Nach Kopenhagen
Welchen Multilateralismus benötigt erfolgreiche Klimapolitik?
Das Scheitern des Kopenhagener Gipfels hat es bewiesen: Der UN-Rahmen ist viel zu groß, um echte Fortschritte zu erzielen. Deshalb ist es unerlässlich, neue Ansätze zu finden, die zielführend sind: vor allem den Einstieg in die karbonfreie Industrialisierung. Die EU sollte geduldige Verhandlungen führen und nicht nur Verpflichtungen einfordern.
Der Klimagipfel in Kopenhagen vom Dezember 2009 war mit über 45 000 Teilnehmern eines der größten Treffen der Diplomatiegeschichte und es war eines der am wenigsten erfolgreichen. Das Hauptziel wurde verfehlt – die USA, China sowie die industriellen Schwellenmächte Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zur Übernahme von verbindlichen Reduktionszielen bei Treibhausgasen zu bewegen.
Der gescheiterte Gipfel kann aber auch als Chance gesehen werden, um die konzeptionellen und institutionellen Grundlagen der internationalen Klimaschutzpolitik einer kritischen Revision zu unterziehen. Dabei sollten zwei zentrale Vorstellungen auf den Prüfstand kommen, die die internationale Klimapolitik bislang angeleitet haben: 1. die Vorstellung, dass die Reduzierungsverpflichtungen des Kyoto-Protokolls gepaart mit Emissionshandel und den damit verbundenen Mechanismen ausreichen, um nennenswerte Verringerungen von Treibhausgasemissionen erzielen zu können; und 2. die Vorstellung, dass die Vereinten Nationen der beste Rahmen seien, um die globalen Klimaprobleme anzugehen. Während die Kritik der Instrumente und Mechanismen in dieser Zeitschrift bereits ausführlich dargelegt worden ist,1 konzentriert sich der vorliegende Artikel auf die institutionelle Seite der Klimapolitik.
Die Global-Governance-Architektur der Klimapolitik
Für viele Autoren ist Global Governance zum neuen Paradigma der internationalen Beziehungen geworden. Sie wird verstanden als Prozess des globalen Regierens, bei dem Regierungen, internationale Organisationen sowie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gemeinsam Probleme lösen und Macht und Interesse nicht mehr die Grundlage internationaler Politik darstellen.2
Die globale Klimapolitik, wie sie seit etwa zwei Jahrzehnten entstanden ist, gilt als typisches Beispiel einer Global-Governance-Architektur. Diese besteht im Wesentlichen aus den folgenden Elementen:
1. Der durch Treibhausgasemissionen hervorgerufene Klimawandel wird als ein globales Phänomen verstanden, welches im Rahmen der Vereinten Nationen behandelt und unter Einbeziehung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft gelöst werden soll.
2. Die für eine Regimebildung notwendigen primären Ziele der Klimapolitik sind in der UN-Klimarahmenkonvention UNFCCC von 1992 in mehr oder weniger verbindlicher Weise festgelegt.
3. Die Expertise der Naturwissenschaften wird im Rahmen des Intergouvernmental Panel on Climate Chance (IPCC) einbezogen, um ein umfassendes und differenziertes Bild der Lage zu bekommen. Mit dem IPCC ist es gelungen, den weltweiten Sachverstand in Klimafragen zu bündeln und politische Empfehlungen auf der Basis weitgehend gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse zu formulieren.
4. Das Kyoto-Protokoll von 1997 enthält erstmals quantifizierte Reduzierungsverpflichtungen für Industriestaaten.
5. Um die internationale Kooperation und damit die Umsetzung der ambitionierten klimapolitischen Ziele zu fördern, wurde der Handel mit Treibhausgasemissionen eingeführt, der durch das Instrument der Joint Implementation (JI) und den Clean Development Mechanism (CDM) erweitert wird.
6. UNFCCC und Kyoto-Protokoll haben Institutionen für Verhandlungen, Implementierung, Monitoring und Konsultationen entwickelt, die zu einer umfangreichen internationalen Klimadiplomatie geführt haben. Sie geben NGOs in vielfacher Weise die Gelegenheit an der Diskussion und Ausgestaltung der globalen Klimapolitik mitzuwirken.
