Schattenarmeen auf dem Vormarsch
Seit der Krim-Krise sind die „kleinen grünen Männchen“ in aller Munde. Das Söldnergeschäft boomt. Es verändert die Kriegsführung auf der ganzen Welt.
Kurz vor den Wahlen im vergangenen September war diese Nachricht vielen Medien eine Schlagzeile wert: „Bundesregierung warnt Mali vor Zusammenarbeit mit russischer Söldnergruppe Wagner“. Mitte des Monats hatte die Militärjunta des westafrikanischen Landes verkündet, rund 1000 Mann des berüchtigten Söldnerunternehmens zu engagieren. Für 9,5 Millionen Euro monatlich sollten die offiziell als Sicherheitsberater angeheuerten Wagner-Truppen das malische Militär trainieren und der Militärelite als Bodyguards dienen. Da sich Deutschland mit rund 1100 Soldaten und Soldatinnen an der UN-Friedensmission MINUSMA beteiligt, fürchtete die Bundesregierung, die Bundeswehr könnte gezwungen sein, mit Söldnern zu kooperieren. Zusammen mit Frankreich kündigte Deutschland kurz darauf an, seine Truppenpräsenz zu überdenken. Der Einsatz in Mali ist der größte und gefährlichste seit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.
Für Sean McFate bedeutet er noch mehr. Der Professor für Strategie an der National Defense University in Washington sieht in dem Einsatz von Söldnern eine der größten Gefahren für die internationale Ordnung, denn „der Krieg wird zunehmend privatisiert“. Söldner funktionierten nicht nach „den Regeln des Krieges, sondern nach den Regeln des Marktes. Und das eröffnet neue strategische Möglichkeiten, die CEOs kennen, die Generälen aber fremd sind.“
Ein prägnantes Beispiel für seine These ist die russische Gruppe Wagner, die vom Multimilliardär und Putin-Vertrauten Jewgeni Prigoschin finanziert wird. Sie ist eine besondere Form der sogenannten „private military companies“ (PMC), mit einem perfiden Geschäftszweck: Sie verbindet oligarchische Interessen, wie die Ausbeutung von Bodenschätzen in Afrika, mit den neuen imperialen Ambitionen des russischen Staates. Das erklärt die Panik, mit der die deutsche wie die französische Regierung auf den Einsatz der Gruppe Wagner in Mali reagiert haben. Vor allem westliche Staaten hätten, so McFate, den „Einfluss von Söldnern in den letzten zehn Jahren massiv unterschätzt“. Mit schwerwiegenden Folgen: „Der Trend, PMC einzusetzen, ist nicht mehr zu stoppen.“
Wer oder was sind diese PMC? Laut der UN-Konvention 44/34 aus dem Jahr 1989 ist ein Söldner, „wer im Inland oder Ausland eigens zu dem Zweck angeworben wird, in einem bewaffneten Konflikt zu kämpfen“, und das „vor allem aus Streben nach persönlichem Gewinn“. Für die Vereinten Nationen ist das Handwerk seit Jahrzehnten illegal, denn wer „Söldner anwirbt, einsetzt, finanziert oder ausbildet, begeht eine Straftat“. Zwar verbieten die meisten Staaten Söldnerfirmen, nicht aber sogenannte „privat security companies“ (PSC) oder „private military companies“ (PMC). „Eigentlich weiß man wenig über sie“, sagt Sean McFate, der selbst viele Jahre bei einer amerikanischen Sicherheitsfirma tätig war: „Das gehört sozusagen zum Geschäftsmodell.“ Umsatz, Beschäftigte, Waffen, Einsatzgebiete – „keine ‚seriöse‘ PMC wird darüber je freiwillig Auskunft geben“. Das macht sie für ihre Auftraggeber so wertvoll.
