IP

01. Sep 2015

Rohanis Pyrrhussieg

Nach dem Verhandlungserfolg stehen Irans Präsidenten schwere Zeiten bevor

Die Einigung über das iranische Atomprogramm gilt weithin als Erfolg – nicht zuletzt für Irans Präsidenten Hassan Rohani. Doch paradoxerweise könnte es für ihn und seine innenpolitischen Verbündeten in nächster Zeit daheim sehr gefährlich werden. Der Oberste Religionsführer Ali Khamenei und die Revolutionsgarden suchen die Konfrontation.

„Heute ist ein historischer Tag“, erklärte der iranische Außenminister Javad Zarif, nachdem sich die Islamische Republik und die EU3+3 am 14. Juli 2015 auf den „Gemeinsamen Aktionsplan“ zu Irans Atomprogramm geeinigt hatten. Keine Stunde später schloss sich Irans Präsident Hassan Rohani in einer Fernsehansprache an: „Gott hat die Gebete der großen iranischen Nation erhört!“

Der triumphale Ton beider Männer ist verständlich. Schließlich waren es die Hoffnung auf eine Verhandlungslösung, die Aufhebung der internationalen Sanktionen und eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage für die Iraner, die Rohani und Zarif den Weg ins Amt ebneten.

Doch während Rohani und Zarif noch damit beschäftigt sind, ihren Erfolg zu feiern, wetzen ihre Gegner in Teheran, allen voran der Oberste Religionsführer Ali Khamenei und die iranischen Revolutionsgarden, ­bereits die Messer gegen das dynamische Duo. Der Ausgang dieses politischen Ringens wird nicht nur über die Karriere von Rohani und dessen Team entscheiden, sondern auch über das Schicksal des Atomabkommens zwischen dem Iran und den EU3+3, über die Nachfolge von Ajatollah Khamenei und letztlich über die Frage, wer in der Islamischen Republik die Kontrolle ausübt.

Mit dem Abschluss des Atomabkommens braucht Khamenei den Präsidenten und seinen Außenminister nicht mehr. Er wird sie vermutlich nicht länger gegen innenpolitische Kritik abschirmen, wie er es in den ersten zwei Jahren ihrer Amtszeiten getan hat. Schlimmer noch: Aus Sorge um deren wachsende Beliebtheit könnte er die Revolutionsgarden darin bestärken, zum politischen Angriff auf Rohani und seine Verbündeten überzugehen.

Nicht, dass die Revolutionsgarden Khameneis aktiver Ermunterung bedürften: Weil sie die treibende Kraft des iranischen Atomprogramms sind und vermutlich zu den Hütern der Bombe würden, falls der Iran sich doch entschließt, Atommacht zu werden, haben die Revolutionsgarden zweifellos am meisten zu gewinnen. Dies allein dürfte schon ausreichend Grund für deren Opposition gegen Rohanis Atomdiplomatie bieten. Dessen Versuche, die Revolutionsgarden politisch zu marginalisieren und aus der Wirtschaft hinauszudrängen, tragen zur Feindschaft gegenüber den Präsidenten nur noch weiter bei.

Kein Ein-Mann-Unternehmen

Als Kämpfertyp, der er ist, hat Rohani nicht die Absicht, vor seinen Gegnern in Teheran zu kapitulieren. Er könnte sich dabei vielleicht besser behaupten als seine „pragmatischen“ Vorgänger. Das Team Rohani ist heute kein Ein-Mann-Unternehmen mehr, das aus dem Nichts entstanden ist, sondern ein Produkt des weit verzweigten „technokratischen“ und geistlichen Netzwerks, das Rohanis Mentor, der frühere Präsident Ali Akbar Hashemi Rafsandschani, aufgebaut hat.

