – ist ein Spiel mit dem Feuer, und dieses Feuer beginnt jetzt zu lodern.

Die Sanktionen fangen an zu greifen, und sie werden in einem Maße verschärft, dass dem Iran erhebliche Nachteile entstehen. Schon heute ist erkennbar, dass der Iran infolge der Sanktionen sein Potenzial an Erdöl- und Erdgasexporten immer weniger nutzen kann. Die Erdölförderung sinkt, bei Erdgas ist der Iran – der auf den zweitgrößten Erdgasvorräten der Welt sitzt – heute Netto­importeur. Die Sanktionen wegen des Nuklearprogramms sowie die Cyberattacken (Stuxnet) und Sprengstoffanschläge (wie auch die Attentate gegen führende Wissenschaftler des Nuklear- und Raketenprogramms) haben die Kosten für dieses Programms enorm gesteigert. Dessen Ertrag bleibt noch begrenzt. Selbst wenn der Iran die Urananreicherung fortsetzt, wird er erst in ein bis zwei Jahren in der Lage sein, einen oder zwei Nuklearsprengkörper herzustellen, deren Funktionsfähigkeit dann noch nicht gesichert ist.1

Deutsche Fehleinschätzungen

Außenminister Guido Westerwelle spricht von Völkerrechtswidrigkeit und davon, dass der Iran die Wahl zwischen Isolation und Kooperation habe. Bundeskanzlerin Angela Merkel bleibt stumm, die Medien bringen Tartarenmeldungen und die Öffentlichkeit ist verunsichert. Die jüngsten Ereignisse offenbaren: Die bisherige deutsche Politik ist mit ihrer Weisheit am Ende.

Die politische und die öffentliche Debatte der vergangenen Jahre in Deutschland war durch Experten und Politiker bestimmt, deren Hauptanliegen darin bestand, angeblichen Invasionsplänen der Amerikaner (Stichwort Regime Change) entgegenzuwirken. Es hieß, Washington habe nach dem Zerfall der Sowjetunion und nach dem Sturz Saddam Husseins den Iran als Feindbild aufgebaut und übertreibe die von Teheran ausgehende Bedrohung. Das Hauptargument, welches gegen die angeblichen Feindbildproduzenten in Washington angeführt wurde, lautete: die Führung in Teheran sei nicht monolithisch. Vielmehr sei sie untereinander zerstritten und daher nicht in der Lage, eine ernsthafte strategische Bedrohung darzustellen.

Diese Einschätzung, die seit Jahren vor allem vom regierungsnahen Thinktank Stiftung Wissenschaft und Politik vertreten wird und die auch die Politik der Bundesregierung maßgeblich geprägt hat, übersieht zwei ganz wesentliche Dinge:

Erstens: Die iranische Führung ist tatsächlich schwach und zerstritten, aber sie ist offenbar dennoch in der Lage, die USA, die arabischen Nachbarstaaten und Israel mit ihrem Nuklearprogramm in Kombination mit einem Raketenprogramm und vielen kleineren Militärprogrammen ernsthaft herauszufordern. Möglicherweise ist das der gemeinsame Nenner, auf den sich die zerstrittene Führung einigen konnte. Oder aber im Iran herrschen schon längst die Revolutionsgarden. Diese haben mittlerweile eine Reihe von beeindruckenden asymmetrischen Militärop­tionen entwickelt, mit denen sie vor allem der US Navy mehr als nur Nadelstiche beibringen können. Im Libanon sitzen die Hisbollah und im Irak die Mahdi-Milizen als Ausgründungen der iranischen Pasdaran, um auf Zuruf Attentate und Militäroperationen nicht nur in ihrer unmittelbaren Umgebung, sondern in aller Welt durchzuführen. In absehbarer Zeit wird der Iran auch Mitteleuropa mit Raketen angreifen können. Warum der Iran trotz der offenkundig bestehenden Zerstrittenheit diese militärischen Fähigkeiten relativ stringent aufbauen konnte und weiter verfolgt, vermag keiner der deutschen Iran- und Mittelost-Experten zu beantworten.

Zweitens: Es wird übersehen, dass die Bemühungen des Iran um eine Kernwaffenfähigkeit existenzielle Probleme für Israel, aber auch für arabische Anrainerstaaten schaffen. Israel kann mit wenigen Atomwaffenschlägen im wahrsten Sinne des Wortes ausgelöscht werden. Und die arabischen Nachbarn des Iran fürchten, dass dieser sich unter einem Nuklearschirm zum Beherrscher des Mittleren Ostens aufschwingt. Diese Bedrohungsperzeptionen sind in der Region eine Realität – und sie sind alles andere als abwegig. Für Israel wird die rote Linie bald überschritten sein: Sollte es zu überraschenden Fortschritten beim iranischen Kernwaffenprogramm kommen, kann nicht einmal ausgeschlossen werden, dass die Israelis als erste Kernwaffen einsetzen.

