Titelthema

27. Febr. 2023

Iran-Politik: Die Starken schwächen, die Schwachen stärken

Sanktionen gegen Teheran bleiben ein zweischneidiges Schwert. Ungenutzte Potenziale für Europas Engagement im Iran liegen in der Stärkung der Zivilgesellschaft.

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Bild: Demonstration gegen die iranische Führung in Istanbul.
Sanktionen, die zum Rückgang des Außenhandels und Bruttoinlandsprodukts führen, treffen nicht nur das Regime, sondern auch die Zivilgesellschaft: Demonstration gegen die iranische Führung in Istanbul.
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Am Anfang stand ein Name: Jina Mahsa Amini. Ihr Tod im Gewahrsam der sogenannten Sittenpolizei, augenscheinlich infolge schwerer Misshandlungen, löste im Iran eine landesweite Protestwelle aus, die viele als den Beginn einer Revolution sehen. Ähnlich wie in der Vergangenheit begegnete das Regime in Teheran den Protestierenden mit brutaler Härte.

Hunderte wurden von Sicherheitskräften ggetötet, Tausende inhaftiert, und zahlreichen Festgenommenen droht nun, da die Proteste auf den Straßen abgeebbt sind, die Todesstrafe.

Die erschütternden Ereignisse haben in Deutschland eine Debatte ausgelöst, in der die deutsche Iran-Politik überprüft werden muss. Die Atomverhandlungen müssten beendet werden, heißt es, die Revolutionsgarde auf die Terrorliste der EU gesetzt werden; auch von einem Abbruch der diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen war die Rede. Außenministerin Annalena Baerbock stellte im Oktober fest, es könne kein „Weiter so“ geben.

Eine Neuausrichtung der deutschen Iran-Politik ist dringend geboten – mit Blick auf die katastrophale Menschenrechtslage im Land, aber auch aus geopolitischen Gründen. Denn der Iran bedroht in wachsendem Maße ganz unmittelbar Europas Sicherheit. Teheran unterstützt nicht nur den russischen Angriffskrieg in der Ukraine mit der Lieferung militärischer Drohnen, auch seine Fortschritte im Nuklearbereich geben Anlass zur Sorge.



Die Systemelite hält zusammen

Ausgangspunkt der außenpolitischen Neuausrichtung muss eine realistische Betrachtung der Verhältnisse im Iran sein. Allzu oft wurde jüngst der Eindruck erweckt, das Regime stehe kurz vor dem Sturz, oder es wurde ignoriert, welche Folgen etwa ein Abbruch der Atomverhandlungen hätte. Eine von Wunsch- und Zerrbildern geleitete Politik aber hilft weder der iranischen Bevölkerung noch beim Umgang mit den sicherheitspolitischen Bedrohungen.

Tatsächlich erlebt der Iran eine politische Zäsur, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. So deutlich wie noch nie stellen die Protestierenden die System­frage; ­immer mehr Iranerinnen und Iraner sind überzeugt, die Islamische Republik müsse abgelöst werden. Auch bringt der aktuelle Aufstand wie noch nie seit der Revolution von 1979 Angehörige unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen zusammen: ob Mittelschicht, Arbeiterschaft oder ethnische und religiöse Minderheiten. Nicht minder bemerkenswert ist die Losung der Protestierenden: „Frau, Leben, Freiheit“. Erstmals in der Geschichte des Iran, ja überhaupt im westlichen Asien hat sich eine Massenerhebung einem feministischen, intersektionalen Leitmotiv verschrieben.

Zur nüchternen Bestandsaufnahme gehört aber ebenso: Ein Sturz der Islamischen Republik zeichnet sich bislang nicht ab. Das Regime verfügt weiterhin über das Gewaltmonopol, das es auf brutale Weise nutzt. Ungeachtet aller internen Machtkämpfe hält die Systemelite nach außen hin zusammen. Dass die Proteste auf den Straßen einige Monate fortdauerten, hängt auch mit der Taktik der Führung zusammen, nicht auf kurzfristige Eskalation zu setzen, sondern auf graduelle Zermürbung.