Russlands unsichtbare Armeen
Die Gruppe Wagner ist eine Art role model für das private Kriegsgewerbe. Offiziell ist sie in Russland nicht registriert und so de jure auch nicht existent; wie in den meisten Staaten, verbietet auch das russische Gesetz private Milizen, nicht aber private Sicherheitsfirmen. Ruslan Trad, der ein Buch über „Russlands unsichtbare Armeen“ geschrieben hat, hält die Gruppe für eine Deckmantelorganisation des Staates, ausgestattet mit militärischen Mitteln und finanziert von Jewgeni Prigoschin. Der Oligarch verfügt über ein Firmennetz, zu dem die Ölfirma Evro Polis sowie die Internet Research Agency gehören, eine Troll-Armee, der der US-Sonderermittler Robert Mueller Desinformation im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen 2016 vorgeworfen hat. Die Firma Evro Polis wiederum soll 2016 vom syrischen Assad-Regime Rechte für die Ausbeutung von Ölquellen erhalten haben. Dessen Bedingung: die Bekämpfung von IS-Truppen auf den Ölfeldern.
Ihren ersten großen Auftritt hat die Gruppe Wagner während der Krim-Krise in der Ukraine. Gegründet 2014 von Dmitry Utkin, Veteran der russischen Armee aus den Tschetschenien-Kriegen, gilt sie als eine der schlagkräftigsten Söldnergruppen. Ihr Name Wagner soll von Utkins früherem Code-Namen „Vagner“ herrühren. Markenzeichen: „kleine grüne Männchen“. Die Soldaten ohne Hoheitsabzeichen kämpfen in der Ukraine an der Seite der Separatisten, ohne Teil der russischen Armee zu sein. Bis heute wird offiziell jede Beteiligung der Gruppe Wagner bestritten. Ebenso in Syrien. Für den Russland-Experten András Rácz von der DGAP steht fest, dass die Gruppe Wagner über die Firma Evro Polis russische Staatsinteressen in Syrien „abgesichert“ hat. Eine Win-win-Situation: „Das Assad-Regime hält sich im Sattel, Putin gewinnt an Macht – und Prigoschin erweitert sein Imperium.“
Ein Geschäftsmodell, das Schule machen wird. Die Gruppe Wagner taucht überall dort auf, wo Russland seinen Machtbereich ausweiten will. Der Deal ist immer der gleiche: Sicherheit gegen Konzessionen für Öl- oder Diamantenminen. Das Modell funktioniert in Libyen, in der Zentralafrikanischen Republik oder – wie jetzt – in Mali, das ebenfalls über wertvolle Rohstoffvorkommen verfügt. Für Rácz ist die Gruppe Wagner ein Propagandakonstrukt, denn „wahrscheinlich gibt es sie so gar nicht“. Mit dem Mythos und den „kleinen grünen Männchen“ aber lässt sich gut arbeiten. Da ist sich auch sein amerikanischer Kollege Sean McFate sicher: „Wagner zieht alle Aufmerksamkeit an und lenkt uns ab von der eigentlichen Bedrohung, die von den Schattenarmeen in der letzten Dekade ausgeht.“
Wo also operieren Söldner heute? Naturgemäß gibt es keine gesicherten Zahlen über ihre Anzahl weltweit, selbst der Bericht der UN-Arbeitsgruppe „Mercenarism and Private Military and Security Companies“ von 2018 nennt keine konkreten Daten, sondern spricht von einem weltweiten Phänomen. Ihr Einsatz hat sich in den vergangenen 25 Jahren erheblich ausgeweitet, vor allem in den Krisenherden in Afrika und im Nahen Osten. So heuerte Saudi-Arabien seit 2015 private Krieger aus Kolumbien an, die – erfahren im Antiguerilla-Krieg – die Huthi-Rebellen im Jemen bekämpfen sollten. Nigeria kaufte 2015 die Dienste südafrikanischer Söldner, um die Terrormiliz Boko Haram aus dem Norden des Landes zu vertreiben. Die eigene Armee war dazu nicht in der Lage. So kommen private Milizen meistens dann ins Spiel, wenn ein Staat die eigene Armee nicht einsetzen will oder kann. Vor allem in asymmetrischen Konflikten wie in Nigeria, Libyen oder Syrien, wo Terrorgruppen gegen nationale Armeen kämpfen, ist der Einsatz von Söldnern ein probates Mittel.