So interessant und vielseitig diese Architektur ist, sie weist doch erhebliche Defizite auf. Das größte Defizit besteht darin, dass es nicht gelungen ist, einen globalen Konsens über die Umsetzung der Ziele der Rahmenkonvention zu erzielen. Die Ablehnung bei Schwellenländern wie China oder Indien ist ungebrochen. Die erhoffte Druckwirkung der NGOs und der internationalen Öffentlichkeit hat keine Wirkung gehabt. Im Gegenteil: Auf Seiten der Befürworter des Kyoto-Protokolls hat sie eher zur Orthodoxie beigetragen, auf Seiten der Skeptiker die kritische Haltung gestärkt. Raum für diplomatische Kompromisse gab es kaum noch in Kopenhagen.
Das Scheitern des Klimagipfels war vorhersehbar für alle die wissen, wie die Vereinten Nationen funktionieren und wo deren Stärken und Schwächen liegen. Die Ursache für das Scheitern liegt weniger im mangelnden Willen von einzelnen Regierungen begründet, sie ist eher durch die institutionelle Struktur der internationalen Umweltpolitik gefördert worden. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Klimaschutzpolitik nicht wesentlich von anderen Politikbereichen der UN.
Klimaschutz ist heute eine der großen Menschheitsaufgaben, vergleichbar den Zielen der Friedenswahrung, der Abrüstung und der Nichtverbreitung von Kernwaffen, des Freihandels, der Wahrung der Menschenrechte oder der Entwicklung. Schaut man sich die Rolle der Vereinten Nationen bei der Umsetzung dieser großen Ziele an, so fällt auf, wie wenig die UN während der vergangenen 60 Jahre mit ihren dafür zuständigen Institutionen zur Erreichung dieser Ziele beigetragen haben.
Alle diese großen Ziele sind weitgehend dadurch befördert worden, dass Staaten und Staatengruppen (meistens unter Führung der USA und der Europäer) in unterschiedlichen Formen der multilateralen Kooperation – sei es mit oder sei es ohne die Vereinten Nationen – die Lösung dieser internationalen Probleme angegangen sind. Ohne diese Kooperation außerhalb der UN gäbe es heute keinen zwischenstaatlichen Frieden, es gäbe keinen Freihandel, keine Globalisierung und auch nur einen begrenzten Raum, innerhalb dessen Menschenrechte und Freiheitsrechte Wirklichkeit geworden sind.
Die Probleme der UN bestehen in der Regel darin, dass unter mehr als 190 Staaten kaum ein gemeinsamer Nenner zu finden ist und zu viele Akteure zu einer weitgehenden Verzettelung beitragen. Große Institutionen wie die UN haben zudem den Nachteil, dass einmal gefundene Kompromisse geradezu in Stein gemeißelt sind und Anpassungen an veränderte Bedingungen schwer vorzunehmen sind. Die Vereinten Nationen sind zu groß, um effektiv bei der Lösung der großen globalen Probleme sein zu können. Sie haben allerdings Effektivität bei kleineren, weniger politischen Problemen gezeigt, insbesondere im Bereich der humanitären Hilfe, aber auch bei der Friedenssicherung in einzelnen Fällen.
Ein neuer Ansatz ist notwendig
Klimapolitik muss als ein „normaler“ Bereich der internationalen Diplomatie begriffen werden. Derzeit wird Klimapolitik vornehmlich als eine Art Weltrettungsoperation betrachtet, bei der eine „von der Wissenschaft dargelegte Gefahr für das Erdsystem politisiert und einer Weltbürgergesellschaft vorgelegt“ werden soll.3 Ein solcher Ansatz ist riskant, weil er zu einem Schwarz-Weiß-Denken führt und mit einem hohen Frustrationspotenzial verbunden ist. Ohne die notwendigen Machtmittel und ohne die Berücksichtigung der Interessen anderer Akteure wird eine erfolgreiche Klimapolitik nicht durchzuführen sein.
Erfolgreiche Klimapolitik wird an zwei Erfahrungen nicht vorbeikommen, die sich immer wieder bei erfolgreichem Multilateralismus finden lassen: erstens bedarf es einer Gruppe von Vorreiterstaaten, die ein Projekt so lange als kleine Gruppe vorantreiben, bis sich eine Dynamik entwickelt hat, die dazu führt, dass sich andere Staaten dem Prozess anschließen; zweitens bedarf es der aktiven Mitwirkung großer und mächtiger Staaten, um ein derartiges Regime zu entwickeln und aufrechtzuerhalten.
