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01. Mai 2021

Die Wunderwaffe

Das „Future Combat Air System“ – ein Rüstungsprojekt der Superlative. Und für Deutschland und Frankreich der Prüfstein, wie weit ihre sicherheitspolitische Gemeinsamkeit reicht.

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Bild: von der Leyen und ihre Kolleginnen aus Frankreich (Parly) und Spanien (Robles) unterzeichnen im Juni 2019 ein Abkommen zu FCAS.
Vorhaben unter blauem Himmel: Ex-Bundesverteidigungsministerin von der Leyen und ihre Kolleginnen aus Frankreich (Parly) und Spanien (Robles) unterzeichnen im Juni 2019 ein Abkommen zu FCAS.
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Es ist das „irrste Ding, das es je am Himmel gab“, schwärmt ein Luftwaffenoffizier. „Es wird den Krieg neu erfinden.“ Einer von vielen Superlativen, die das „Future Combat Air System“ (FCAS) begleiten. Der französische Präsident Emmanuel Macron verkündet eine „tiefgreifende Revolution“, als er FCAS zusammen mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel 2017 aus der Taufe hebt. Unter deutscher und französischer Federführung wird es das teuerste Rüstungsprojekt sein, das Europa je gesehen hat: Bis zu 300 Milliarden Euro stehen auf dem Preisschild. Frühestens 2040 soll FCAS abheben. Wenn es denn abhebt. Denn zumindest auf deutscher Seite hat man bisweilen den Eindruck, das ambitionierte Projekt sei einfach so zu handhaben wie „die Beschaffung ein paar neuer Stiefel“, kritisiert ein Insider aus Militärkreisen.



Strategisch gesehen wird das Luftkampfsystem der Zukunft der Testfall schlechthin für eine europäische Sicherheitspolitik sein. Für Frankreich, wie es Präsident Macron formuliert hat, ein Schritt hin zu einer „europäischen Souveränität“, der allerdings nur gelingen kann, wenn nationale und eigene rüstungspolitische Interessen in den Hintergrund gestellt werden. Darüber hinaus wird FCAS die Frage neu stellen, welche Rolle der Mensch in einem Waffensystem spielt, in dem Künstliche Intelligenz und autonome Drohnenschwärme elementar sind.



Der Druck auf die deutsche Regierung also ist immens, denn in diesem Sommer tritt FCAS in die entscheidende Planungsphase. Im April haben die beiden ausführenden Rüstungskonzerne Dassault Aviation und Airbus Defence and Space ihren Regierungen einen Plan auf den Tisch gelegt, der den Bau eines flugfähigen Prototyps bis 2027 vorsieht. Kostenpunkt: rund neun Milliarden Euro. Soll der Zeitplan eingehalten werden, müsste der Bundestag noch in dieser Legislaturperiode einen Finanzierungsplan freigeben mit dem deutlichen Hinweis: Hier wird nicht mit Millionen, sondern Milliarden gerechnet.



Gern hätte die IP gewusst, wie sich die Bundesregierung die Finanzierung dieses Prestigeobjekts über mehrere Legislaturperioden vorstellt; allerdings wurde auf Anfrage mitgeteilt, „dass derzeit wegen Personalwechsel kein geeigneter Interviewpartner zur Verfügung steht“. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sagte dazu im Interview mit der IP: „Die gesamte Bundesregierung muss hinter FCAS stehen, schließlich haben wir das Projekt auch im Aachener Vertrag vereinbart. Projekte dieser Größenordnung, finanziell und politisch, kann das Verteidigungsministerium nicht allein stemmen“ (siehe Seite 24 ff.).



