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27. Apr. 2018

Schwarz-rotes Tableau

Angela Merkels neues außenpolitisches Team verspricht Kontinuität

Nach der längsten Regierungsbildung in der Geschichte der Bundesrepublik steht Angela Merkels viertes Kabinett. In der Außen- und Sicherheitspolitik sind einige neue Köpfe dazugekommen, allen voran Außenminister Heiko Maas (SPD). Wir erklären, wer in den kommenden vier Jahren das Bild Deutschlands in der Welt prägen wird.

Am Anfang steht für jeden Regierungschef die Innenpolitik im Vordergrund; die den Wählern versprochenen Neuerungen umzusetzen, ist vorrangiges Ziel. Je länger ein Kanzler oder eine Kanzlerin jedoch im Amt ist, desto mehr nehmen ihn oder sie die Notwendigkeiten und Verlockungen der Außenpolitik in Beschlag. In ihrem 13. Jahr im Amt gibt es auch bei Angela Merkel keinen Zweifel: Es ist die Weltbühne, auf der sie den größten Einfluss und Respekt genießt.

Nicht nur dieses Ansehen, sondern auch Merkels immense Erfahrung in der europäischen und internationalen Politik bedeutet, dass kein anderer Außen- und Sicherheitspolitiker in Berlin auch nur den Hauch einer Chance hat, ihr das Wasser zu reichen. Merkel kennt sich besser aus; Merkel hat die besseren Drähte; und schließlich hat Merkel auch das letzte Wort. Und doch wird Politik nicht von einer Person allein gemacht. Wer also sind die alten und neuen Köpfe, die für Deutschlands Rolle in Europa und der Welt mitverantwortlich sind?

Der wichtigste neue Kopf ist der Außenminister: Heiko Maas, 51 Jahre alt, Sozialdemokrat, Jurist und Triathlet. Maas ist Saarländer, was für die deutsche Außenpolitik wichtig ist, gerade mit Blick auf das Reformbündnis mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Kein anderes deutsches Bundesland verbindet eine so enge und manchmal auch so schwierige Geschichte mit Frankreich. Das Saarland war mal deutsch, mal französisch, und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es nur deshalb wieder deutsch, weil die Saarländer gegen den massiven Widerstand ihrer französischen Besatzer ein Referen­dum über ihre Zugehörigkeit zur Bundesrepublik erzwangen.

„Ich blicke als Saarländer auf Deutschland und Europa“, schrieb Maas vor einem Jahr in einem Gastbeitrag für die ZEIT. Er sei in Saarlouis geboren, einer von Ludwig XIV. als Festung erbauten Stadt, die von den Nazis in „Saarlautern“ umbenannt wurde. „Meine Großmutter hat 80 Jahre im selben Haus, in derselben Straße, in derselben Stadt gewohnt – und doch hatte sie wegen des politischen Hin und Hers in ihrem Leben fünf verschiedene Pässe“, erinnerte sich Maas. „Aber sie hat noch erlebt, dass die Frage Deutschland oder Frankreich für uns Saarländer an Bedeutung verloren hat, weil Europa die Antwort darauf geworden ist.“

Merkel und Macron werden die großen Linien der neuen deutsch-französischen Entente für Europa bestimmen, doch für Maas und seinen französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian bleibt genug zu tun. Der Tradition folgend war Paris auch Maas’ erstes Reiseziel nach der Vereidigung. „Ich bin heute Abend glücklich, meinen neuen deutschen Kollegen Heiko Maas zu begrüßen, um die Grundlagen für unsere Zusammenarbeit zu legen“, twitterte Le Drian. Soweit gut und genau nach Protokoll, ebenso wie die nächsten Reisen als Außenminister, die Maas nach Warschau, Brüssel, Rom und Israel führten.