Zudem ist es Rohani gelungen, die iranische Öffentlichkeit für seine Sache zu mobilisieren. An den spontanen Feiern auf den Straßen Teherans und anderer wichtiger iranischer Städte nach dem Abschluss des Abkommens wurde die beträchtliche Unterstützung für Rohanis Atomdiplomatie ja sichtbar. Mit dem Abkommen ist Rohani einer Aufhebung der Sanktionen sehr viel näher gekommen und damit auch der Aussicht auf die von vielen Iranern dringend ersehnte Verbesserung der Wirtschaftslage. Die Wähler könnten sich dafür bedanken; sie könnten Vertreter aus Rohanis Team in den Rat der Experten bringen und damit in das 86 Mitglieder starke Gremium, das offiziell den nächsten Obersten Religionsführer bestimmt; und sie könnten bei den Parlamentswahlen im Februar 2016 ebenfalls für Rohanis Leute stimmen und ihn im darauffolgenden Jahr in seinem Amt bestätigen.

Das allerdings ist ein eher optimistisches Szenario. Sobald politischer Gegenwind zu spüren ist, könnten Rohani, Rafsandschani und der innenpolitisch eher unbedarfte Zarif von ihrem Netzwerk im Stich gelassen werden. In der Vergangenheit haben Rafsandschani und Rohani die Loyalität ihrer Anhänger selten erwidert. Auf deren Unterstützung könnten sie in unruhigen Zeiten nicht unbedingt zählen.

Als ihre Gefolgschaft während der Präsidentschaft Rafsandschanis in den neunziger Jahren von politischen Gegnern – unter ihnen auch Ali Khamenei – heftig attackiert wurden, haben sie keinen Finger zu deren Schutz gerührt. Und als Gholamhossein Karbaschi, ein reformorientierter Bürgermeister von Teheran und ­Rafsandschani-Verbündeter, 1998 Zielscheibe einer politisch motivierten Justiz wurde, hielten Rohani, damals Sekretär des Obersten Nationalen ­Sicherheitsrats, und Rafsandschani still. Würde Khamenei die Revo­lutionsgarden auf den Präsidenten loslassen, dann könnte sich Rohanis Netzwerk, das wesentlich kleiner und schwächer ist als das Rafsandschanis vor einem Jahrzehnt, wohl rasch ­auflösen.

Und was die Popularität des Atomabkommens bei der Bevölkerung betrifft: Die Islamische Republik ist keine Demokratie und Khamenei fürchtet den politischen Wettbewerb mit den Rohani-Rafsandschani-Anhängern. Schon bei früheren Gelegenheiten hat er Rafsandschanis Macht erfolgreich eingedämmt und in der politischen Ausein­andersetzung mit dem Ex-Präsidenten auch dessen Kinder nicht geschont. Im März 2015 verhinderte Khamenei Rafsandschani als Vorsitzenden des Rates der Experten. Dessen Sohn Mehdi Hashemi wurde in das berüchtigte Evin-Gefängnis einbestellt, kurz nachdem Rafsandschani seine Absicht erklärt hatte, erneut für das Amt des Ratsvorsitzenden zu kandidieren.

Neben der Schwächung von Rafsandschani wird der Oberste Religionsführer sicherstellen, dass der Wächterrat, der Kandidaten für öffentliche Ämter bestätigt, von Rohani und seinen Leuten favorisierte Anwärter disqualifiziert. Die Beseitigung von Kandidaten zielt darauf ab, Rohanis Anhänger zu demotivieren, den Anti-Rohani-Kräften gewaltige Wahlerfolge zu bescheren und so die Macht der Exekutive einzuschränken.

Selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass Rohanis Leute den Auswahlprozess des Wächterrats überstehen, werden sie mit den gestiegenen Erwartungen der Bevölkerung konfrontiert: Rohanis Kritiker befeuern bewusst die Unzufriedenheit über die ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolge seines Teams. Da sie die öffentliche Wortführerschaft in Sachen Atomprogramm an Rohani verloren haben, konzentrieren sie sich auf die Diskrepanz zwischen den Wahlversprechen des Präsidenten und der bitteren ökonomischen Realität, um wieder die Oberhand zu gewinnen.

Diese Taktik scheint aufzugehen. Während seines Wahlkampfs hatte Rohani erklärt, dass das Sanktions­regime ebenso wie das Missmanagement unter seinem Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad Gründe für die Armut im Land seien. Jetzt, wo beides beseitigt ist, hofft die Bevölkerung verständlicherweise auf eine Verbesserung ihres Lebensstandards. Die wird Rohani aber bis zu den Parlamentswahlen Anfang nächsten Jahres nicht liefern können. Auf diese Weise könnte sich der diplomatische Erfolg des Präsidenten schnell in eine innenpolitische Niederlage verwandeln.