Revolution am Himmel

FCAS ist nicht einfach nur ein weiteres Kampfflugzeug, wie oft zu lesen ist. Es ist ein gänzlich neuartiges Luftverteidigungsnetzwerk. Im militärischen Jargon spricht man von einem „System of Systems“, das man sich am besten als eine Anordnung von konzentrischen Kreisen vorstellt. Das Zentrum bildet ein Kampfjet, der sogenannte „Next Generation Fighter“ (NGF), der von Drohnenschwärmen (Remote Carrier) begleitet wird. Sie übernehmen – gesteuert durch Künstliche Intelligenz – sowohl Aufklärung als auch Verteidigung. Der Datenaustausch zwischen dem bemannten Führungsflugzeug und den unbemannten Drohnen-Plattformen wird durch eine „Air Combat Cloud“ gesichert. Alle Teile zusammengenommen bilden das „Next Generation Weapon System“, das mit schon bestehenden Systemen wie Satelliten, Tankflugzeugen oder Flugzeugträgern kommuniziert. Der NGF soll dann sowohl den Eurofighter der deutschen Luftwaffe als auch sein französisches Pendant, die Rafale, sukzessive ersetzen.



Die deutsche Regierung spricht gern von einem „europäischen Projekt“, weil auf ihr Betreiben auch Spanien seit 2019 dabei ist. Allerdings spielt der spanische Anteil noch eine untergeordnete Rolle; die entscheidenden Technologien stellen die Führungsnationen bereit. Genaugenommen ist die neue Wunderwaffe am europäischen Himmel auch gar nicht so europäisch, wie die deutsch-französische Fachwelt es gerne vermitteln möchte. Längst hat FCAS Konkurrenz, denn Großbritannien plant sein eigenes Kampfflugsystem „Tempest“ mit italienischer und schwedischer Beteiligung. Bei einer Anhörung des deutschen Generalinspekteurs vor dem Verteidigungsausschuss der Nationalversammlung in Paris im März war zu hören, „Tempest“ sei angeblich schon „ähnlich weit“. Forderungen nach einer Kooperation beider Systeme sind bislang nie ernsthaft erwogen worden.



FCAS war von Beginn an eher ein politisches denn ein militärisches Konzept, und vielleicht liegt darin ein Geburtsfehler. Die deutsch-französische Rüstungskooperation der letzten Jahrzehnte ist keine Erfolgsgeschichte, was nicht zuletzt an den sehr unterschiedlichen politischen und militärischen Kulturen beider Länder liegt. Frankreich als selbstbewusste europäische Atommacht beansprucht für sich, immer unilateral handeln zu können. Die Entscheidung über Rüstungsprojekte fällt in enger Abstimmung mit der Industrie, ebenso die Finanzierung. Ganz anders als in Deutschland, dessen Sicherheitspolitik in multilateralen Strukturen verankert ist und dessen Rüstungsvorhaben durch das Parlament entschieden werden. Während es in Frankreich für solche Projekte eine mehrjährige Planung – und Finanzierung – gibt, muss in Deutschland jede Phase vom Bundestag abgesegnet werden. Im Frühling wäre FCAS fast an diesen unterschiedlichen Kulturen gescheitert.



Die deutsche Beschaffungsstruktur, die schon lange als grundlegend reformbedürftig gilt, ist dem französischen Partner „unheimlich“, wie ein französischer Militär wenig diplomatisch formulierte. In Frankreich regelt die Direction générale de l’armement alle zentralen Fragen der Ausrüstung und ist somit der wichtigste Ansprechpartner. Die Verantwortlichkeiten auf deutscher Seite sind vielschichtig und reichen von diversen Ministerien über das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr bis hin zur Industrie. Als in diesem Frühjahr über den Plan des Prototyps verhandelt wurde, drohte Dassault-Chef Éric Trappier damit, lieber ein rein französisches Kampfflugzeug zu bauen, als „ständig“ auf die Deutschen zu warten. Aus deutscher Sicht, so ein Verhandlungsführer, streute die „französische Dominanz“ permanent Sand ins Verhandlungsgetriebe. Beides spricht für ein tiefes Misstrauen, was bei näherer Betrachtung nicht verwundert.



