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01. Juli 2019

Sperriger Testballon

Deutschland, Frankreich und Großbritannien versuchen, das Atomabkommen mit Iran zu retten. Im Raum stehen auch Fragen europäischer Souveränität

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Bild: Cover der IP 04-2019

Die Konstruktion, auf der die Hoffnungen der europäischen Iranpolitik ruhen, trägt einen sperrigen Namen: Instrument in Support of Trade Exchanges, kurz INSTEX. Gerettet werden soll damit das Atom­abkommen von 2015, in dem sich Teheran verpflichtet hat, für die Aufhebung von Wirtschaftssanktionen sein Nuklearprogramm einzuschränken und sich internationalen Inspektionen zu unterwerfen. Seit US-Präsident Donald Trump im Mai 2018 das Abkommen einseitig aufkündigte und nun versucht, den Iran mit Sanktionen „maximal“ unter Druck zu setzen, steht der Vertrag vor dem Scheitern. Mit INSTEX versucht die europäische Troika Deutschland, Frankreich und Großbritannien (die EU-3), den Sanktionen etwas entgegenzusetzen.

Es ist ein schwieriges Unterfangen. Das Gros europäischer Unternehmen hat sich aus Sorge vor den US-Sanktionen aus dem Iran zurückgezogen. Wer am Irangeschäft festhalten will, findet kaum noch Banken für den Zahlungsverkehr. Hier soll ­INSTEX Abhilfe schaffen.

Im Vordergrund stehen jedoch politische Motive. Für Europa ist das Atomabkommen Garant für die Stabilität im Mittleren Osten. Zwar bleiben im Verhältnis zu Teheran zahlreiche Streitpunkte, doch gilt, was Bundeskanzlerin Angela Merkel an die Adresse der Vereinigten Staaten im Mai zu bedenken gab: „Auch ein noch so unzureichendes Abkommen mit dem Iran ist geeignet, Schlimmeres zu verhindern.“

Der Vorwurf aus Washington, Europa ginge es nicht um Sicherheit, sondern schlicht um Profit, hält einer näheren Betrachtung jedenfalls nicht stand. Selbst nach Aufhebung der Sanktionen blieb der Iran für die europäische Wirtschaft mit nur 0,6 Prozent des EU-Außenhandels (2017) praktisch unbedeutend. Auch wenn Optimisten großes Wachstums­potenzial erkennen: Den kontinuierlichen Einsatz für das Abkommen auf höchster politischer Ebene in ­Europa erklärt das Volumen nicht, noch weniger rechtfertigt es eine Krise im transatlantischen Verhältnis. Doch so stark Europas Ansatz vom Gedanken regionaler Stabilität und nuklearer Nichtverbreitung geleitet wird: Wirtschaftliche Aspekte spielen eine wichtige Rolle, denn beim Fall Iran werden die Konsequenzen europäischer Abhängigkeit vom US-Finanzsystem sichtbar.

Im Raum steht somit auch die Frage nach Europas Souveränität. Wenn außenpolitische Konflikte immer öfter auf dem Feld der Wirtschaft ausgetragen und wirtschaftliche Interessen mit außenpolitischen Mitteln untermauert werden, kann INSTEX ein Testballon sein.

Ringhandel mit offenen Fragen

Die Zweckgesellschaft setzt bei einer der Achillesfersen des EU-Außenhandels an: der Dominanz des US-Finanzsystems beim internationalen Zahlungsverkehr. Diese führt zu großer Sensibilität europäischer Banken gegenüber US-Sanktionen. INSTEX soll eine Alternative bieten.

Im Mittelpunkt steht dabei ein europäisch-iranischer Ringhandel, für den INSTEX als „clearing house“ fungieren soll. Hierzu gründeten die EU-3 im Januar die Gesellschaft – als Unternehmen, nicht als Bank. Denn das System sieht nicht die Etablierung eines Zahlungswegs nach Iran vor. Vielmehr sollen in Europa und Iran Importeure jeweils Verbindlichkeiten bei Exporteuren im eigenen Wirtschaftsraum ausgleichen. ­INSTEX soll dieses System organisieren (siehe dazu die Grafik auf Seite 90).

In der Praxis bleiben zahlreiche Fragen. Auch knapp ein halbes Jahr nach Gründung ist ungewiss, wann INSTEX startklar sein wird. Die politischen Ankündigungen sind vage, obwohl nunmehr auch in Teheran mit dem Special Trade and Finance Institute (STFI) ein Pendant für INSTEX und damit ein Partner für den Ringhandel gegründet wurde.

Ebenso gibt es noch keine belastbare Aussage darüber, welche Sektoren INSTEX abdecken wird. Die EU-3 kündigten an, INSTEX werde sich in der Anfangszeit auf humanitäre Güter wie Medikamente oder Lebensmittel konzentrieren (bei den EU-Ausfuhren machten sie 2017 ca. 15 Prozent aus, bei den Einfuhren nur 5 Prozent). Ob der Iran im Gegenzug bereits Erdöl nach Europa ausführen kann oder seine Ausfuhren ebenfalls auf humanitäre Güter beschränken muss, ist unklar (unabhängig von der Frage, wer in Europa iranisches Erdöl importieren würde).