Revolution im Kriegsgeschäft
Die steigende Nachfrage hat „das zweitälteste Gewerbe der Welt“ professionalisiert. Es gibt hochtechnisierte Privatarmeen, die über Hubschrauber, Raketen und Schnellfeuerwaffen verfügen, genauso wie kleine mobile Einsatzkommandos, die einen Auftragsmord ausführen – wie im Juli 2021 bei der Erschießung des haitianischen Präsidenten durch kolumbianische Söldner, vermutlich im Auftrag eines Erzfeindes. Die meisten PMC rekrutieren ihre Angestellten aus den Reihen ehemaliger Militärs. Viele sind Spezialisten, Mitglieder von Elite-Einheiten oder militärischen Geheimdienstkräften. Netzwerke sind entscheidend Rolle, sowohl bei der Anwerbung als auch bei der Einsatzplanung.
Im Gegensatz zum Modell einer Fremdenlegion kommen die Mitglieder einer PMC meistens aus dem gleichen Kulturkreis. Sie sprechen die gleiche Sprache und sind in ähnlichen militärischen Traditionen ausgebildet. „Das ist ein entscheidender Erfolgsfaktor“, weiß McFate. Der UN-Bericht über das Söldnertum nennt als wesentliches Merkmal „gemeinsame Kriegserfahrung“.
Das gilt nicht nur für die Gruppe Wagner, sondern auch für eine andere prominente Söldnerfirma: STTEP (Specialised Tasks, Training, Equipment and Protection International). Die private Sicherheitsfirma, die in Nigeria gegen Boko Haram operierte, ist für ihr klandestines Netzwerk bekannt. Man weiß nur so viel: Einer ihrer Repräsentanten, der südafrikanische Söldner Eeben Barlow, verfügt über 30 Jahre Erfahrung in afrikanischen Bürgerkriegen. Seit dem Ende des Apartheid-Regimes in Südafrika verkauft das Netzwerk aus ehemaligen südafrikanischen Soldaten seine Dienste an den Meistbietenden.
Krieg als Geschäftsmodell
Krieg ist ein gutes Geschäft. Das war er schon immer – und den längsten Teil unserer Geschichte. Alexander der Große ist nur groß, weil er Söldner anheuert, die ihm auf seinem Weg bis weit nach Persien folgen. Cäsar feiert sich als grandioser Feldherr, weil sein römisches Heer zum großen Teil aus Soldaten besiegter Provinzen besteht. Albrecht von Wallenstein wird zu einem der berühmtesten Warlords der Geschichte: Mit seinen Landsknechten perfektioniert er im Dreißigjährigen Krieg das Söldnerwesen.
Erst nach Gründung der Nationalstaaten mit ihren nationalen Armeen ebbt das Geschäftsmodell der privaten Krieger – zumindest in Europa – zeitweilig ab. Bis es im 21. Jahrhundert wieder boomt: „Man könnte fast das Paradoxon formulieren, je ferner eine Vergangenheit ist, je weniger wir mit ihr vertraut sind, desto sexyer ist gewissermaßen ihre Wiederbelebung“, meint der Historiker Herfried Münkler über die Wiederkehr der Privatarmeen: „In unserer postheroischen Gesellschaft ist der Einsatz – und vor allem der Verlust – von eigenen Truppen zunehmend unpopulär geworden.“
Meister des Outsourcen von Sicherheitsdiensten sind – oder besser gesagt waren – die USA. Mit Beginn der Kriege in Afghanistan und im Irak haben sie den privaten Sicherheitsdiensten einen ungekannten Aufschwung verschafft. Laut einer Datenerhebung des US-Kongresses sind in der Hochphase 2011 mehr Angestellte privater Firmen als Soldaten im Einsatz. Während die meisten zivilen Firmen für logistische Dienste wie Transport, Kommunikation, Versorgung oder Ingenieurswesen angeheuert worden sind, schätzen Experten den Einsatz von PMC auf 10 bis 20 Prozent.