FCAS ist keine freiwillige Industriekooperation, sondern ein Projekt der politischen Machtzentren in Paris und Berlin. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die beiden Rüstungskonzerne Konkurrenten – und genau genommen sind sie es immer noch. Der Kampfflieger Rafale von Dassault trifft im internationalen Wettbewerb auf den Eurofighter, an dem Airbus wesentlich beteiligt ist. Wer will da Ergebnisse einer zum Teil jahrzehntelangen Entwicklung dem Partner überlassen? „Das ist nicht einfach, jetzt aus Konkurrenten Freunde zu machen! Das wird nicht von heute auf morgen funktionieren“, bekannte Thomas Grohs, der für FCAS zuständige Chefingenieur bei Airbus Defence and Space Ende März. Zwar konnte man sich auf die Führung in bestimmten Sparten des Projekts einigen: Dassault übernimmt die Entwicklung des NGF, während Airbus seine Kompetenz im Bereich Drohnen und „Air Combat Cloud“ einbringt. Die eigentlich heiklen Fragen jedoch in Bezug auf das geistige Eigentum (Intellectual Property Rights) führten zu monatelangen harten Auseinandersetzungen auf der Arbeitsebene.



Wie die IP aus Verhandlungskreisen erfuhr, beharrten die Franzosen lange auf den Eigentumsrechten an dem von ihnen zu entwickelnden neuen Kampfjet. Die deutsche Seite hingegen drängte darauf, den Jet nach Übernahme auch selbst warten und eigenen Bedürfnissen anpassen zu können. Was nichts weiter bedeutet, als dass Dassault sein technologisches Know-how mit Airbus teilen müsste. Umgekehrt würde dies für Airbus im Bereich Drohnensysteme und „Air Combat Cloud“ ebenfalls gelten. „Aber in letzter Konsequenz“, resümiert Chefingenieur Grohs, „geht es darum, das gemeinsame Ziel ins Auge zu fassen und sich zusammenzunehmen – wir springen auch mal gegenseitig über den Schatten.“ Weitaus skeptischere Töne stimmt Dassault-Chef Trappier an: „FCAS ist nicht mehr in Lebensgefahr, aber der Patient ist nicht geheilt.“



Nicht nur Patentrechte, auch sicherheitspolitische Interessen machen die Verhandlungen nicht einfacher. Da Frankreich die Force de frappe als elementaren Bestandteil seiner nationalen Souveränität sieht, wird der neue Kampfjet in jedem Fall als Träger für Atomwaffen konzipiert. Spätestens hier wird FCAS zum Prüfstein für gemeinsame deutsch-französische Interessen. So umstritten die nukleare Teilhabe in Deutschland auch ist, so klar hat sich die Bundesregierung 2020 zu einer Brückentechnologie bekannt. Diese sieht vor, die deutschen Tornados, die Atomwaffen tragen können, durch amerikanische F-18-Bomber zu ersetzen, bis zum geplanten Einsatz des Next Generation Fighter im Jahr 2040. Folgt man der Logik des Future Combat Air System, müsste der neue Kampfjet dann französische – und amerikanische – Atomwaffen tragen können. „Das heißt, Frankreich müsste hier zustimmen, dass die technische Dokumentation ihres Nuklearwaffenträgers und damit ihr Teil der nationalen Souveränität an die USA gegeben wird, nur um sicherzustellen, dass Deutschland weiterhin an der nuklearen Teilhabe beteiligt sein kann. Das ist aus heutiger Sicht ein Vorgang, der sehr fraglich ist“, meint der Politikwissenschaftler Dominic Vogel, der auch Major der deutschen Luftwaffe ist.



Drohnen als „loyal wingmen“

Als Kampfsystem der Zukunft wirft FCAS auch zentrale Fragen der Entwicklung von autonomen Waffensystemen auf. Ein wichtiger Aspekt sind die Remote Carrier, unbemannte Drohnensysteme, die in einer Schwarmformation um das bemannte Flugzeug fliegen. Sie sind die „loyal wingmen“ des Kampfpiloten, die ihn mit Informationen versorgen, aber auch eigenständig handeln können, zum Beispiel im Angriffsfall. „In dem Moment ist die Künstliche Intelligenz eigentlich schon mitgedacht, weil wir hier über Systeme reden, die dann einen gewissen Grad an Autonomie brauchen; wenn man einem System Autonomie, also Handlungsfreiheit, geben will, dann sollte es ein möglichst intelligentes System sein – dann kommt die Künstliche Intelligenz ins Spiel“, erklärt die Drohnenspezialistin Ulrike Franke (siehe S. 102 ff.). Die Frage ist also nicht, in welchem Umfang Künstliche Intelligenz eingesetzt wird, sondern wie. Da FCAS ein Zukunftsprojekt ist, setzt man auf eine Technologie, die man noch nicht hat. „Es ist relativ schwierig“, so Franke, „genau festzusetzen, wo man den Strich zieht.“