Kein Russland-Versteher

Fehlerlos waren diese ersten Auftritte, ganz zur Zufriedenheit seines neuen Hauses. Handwerklich wird Maas seine neue Aufgabe auf jeden Fall im Griff haben; wie weit er sie politisch mit eigenen Ideen ausfüllen wird, ist noch schwer abzuschätzen. Einen anderen Tonfall bringt er in das deutsch-israelische Verhältnis. Seine erste Begegnung mit Premierminister Benjamin Netanjahu war so freundlich und dauerte so lange, dass der neue Außenminister fast seinen Flug verpasst hätte. Maas sagt, er sei wegen Auschwitz in die Politik gegangen; seine scharfen Angriffe auf ­Pegida und die AfD haben ihm den Hass der Rechtsextremen zugezogen, aber eben auch Anerkennung.

Besonderes Interesse gilt Maas’ Russland-Politik. Anders als seine Vorgänger Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel hat Maas keine enge Verbindung zu dem früheren Bundeskanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder. Und schon jetzt ist klar: Maas wird kritischer auftreten. Wie er selbst zum Amtsantritt sagte: „Wenn Russland sich selbst immer mehr in Abgrenzung, ja teilweise fast Gegnerschaft zum Westen definiert, so mögen wir das bedauern. In jedem Fall aber verändert es die Realität unserer Außenpolitik.“ In der Folge des Giftgas-Anschlags auf den Doppelagenten Sergei Skripal in Großbritannien ließ auch Maas russische Diplomaten ausweisen; zugleich warb er dafür, das Vertrauen wiederaufzubauen.

Maas ist ruhig, beherrscht und höflich, ein Mann mit Sinn für leisen Spott und elegante, eng geschnittene Anzüge. Dabei weiß er sich durchaus in Szene zu setzen. Als Justizminister war er nicht nur sehr präsent in den sozialen Medien, sondern bewies auch ein gutes Gespür für die Themen, die bei Mitgliedern und Wählern der SPD gut ankommen, beispielsweise die Einführung der Frauenquote, striktere Anti-Doping-Gesetze oder das umstrittene Gesetz gegen Hass im Internet. Als Außenminister kann er auf den Sonderbonus zählen, den die Deutschen den Inhabern dieses Amtes seit jeher einräumen (nur ­Guido Westerwelle vermochte es als Außenminister nicht, seine Beliebtheitswerte aufzubessern). Maas’ Nachteil ist, dass nicht er als Vizekanzler die SPD-Ministerriege anführt, sondern Finanzminister Olaf Scholz. Das schwächt auch seine Stellung gegenüber Merkel.

Ein alter und zwei neue Staatsminister – das ist der Titel im Auswärtigen Amt für parlamentarische Staatssekretäre – unterstützen Maas: Michael Roth bleibt zuständig für Europa. „Jetzt bin ich der Dienstälteste!“, twitterte Roth bei der Einführung der neuen Kollegen. Seine Schwerpunkte sind das deutsch-französische Verhältnis und die Menschenrechte.

Für die Beziehungen zur übrigen Welt kommt Niels Annen hinzu. Der frühere Juso-Chef, einst streitbarer Vertreter der Parteilinken, gilt als bester außenpolitischer Fachmann in der SPD. Sein Staatsminister-Debüt im Bundestag absolvierte er, indem er für die Verlängerung von Mandaten für die Auslandseinsätze deutscher Soldaten u.a. in Mali und Afghanistan sowie die Ausweitung der Ausbildungsmission im Irak warb.

Zum ersten Mal wird es im Auswärtigen Amt eine Staatsministerin für die internationale Kulturpolitik geben. Dieses Amt liegt bei Michelle Müntefering, SPD-Abgeordnete aus dem Ruhrgebiet, Frau des früheren SPD-Chefs Franz Müntefering und Vertreterin der nächsten Generation in ihrer Partei. Wie Müntefering ihr Amt gleichermaßen in Koopera­tion und Konkurrenz zu der CDU-Politikerin Monika Grütters, der Kulturstaatsministerin im Kanzleramt, ausfüllt, dürfte interessant werden.