Den Verlust der Dynamik wettmachen
Die jahrzehntelangen Erfahrungen mit dem Abbau von Zöllen im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) ebenso wie im Bereich der Nichtverbreitungspolitik oder auch der internationalen Währungspolitik haben gezeigt, dass es sich lohnt, für die Verfolgung eines globalen Ziels erst einmal nur zwischen wirklich interessierten Staaten Verhandlungen über begrenzte Problembereiche zu führen. Der Ansatz des Klimarahmenabkommens der Vereinten Nationen weist bereits in diese Richtung, denn erst einmal sind nur die Staaten von Verpflichtungen betroffen, die sich dem entsprechenden Anhang (Annex 1 des UNFCC oder Anhang B des Kyoto-Protokolls) anschließen. Eine gewisse Dynamik ist seit Abschluss des Kyoto-Protokolls 1997 auch nicht zu übersehen, sichtbar an dem Beitritt von Staaten wie Australien oder Russland, die anfangs dem Abkommen skeptisch gegenüberstanden. Aber das große Momentum, das andere Staaten mitzieht, ist ausgeblieben.
Am sichtbarsten wird das Ausbleiben der Dynamik bei den zwei Staaten, deren Mitwirkung im Rahmen des UNFCC und des Kyoto-Protokolls zentral ist, weil sie die größten Verursacher von Treibhausgasen neben der EU sind: China und die USA. Sowohl China als auch die USA verschließen sich nicht den Zielen der Klimarahmenkonvention, im Gegenteil, sie investieren in regenerierbare Energien und Energiesparmaßnahmen, aber sie haben Probleme, sich den Reduzierungsverpflichtungen des Kyoto-Protokolls anzuschließen. Die Chinesen wollen keine länderbezogenen Reduzierungsverpflichtungen für Emissionen akzeptieren, die US-Regierung hat mit den Parametern des Kyoto-Protokolls andere Probleme. Obwohl die Regierung von Barack Obama den Ernst der Lage klar erkannt hat, bleibt sie zurückhaltend mit der Festlegung auf obligatorische Reduzierungsverpflichtungen, weil sie nicht weiß, ob sie diese wird einhalten können, und weil sie fürchtet, dass im Senat die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit nicht zu bekommen sein wird.
Eine weitere Ursache für das Ausbleiben einer Dynamik liegt darin, dass der Erfolg im Sinne der vereinbarten Reduzierungen nicht überwältigend ist und in absehbarer Zeit weit hinter den Erwartungen zurückbleiben könnte. Zwar kann mit Blick auf die Gruppe der in Anhang B des Kyoto-Protokolls aufgeführten Staaten (insbesondere derjenigen, die den Vertrag ratifiziert haben) konstatiert werden, dass mit Blick auf das Referenzjahr 1990 bislang eine generelle Reduktion der Treibhausgasemissionen um etwa fünf Prozent stattgefunden hat. Aber diese Bilanz hat ihre Makel. Die meisten Reduktionen fanden in den früheren kommunistischen Staaten statt. Dieser Trend wird aber nicht anhalten, denn in dem Maße, wie sich diese Staaten wirtschaftlich erholen, kommt es zu einer Erhöhung ihrer Treibhausgasemissionen.
Seit einigen Jahren nehmen z.B. die jährlichen Emissionen Russlands wieder deutlich zu. Es ist absehbar, dass diese bald das Niveau von 1990 erreichen und übersteigen werden. Die Zahl der Industriestaaten, die ohne einen massiven wirtschaftlichen Einbruch erfolgreich in den vergangenen 20 Jahren ihre Treibhausgasemissionen reduzieren konnten, ist gering: Es handelt sich um Deutschland (21,3%), Großbritannien (17,3%), Schweden (9,1%), Belgien (8,3%), Frankreich (5,3%), Dänemark (3,3%), Schweiz (2,7%), die Niederlande (2,1%) und Luxemburg (1,6%). Andere, an der Spitze die Türkei, Spanien, Griechenland und Island, haben ihre Emissionsziele bei weitem verfehlt. Die Türkei stößt heute mehr als das Doppelte dessen an Treibhausgasen aus wie 1990.4 Ein erfolgreiches Momentum stellt das alles nicht dar. Global gesehen haben die Treibhausgasemissionen seit 1990 deutlich zugenommen.