Revolutionsgarden-GmbHs

Es ist keineswegs sicher, dass es Rohani gelingt, den Abbau der Sanktionen zu nutzen, um die Wirtschaft zu liberalisieren und die Lebensbedingungen der breiten Masse der Iraner zu verbessern. Trotz wiederholter Versuche ist es ihm bislang nicht gelungen, die Garden aus der Wirtschaft zu drängen: Der Ingenieurskorps der Revolutionsgarden (Khatam al-Anbia) ist nach wie vor der größte Auftragnehmer im Land und tritt wie ein Privatunternehmen auf. Obwohl die Regierung mit dessen Leistungen unzufrieden ist, erhält das Korps weiterhin den Löwenanteil öffentlicher Aufträge. „Wir konnten Khatam al-Anbia nichts entgegensetzen“, erklärte Präsidentenberater Akbar Torkan im August 2015 der heimischen Presse.

Die Unnachgiebigkeit der Revolutionsgarden genießt wohl die stillschweigende Zustimmung Khame­neis, der es sich wiederum nicht leisten kann, die Unterstützung seiner Prätorianer zu verlieren. Es waren nicht zuletzt die Revolutionsgarden, die die prodemokratische Grüne Bewegung nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen vom Juni 2009 brutal niederschlugen. Von dem Geld, das nach einem Ende der Sanktionen ins Land fließen dürfte, werden in erster Linie Unternehmen in der Hand der Revolutionsgarden und semiöffentliche Stiftungen unter der Kontrolle Khameneis profitieren. Weder im Staatshaushalt noch beim Durchschnittsbürger dürfte davon viel ankommen.

Die immer aggressivere Rhetorik Khameneis und der Revolutionsgarden untergräbt die Charmeoffensive Rohanis und Zarifs gegenüber den USA: „Unsere Politik gegenüber der arroganten amerikanischen Regierung wird sich kein bisschen ändern“, versicherte Khamenei während seiner öffentlichen Ansprache zum Fastenbrechen am 18. Juli 2015. Im gleichen Zuge drückte er seinen Rückhalt für die „unschuldigen Nationen Palästina und Jemen, die Nation und Regierung des Irak und Syriens, den unschuldigen Menschen in Bahrain und den aufrichtigen heiligen Kriegern des Widerstands im Libanon und in Palästina“ aus, „die unsere ungebrochene Unterstützung erhalten“. Der Oberbefehlshaber der Revolutionsgarden, Generalmajor Mohammad-Ali (Aziz) Jafari, kritisierte in seinem ersten Statement zum Atomabkommen die Resolution des UN-Sicherheitsrats, der die Vereinbarung begrüßt hatte: „Einige Elemente des Abkommens überschreiten explizit rote Linien der Islamischen Republik Iran, insbesondere in Bezug auf unsere Rüstungskapazitäten. Das werden wir niemals akzeptieren.“

In ihrer Gesamtheit könnten diese Dynamiken für Rohani und sein Team sehr gefährlich werden. Rohani könnte einem Desaster entgegensteuern, wenn sein Netzwerk sich nicht als stark genug gegen die Angriffe erweist, wenn die Wähler ihn trotz des erfolgreich abgeschlossenen Abkommens im Stich lassen, weil ihre Erwartungen nicht erfüllt werden, wenn die Kandidatenliste für den Wächterrat manipuliert wird und wenn die Revolutionsgarden – die vom Abkommen profitieren, es aber öffentlich ablehnen – weiter in Opposition zu ihm gehen. Am Ende könnte ihm die Kontrolle über das Land aus den Händen gleiten.

In Washington und in den Hauptstädten Europas wird das Atomabkommen oft als Teil des Versuchs verkauft, Rohanis Regierung gegenüber den Hardlinern zu stärken. Das Gegenteil könnte der Fall sein. Dann wäre das Akommen mit dem Iran eine fatale Fehlinvestition.

Ali Alfoneh ist Senior Fellow bei der Foundation for Defense of Democracies (FDD) in Washington.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2015, S. 84-87

Teilen

Mehr von den Autoren