Nach außen sichtbarer sind die Staatsminister; nach innen wichtiger die beamteten Staatssekretäre. Walter Lindner wurde schon unter Sigmar Gabriel im vergangenen Jahr berufen, jetzt kommt noch Andreas Michaelis hinzu. Er war zuvor Politischer Direktor im AA und ist ein Mann mit großer Hausmacht. Es ist ein interessanter Zufall, dass beide der Öffentlichkeit einst als Sprecher von Außenminister Joschka Fischer – erst Michaelis, dann Lindner – bekannt wurden.

Unvollendete Reform

Erstaunlich gut war auch das Zusammenspiel des neuen Außenministers mit Ursula von der Leyen, der im Amt bestätigten Verteidigungsministerin. Gemeinsam warben die beiden im Bundestag dafür, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernehmen und die europäische Verteidigung gestärkt werden müsse.

Von der Leyen kann Unterstützung gebrauchen. Seit vier Jahren hat die niedersächsische CDU-Politikerin das wohl schwierigste Ministeramt inne, das Berlin zu vergeben hat. Keineswegs sicher war es, dass Merkel sie ein zweites Mal auf diesen Posten berufen würde, so schlecht ist der Zustand der Bundeswehr. Nach dem Fall der Mauer wurde jahrzehntelang an der Armee gespart; gleichzeitig wurde sie immer häufiger in Auslandseinsätze geschickt. Panzer, Schiffe, Flugzeuge, Waffen sind veraltet, verschlissen und nur zu einem beschämend kleinen Anteil einsatzfähig.

Niemand hatte erwartet, dass von der Leyen Wunder bewirkt; sie selbst wirbt bei jeder Gelegenheit mit Eloquenz um Geld und Geduld. Doch beides ist knapp, denn je länger die 59-Jährige im Amt ist, desto mehr wird die Misere auch ihr angelastet. Als mögliche Nachfolgerin von Merkel im Kanzleramt gilt sie inzwischen nicht mehr. Diese Rolle hat bis auf Weiteres die neue CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer übernommen.

Ein besonders harter Schlag für von der Leyen war der Rücktritt von Katrin Suder, ihrer engsten Vertrauten, die sie 2014 von der Beratungsgesellschaft McKinsey als Staatsekretärin ins Verteidigungsministerium geholt hatte. Suders Aufgabe war die Umstrukturierung des Beschaffungswesens. Sie sollte dafür sorgen, dass die Bundeswehr in Zukunft neues Gerät ohne riesige Mehrkosten, Zeitverzögerungen und Mängellisten erhält. Welchen Erfolg sie – und damit auch ihre Chefin von der Leyen – hatte, wird sich erst nach Jahren herausstellen, wenn die ersten Großaufträge nach dem neuen Muster abgearbeitet sind. Suder machte private Gründe für ihren Rücktritt geltend. Trotzdem ist ihr Weggang dazu angelegt, den Glauben an Glück und Geschick der Ministerin und die Reformierbarkeit der Bundeswehr zu schwächen.

Neuer Rüstungsstaatssekretär ist Generalleutnant Benedikt Zimmer. Es ist das erste Mal seit einem Vierteljahrhundert, dass ein General zum beamteten Staatssekretär berufen wird. Für von der Leyen dürfte im Vordergrund gestanden haben, dass Zimmer als bisheriger Leiter der Abteilung Ausrüstung in Suders Reformen eng eingebunden war und damit nicht nur Erfahrung, sondern auch Loyalität mitbringt. Das ist umso wichtiger, als gleichzeitig mit Zimmer auch von der Leyens übrige Führungsmannschaft ausgetauscht wurde. Generalleutnant Eberhard Zorn folgt als neuer Generalinspekteur auf Volker Wieker; auch andere militärische Spitzenpositionen wurden neu besetzt.

Schon länger war bekannt, dass die beiden bisherigen parlamentarischen Staatssekretäre Ralf Brauksiepe und Markus Grübel das Verteidigungs­ministerium verlassen würden. Ihnen folgen nun der CSU-Politiker Thomas Silberhorn und der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Silberhorn, ­Jurist und direkt gewählter Abgeordneter aus Bamberg, war bislang parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent­wicklung (BMZ). Tauber ist Historiker und Oberleutnant der Reserve; als CDU-Generalsekretär war er während der vergangenen vier Jahre einer von Merkels engsten, wenn auch glücklosen Mitarbeitern.