Konkrete Bedrohung

Die „iranische Bedrohung“ hat nicht viel mit der sowjetischen Bedrohung gemein, sie ähnelt eher klassischen griechischen Tragödien. Diese beginnen mit selbstsüchtigen Handlungen eines Akteurs und enden in der Regel in einem Gemetzel, von dem keiner profitiert – aber sie enden so. Die deutsche Politik, einschließlich die der Bundesregierung, hat die Natur der Bedrohung des iranischen Nuklearprogramms weitgehend nicht begriffen. Für die meisten deutschen Politiker besteht die Hauptbedrohung immer noch in einem durch die USA herbeige­führten gewaltsamen Regimewechsel nach dem Vorbild des Irak und den damit verbundenen allianz- und innenpolitischen Konvulsionen. Die deutsche Politik versucht, multilaterale diplomatische Lösungen zu fördern (mal mit Sanktionen, mal mit großzügigen Angeboten). Diese Politik ist gut gemeint, sie geht aber schon lange an den Realitäten vorbei.

Die Führung in Teheran hat seit zwei Jahren deutlich gemacht, dass sie an einer diplomatischen Lösung nicht mehr interessiert ist. Sie setzt alles daran, Zeit zu gewinnen, um Fortschritte bei ihrem Kernwaffen- und Raketenprogramm zu machen. Je klarer sich diese Politik abzeichnet, umso größer wird die Nervosität in Israel, in der Golf-Region und auch in Washington, und umso lauter wird der Ruf nach wirksamen Maßnahmen.

In den Vereinigten Staaten gibt es zwar durchaus Politiker und Experten, die in die Kategorie der Feindbild­produzenten hineinpassen, aber diese prägen nicht die Politik des Landes. Die Regierung von Barack Obama sorgt sich um die strategischen Kon­sequenzen eines iranischen Nuklearprogramms – und die sind absehbar destabilisierend.

Ruf nach schärferen Sanktionen

Die nächste Zeit wird gekennzeichnet sein durch den Ruf nach schärferen Sanktionen und nach dem Einsatz militärischer Mittel – und die deutsche Politik täte gut daran, sich auf raue Zeiten einzustellen. Verschärfte Sanktionen bedeuten, dass dem Iran die Nutzung des internationalen Zahlungssystems zur Abwicklung seiner Erdölexporte immer mehr erschwert wird und dass ein umfassender Handelsboykott gegen den Iran verhängt wird, der vor allem auch dessen Erdölexporte reduziert. Denn das iranische Regime kann sich seine Eskapaden nur deshalb leisten, weil es große Einnahmen aus Erdölexporten erzielt. Diese Einnahmequellen zu unterbinden wäre das Hauptziel einer verschärften Sanktionspolitik. Der Erfolg solcher Maßnahmen wird wesentlich davon abhängen, ob und unter welchen Bedingungen China und Japan mitmachen – beide Staaten beziehen große Teile ihres Erdöls aus dem Iran. Dabei gilt die Regel: Je effektiver diese Sanktionen sind, umso wütender und aggressiver werden die Reaktionen aus Teheran sein.

Der Einsatz militärischer Mittel wird eines ganz bestimmt nicht bedeuten: die Invasion des Iran, um das Mullah-Regime zu stürzen. Diese Option ist völlig unrealistisch und ist in Washington – wenn sie überhaupt je ernsthaft erwogen worden ist – nicht im Gespräch. Vielmehr werden militärische Optionen bedeuten, dass abgestufte Möglichkeiten des gewaltsamen Eingreifens zum Einsatz kommen. Im Grunde erleben wir dies möglicherweise schon angesichts der auffällig häufigen Explosionen in iranischen Militäranlagen und der Anschläge gegen führende Vertreter des iranischen Nuklearwaffen- und Ra­ketenprogramms. Wer immer diese Anschläge geplant und ausgeführt hat – seien es Geheimdienste oder iranische Oppositionelle oder eine Koalition aus beiden – geht davon aus, dass diese Programme durch den Einsatz von Gewalt unterbrochen, verlangsamt oder beendet werden können.

Einsatz militärischer Mittel

Die wahrscheinlichsten Formen des offiziellen Einsatzes militärischer Mittel wären begrenzte Luftschläge gegen sensitive Einrichtungen des Nuklearprogramms (chirurgische Luftschläge von kurzer Dauer) oder eine Seeblockade, um ein Embargo für Waffen und Komponenten zu erzwingen oder gar einen Stopp der iranischen Erdölexporte. Diese Optionen sind nicht ohne Risiko, weil der Iran versuchen wird dagegen zu halten, etwa indem an anderen Orten „Vergeltung“ geübt wird: Sei es, dass aus dem Südlibanon massiv Raketen auf Israel abgeschossen werden, sei es, dass in Deutschland oder in den USA Anschläge verübt werden (eher von Angehörigen der Hisbollah als von iranischen Geschäftsleuten),sei es, dass im Irak der Krieg zwischen Sunniten und Schiiten wieder anfängt, oder dass die iranischen Revolutionsgarden versuchen, die internationale Seeschifffahrt im Persischen Golf zu unterbinden.