Auch über den Zahlungsmechanismus ist wenig bekannt. Denkbar wären im Grunde zwei Lösungen. ­INSTEX könnte entweder als Vermittler zwischen Exporteuren und Importeuren agieren und diese für Zahlungen miteinander vernetzen oder aber über eigene Konten Guthaben verrechnen. Im letzteren Fall bestünde größere Flexibilität, und die Liquidität des Systems könnte über öffentliche Kredite vergrößert werden.

Eine weitere Hürde ist die Überwindung des mehrstufigen Wechselkurssystems im Iran. Bislang ist unklar, wie ein transparenter Mechanismus aussehen könnte. Schließlich ist auch ungewiss, wann INSTEX für Unternehmen aus Drittstaaten zugänglich sein wird. Langfristig, so die ­EU-3, solle dies explizit möglich sein. Ein Zeitplan existiert jedoch noch nicht.

Darüber hinaus stellt sich die Frage der Wirkungsmächtigkeit von ­INSTEX. Denn europäische Unternehmen, die vom US-Markt abhängen, werden den Iran auch weiterhin meiden, unabhängig von Lösungen bei der Abwicklung des Zahlungsverkehrs. Besonders multinationale Großunternehmen sind darauf bedacht, nicht gegen US-Sanktionen zu verstoßen. Für sie ist das US-Geschäft in der Regel viel zu wichtig, als dass sie dieses für ein Engagement im Iran ­riskieren würden. Auch Unternehmen, die keinen bedeutenden Umsatz in den Vereinigten Staaten machen, sind häufig dennoch vom US-System abhängig: etwa indirekt über Banken und Versicherungen oder über Zulieferer, deren Produkte in den USA gefertigte Komponenten aufweisen. Daher dürften hauptsächlich kleine und mittlere Unternehmen ohne „US exposure“ an einer Nutzung von INSTEX Interesse haben. Auch mit INSTEX werden die europäischen Exporte in den Iran wohl deutlich unter dem Vorsanktionsniveau bleiben.

Noch schwieriger ist die Lage bei den Importen. Hier machten Erdöl und Erdölprodukte 2017 knapp 90 Prozent aller iranischen Ausfuhren in die EU aus. Das Problem: Praktisch kein europäisches Energieunternehmen kann sich erlauben, gegen US-Sanktionen zu verstoßen, unabhängig davon, wie Zahlungen abgewickelt werden. Selbst die Gründung einer weiteren Zweckgesellschaft nur für diesen Sektor, wie gelegentlich gefordert wird, würde das Problem nicht lösen. Es gäbe noch immer keinen Weg für iranisches Öl in den europäischen Wirtschaftskreislauf.

In der Tat ist mitentscheidend, welche Produkte INSTEX abdecken wird. Geht es nur um Handel mit humanitären Gütern, betrifft dies gerade einmal ein Zwanzigstel des europäisch-iranischen Handels vor Wiedereinführung der US-Sanktionen. Die US-Regierung hat dies erkannt und ihre Politik daran angepasst. Wenngleich aus dem Nationalen Sicherheitsrat auch andere Stimmen zu hören sind, sagte Außenminister Mike Pompeo Ende Mai in Berlin, INSTEX sei „unproblematisch“, solange es auf „autorisierte“ Güter ziele. Damit wäre INSTEX aus Wa­shingtoner Sicht weitgehend neutralisiert und hätte sogar Vorteile. Denn der Handel mit humanitären Gütern ist ohnehin vom US-Sanktionsregime ausgenommen. Da die meisten Banken den Zahlungsverkehr dennoch verweigern, sahen sich die USA wiederholt Kritik ausgesetzt. INSTEX könnte Abhilfe schaffen, ohne dass Devisen nach Iran flössen, eines der Ziele der US-Sanktionspolitik. Der iranischen Wirtschaft würde INSTEX so aber kaum helfen.

Problematische Ausweitung

Wenn aber eine vermeintliche Lösung gefunden ist, den Austausch humanitärer Güter sicherzustellen, könnten sich Mittel- und Osteuropäer widersetzen, für eine Ausweitung ein trans­atlantisches Zerwürfnis zu riskieren. Das sukzessive Vorgehen birgt also die Gefahr eines Scheiterns von INSTEX. Andererseits wird ­INSTEX bei einer geografischen und sektoralen Beschränkung des Handels nicht in der Lage sein, Handelsvolumina zu erreichen, die den Schaden der US-Sanktionen nennenswert aufwiegen.