Die politische Dynamik lässt sich nicht dadurch erzwingen, dass man China und die USA an den Pranger stellt und hofft, die Mehrzahl der Entwicklungsländer durch großzügige Zusagen für Hilfsgelder günstig zu stimmen. Wollte man wirklich ambitionierte Ziele – wie das der Reduktion der Treibhausgasemissionen der Industriestaaten bis 2050 um 50 Prozent und mehr – ernsthaft verfolgen, dann wird man außerhalb der Vereinten Nationen nach Formen multilateraler Kooperation suchen müssen, die größere Effektivität versprechen. In erster Linie muss es sich dabei um Formen der Zusammenarbeit handeln, bei denen Industriestaaten und Schwellenländer den Einstieg ins postfossile Zeitalter so vornehmen, dass deren unterschiedlichen Betroffenheiten und Interessenlagen dabei Genüge getragen wird. Das ist nur im Rahmen eines zielorientierten, aber differenzierten und geduldigen Verhandlungsprozesses unter den unmittelbar Beteiligten möglich, aber nicht im ständigen Einfordern von Verpflichtungen, die für die einen bequem, für die anderen aber nur unter großen Schwierigkeiten einzuhalten sind.
Die führende Rolle mächtiger Industrienationen
Wollte man eine derartige Reform im Bereich der Klimapolitik erfolgreich verfolgen, bedarf es nach allen bisherigen Erfahrungen dafür einer internationalen Architektur, die eher exklusiv und hegemonial ausgerichtet ist als inklusiv und egalitär. Bekannte Beispiele erfolgreicher internationaler Regime lassen alle erkennen, dass ohne das Engagement eines oder mehrerer hegemonialer Staaten – d.h. Staaten, die mit entsprechenden Machtmitteln ausgestattet sind – derartige Regime nicht hätten entstehen und auch nicht über längere Zeit aufrechterhalten werden können. In der Vergangenheit waren es zumeist die USA, die ein Regime begründeten und in der Folge auch hielten. In der Regel wird eine derartige hegemoniale Rolle international akzeptiert, wenn der Output stimmt (etwa die Herstellung eines effektiv funktionierenden Weltwährungssystems) und wenn die führenden Regierungen ihre Hegemonie wohlwollend betreiben (d.h. wenn sie ihre Macht weise und unter Einbeziehung der Interessen anderer nutzen).
Das Problem mit der Klimapolitik ist, dass sich derzeit eine hegemoniale Koalition nicht abzeichnet. Sie wäre aber schon lange denkbar und sinnvoll gewesen. Sie müsste die Europäische Union, die USA, China, Russland, Japan und auch Indien und Brasilien einbeziehen, es könnte auch das Format G-8 plus 5 gewählt werden.5 In all diesen Ländern ist das Bewusstsein für die Dringlichkeit des Klimaproblems mehr oder weniger stark ausgeprägt und sie sind auch bereit, sich für den Klimaschutz einzusetzen, aber die Vorstellungen über das, was zu tun sei, gehen erheblich auseinander, weil unterschiedliche Interessenlagen bestehen.
Ziel einer solchen Koalitionsbildung muss es sein, unter diesen Staaten einen Abstimmungs- und Verhandlungsprozess einzuleiten, bei dem Interessen miteinander abgeklärt und Ansätze zu gemeinsamem, effektivem Handeln entwickelt werden. Sie wird nur dann Erfolg haben – und auf den Rest der Welt ausstrahlen – wenn sie den Umstieg auf eine karbonfreie Wirtschaft als gemeinsames Anliegen der Technologieförderung angeht und positive wie negative Anreize für andere schafft.
Elemente einer neuen Klimapolitik
Eine neue Klimapolitik wird nicht nur darauf abzielen müssen, Interessen besser abzugleichen und auch die Macht der führenden Industriestaaten besser einzusetzen (etwa was Marktzugänge für Produkte aus Ländern betrifft, die sich nicht an klimapolitischen Zielen orientieren), sie wird auch weggehen müssen von der alleinigen Orientierung an den Reduktionszielen von Kyoto.
Mittelfristig wird es darauf ankommen die Kernfrage der Klimapolitik anzugehen: die Umstellung auf eine postfossile Wirtschaft, und da reicht das Kyoto-Protokoll nicht aus. Wenn etwa das Ziel der weitgehend karbonfreien Industrialisierung Wirklichkeit werden soll, dann werden die führenden Industrienationen der Welt hier massiv Technologie- und Projektförderung betreiben müssen – und zwar in innovativen Formen der internationalen Kooperation.
Projekte, um die es dabei gehen könnte, wären solche, die vom privaten Sektor allein nicht geschultert werden können oder die viel politische Steuerung und Unterstützung benötigen. Es muss sich dabei um Projekte handeln, die signifikant zur Minderung von Treibhausgasen beitragen und bei denen neue Technologien gefördert oder auch der Transfer von Technologien geregelt wird. Dazu gehören u.a. die Versorgung Europas mit Strom aus der Sahara (Desertec), Energieeinsparungen in Russland (etwa beim Gasverbrauch, wo Russland heute fast genau so viel Gas konsumiert wie alle Staaten Europas zusammen), Transformationen des Stromversorgungsnetzes der USA mit dem Ziel, die Einspeisung von regenerativen Energien zu ermöglichen, die Nordsee-Offshore-Initiative, die Versorgung von Industriestaaten und von kohlereichen Schwellenländern mit Technologie zur Kohlenstoffabscheidung und -lagerung (CCS), die Entwicklung von Autos, die wenige oder keine fossilen Brennstoffe verbrauchen sowie Projekte der Methanwirtschaft.