Es bleibt zu überprüfen, ob die damit zusammenhängenden Eskala­tionsrisiken beherrschbar sind. Sicher ist, dass derartige Überlegungen heute die Generalstäbe in den USA und einigen anderen Staaten beschäftigen. Das bedeutet, militärische Optionen können auch solche sein, die militärische Aktionen der Iraner zur See oder mit Raketenangriffen unmöglich machen sollen. In diesem Zusammenhang gehört auch die geplante Raketenabwehr der NATO zu den militärischen Optionen.

Optionen deutscher Politik

Was kann und was soll die deutsche Politik in dieser Lage tun? Sie sollte zum Ersten aufhören, den USA mehr oder weniger subkutan zu unterstellen, diese würden einen gewaltsamen Regimewechsel in Teheran im Rahmen einer militärischen Intervention anstreben.

Zum Zweiten sollte vor allem mit der unseligen Rhetorik aufgehört werden, wonach militärische Optionen grundsätzlich auszuschließen sind. Dahinter steht die alte pazifistische Binsenweisheit, wonach man poli­tische Probleme nicht mit Gewalt lösen könne. Diese Annahme ist oft genug in der Geschichte widerlegt worden – wie im Übrigen auch das Gegenteil nicht zutrifft, wonach man solche Probleme nur durch den Einsatz militärischer Mittel lösen könnte.

Das Befremdende dabei ist, dass diese populär-pazifistische Argumentation nicht nur bei den Grünen zu finden ist – bei denen man es nicht anders erwartet –, sondern auch vom deutschen Außenminister vertreten wird. Vielleicht sollte man sich einfach mal darauf verständigen, dass man Außenpolitik angesichts realer Herausforderungen nicht mit allgemeinen Binsenweisheiten und der Beschwörung eherner Prinzipien betreiben kann. Außenpolitik ist zum Großteil Problemlösung, der Maßstab für Erfolg sollte also die effektive Pro­blemlösung sein, nicht das Herunterbeten von Prinzipien.

Wovor sich die deutsche Außen­politik auch hüten sollte, ist die immer wieder zu hörende Position, wonach sich das ganze Problem lösen lasse, wenn man den Iran „endlich ernst nimmt“. Was darunter zu verstehen ist, bleibt unklar. Zumeist läuft es darauf hinaus, der Führung in Teheran zu signalisieren, man wolle keinen gewaltsamen Regimewechsel. Da Letzteres ohnehin jenseits der Fähigkeiten der USA liegt und nach den Erfahrungen mit dem Irak auch nicht die präferentielle Option der USA ist, bleibt offen, was das „Ernstnehmen“ des Iran wirklich bedeuten soll.

Deutsche Politik sollte in dieser Phase nicht aus dem internationalen Konvoi auszuscheren. Das Problem ist der Iran, nicht die USA. Es ist zu hoffen, dass – sollte es zu einer Eskalation der Krise kommen – die Bundeskanzlerin es verhindern kann, dass einzelne Regierungsmitglieder sich durch öffentlichkeitswirksame Opposition gegen Militärmaßnahmen der USA zu profilieren ver­suchen. Die Bundesregierung sollte auch deutlich machen, dass nachhal­tige Sanktionen gegen den Iran teuer werden können. Dazu gehören erhöhte Benzinpreise, aber auch massive Ein­schränkungen für deutsche Firmen, die Handel mit dem Iran treiben.

Der Iran fordert seit Jahren die internationale Staatengemeinschaft und die internationale Ordnung vor allem – aber nicht nur allein – mit seinem Nuklearprogramm in aller Offenheit heraus. Er tut dies aus einer Position der relativen Schwäche. Auf dieser Schwäche aufzubauen und den Iran durch eine konsequente Sanktionspolitik und eine kluge Drohkulisse zum Einlenken zu bewegen, müsste eigentlich möglich sein – wäre da nicht der ewige Hader in den westlichen Demokratien und zwischen ihnen.

Prof. Dr. JOACHIM KRAUSE ist Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, wo er Politikwissenschaft lehrt.

  • 1Vgl. Joachim Krause (Hrsg.): Iran’s Nuclear Programme. Strategic Implications, London und New York 2011. Dieses Buch reflektiert die Ergebnisse einer vom Aspen Institute Deutschland Ende 2010 mit Förderung der Robert Bosch Stiftung durchgeführten internationalen Tagung.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/ Februar 2012, S. 97-102

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