Hinzu kommt: Die Proteste der vergangenen Monate wurden in erster Linie von jungen, nur lose organisierten Menschen getragen. Daher reichte es einerseits für das Regime nicht aus, nur einige wenige Führungspersönlichkeiten auszuschalten. Andererseits aber führte die Dezentralität der Bewegung dazu, dass sie ohne innere Organisationsform noch nicht über Straßenproteste hinausgekommen ist.

Erfolgreicher politischer Wandel aber braucht mehr als die Einigkeit in der Ablehnung der Islamischen Republik. Dazu gehören anerkannte Führungsfiguren, funktionierende Strukturen und, jenseits von abstrakten Rufen nach Freiheit und Demokratie, eine gewisse Programmatik.

Für den Moment ist es den Machthabern in Teheran gelungen, die Proteste größtenteils niederzuschlagen. Damit haben sie jedoch höchstens eine Friedhofsruhe geschaffen. Für die zentralen Anliegen, deretwegen immer mehr Menschen im Land einen Systemwechsel anstreben, haben sie keine Lösungen zu bieten – seien es Fragen der politischen Teilhabe, der Geschlechtergerechtigkeit oder der Lage von ethnischen und religiösen Minderheiten. Ebenso hat sich eine breite, grundsätzliche Ablehnung der Islamischen Republik manifestiert. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis es wieder zu größeren Aufständen kommt.



Der Teufel steckt im Detail

Die deutsche Politik muss die Menschen im Iran auf diesem Weg unterstützen. Schwächung des Regimes, Stärkung der Zivilgesellschaft und Eindämmung der sicherheitspolitischen Bedrohung: Ein solcher Dreiklang dürfte in Deutschland weitgehend konsensfähig sein.

Doch der Teufel steckt im Detail. So lassen sich etwa die Schwächung des Regimes und die Stärkung der Zivilgesellschaft nicht trennscharf unabhängig voneinander verfolgen. Zahlreiche Maßnahmen, die auf die Fähigkeiten des Regimes zielen, berühren auch die Zivilgesellschaft. Andererseits könnte das Regime von Maßnahmen profitieren, mit denen die Bevölkerung unterstützt werden soll.

Besonders sichtbar werden diese Zielkonflikte bei der Frage der Sanktionen. Die auf den Weg gebrachten EU-Sanktionen sind zu begrüßen und stetig zu erweitern. Auch die vom UN-Menschenrechtsrat maßgeblich auf deutsches Betreiben hin eingerichtete Untersuchungskommission kann wichtige Beiträge zur Identifizierung von Tätern und zur Aufarbeitung von Verbrechen machen. Nachhaltig schwächen dürften die Maßnahmen das Regime jedoch kaum. Einreiseverbote und das Einfrieren von Vermögenswerten in der EU dürften für die sanktionierten Personen ebenso zu verkraften sein wie die abstrakt bleibende Drohung mit Gerichtsverfahren in Europa.

Um den Druck auf das Regime zu erhöhen, könnte die europäische Politik die Sanktionierung des Iran natürlich ausweiten. Ein Ansatzpunkt hierfür wären der Ausstieg aus dem Atomabkommen und die erneute Verhängung von Energie- und Finanzsanktionen. Eine weitere Möglichkeit wäre es, sich den „Sektorsanktionen“ der USA anzuschließen, die auf ein vollständiges wirtschaftliches Embargo mit Ausnahme humanitärer Güter hinauslaufen.



Risiken und Nebenwirkungen

Ob diese Schritte aber dazu geeignet sind, das Regime in Teheran strategisch zu schwächen, bleibt fraglich – und erst recht, ob es deshalb seinen Kurs ändern würde. Denn infolge der extraterritorialen (sprich: auch auf europäische Unternehmen ausstrahlenden) US-Sanktionen ­importiert Europa ohnehin kein Öl mehr aus dem Iran. Umgekehrt führen die EU-Länder neben Agrar- und Pharmaprodukten zwar weiterhin chemische Erzeugnisse und Maschinen in den Iran aus. Ein Wegfall dieser Güter im Wert von knapp über zwei Milliarden Euro (2021) jedoch  dürfte für die iranische Wirtschaft nach Jahren der deutlich schwerer wiegenden US-Sanktionen zwar schmerzhaft, aber nicht bedrohlich sein.