Für den ersten Punkt könnten die EU-3 und die EU insgesamt eine Lösung finden. Formell ist die Ausweitung von INSTEX an Finanzreformen im Iran geknüpft. Konkret geht es dabei um die Umsetzung eines Aktionsplans der Financial Action Task Force (FATF), der Geldwäsche und Terrorfinanzierung verhindern soll. In Teheran ist der Plan umstritten. Bislang blockiert die Opposition die FATF-Reformen und setzt damit die Regierung von Präsident Hassan Rohani unter Druck.

Ein gangbarer Weg bestünde da­rin, INSTEX bereits heute für den gesamten, aus europäischer Perspektive legalen Handel zu öffnen, verknüpft mit strengeren Auflagen bei der Due-Diligence-Prüfung. Dies würde die angedrohte Sanktion bei Nichtumsetzung der Reformen vorwegnehmen. Da Banken und Unternehmen im Fall des Iran aber ohnehin schon weitgehende Anstrengungen in Sachen Due Diligence an den Tag legen, hätte dies in der Praxis keine größeren negativen Auswirkungen auf den Handel mit dem Iran.

Beim zweiten Punkt liegen die Dinge komplizierter. Angesichts der Vielzahl von Unternehmen, die sich vom Iran fernhalten, lässt sich keine Lösung allein zwischen Europa und Iran finden. Vielmehr müsste INSTEX für Drittstaaten geöffnet werden, speziell solche, die in viel größerem Stil Handel mit Iran treiben, vor allem China, Indien, die Türkei oder auch Irak. Mit ihnen ließe sich das Handelsvolumen deutlich erweitern.

Die Ausdehnung von INSTEX auf Drittstaaten wäre allerdings nicht einfach zu bewerkstelligen. Technische wie politische Hürden stünden im Weg. Russland und die ­Türkei ­haben bereits Interesse bekundet, sich am Ringhandel zu beteiligen, und China hat seine „nachdrückliche Unterstützung“ zum Ausdruck gebracht. Die Spielräume des Möglichen könnten ausgelotet werden.

INSTEX wirft aber eine grundsätzliche Frage auf: die der Souveränität Europas. Zwar geht es vordergründig „nur“ um das sicherheitspolitische Interesse Europas, das Atomabkommen zu bewahren. Dabei steht jedoch ebenfalls zur Disposition, ob es gelingt, eigene Interessen auf der internationalen Bühne durchzusetzen. Dies berührt nicht nur das transatlantische Verhältnis zu den USA, die hier rabiat gegen Europa vorgehen. Auch andere Mächte wie China oder Russland beobachten genau, welche Taten auf die Ankündigungen Europas folgen.

Lackmustest für Europa

INSTEX ist somit auch ein Lackmustest für Europas so oft geforderte „Weltpolitikfähigkeit“. Beim Atomabkommen geht es aus europäischer Sicht um Prinzipielles: um den Multilateralismus als Prinzip, der auch in der Klimapolitik oder beim Freihandel unter Druck steht.

In der Energiepolitik bedient sich Washington bereits der gleichen Instrumente wie im Fall Irans: Unter dem Vorwand der Energiesicherheit werden Sanktionen angedroht, um russisches Gas in Europa durch amerikanisches zu ersetzen. Bei seinem Berlin-Besuch wollte Außenminister Pompeo auch auf Nachfrage nicht ausschließen, dass europäische Unternehmen, die sich an der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 beteiligen, mit US-Sanktionen belegt werden. Der Schaden für Europa wäre deutlich größer als beim Handel mit dem Iran.

Somit steht bei INSTEX viel auf dem Spiel. Mit ihr können die Europäer Mittel und Wege erproben, neue Institutionen zur Schaffung größerer Souveränität zu etablieren. Dabei kann INSTEX nur ein erster Schritt sein. Die volle Tragweite europäischer Herausforderungen an der Schnittstelle von Außenpolitik und Wirtschaft ist viel größer. Zu Recht merkte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Herbst 2018 an: „Es ergibt keinen Sinn, dass wir in Europa unsere Energieimporte […] in US-Dollar bezahlen. Schließlich stammen nur rund 2 Prozent unserer Öleinfuhren aus den USA. Genauso wenig Sinn ergibt es, dass europäische Unternehmen europäische Flugzeuge nicht in Euro, sondern in Dollar erwerben.“

Um im Wettbewerb mit den USA oder China bestehen zu können, sind die Stärkung des europäischen Kapitalmarkts (Stichwort: Kapitalmarkt­union) ebenso vonnöten wie starke europäische Banken, die in der Lage sein müssen, Großinvestitionen am US-Finanzsystem vorbei zu finanzieren. Es wird ein weiter Weg. Doch je brüchiger die transatlantischen Beziehungen werden, desto größer ist die Notwendigkeit, Europas Souveränität nicht nur rhetorisch einzufordern, sondern auch tatsächlich zu stärken.

Dr. David Jalilvand ist Geschäftsführer der Orient Matters GmbH, einer Politik- und Wirtschaftsberatung für den Mittleren Osten mit Sitz in Berlin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli August 2019, S. 88-92

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