Einige internationale Initiativen dieser Art gibt es schon, sie müssten aber viel mehr politische Unterstützung erhalten und in das Zentrum der internationalen Klimapolitik rücken. Dies würde bedeuten, dass neben der existierenden Global-Governance-Architektur ein weiteres, viel wichtigeres Gleis der internationalen Kooperation aufgelegt wird, das die technologische Kooperation bei der Reduzierung und der Vermeidung von Treibhausgasemissionen direkt fördert.
Die Rolle der EU
Was nötig ist, ist eine Klimapolitik der Europäischen Union, die nicht mehr auf dem Primat des Kyoto-Protokolls beharrt, sondern mehrere Gleise gleichzeitig verfolgt, und wo letztendlich der Effekt im Sinne der Reduzierung von Treibhausgasen im Mittelpunkt steht – und nicht im Sinne der Produktion von politischen Selbstverpflichtungen. Diese Selbstverständlichkeit ist allerdings im heutigen Europa schwer herzustellen. Europa ist der Hort der klimapolitischen Orthodoxie. Die EU hat für Jahre nur auf das politisch umstrittene Regime des Kyoto-Protokolls gesetzt und Alternativen scharf abgelehnt: Man denke nur an die Asien-Pazifik-Partnerschaft zur Entwicklung sauberer Technologien vom Juli 2005, die in Europa eher als Ketzerei abgetan wurde, obwohl sie kompatibel mit dem Kyoto-Prozess ist. Ein Problembewusstsein in der EU ist da, es ist aber noch ein weiter Weg bis zum Rückbau der Orthodoxie.
In Kopenhagen sind Multilateralismus und Multipolarität aufeinander gestoßen und die EU hat sich als weitgehend hilflos in der Auseinandersetzung mit Machtpolitik gezeigt.6 Die Sitzung der Umweltminister der EU wenige Tage nach dem Fiasko von Kopenhagen war noch von der Stimmung geprägt, dass die Vereinten Nationen der einzige Rahmen für eine internationale Klimapolitik bleiben, weil, so der schwedische Umweltminister Andreas Carlgren, das UN-System das einzige System wäre, das die Interessen der kleineren Länder schütze.
Die Frage ist berechtigt, ob die EU mit dieser UN-Orthodoxie und dem Beharren auf dem Kyoto-Protokoll als weitgehend einzigem „track“ dem Ziel der Klimapolitik wirklich einen Dienst erweist. Gerade weil die EU und ihre Mitgliedstaaten zurzeit die am nachhaltigsten auf das Klimaproblem drängenden Akteure sind, sollten sie ermuntert werden, mit größerer Kreativität nach neuen Lösungswegen und vor allem nach neuen Architekturlösungen in der Klimapolitik zu suchen. Die Vereinten Nationen stellen nun mal nicht das geeignete Forum dar, um die globale Klimaproblematik effektiv zu gestalten, der entsprechende Ansatz zu einer neuen Architektur muss aus der EU kommen.
Prof. Dr. JOACHIM KRAUSE lehrt Politikwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel.
- 1Ted Nordhaus und Michael Shellenberger: Vergesst Kyoto, IP 2/2009, S. 10–20.
- 2Vgl. als ein typisches Beispiel Volker Rittberger, Andrea Kruck und Anne Romund: Grundzüge der Weltpolitik. Theorie und Empirie des Weltregierens, Wiesbaden 2010.
- 3Zitiert nach Claus Leggewie und Dirk Messner: Erfolgreich gescheitert, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.12.2009.
- 4Daten gemäß Angaben des Sekretariats der Klimarahmenkonvention: National Greenhouse Gas Inventory Data for the Period 1990–2007, UN Doc. FCCC/SBI/2009/12, vom 21.10.2009, S. 9.
- 5Vgl. Ted Nordhaus und Michael Shellenberger (Anm.1), S. 17.
- 6Vgl. Klaus-Dieter Frankenberger: Ein Flickenteppich, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.1.2010.
Internationale Politik 2, März/April 2010, S. 106 - 113