Gleichzeitig bleibt die keineswegs triviale Frage nach den Auswirkungen von Sanktionen auf die Zivilgesellschaft. Sanktionen treffen nicht nur die dominierenden staatlichen und staatsnahen Unternehmen, sondern auch die Bevölkerung: Der Rückgang von Außenhandel und Bruttoinlandsprodukt im Zuge der US-Sanktionen ging einher mit einer erheblichen Abwertung des Rials, rasanter Inflation und einem dramatischen Kaufkraftverlust für die Bevölkerung.

Viele Menschen können sich bereits geringe Verdienstausfälle nicht leisten, was ihre Möglichkeit zu streiken erheblich reduziert. Auch müssen viele von ihnen länger arbeiten oder Zweitjobs annehmen, weshalb ihnen weniger Zeit und Geld für zivilgesellschaftliches Engagement bleibt. Internationale Vernetzung und Reisen sind für Aktivisten schwieriger und teurer geworden; der Zugang zu digitalen Technologien ist für viele aufgrund von Sanktionen eingeschränkt. Und: Es hätte Folgen für die Menschen im Iran, wenn die letzten Brücken nach Europa gekappt würden, ob im Kulturaustausch, bei der humanitären Nothilfe, in Umweltfragen oder bei Wissenschaftskooperationen.

Über die Auswirkungen von Sanktionen auf die wirtschaftliche Lage im Land hinaus stellt sich die Frage, ob eine Verengung des Diskurses auf die Verhängung weiterer Sanktionen den Menschen wirklich am meisten hilft. Die größten, noch nicht ausgeschöpften Potenziale scheinen vielmehr bei Maßnahmen zur Unterstützung der iranischen Zivilgesellschaft zu liegen. Ihnen sollte die deutsche Politik mehr Beachtung schenken.

Vor Ort sollte die deutsche Botschaft mehr tun: mit der Erteilung humanitärer Visa, der Unterstützung politischer Gefangener durch die Übernahme von Prozesskosten, mit politischem Druck durch Protestnoten oder die umfassende menschenrechtspolitische Berichterstattung als Grundlage für eine regelmäßige Unterrichtung von Bundestag und ­Öffentlichkeit.

Außerdem kann Deutschland der iranischen Zivilgesellschaft zur Seite springen, indem es ihr systematisch Plattformen zur Debatte und Vernetzung bereitstellt. Daran anknüpfend kann Berlin durch die Förderung von Medienplattformen den Anliegen demokratischer Aktivisten größere Sichtbarkeit verleihen und einen Debattenraum anbieten. Eine weitere wichtige Maßnahme wäre die Einrichtung eines Förderprogramms für ein freies Internet, um die Auswirkungen der Zensur abzufedern. Schließlich sollte Deutschland sicherstellen, dass die Menschen im Iran humanitäre Güter und Medikamente bekommen.

 

Nicht geringes Eskalationspotenzial

Auch beim Thema Sicherheitspolitik sind Zielkonflikte programmiert. So birgt ein maximaler Druck auf das Regime die Gefahr wachsender Spannungen, denn der Iran verfügt über ein nicht geringes Eskalationspotenzial. Etwa, wenn ­Teheran sich aus dem Atomwaffensperrvertrag zurückzöge, seine Angriffe auf kritische Ölinfrastruktur wieder aufnähme oder wenn Teheran-treue Milizen den Irak, Syrien oder andere Länder destabilisierten.

Die hier beschriebenen Zielkonflikte lassen sich nicht abschließend auflösen – man wird Abwägungen treffen müssen. Deutschland und Europa sollten sich die Fähigkeit zur Diplomatie mit dem Iran erhalten und bestehende Verhandlungsprozesse und Kommunikationskanäle nicht einer kurzfristigen Symbolpolitik opfern.

Darüber hinaus sollte Berlin ein besonderes Augenmerk auf den Schutz der Menschen im Land vor den Auswirkungen von Sanktionen und auf die Stärkung der iranischen Zivilgesellschaft legen. In den vergangenen Wochen wurde parteiübergreifend große Solidarität mit dem Anliegen der mutigen Protestierenden im Iran zum Ausdruck gebracht. Der Worte sind genug gewechselt.    

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2023, S. 50-53

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