Eine der bekanntesten: die inzwischen aufgelöste Firma Blackwater, zuständig für Überwachung von Militäreinrichtungen und Begleitschutz. Eine hohe dreistellige Millionensumme kassiert die Firma des Ex-Navy SEAL Eric Prince allein für den Schutz des diplomatischen Personals in Bagdad. Mit Blackwater verbindet sich auch einer der größten, öffentlich bekannt gewordenen Skandale einer Söldnertruppe: Im September 2007 schießen Sicherheitsleute von Blackwater auf einem Markt in Bagdad ohne Vorwarnung in eine Menge irakischer Zivilisten – 17 Menschen sterben. Die irakische Regierung verweist die Firma des Landes. Erst ein Jahr später beendet das US-Außenministerium die Zusammenarbeit mit Blackwater. Und erst 2014 werden vier Mitarbeiter von Blackwater in den USA zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt hat Eric Prince die Firma schon für geschätzte 200 Millionen Dollar verkauft.
Die Privatisierung des Krieges
Laut Sean McFate liegt eine der größten Gefahren beim Einsatz von Söldnergruppen in ihrem Geschäftsmodell: „Sie haben kein Interesse an der friedlichen Lösung eines Konflikts.“ Die Privatisierung von Kriegen, wie sie in Syrien, Libyen und vielleicht auch bald in Mali zu sehen ist, verlängert die Dauer von Konflikten. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie der Brookings Institution, die im März 2021 der US-Regierung rät: „Militärische Führer müssen diese Bedrohung in ihrem Operationsplan berücksichtigen. Sie müssen sicherstellen, dass die Kommandeure vor Ort klare Anweisungen im Hinblick auf PMC bekommen.“ Diese Studie benennt allerdings auch das politische Problem: Viel zu lange hätte Washington die Gruppe Wagner unterschätzt und nicht als das benannt, was sie nach Ansicht von Experten wie András Rácz ist: „eine Stellvertreter-Organisation des russischen Staates, und so muss man das auch deutlich sagen“.
Bis zum heutigen Tag gibt es keine wirksamen internationalen Instrumente, um das globale Söldnerwesen einzudämmen. Das 2008 verabschiedete Montreux-Dokument versucht, das Völkerrecht auch auf private Militärfirmen anzuwenden. Eine zahnlose Absichtserklärung, die auch China, Afghanistan und die USA unterzeichnet haben. Ebenso wie die UN-Resolution 44/34, die 46 Staaten unterschrieben haben, auch Deutschland. Allerdings haben die meisten Staaten sie nicht ratifiziert; auch Deutschland nicht. Der Grund, so wird in Sicherheitskreisen vermutet: Hierzulande gibt es im Gegensatz zu den USA keine weltweit operierenden großen PMC.
Das könnte sich ändern: Im Oktober 2021 werden zwei Ex-Bundeswehrsoldaten verhaftet, weil sie versucht hätten, eine Söldnergruppe für den Bürgerkrieg im Jemen zu rekrutieren. „Wir müssen bei der Tätigkeit privater Sicherheitsfirmen im Ausland für mehr Transparenz sorgen“, sagt der FDP-Politiker Benjamin Strasser der ARD. Dazu könnte auch eine Meldepflicht für Militärdienstleister gehören, wie sie in den USA existiert. Dort hat sich die Lobbyorganisation des Sicherheitssektors ISOA (International Stability Operations Association) einen „Code of Conduct“ auferlegt, der auch die Genfer Konvention auflistet.
Darüber hinaus gibt es seit Jahren im UN-Menschenrechtsrat Bestrebungen, eine verbindlichere Konvention zum Verbot von PMC voranzubringen. Bislang ohne konkretes Ergebnis. Mitte Dezember allerdings beschlossen die Außenminister der EU Sanktionen gegen die Gruppe Wagner und mit ihr verbundene Unternehmen und Personen. Vielleicht ein Anfang.
Nana Brink ist freie Autorin und Moderatorin u.a. für Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur mit den Schwerpunkten transatlantische Beziehungen und Sicherheitspolitik.
Internationale Politik 1, Januar/Februar 2022, S. 86-90