Bei der Führung von Airbus Defence and Space, die vor allem die Drohnenentwicklung für FCAS steuert, hat man die Brisanz des Themas längst erkannt. Für Chefingenieur Grohs ist die Definition der „meaningful human control“ die zentrale Frage der Zukunft: „Künstliche Intelligenz wird der Schlüssel sein, diese ganze Datenflut einzuordnen, aber das System muss auch immer die Fähigkeit haben zu melden: okay, hier stoppe ich jetzt mal die Automatik und lasse einen Menschen bewerten.“ Zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie hat Airbus eine „AG Technikverantwortung“ ins Leben gerufen, in der neben den üblichen Stakeholdern aus Industrie, Militär und Politik auch Sozial- und Kulturwissenschaftler, Friedensforscher und Vertreter der Kirchen sitzen. Es ist das erste Mal, dass ein Rüstungsprojekt von einer Ethikkommission begleitet wird, mit dem Ziel „der Festlegung und technischen Umsetzung ethisch und völkerrechtlich fundierter Leitplanken“.



Wie sehr das Thema KI und deren Einsatz vor allem in Waffensystemen auch die junge Ingenieursgeneration bei Airbus beschäftigt, zeigt ein von ihnen im April veröffentlichtes White Paper über „The Responsible Use of Artificial Intelligence in FCAS – An Initial Assessment“. Die Autoren des Papiers fordern eine „offene technische Diskussion über den verantwortungsvollen und den ethischen Gebrauch von Künstlicher Intelligenz“. Sie sehen sich in der Pflicht: „Wir bauen das System und haben einen direkten Einfluss auf die technischen und operativen Parameter.“ Florian Keisinger, der die „AG Technikverantwortung“ bei Airbus koordiniert, erhofft sich eine breite gesellschaftliche Debatte, die so in Deutschland bislang nicht stattfinde, nämlich „die Zusammenführung von technologischer und normativer Diskussion, das ist die große Chance“.



Bislang scheint FCAS noch ein Projekt, das abseits einer breiten Öffentlichkeit eher Experten interessiert, wie den grünen Verteidigungspolitiker Tobias Lindner. Er ist Sprecher für Sicherheitspolitik seiner Partei im Bundestag und – bemerkenswert genug – stellt FCAS „nicht grundlegend infrage“. Wenn man Antworten zur Rolle Künstlicher Intelligenz in Waffensystemen finden wolle, dann „wird man es in Europa nur tun können, wenn man auch selbst ein Produkt entwickelt. Aber so ein Projekt braucht einen politischen Rückhalt. Ich bin über die aktuelle Bundesregierung ein wenig entsetzt, auch im Bundestag und im Haushaltsausschuss wird FCAS manchmal eher wie so ein normales Rüstungsprojekt behandelt.“ Lindner fordert, auch im Hinblick auf eine mögliche künftige Regierungsbeteiligung, eine Berichterstatter-Gruppe, die auch die Opposition einschließt.



Ähnlich kritisch äußert sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter, Mitglied des Verteidigungsausschusses: „Wir brauchen FCAS, aber mir fehlen die sicherheitspolitische Analyse und der Wille, der Bevölkerung zu erläutern, warum wir es brauchen.“ Und: „Mir fehlt ein schlüssiges Konzept für die Finanzierung von FCAS.“ Da die Finanzierung des flugfähigen Prototyps bis Mitte des Jahres freigegeben werden muss, worauf die Franzosen drängen, müsste der Haushaltsausschuss spätestens auf seiner letzten Sitzung im Juni den Plan absegnen – für das angeblich „irrste Ding, das es je am Himmel gab“.

 

Nana Brink ist freie Autorin und Moderatorin u.a. für Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur mit den Schwerpunkten transatlantische Beziehungen und Sicherheitspolitik.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai-Juni 2021, S. 64-68

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