500 Millionen für Rückkehrer

Neben von der Leyen ist Entwicklungsminister Gerd Müller der einzige in Merkels neuem Kabinett, der sein Amt behalten durfte. Müller hatte in der vergangenen Legislaturperiode gute Vorschläge vorgelegt, um die Entwicklungshilfe vor allem in Afrika effektiver zu gestalten. Nun muss er die eigenen Ideen umsetzen. Für den Erfolg von Merkels Flüchtlingspolitik ist Müller wichtig: Im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ist das Rückkehrprogramm angesiedelt, das Migranten helfen soll, in ihrem Heimatland wieder Fuß zu fassen. Müller schlug vor, den Etat von 150 auf 500 Millionen Euro zu verdreifachen. Als parlamentarische Staatssekretärin wechselte die Tierärztin Maria Flachsbarth vom Agrar- in das Entwicklungshilfeministerium. Norbert Barthle, früher Lehrer für Sport und Deutsch, kam aus dem Verkehrsministerium dazu. Der neue beamtete Staatssekretär im BMZ ist Martin Jäger. In seiner Laufbahn war er schon Diplomat, Cheflobbyist bei Daimler, Botschafter in Afghanistan, Pressesprecher des damaligen Finanzministers Wolfgang Schäuble und Staatssekretär im Innenministerium.

Ein diskreter Berater

Im Kanzleramt bleibt, mit Ausnahme von Kanzleramtschef Helge Braun, dessen Schwerpunkt aber nicht auf der Außenpolitik liegt, das Personaltableau stabil. Bereits im Herbst 2017 hatte Merkel den Juristen Jan ­Hecker zum außen- und sicherheitspolitischen Berater berufen. Anders als die meisten seiner Vorgänger – auch Christoph Heusgen, der Merkel in ihren ersten drei Amtszeiten beriet und der inzwischen UN-Botschafter ist – ist Hecker nicht von Haus aus Diplomat. Er ist auch kein Christdemokrat, sondern gehörte zeitweise der SPD an. Hecker war im Innenministerium jahrelang für Polizei, organisierte Kriminalität, Ausländerrecht und den Verfassungsschutz zuständig. Es folgten vier Jahre als Richter am Bundesverwaltungsgericht, bevor Merkel ihn 2015 als Koordinator für die Flüchtlingspolitik ins Kanzleramt holte.

Als außenpolitischer Berater der Kanzlerin hat Hecker nun einen der einflussreichsten Posten inne. Nach außen ist er aber bisher kaum in Erscheinung getreten. Auf Konferenzen und Symposien ist Hecker nicht präsent, in den Nachrichten kommt er nicht vor, ja nicht einmal das genaue Geburtsdatum des Spitzenbeamten ist öffentlich bekannt (nur das Geburtsjahr 1967). Schwerer wiegt, dass auch ein halbes Jahr nach Amtsantritt nur wenig über seine Schwerpunkte und Überzeugungen bekannt ist.

Während in der Exekutive nun viele neue Gesichter deutsche Außenpolitik verantworten, gibt es im Bundestag große Kontinuität. Norbert Röttgen (CDU), gut vernetzt, aber kein Freund von Merkel, bleibt Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Den Europa-Ausschuss leitet der Christdemokrat Gunther Krichbaum, ein Mann mit zehn Jahren Erfahrung an dieser Stelle. Wolfgang Hellmich (SPD), der dem Verteidigungsausschuss seit 2015 vorsitzt, wurde ebenfalls in seinem Amt bestätigt.

Ehrgeizige Leute, kluge Köpfe, ausgestattet mit Erfahrung und Sachverstand – und doch wird die erfahrene Kanzlerin sie alle überstrahlen.

Bettina Vestring ist freie Autorin und ­Publizistin in Berlin. Sie schreibt vor allem über Außen-, Sicherheits- und Europapolitik.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai-Juni 2018, S. 70 - 75

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